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Wöchentlich «rschzinen d«I Nummtrn. Prinumirationi > Preil 22j Siibergr. (1 Thlc.) vierteljährlich, 3 Wr. sür d«s ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Präuumeratiaum werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Camp., Iagcrstrailc Nr. 25), so wie von alle» König!. Post-Acmtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 7Z Berlin, Dienstag den 18. Juni 1844. Italien. Philosophie und Politik in Italien. 5. Rosmlni. — Tarditi; Tomaseo-, der Marquis von Cavours. — Die Jesuiten; DmowSchi; Gioberti. Der Staat der Neuzeit ist eine Schöpfung der Intelligenz, deshalb er stehen ihm zweierlei Gegner: die Ultrakatholiken und die Utopisten. Die Ersteren betrachten ihn als eine atheistische Macht und predigen die Suprematie des römischen Hofes: der Begränzthcit des Staates stellen sie die Universalität der Kirche gegenüber. Die Anderen stoßen sich an die Barrieren, durch welche der Staat die Völker trennt, und erbauen aus einer falschen Auslegung des Evangeliums ihr schwankendes Ideal universaler Brüdergemeinschast. Der tproler Priester Rosmini, zu katholisch, um den Staat nicht zu bekämpfen, zu aufgeklärt, um seine Macht zu verkennen, will ihn verbessern. Aus der neuen Philosophie, die er sich aufgcbaut bat, leitet er eine neue Apologie des Christenthums und folgert danach in Beziehung auf die all gemeine Herrschaft der Kirche: die Individuen sind bestimmt, die Massen zusammenzuhalten, die Männer ohne Vaterland und ohne Familie (die Geist lichen) müssen alle Vaterländer und alle Familien regieren , also müssen sich all« Staaten der Herrschaft der Kirche unterwerfen, welche ihrerseits den Staaten die Verwaltung aller politischen und materiellen Interessen über lassen muß. RoSminl entwickelt seine Theorieen mit großer dialektischer Kraft und Gewandtheit, weil aber in ihm der Priester und der Philosoph sich stets be gegnen, konnte eS nicht fehlen, daß er sich in die schwersten Widersprüche verwickeln mußte, und daß sein System zuletzt auf einen Zirkel hinaMäuft. Dieselbe Ursache bestimmte seinen Einfluß in Italien. Zuerst wandte er sich nur an die Gläubigen; dreißig Jahr alt, gründete er den geistlichen Orden, dessen Haupt er gegenwärtig ist. °) Seine Frömmigkeit, sein Rang, seine Eigenschaft als Geistlicher, seine Reisen, seine persönlichen Beziehungen zum Papste, seine politischen Grundsätze, sein Haß gegen die Liberalen, der Eifer, mit welchem er die Revolution bekämpfte, alles dies vereinigte sich, ihm Ruhm und Ansehen bei der Geistlichkeit zu verschaffen. Bald aber erregten seine wiederholten Angriffe auf die revolutionaircn Theorieen die Aufmerksam keit eines anderen Publikums. Doch ließ sich Rosmini von den Liberalen nicht einschüchtern, sondern versolgte seinen Weg. ES öffneten sich ihm die Schulen Piemonts und fast alle Seminare Ober-Italiens. Aber die beharr liche Konsequenz, mit der er die Folgerungen des Priesters wie die des Denkers weiter führte, erweckte ihm doppelte Feinde, neben den Liberalen die Gesellschaft Jesu. RoSmini kämpfte gegen Alle. Den Einen antwortete er mit dicken Bänden, den Anderen mit Journal-Artikeln. Die literarische Fehde trägt in Italien einen änderen Charakter als überall anderwärts. Politik, Einrichtungen, Herkommen sind eben so verschieden und verwickelt als die Sprache; und der Kampf der widersprcchcnbsten Bestrebungen, durch persön liche Rivalität und Eifersucht geschürt, bricht auf dem wissenschaftlichen Felde um so heftiger los, als er auf dem politischen nicht durchbrechen darf. Dar aus erklärt sich die ungemeine Breite der philosophischen Schriften und ihr Mangel an Eleganz. Jeder Gedanke muß nach allen Seiten gewendet, in allen seinen Folgen erläutert, bis ins kleinste Detail auSgcführt, mit allen früheren oder gegenwärtig herrschenden Ansichten verglichen werden, um ihn so verschieden gebildeten und gesinnten Leuten annehmbar zu machen. In Deutschland, Frankreich, England giebt eS ein ganzes Volk von ausgezeich- neten Gelehrten und eine Art von wissenschftlichem Instinkt, der das Talent bis auf eine gewisse Höhe hebt und ihm die Mühe erspart, weiter hinabzu- steigen. Jeder muß nothwendig das herrschende System entweder annehmen oder bekämpfen. In Italien giebt es mehr Genie als Talent, mehr Talent als Gelehrsamkeit, und sobald nicht ein durchaus überlegener Geist die Be wegung der Ideen beherrscht, fällt Alles in der buntesten Verwirrung aus einander. Darum ist cs auch in RoSmini's F«hve zuweilen fast unmöglich, Anhänger und Gegner zu unterscheiden. Seine bedeutendsten Schüler find Tarditi, Tomaseo und der Marquis von Cavours. Tarditi hat eine Bertheidigung seines Meisters geschrieben, -) Der Orden der chrisilichen Liede wurde gegründet ">A, durch eine Bulle feierlich bestätigt de» Sv. September INS. Ec verlangt die drei Gelübde der Ärmuth, der Keuschheit und de« Gehorsam«. Dec Papst ermannte RoSmini zürn General des neuen Orden«. Er zählt gegenwärtig vier Päuser in Piemont, Missionen i» England und eine Schwesierschast. cin sauberes, festes und schon wegen der bloßen jesuitischen Umtriebe, die eS aufveckt, sehr beachtenSwerthes Buch. Tomaseo, cin halber Dichter und Halder Philosoph, verirrt sich im literarischen Enthusiasmus vom Gefühl zur Vernunft, von der Vernunft zum Gefühl, treibt in Metaphern rind Wort spielen uin und ändert Begriff und Bild je nach den Bedürfnissen seinc^Be- weises. Cavours behauptet, daß die Philosophie., feit DcScarteS äußerlich fortgebaut, innerlich untergraben, in Rosmini einen neuen Ausgangspunkt gefunden habe. Ncben der Vernunft-Crkcnnlniß, als der natürlichen, be dürfen wir durchaus der übernatürlichen, welche wir als offenbarte Gnaden gade des Glaubens nnd der Liede erhallen. Bei den Gegnern des tyrolcr Philosophen finden wir nicht dieselbe Ein heit der Tendenzen. Der Liberalismus ermangelte Rosmini gegenüber der Festigkeit, auch hat die Ccnsur Eines und das Andere unterdrückt, die Philo sophen aber beschränkten sich darauf, die idealistischen Tendenzen der neuen Lehre anzugeben. Nur die Jesuiten haben gegen den neuen Dcnkcr cinmüthig ihre allen Prakliken spielen lassen. Pater Dmowöchi begann die Angriffe zu Rom in einem lateinischen Buche, das aus lauter vergifteten Komplimenten bestand. Einige Monate später schien unter dem falschen Namen Eusebio Cristiano, ohne Angabe des DruckortS, ein Pamphlet und wurde zu gleicher Zeit in Lucca, Turin, Genua und anderen Städten verbreitet. Von Unter suchung ist darin keine Rede, sondern mit reinen Verleumdungen wird RoSmini ohne Weiteres als Nachfolger Luther's, Calvin's, Bay'S, Quesnels und JanseniuS verketzert. Ohne von seiner Philosophie oder Politik zu sprechen, beschuldigten ihn die Jesuiten, baß er die Erbsünde leugne. Die Anklage wurde bei den Bischöfen, Obrigkeiten, selbst bei den Königen verbreitet und auch das Volk nicht vergessen; in Lucca erzählten sich arme Frauen von der großen Ketzerei des HckupteS vom Orden der christlichen Liebe. Rosmini vertheidigte sich auf seine Wcise durch cin Buch, in welchem die Gewalt der' Wissenschaft durch den moralischen Unwillen gehoben wurde, "j Viele Theologen Oder-Italiens erklärten sich gegen die unsichtbaren Ver leumder. Der Papst schritt ein und legte den Jesuiten Schweigen auf. Die ehrwürdigen Väter veränderten demnach ihre Taktik und verkündigten die Erscheinung einer neuen, wahrhaft orthodoren Philosophie. Rosniini mußte einem Gesandten Gottes Platz machen; dieser Apostel war der Abbate Vincenzo Giobcrti von Turin. Der Herr Gioberti, cin schwarzgalligcr Schriftsteller, unzufrieden mit Allem, nur höchst zufrieden mit sich selbst, ist in seinen Schriften wie in seinem Leben mit Allem, was ihn umgiebt, in beständigem Widerspruch. Abgesehen von der Ritterlichkeit und den lichten Augenblicken, erinnert er an den Helden des Cervantes. Zu Turin war er revolutionair und mußte deshalb Piemont verlassen. Er flüchtete nach Brüssel und wurde dort, bloß weil er in einem freien Landt war, ultramontan und ein abgesagter Feind der Freiheit. Er schlägt los auf den Fortschritt, auf die Revolution, auf Napoleon, ja sogar auf die Leute, die seine eigenen Lehren bekennen ; denn er will einzig dastehen und lehrt unverhohlen, daß es keine Philosophie mehr in Europa gebe, mit Ausnahme der seinigen. Italien besitzt gegenwärtig die ersten Denker der Welt, aber er, Herr Gioberti, ist allen Denkern unendlich überlegen; er allein ist orthodor, er allein übt einen wohlthätigen Einfluß, er muß jeden Ruhm überflügeln, seine Philosophie muß der Grundstein der katholischen Kirche wer den. Wie er seine Bücher macht, lehrt er selbst. „Es ist nicht schwer", sagt er, „mit den Schriftstellern der Gegenwart sich zu verständigen, wenn man nur gewissen Worten statt ihrer eigentlichen Bedeutung die entgegengesetzte giebt. Ungeübte Leser können anfangs vielleicht Anstoß nehmen, aber das giebt sich bald mit einiger Uebung. Wenn ihr also z. B. leset Fortschritt, so setzt dafür Rückschritt; wenn ihr seht Demokratie, so denkt Oligarchie des PöbelS; statt Freiheit leset Knechtschaft, und Alles geht prächtig." Herr Giobcrti hat in dieser Weise alle Bücher verkehrt gelesen; kann man sich wundern, daß er einige Dutzend Bände ohne Sinn und Verstand geschrieben hat? Unglück licherweise giebt der Haß kein Genie, und der Herr Abbate ist genöthigt, alle Gemeinplätze der theologischen Schule in persönliche und nationale Angriffe auf die Schriftsteller und Völker umzusetzcn. Frankreich, sagt der Herr Abbate, steht an der Spitze der Livilisation, weil die Frivolität der Charakter der neueren Völker und Frankreich die leichtsinnigste aller Nationen ist. Chateaubriand, Victor Hugo, Lamartine können sich mit den abscheulichsten Dichtern und Prosaikern vergleichen, welche die üaliänische Literatur in der Zeit ihres Verfalles besudelt haben. LamennaiS, de Maistre, *) Wloroli» Uorule. Uilttkio 1841.