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sichtig schritt er dann durch das verlassene Dorf dem Gewehr feuer zu. Auf dem freien Felde erblickte er nichts mehr vom Feinde, doch bot sich ihm herrliche Gelegenheit, einige Ver wundete zu decken. Nach diesem schnell entschiedenen Gefechte wurden dem Regimente eine Anzahl Kreuze der Ehrenlegion übersandt. Caraffons Kapitän saß, als er eie Verteilung der Ehren zeichen mit seinen Leutnants besprach, in der Mairie eines großen Dorfes und war in bester Stimmung. Wehte doch vom Kamin her ein würziger Duft, bereitete doch Baptist soeben das Lieblingsgetränk seines Kapitäns mit einer Fein heit, wie sie in der ganzen Kompagnie kein zweiter besaß! Ein Exemplar war dem Kapitän natürlich schon ver liehen worden. Auch wenn er sich ein zweites hätte selbst verleihen können, hätte er es in seiner Bescheidenheit wahr scheinlich nicht getan. Die Leutnants und Korporale wurden nun bedacht, und zuletzt handelte es sich noch um die Mannschaft. Sämtliche Offiziere erinnerten sich, daß der Grenadier Bruleur, der im bürgerlichen Leben Torf ausschrie, sich beim Gefecht durch ein ganz mörderisches Vive l'empereur-Geschrei ausgezeichnet hatte. Der Mann bekam also sein Kreuz, ebenso der Grenadier Choviac, seines Zeichens Spediteur, der sich als Aufstöberer von Proviant Verdienste erworben. Jetzt schenkte Caraffon seinen vorzüglichen Kaffee ein. „Erkundigen Sie sich einmäl," gebot ihm der Kapitän, „was es heute Mittag gibt!" Kaum war Caraffon verschwunden, als der Kapitän nach einem beseligenden Zuge aus der Kaffeetasse in die Worte ausbrach: „Ich meine, wir sollten unserem treuen Caraffon auch eins geben." „Er war immer ein tüchtiger, braver Soldat," pflichtete der Premierleutnant bei. „Besondere Gelegenheit sich auszuzeichnen, ward ihm ja nicht," fuhr der Kapitän fort, „aber ich bin überzeugt, er würde seinen Mann gestanden haben im Kampfe der Geschütze." „Ebenso wie im Dampfe des Kaffeetopfs," ergänzte der jüngste Leutnant, allerdings nur im Stillen. Die Sache war entschieden: Caraffon hatte sein Kreuz. Gleich darauf trat der neuerftandene Ritter herein und mel dete, es solle heute Schweinebraten geben, aber das Schwein wolle nicht aus dem Stalle heraus. Mit einem Fluche trank der Kapitän seinen Kaffee aus und eilte mit seinen Offizieren auf den Hof. Das Schwein, welches von der Kriegsfurie bisher ver schont geblieben, schien wenig Vergnügen daran zu finden, sich schlachten zu lassen; mit der Gewandheit eines Diploma ten vereitelte es die Bemühungen zweier Grenadiere, die es aus dem engen Stall bugsieren wollten. Allmählich hatte der Hof sich mit Soldaten gefüllt. Ler Kapitän sandte noch zwei Mann in den Stall; er selbst stand in gespreizter und überlegener Haltung da, aber alles lauschte dem Quieken und Balgen. Plötzlich schoß das mächtige Schwein aus der Stalltür und geradeswegs auf des Kapitäns gespreizte Beine zu. Ehe sich's dieser versah, war er beritten. Nach rückwärts gewendet, sich auf seinem Reittier krampfhaft festhaltend, galloppierte er über den geräumigen Hof dahin. Doch nicht lange dauerte der Siegesritt; das freiheit liebende Schwein an einer Pfütze angekommen, beendigte seinen Lauf und wälzte sich mit seiner Last behaglich im würzigen Naß, Kein Auge blieb tränenleer. Nur einer wagte nicht zu lachen: Caraffon, dazu hatte er viel zu viel Angst. Wenige Tage nach diesem Ereignis siel Paris. Der Krieg war aus und niemand war froher als Caraffon. — Jahre waren dahin gegangen, fünfzig Jahre. Der Ka pitän, der nach dem Kriege Maire geworden, hatte seine schleichende Vergiftung mit Kaffee fortgesetzt und war nach dem Genüsse von 49 623 Portionstassen sanft entschlummert. Auch von seinen Leutnants, Korporalen und Grenadieren waren gar viele zur großen Armee versammelt. Einer aber lebte noch — Caraffon — eine Tatsache, die der ehemalige Grenadier wahrscheinlich nur seiner Angst vor dem Tode zu verdanken hatte. Caraffon hatte mit großer Befriedigung den blauen. Rock ausgezogen und die Beutlerschürze wieder vorgebunden. So verlebte er einige stille Jahre. Dann wurde er von seiner Frau geheiratet, ließ ein paarmal taufen, sah seinen Sohn, einen tollkühnen Burschen, zur See gehen, begrub seine Gattin, die ihm stets denselben Respekt eingeflößt, wie früher der Kapitän, und zog endlich mit dem was er erspart als alter Mann nach der mittelgroßen Stadt Sotteville. Hier war die Tochter des vereinsamten Greises verheiratet. Durch eine liebenswürdige, seltene Eigenschaft aber hatte sich Caraffon zeitlebens ausgezeichnet; er hatte nie mit Hel dentaten renommiert und selbst das Kreuz stets im Kasten verschlossen gehalten. Eines Vormittags saß der Greis im Lehnstuhle bei einem Schälchen Kaffee, als drei Herren im Frack und Zy linder und mit bunten Schleifen geschmückt bei ihm eintraten. „Hochgeehrter Herr!" redete derjenige der Herren, der eine kindkopfgroße Rosette trug, den zitternden Greis an. „Es gereicht uns zur ungemeinen Freude, in Ihnen einen geschätzten Mitbürger zu begrüßen, der nicht nur den Feldzug 1814 rühmlich mitgekämpst, sondern sich auch heute vor 50 Jahren das Kreuz der Ehrenlegion erworben hat." „Aber woher wissen Sie denn —" stammelte Caraffon ängstlich. „Ein glücklicher Zufall machte uns auf das erfreuliche Ereignis aufmerksam," redete der Redner und so redete er noch eine Viertelstunde fort. Es half nichts: der alte Mann mußte in seinen schwar zen Anzug fahren, sein Kreuz anhängen und den Herren zu einem bereitstehenden Wagen folgen. Als der Jubilar die Blicke des Straßenpublikums auf sich gerichtet sah, wäre er am liebsten in ein Mauseloch gekrochen, wenn dieses Platz geboten und er sich nicht so sehr vor Mäusen gefürchtet hätte. Aber da gab es keine Schonung, er wurde in den Wa gen genötigt und nach einem geschmückten Saale gefahren. Ein schmetternder Tusch ließ. ihn zusammenschrecken. Daß er an der Festtafel der Gegenstand allgemeiner Auf merksamkeit war, dünkte ihm eine unerträgliche Pein. Nun hielt ein Herr eine Ansprache. Der Jubilar hatte sich bei dem ungewohnten Umkleiden und der Wagenfahrt einen gediegenen Schnupfen zugezogen, er nieste daher mehrmals in die Rede hinein. „Verehrte Anwesende," fuhr der Redner fort, „wir sehen hier einen Mann vor uns, der mit festem Fuße, mit stolzem Blicke dem Feinde entgegentrat, der ihn mit löwenkühnem Mute niederschmetterte, dessen hervorragende Tapferkeit („hatzi" nieste der Jubilar) ihm das ehrende Zeichen erwarb, das seine ergraute Brust schmückt." Aller Blicke richteten sich auf die Brust Caraffons. der vor Schrecken über dieses Attentat ein Glas Rotwein umstieß. „Ja, zum Heile des Vaterlandes hat er sein Blut ver gossen" — die Anwesenden blickten aufmerksam den roten Flecken auf dem Tischtuche an — „das Vaterland hat er verteidigt mit seinem Herzblut, der wackere Kämpfer, der alle Held." („Hatzi" machte der alte Held.) Mit einem Hoch schloß der Redner. Man stieß nun auf das Wohl des alten Mannes so oft an, daß ihm ganz unwohl wurde. Der schüchterne Greis erinnerte sich nicht, je an einem Tage seines Lebens, jenen Gefechtstag ausgenommen, so gequält und gepeinigt worden zu sein wie heute. Indes die Schicklichkeit gebot ihm Dank. Caraffon erhob sich daher und flüsterte mit einem sehr na türlichen Stammeln: „Meine Herren, meinen innigen Dank! Der schönste Tag meines.Lebens — die Rührung überwäl tigt mich." Auch als er gesundet war, hatte er keine ruhige Stunde mehr, weder im Hause, noch auf der Straße. Jeder wollte den alten Helden kennen lernen, ihn über seine Erlebnisse befragen. Das Kreuz der Ehrenlegion aber führte er jetzt bei gutem und schlechtem Wetter eifrig spazieren, -- —