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Aber noch genügte diese gerechte Strafe nicht, uni die schnlddelndeiien Seelen jener unglückseligen Eltern znr Nene znriickznsiihrc». Während dieser Vorgänge in den Gemächern der Schlvßbesiper war der linke Flügel deö Palasteö der Schauplatz einer noch empörenderen Seene. Eönmrde bereits erivähnt, daß sich Narciso Bonrneville znr fluche bereit hielt, das; sich die Gäste zurückgezogen hatten und Giaeinta in leichten Schlnnnner gefallen ivar. Da lies; sich plötzlich in der Galerie ein dumpfer Aall vernehmen. Irgend jemand war vvr dem Eingang zu Giacintaö Gemach gestrauchelt uud eilt metallischer Ton ivie daö Klirren eines ans daS Marmvrpflaster ge fallenen Schlüssels erklang. Sofort öffneten sich zehn Türen der Fremdenzimmer und eö erschienen Herren im Schlafrock, und die eine oder andere Dame im Nachthänbchen, mit Lichtern in der Hand. Auch einige Diener waren herbeigeeilt. „Bei meiner Seele!" rief eine Stimme, „eS ist mein Gebieter!" Der Neitknecht NarcisoS, der hintei: einer Säule verborgen war, mischte sich unter die andern, als wäre er im Angenblick erst herbeigeeilt. „Mein Gebieter!" rief er wiederholt. Es war in der Tat Herr von Bourneville, der sich soeben vom Boden erhob. Er schien Verlegenheit darüber zn empfinden, das; man ihn hier überrascht hatte, und machte sich schleunigst aus dem Staube. „Was wollte Herr von Bourneville zn dieser Stunde hier- Sein Zimmer liegt doch im andern Flügel," so fragten sich oder dachten die herbeigeeilten Gäste. Margarita, die alte Dienerin, die sich auch eingefunden hatte, gab die Aufklärung. Sie hob einen Schlüssel vom Boden auf, der dem Kavalier Nareiso aus der Hand ge fallen war. Sie prüfte ihn aufmerksam und steckte ihn in das Schlüsselloch von Giaeintas Zimmertüre. Der Schlüssel pas;te vollkommen in daö Schloß. Sie zog ihn mit einer entsetzten Miene wieder heraus, uud nachdem sie einen vielsagenden Blick auf die Umstehenden geworfen hatte, die der Scene mit bos haftem Staunen anwvhnten, entfernte sie sich raschen Schrittes. Giaeinta, aus ihrem leichten Schlummer ausgeschreckt, hörte etwas von dein Vorgefallenen, ohne dessen Sinn verstehen zu können. Das Geräusch des Schlüssels im Schloß war ihr uicht entgangen. Sie begann zu zittern und ein unheimliches Angst- gesiihl hielt sie lange vom Schlafe ab. Der nächste Morgen begann mit einem empörenden Austritt. Als Margarita zur gewohnten Stunde bei Giaeinta erschien, trat sie nicht in das Zimmer, sondern rief ihr durch die Türe zu, das; die Gräfin sie bei sich erwarte. Die Dienerin hatte in verschleierten Worten ihre Herrin von dem traurigen Vorfall in Kenntnis gesetzt, dem sie beigewohnl, nnd ihr zugleich den Schlüssel als unwiderleglichen Beweis überbracht. Worte wären zu schwach, um die Ausbrüche des ZvrueS uud der Entrüstung deö gräflichen Paares bei dem Berichte der Dienerin wiederzugeben. Diesen von allen schlimmen Leidenschaften gepeitschten Seelen schien es ein kaum glaublicher Giücközufall, das; sich ihnen ein neuer und zwar legitimer Vorwand dar- bvt, um die arme Waise zu verfolgen. Alle anderen Erwägungen beiseite setzend, begannen sie über die Unglückliche eine Flut vvu Beschimpsungeu uud Schmä hungen zu ergießen. Sie scheuten sich nicht, den Reitknecht Bournevilles auSzusorschen, der, von seinem Herrn belehrt, sich in seinen Antworten so geschickt zu verwickeln wußte, daß seine vorgeschützte Verwirrung als sicherer Beweis der Wahrhaftigkeit seiner Aussage angenommen wurde. „Laß uns nicht länger säumen," rief die Gräfin aus. „Das verlorene Geschöpf soll sofort erscheinen!" Zugleich wurde auch »ach deu Töchtern geschickt. Giaeinta trat schüchternen Schrittes bei den Ver wandten ein. Ihr blasses, ernstes Antlitz trng einen Ausdruck so sanfter Offenheit, daß bei ihrem Anblick der grausamste Zweifel hätte schwiudeu uiüsseu. Die Waise begrüßte freundlich ihre Verwandten. Kaum bemerkte sie jedoch die kalte Strenge nnd Ver achtung, mit der man ihr begegnete, als sie von einer unerklärlichen Bangigkeit ergriffen wurde. „Hier steht jene," dachten die beiden Schwestern, „die unS binnen kurzem mit ihren Reichtümern erdrücken wird." „Komm näher," rief die Gräfin in befehlendem Tone. „Hoffe nicht, mir zu entgehen . . ." Da das arme, zitternde Kind nichts zu antworten wußte und vvu dieser Ansprache nichts verstand, wars der Zorn dieser schrecklichen Frau alle Dämme der Beherr schung nieder. „Dn hast also wirklich die Unverschämtheit, mit kühner Stirne vor uns zu erscheinen, du schamloses Ge schöpf? Das ist die Tugend, die so ausgezeichnet Komödie zn spielen verstand. Auf solche Art lohnt sie uns all die Wohltaten, die wir ihr seit ihrer .Kindheit erwiesen!..." Daö arme Mädchen, auf dessen Antlitz sich namen- loser Schrecken malte, zwang sich endlich zu einem Wort der Erwiderung. „Meine teure Taute!" rief sie mit gefalteten Händen. „Waö soll ich denn getan haben? Ö Gott! Welcher Schuld klagt man nüch an?" „Hört ihr sie? Dieses Ungeheuer von Heuchelei? Sie wagt noch zu frngeu . . . Ist denn deiu Ehrgefühl vollständig erstorben? Sollen wir dir deine skandalöse Ausführung ins Gesicht schleudern?" Bei diesen Worten schlugen die jungen Gräsinnen Nipari verschämt ihre Augen nieder und Bice sagte, von ihrem Sitze ausstehend, zu ihrer Mutter: „Erlaube, Mama, daß wir uns entfernen." „Nein; bleibt, meine Töchter. Ich bestehe darauf, daß diese Unverschämte in eurer Gegenwart'die Demü tigung erleide, die sie verdient." Unterdessen rang die arme Giaeinta, am ganzen Körper zitternd, verzweislunbövoll die Hände nnd wieder holte mit vvr Schluchzen erstickter Stimme: „Was habe ich denn verbrochen? Im Namen des Himmels, wessen werde ich beschuldigt?" „Das Fräuleiil spricht von Gott uud vom Himmel I" sagte Elvira, ihr Gesicht in das Taschentuch vergrabend. „Es ist erstaunlich, wie meisterhaft sie die Unschuld zu heucheln versteht," fügte Bice bei. Gräfin Nipari packte die unglückliche Waise mit solcher Heftigkeit beim Arm, daß diese auf die Knie siel. „O, Tante!" ries sie aus, „schlage mich nicht!" „Ich werde mich hüten, mich au dir zu vergreisen, beruhige dich!" Gras Nipari, der bis zu diesem Augenblick den Mnud nicht geöffnet hatte, mischte sich in die Angelegen heit, indem er sagte: „Dn fragst, was dn verbrochen hast? Dn hast Schande über dieses ehrbare Haus ge bracht. Ist dies Verbreche» nicht ernst genug . . .?" „Du hast," unterbrach ihn die Gräfin mit wntblitzen- den Augen, „du hast es dir zur Aufgabe gemacht, deinen Cousinen den Gatten zu entreißen, den ich für eine meiner Töchter bestimmt hatte; und in dem Wahne, dein Ziel auf diese Art um so sicherer zu erreiche», hast du uicht gezögert, dich iu dein Verderben zu stürze». Soll ich dir »och »lehr sage»? Du hast de» Kavalier Narciso vv» Bourneville auf deinem Zimmer empfangen." Bei diesen Worten siel der Schleier von Giaeintas Augen. Sie richtete sich hoch auf. Die Adern an der Stirne schwollen an, ihre Züge schienen sich zn verwandeln unter der Entrüstung ihres ehrlichen Gewissens. Die Hände auf die Brust gepreßt, rief fie aus: „Ich, ich sollte das getan haben?" . . . Dann hob sie die Arme nnd die Augen zum Himmel und flüsterte: „Ist es nicht ein Traum, was ich jetzt erlebe?"