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Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190803071
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19080307
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19080307
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-03
- Tag 1908-03-07
-
Monat
1908-03
-
Jahr
1908
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.03.1908
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X Kin Geldschrank mit 84 00« Mk. "Inhalt angrbohrt. Ein Einbruch im Haupt- telephonamt in der Binderstraße zu Hamburg wurde während der Nachtzeit versucht. Ein Wächter bemerkte bei seinem Rundgange im Gebäude der Oberpostdirektion zwischen zwei und drei Uhr früh ein verdächtiges Geräusch; als er diesem nachging, traf er in einem Zimmer des im zweiten Stock gelegenen Haupt telephonamtes einen jungen Menschen an, der gerade im Begriff war, einen etwa 84000 Mk. enthaltenden Geldschrank gewaltsam zu öffnen. Der Wächter schlug Lärm, worauf der Ein brecher die Flucht ergriff; er wurde jedoch von einem patrouillierenden Polizeibeamten in einem Vorgarten der Johnsallee angehalten und nach heftiger Gegenwehr überwältigt. Der Ver haftete ist ein 21 jähriger Schlossergeselle aus der Binderstraße, der den Plan zum Einbruch schon seit längerer Zeit vorbereitet, nachdem er ausgekundschaftet hatte, daß in dem betreffen den Geldschrank, besonders am letzten Tage jeden Monats, eine bedeutende Barsumme auf bewahrt wird; auch mit den Dienstfunktionen der Wächter, namentlich mit dem Zeitpunkte ihrer nächtlichen Revisionsgänge, die alle zwei Stunden zu erfolgen haben, hatte er sich vor her vertraut gemacht. In den Geldschrank hatte der Einbrecher, als er von dem Wächter überrascht wurde, bereits 47 Löcher mit dem Zentrumsbohrer gebohrt. Er hatte sich ferner für die Türen des Gebäudes besondere Nach schlüssel verschafft und führte 33 verschiedene Bohrrr, eine Anzahl Sägen, Ol usw. bei sich. Alle diese Sachen hatte er in einem kleinen ledernen Koffer sorgfältig verpackt. Bei einer in seiner Wohnung vorgenommenen Haus suchung fand man einen großen Posten Zigarren und Schokolade vor, die er nach seinem eigenen Geständnis bei Einbrüchen in einem Hamburger Tabakslager bezw. in einem Kolonialgeschäft erbeutet hat. X Bor Schreck die Sprache verlöre«. Ein eigenartiger Vorfall hat sich dieser Tage in Stellingen-Langeselde ereignet. Bei dem dort wohnenden Kaufmann Enoch wurde am Nach mittage durch einen Steinwurf ein Küchenfenster zertrümmert, infolgedessen das am Herd stehende Dienstmädchen Dresen so heftig erschrak, daß es auf der Stelle die Sprache verlor. Als das bedauernswerte Mädchen auch am andern Tage nicht zu sprechen vermochte, wurde es nach dem städtischen Krankenhause in Altona gebracht. Vin schwerer Grudknunfall. Auf dem Reckes-Schacht der Kleophasgrube in Kattowitz Wurden durch scharfes Aussetzen der Förder schale sieben Mann schwer, einer leicht verletzt. Die Ursache des Unglücksfalles ist anscheinend in dem Schadhaftwerden des Tiefenanzeigerö zu suchen. Ein peinliches Versehen. Seit einiger Zeit wird behauptet, die zu Neujahr aus gegebenen österreichischen Jubiläumskronen würden wieder eingezpgen; doch verlautete bis her nichts Bestimmtes darüber. Jetzt wird bestätigt, daß schon vor einiger Zeit mit der Prägung aufgehört wurde, und es wird nun überall versucht, die Kronen einzuziehen. Da die Münze allgemein gefallen hat, war man sehr neugierig, den Grund zu erfahren, warum die Krone zurückgezogen wird: Man hat ver gessen, den Kopf des Kaisers mit dem Lorbeer- kranz zu schmücken, wie er auf allen früheren Münzen geschmück ist, und gerade dieser Fehler ist denen, di- für «e Jubiläumsmünze verant wortlich sind natürlich buchst peinlich. Die A«geletze«tzeit des Österreichers Krumholz, der n Paris unter der Beschuldi gung, die Geheimnisse deS französischen Lenk- vallons ausspioniert z- haben, sestgenommen wurde, hat letzt ihren Abschluß gefunden. Krumholz ist mit seiner Geliebten Gertrud Brieger aus Frankreich ausgewiesen worden. Grotzsever i« Marseille. Tiner Mel dung aus Marseille zufolge brach dort ein hef tiges Schadenfeuer am Kap Pinede in einem Schuppen der Handelskammer aus, der mit brennbaren Stoffen angefüllt war, und breitete sich bald auf eine Fläche von 10 000 Meter im Geviert aus. Das Feuer wurde sofort von der Besatzung eines in der Nähe befindlichen Dampfers und von der Feuerwehr bekämpft und nach drei Stunden auf seinen Herd beschränkt. Anarchistische Attentate haben die Be völkerung Chicagos in großen Schrecken ver setzt. Zwei Männer drangen in die Wohnung des Polizeichefs Shippy und brachten ihm, seinem Sohne und seinem Kutscher durch Re volverschüsse und Dolchstiche schwere Ver letzungen bei. Der Polizeichef erschoß hierauf einen seiner Angreifer. Man vermutet, die Angreifer seien Anarchisten, dis sich an dem Polizeichef wegen seines Vorgehens gegen die Anarchisten bei der Ermordung des Paters Leo Heinrich rächen wollten. Wie sehr die Uarte zur Lawinenkatastrophe am Lötschberg-Tunnel. Der jetzt zu Ende gehende Winter ist, wie seit langem keiner seiner Vorgänger, infolge der ab normen Witterungsverhältnisse reich gewesen an Unglücksfällen, die durch zu Tal gehende Lawinen herbeigesührt werden. Zu einer furchtbaren Kata ¬ strophe hat ein Lawinensturz in dem Orichen Göppenstein im Kanion Wallis geführt, wo die mit dem Bau des Lötschbergtunnels beschäftigte Gesellschaft eine Kolonie leichtgebauter Häuschen für ihre Ange stellten errichtet hatte. Das Hotel Göppenstein wurde zerstört, das in der Nähe befindliche Postbureau ist ein gestürzt. Elf Personen ünd getötet und 15 verwundet. Der obengenannte Ort Göppenstein ist 2'/z Stunden von Gampel, einer Bahnstation in der -Nähe von Brig, entfernt. Er liegt 1230 Meter hoch im Tale der Lonza (unteres Lötschental). Bei Göppenstein ist der Eingang der Südrampe der Lötschberg bahn in den Tunnel. Die Bauunternehmung liest den früheren Saumweg von Gampel nach Göppenstein in eine gute Fahrstraße umwandeln, oben wurden mehrere Gebäude für den Bahnbau errichtet. anarchistische Bewegung in Chicago um sich greift, beweist eine andre Nachricht von jenseits des Ozeans. Die Chicagoer Polizei stellte eins anarchistische Gesellschaft von Italienern fest, die aufreizende Flugblätter verbreitet hat. Ä Kerlmer Numor vor Gericht Wenn man Geld verborgt. Vorsitzender des Schöffengerichts: Was haben Sie auf die soeben verlesene Anklage zu erwidern, Angeklagter Weigel, jetzt tut Ihnen wohl die Sache sehr leid? — Angell.: Wie man't nimmt! Ick muß sagen, et dut mir sehre leed, det — mein scheencr Spazier stock schon nach den zweetcn Schlage kaput jmg, sonst hätte er die Wucht Dresche jekriejt, die er sich ehrlich verdient hatte. Bors.: Sie verscherzen sich durch derartige Antworten nur die Aussicht auf mildernde Umstände. Was haben Sie denn gegen den Zeugen Gürtler? — Angell.: Ville. Sehr Ville. Det heeßt eejentlich habe ick zu wenig von ihm. Denn bis jetzt hab' ick noch jar nischt jekriejt. — Vors.: Das soll wohl heißen, daß er Ihnen Geld schuldig ist? — Angekl.: So is et. Det heeßt, darum handelte sich's wenijer, sondern um die Art und Weise, wie er mir dabei for'n Narren jehalten hat. Ick habe dem Menschen in eene schwache Stunde mal fufzij Mark jcpnmpt. In acht Dagen sollt' ick's wieder haben. Aber wer nich kam, war mein Freund Jürtler. In seiner Wohnung war er stets verreist, wenn ick hin kam. Eenmal faßte ick ihm aber doch jlück- lich uff'm Alexanderplatz. Er dat, als fiel er aus die Wolken: „Die fufzig Mark? Ja, wahr haftig, det hab' ick janz versessen, natürlich, könn'n Se jleich haben —. Ach. Emil! Emil l — da fährt ja Emil uff de Elektrische, dem ick sowat Wichtijet zu sagen habe! Entschuldijen «e mir eenen Oogenblick, Herr Weijel, ick bin jleich wieder hier . . ." Damit sprang er uff eene Elektrische und ließ mir wie eenen Affen stehen. Wenn ick nich weiter jejangen wäre, stände ick heute noch da. Een andermal treffe ick ihm uff de Straße, da faßt er sich plötzlich, wie er mir sieht, mit beede Hände an't Jesichte, huppt von eenen Been uff't andre und schreit ejal wej: „Au weh l Au weh l Zahnschmerzen! Lassen Sie mir los, ick muß zum Zahnarzt! Au weh!" Die Leute blieben schon stehn, ick mußt'n loofen lasten. Mit'n Jerichtsvoll- zieher is den Kerl nich beizukommen, er hat nischt, sauft aber, wenn er sich unbeobachtet jloobt, Rot wein. Eenet Dages wollte ick ihm in seine Woh nung abfangen. Er looschiert Schambergarnich. Wie ick die Treppe ruff jehe, trifft et det Unjlück und der Mensch kommt jrade runter. „Nee, Herr Weijel, wie mir det freut! Det paßt ja ausjezeichnet. Sie seh'n mir jerade uff den Sprung, Jeld zu holen. Komm' Se man ruff in meiner Wohnung und machen Sie't sich eenen Momang uff'm Kannapeh bequem. Ick bin jleich wieder hier und bezahl' Ihnen Ihre fufzij Emmchen. — „Männecken," sagte ick, „wenn Sie mir wieder verulken, jibt's 'ne Wucht!" — Er verschwor sich hoch und deuer, det er Ernst machte, und ick jing mit ruff, wo er mir in seine Bude rinließ. Setne Wirtin war, wie er sagte, inholen jejangen. Wat soll ick Ihnen sagen, ick wartete anderthalb Stunden verjeblich uff ihm. Jerade wollte ick jeh'n, da schließt uff eenmal die Korridor- düre. Ick war fest entschlossen, den Kerl, wenn er mir wieder rinjelejt hätte, rejelrccht zu ver- toobackm, nahm meinen Stock, machte die Düre uff und sagte: „Entweder rücken Se jetzt Jeld raus, oder ick schlage Sie det Kreuze in Klumpen — —— Een jellenber weiblicher Hilferuf war dis Antwort. „Hilfe, Hilfe I Räuber, Mörder!" schrie eene dicke Dame uff'n Korridor, anscheinend die jerade nach Hause jekommene Wirtin. Dann stürmte se, indem se Raub un Mord schr-e, die Treppe runter. Binnen zwee Minuten war det janze Haus alarmiert, ick wurde trotz meines Protestes als Spitzbube verhauen un wäre um een Haar noch uff de Polizeiwache je- brachi worden; jlücklicherweise nahmen aber die Leite noch Vernunft an un ließen mir, wie ick meine Keile wej hatte, die Sache uffklären. Ick denke, Herr Präsident, ick brauche meine wahrheitS» jemäße Schilderung weiter nischt hinzuzusüjen. Mein Jeld hab' ick heute noch nich. — Das Urteil siel milde aus: 15 Mk. Geldstrafe. Selbstmord des hmiptmaniis v. Goeben. In der Allensteiner Offizierstragödie, die in den Weihnachtstagen des vergangenen Jahres die Blicks der ganzen Welt nach der Grenz- garnison im Osten des Deutschen Reiches lenkte, ist eine neue und aufsehenerregende Wendung singetreten. Hauptmann v. Goeben, der den tödlichen Schuß auf den Mawr v. Schönebeck abgab, hat sich der irdischen Gerechtigkeit ent zogen. Er hat durch Öffnen der Halsschlagader Selbstmord begangen. Trotz schärfster Bewachung ist es dem Hauptmann gelungen, sich während des Mittagessens mit dem beim Essen benutzten Tischmesser die Schlagader des Halses zu dmchschneiden. Die iowrt vom Militär lazarett telephonisch herbeigerufenen Arzte konnten nur noch den Tod seststellen. — Am Morgen des zweiten Weihnachtsieieltages wurde Herr v. Schönebeck, Major beim Stabe des Dragoner'Regiments Nr. 10, frühmorgens von feinem Burschen an der Schwelle feines Schlaf zimmers tot aufgefunden. Durch die sofort von dem Kriegsgericht der 37. Division eingeleitete Untersuchung wurde zunächst festgestellt, daß Selbstmord nicht Vortag, obwohl neben der Leiche des Maiors ein Armeerevolver ge- funden wurde. Die von den Militärbehörden und der Staatsanwaltschaft gemeinschaftlich be triebenen Recherchen, die durch einen von der Berliner Kriminalpolizei entsandten Kom missar unterstützt wurden, ergaben bald Ver dachtsmomente gegen Hauptmann v. Goeben, Batteriechef bei dem ebenfalls in Allenstein garnisonierenden Feld-Artillerie-Regiments 78. Hauptmann v. Goeben hatte sehr viel im Hause des Majors verkehrt; er war noch am Abend- deS ersten Weihnachtsfeier- tages in der Familie zu Gast gewesen. Daß er zu der Frau des Getöteten in unerlaubte« Beziehungen stand, wurde bald festgestellt. Di« Verhandlung gegen den Hauptmann v. Goede« wegen Mordes sollte im Laufe dieses Monats stattfinden. Der Termin war jedoch bis jetzt noch nicht bekannt gegeben, zumal v. Gsebes neuerdings auf seinen Geisteszustand beobachtet werden sollte. Dem Dr. Frhrn. v. Schrenck-Notzing gegen über, der den Hauplmann auf seinen Geistes zustand untersuchen sollte, hat er über die Tat genaue Angaben gemacht. Danach war, wie der Arzt sagt, v. Goeben in die Frau von Schönebeck derartig verliebt, daß er zu ihr im Zustand der Liebeshörigkeit stand, in gewisser Beziehung von ihr als hypnotisiert zu be trachten war. „Ich habe," schrieb von Goeben unter anderm, »in diesem Zu stande jene Frau für eine Art reines Heiligtum gehalten und ihr alles, alles geglaubt. Wenn ich heute zurückdenke, so begreife ich nicht, wie ich das alles habe glauben können. Die Frau muß eine Art Suggestion auf mich ausgeübt haben. Ich habe ohne Bedenken und ohne inneres Wider streben die größten Verbrechen für diese Frau begangen, die sie von mir haben wollte, und fühlte mickf sogar glücklich dabei. Ich habe nie Gewissensbisse gehabt. Ist das nicht scheußlich 1 Frau v. Schönebeck hatte ihrem Verbündeten ein paar dicke, wollene Strümpfe ihres Mannes gegeben. Die sollte v. Goeben bei Ausübung der Tat über die Schuhe ziehen, damit die Hunde seine Spur nicht finden würden. Und so rückte der Weihnachtsabend heran. A« diesem Abend war v. Goeben Gast bei von Schönebecks von zwei bis neun Uhr. Und während der Gatte einen Moment im Neben zimmer weilte, ließ die Frau ihren Geliebten unter dem WeihnachtSbaum schwören, daß „es heute zum Klappen kommen solle!" Und von Goeben schwor I Dann, in einem unbeobachteten Moment schlug er ihr vor, die Revolver zu ver- täuichen, damit es nachher als Selbstmord aus sehen möge. Doch Frau v. S. war dagegen. „Laß nichts von dir liegen!" warnte sie. Er folgte wie immer. Dann kam die Nach!. Als der Mafor, von Lärm geweckt, dem Haupt- mann mit dem Revolver entgegentrat, rief Goeben: „Herr Majori" Da aber der Major die Waffe erhob, so feuerte v. Goeben schnell und traf seinen Gegner mitten in die Stirn. Major v. Schönebeck kam überhaupt nicht zum Schuß, die Markierung an der Patrone rührte vom Fallen der Waffe her. „Sie sagte zu mir," schloß von Göben seine Beichte, „wenn's noch lange dauert, gehe ich kaput. In einem halben oder ganzen Jahre sind wir noch ebensoweit wie jetzt. Mach Schluß und sorge dafür, daß mein Mann gleich tot ist, damit er nicht gegen uns aussagen kann!" — Das Gutachten des Arztes geht dahin, daß v. Goeben alles im Auftrage der Frau v. Schönebeck getan hat und daß seine freie Willensbestimmung ver- mindert war. Deshalb täte das Gericht wahrscheinlich auf Totschlag, nicht auf Mord erkannt. Kuntes Allerlei. Mn Für 1200 000 Frank falsches Geld. Der Wert der im verflossenen Jahre in Frankreich angehaltenen Geld-Falsifikate be- läuft sich nach den Zusammenstellungen aus 1200 000 Frank. Hiervon entfallen am Papiergeld etwa 800 000 Frank, aut Golo 150 000 Frank, die übrige Summe war in Silber nachgemacht. In einem einzigen Falle waren für 240 000 Frank Banknoten angehaltcn worden, noch ehe sie dem Verkehr übergeben werden sollten. Balo nach ihrer Verlobung hatte sie den jungen Doktor Karl Hollmann kennen gelernt und sie empfand dabei zum ersten Male jene wirkliche Liebe, die eben ganz in dem Geliebten aufgeht. Charlottes Wagen hielt vor dem Minister- Hotel. Sie eilte die mit prächtigen Gewächsen bestellte Treppe hinauf, übergab ihren Mantel einer Kammerfrau, betrachtete sich prüfend in dem hohen Spiegel des Vorzimmers und trat bann in den hellerleuchteten Saal. Erschreckt fuhr sie aber sogleich wieder zu rück. Ihr Bruder trat ihr entgegen, bot ihr den Arm und führte sie zur Dame des Hauses, don der sie mit einigen Artigkeiten empfangen wurde. „Du bist früher von deinen Geschäftsgängen zurückgekommen, als du meintest," lagte Char lotte und warf einen ängstlichen Blick auf ihren Bruder, dessen eigentümliches Lächeln sie beun ruhigte. „Ich erinnerte mich noch rechtzeitig des Balles und verließ die mir befreundete Familie, bei der ich mich aufhielt. Ich komme nach unsrer Wohnung, das Mädchen jagt mir, Fräulein ist bereits fortgefahren. Ich werfe uuch in Balltoilette und vor elf Uhr war ick Mr. Jetzt ist es halb zwölf." Charlotte erbebte. , »Ich ging früh fort, und um hier nicht zu- M «nzukommen, machte ich vorher einen Be- uch bei Tante Cäcilie." »Bei der Tante in dieser Toilette? „Ja!" Charlotte verging fast vor Angst. In diesem Augenblick verbeugte sich der Advokat Schwinger ehrerbietigst vor Charlotte. Um einer weiteren Unterhaltung mit ihrem Bruder zu entgehen, die sie mit einem geheimen Ent setzen fürchtete, legte sie ihre zitternde Hand in die des jungen Advokaten, als dieser um einen Tanz bat. Während der Quadrille war Charlotte das Visavis des Assessors von Weidenthal und Anna von Walmoden, der Tochter des Staatsanwalts. So heiter und gut gelaunt die junge Dame zu sein schien, so traurig und innerlich zerrissen war Charlottes Gemüt. Eine geheime Ahnung ließ ihr das Orchester des Balles als die Trauer musik ihrer Zukunft erscheinen. Sie sah den Himmel mit düsteren Wolken bedeckt. Sie dachte nicht mehr daran, an Karl zu schreiben, um ihn zu beruhigen, sondern in wunderbar plötzlicher Umwanolung ihrer Gesinnungen lieber mit ihm zu fliehen, als dem Zorn und der Rache ihres Bruders zu trotzen, den sie lange schon verachtet und jetzt zu fürchten begonnen hatte. „Morgen," sagte sie sich im stillen, „suche ich ihn auf, wir gehen ins Ausland und ver lassen uns nimmermehr I" Schwinger unterbrach sie in diesem Ge dankengange, indem er sich zu ihr neigte und und ihr zuflüsterte: „Die Frau Minister fixiert Sie sehr scharf und wie es mir scheint, spricht sie dabei nicht gerade allzu freundschaftlich von Ihnen. Ge stalten Sie mir, Ihnen einen Rat zu geben. Wenn Sje einen geheimen Kummer haben sollten — und ich ahne, daß dem jo ist —, jo lächeln Sie, ob eS Ihnen auch noch jo schwer fallen möge. Bedürfen Sie meines Bei standes, so zählen Sie nur auf mich und meine Verschwiegenheit. Ich liebe Karl wie einen Bruder." Charlotte sah den Rechtsanwalt halb er schreckt an. Die Vertraulichkeit, die in seinen Worten lag, überraschte und entsetzte sie zu gleich: Sie mußte sich sagen, daß Schwinger ihr Geheimnis, das sie vor aller Welt verborgen glaubte, entweder direkt kenne oder doch arg wöhne. Sie nahm deshalb, ohne zu antworten, die Miene verletzten Stolzes an. „Sie mißverstehen mich, verehrtes Fräu lein," fuhr Schwinger mit sanfter Stimme fort, aus der die unzweideutigste Teilnahme wiederklang. „Die Geliebte meines Freundes ist mir heilig, ich werde über sie wachen. Ich werde den Ball erst nach Ihnen verlassen." Die Quadrille war vorbei, Schwinger führte seine Tänzerin auf ihren Platz zurück. Die Wangen des jungen Mädchens glühten. Sie fuhr mit der Spitze des Taschentuches darüber hin. „Wo ist dein Fächer?" fragte jetzt Anton, der begierig auf das Ende des Tanzes gewartet zu Haven schien. „Stein Fächer? — Ich habe ihn ver gessen — ich habe ihn bei Tanie Cäcilie liegen lassen." „Ich werde ihn holen, Charlotte. Du sollst ihn nicht während des Balles entbehren." „Ich bitte dich, Antoni" ries Charlotte. „Der Fächer ist ja nicht jo wichtig." „Er gehört zu deinen Lerlobungsgejchenken von Kapiiän Honsby. Überdies ist ein Fächer ein für den Ball unentbehrlicher Gegen stand." „Wohin eilen Sie, Herr von Liebetraut?" rief die Frau Minister dem sich sofort Ent fernenden nach. „Ich hole den Fächer meiner Schwester." „Ein herrlicher Bruder. Ein wahres Muster der Galanterie I" Charlotte war einer Ohnmacht nahe, als st« ihren Bruder aus dem Saal verschwinden sah. Sie ward so bleich, daß sie jedem, der sie be- trachtete, auffallen mußte. Fräulein von Walmoden kam ihr zu Hilfe, und Schwinger bot ihr den Arm, um sie in ein Nebenzimmer zu führen. „Ich bin verloren," flüsterte Charlotte ihrem Begleiter zu. Der junge Herr von Liebetraut stieg i« seinen Wagen und fuhr nach dem Hause feiner Tante. Nach wiederholtem heftigen Schellen öffnete ein alter Hausdiener vorsichtig di« Tür und näherte die Laterne dem Gesicht des Besuchers. „Wo ist Tante Cäcilie?" fragte Anton. „Sie schläft bereits. Sie wißen ja, daß von zehn Uhr ab hier alles schläft." „Gut, so wecke die Tante sofort und sag« ihr, daß ich sie sprechen muß. Ich werde im Wohnzimmer warten." Der Diener ging, und nach einiger Zeit erschien Tante Cäcilie, in deren Gesicht sich eine mit Besorgnis gemischte Erwartung aus- prägte. DR r ^Fortsetzung jolgt.)
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