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L33 stellt: I) Daß der Brief unbezweifclt Hamlawrs Siegel trage. 2) Daß dieses Siegel nicht hätte nachgcmacht werden können. Ein in dergleichen Dingen erfahrener Graveur erklärte die Sache für unmöglich. 3) Daß be sagtes Siegel auch nicht verliehen oder seinem Eigenthümer abhanden ge kommen seyn konnte, indem der Araber sich niemals von seinem Siegel trennt, das gleichsam sein Leben ist, wie der Kadhi vom Malekitischen Ritus aus drücklich sagt. 4) Daß folglich Hamlawi den Brief diklirt haben mußte. Die Handschrift glaubte ein Zeuge für die eines gewissen Mesgrich zu erkennen, der eine Zeitlang als Kjatib in des Chalifcn Diensten gestanden; doch gelangte man in dieser Hinsicht zu keiner Gewißheit. Am 14. Juli 1841 vor den ersten KriegSrath der Division gestellt, brachte Hamlawi folgende Gründe zu seiner Freisprechung vor: I) Das Siegel sey ihm gestohlen worden. 2) Der an Abd el-Salem addressirte Brief sey ein Werk seiner Feinde, die ihm den Untergang geschworen hätten. 3) Wenn er (Hamlawi) einen solchen Brief hätte schreiben wollen, so würde er nicht die Unklugheit besessen haben, diese Sorge einem Schreiber zu übertragen. Alle übrigen um die Haupt-Anschuldigung gruppirtcn Thatsachen leugnete er ohne Ausnghme. Endlich fügte er noch hinzu, daß ein Mann, der gleich ihm die Gunst des Sultans der Franzosen in so reichem Maße erfahren habe, die Quelle so vieler Ehren und Wohlthaten nicht könne versiegen lassen, ohne wahnsinnig zu seyn. WaS durfte er auch unter dem Bei Achmed oder Abd el-Kader Besseres hoffen? Nachdem ein Advokat zu Bona seine Vcrthcibigung eingereicht hatte, wurden im Nathe drei Fragen erörtert. Auf eine bejahende Beantwortung der zwei ersten Fragen würde Hamlawi's sofortige Hinrichtung erfolgt seyn. Man bejahte aber nur die dritte, daß nämlich Hamlawi einer feindlichen Macht Instructionen gegeben habe, die Frankreichs politischer und militairischer Stellung nachtheilig seycn, und somit wurde der Beklagte zu zwanzigjähriger Haft verurtheilt. Im September desselben Jahres auf das Fort der Insel St. Marguerite transportirt, flehte Hamlawi seitdem beständig um Gnade und betheuerte seine Unschuld, bis seine junge Frau den muthigcn Entschluß faßte, in eigener Person die Begnadigung ihres Mannes nachzusuchcn. Unter den hochgestellten Personen, welche der Supplikanti» sich annahmcn, befand sich auch die Herzogin von Dalmatien, welcher Sida Aischa auf ihr Ge such vorgestcllt wurde. Die Verwendung jener Personen, vor Allem aber das erhabene Patronat, unter welches sic sich gestellt hatte, verschaffte ihrem Ge suche den besten Erfolg, und bald wurde dem alten Chalifen der Nest seiner Strafe erlassen. Mag nun Ben el-Hamlawi schuldig oder unschuldig seyn, wir für unseren Theil können dem Akte der Barmherzigkeit, wodurch er seine Freiheit wieder erhalten, unseren wärmsten Beifall nicht versagen. Großmuth gegen ge- demüthigte Feinde ist zwar dem Araber eine fast unbekannte Eigenschaft; sie wirkt aber darum nicht schwächer auf ihn und kann in politischer Hinsicht sehr gute Folgen haben. Aus dem Fort der Insel St. Marguerite, wo sein Sohn Muhammed ihn abgeholt, ist Ben cl-Hamlawi jetzt nach Nogent-le-Rotron gezogen, welchen Ort der Kriegs-Minister ihm angewiesen und wo er, den Zeitungen zufolge, kürzlich angelangt ist. Ganz vor kurzem hat ihn aber der Eonseils-Präsident auf seine Vorstellung autorisirt, seinen Wohnsitz nach Meaur, im Departement der Seine und Marne, zu verlegen. In dem Herzen der Landschaft Brie wird also der Er-Chalif von Ferdschiwa hinführo sein Zelt aufschlagcn, und hier wird unter der Obhut einer Brigade der Gendarmerie die Laufbahn eines Mannes endigen, der fast ein halbes Jahrhundert lang viele tausend Streiter unter seinen Fahnen geschaart hatte — eine neue Seite zu dem schon so reich haltigen Kapitel der Wechselfälle des menschlichen Lebens. (Id. ü. p.) Belgien. Die Irren-Kolonie in Gheel. Ghcel ist gelegen in einem ausgedehnte» Belgisch-Holländischen Land striche, von dem ein Theil zur Provinz Antwerpen, ein anderer zu Limburg und ein dritter zum Holländischen Brabant gehört. Derselbe ist unter dem Namen der Campine bekannt. Der Boden der Campine ist unbebaut und mit Haidckraut und Fichtengestrüpp bedeckt. Eine Ausnahme davon machen indeß die Umgegenden der Städte und Dörfer, welche sich durch Sorgsamkeit der Bearbeitung auszcichncn. Die Campine hat den Beinamen des Belgischen Sibiriens erhalten. Gheel liegt im Mittelpunkte und ist mehrere Meilen von jedem mensch lichen Wohnsitze entfernt; es ist rings von Haidcland cingcschlosse», wodurch den Bewohnern die Bewachung der ihnen anvcrtrautcn Kranken sehr erleich tert wird. Die Natur selbst scheint für die Sicherheit der Kolonie gesorgt zu haben. Welches ist der Ursprung der Kolonie? Die Traditionen führen denselben einstimmig auf das Märtyrcrthum einer Heiligen zurück. Gegen Ende dcS Uten Jahrhunderts flüchtete, der Legende zufolge, die Tochter eines Irischen Königs in die Umgegend von Gheel; sic wollte den Nachstellungen ihres Vaters entgehen, der sie mit seiner wahnsinnigen Liebe verfolgte. Als dieser ihren Zufluchtsort entdeckt hatte, wollte er sie zwingen, ihn zu heiraten und ihrcn Glauben abzuschwörcn. Dymphnc, so hieß sic, widerstand muthvoll, worauf ihr der Vater mit eigener Hand den Kopf abschlug. Unter den Zeugen dieser barbarischen That befanden sich auch einige Wahnsinnige, welche plötz lich wieder zu Verstand kamen. Man schrie Wunder, und Dymphne galt nun als die Schutzpatronin der Wahnsinnigen. Von allen Seiten wurden solche jetzt herbcigeführt, weil man sie durch Vertflittelung der heiligen Dymphne zu heilen hoffte. Jahrhunderte lang gab cs in der Kolonie keinen Arzt, und ich bin nichts destoweniger überzeugt, daß Heilungen erfolgten. Der Kranke, für den man den Beistand der Heiligen anrufen wollte, wurde in einem Krankcnhause untergebracht, das an die Kirche St. Amans stieß. Dasselbe besteht aus zwei großen Räumen, welche der Familie, die zur Bewachung dcS Kranken beordert ist, als Wohnung dienen. An jeden stößt ein Äabinet mit einem vergitterten Fenster. Ein starkes eichenes Bettgestell, an welches an jeder Seite Ketten und Riemen befestigt sind, bildet das ganze Mobiliar. Jeden Tag wnrdc der Kranke, u»tcr Anführung der Geistlichkeit und umgeben von der Volksmenge, welche Loblieder auf Lie heilige Dymphne sang, dreimal um die Kirche geführt. Mit jedem Umzuge war eine Wanderung zum Grabe der Heiligen verbunden, das unter einer Art von Säulengang errichtet ist. Der Kranke schleppte sich knicend zu demselben; er wurde hier crorcisirt und dann nach dem Krankenhause zurückgcbracht. Jetzt nimmt man nur selten seine Zuflucht zur heiligen Dymphne; cS ge schieht nur, wenn die Familie es ausvrücklich wünscht. Der Ruf dieser Kolonie ist mehrere Jahrhunderte alt. Die Wunder, welche die heilige Dymphne bewerkstelligte, zogen Kranke aus allen benach barten Ländern herbei. Bekannt wurde die Kolonie aber erst im Een Jahr hunderte, und zwar durch den Besuch fremder Gelehrten. Im Jahre 1803 wurde Herr von Pontecoulant, damals Präfekt der Dyle, auf die großen Vortheile aufmerksam, welche die Kolonie für die Unterbringung der Irren darbot. Wie er sagte, glaubte er einer Pflicht der Menschlichkeit und einer Anforderung seiner Stellung nachzukommcn, indem er für diese Unglücklichen eine Zuflucht wählte, welche sich durch einen lang jährigen Erfolg empfahl. Demzufolge ließ er in Gheel alle Irren aufnehmen, die in den Hospitälern von Brüssel zcrstrcut waren. Das Beispiel wurde bald von Mccheln, Lier, Tirlcmont und anderen Städten zweite» Range« befolgt. Als Belgien mit Holland vereinigt wurde, schickten die nördlichen Provinzen eine bedeutende Anzahl von Irren hierher. Zuletzt trafen Namur, Hennegau, Lüttich und Luxemburg Abkommen mit der Munizipalität von Gheel. Da die Kolonie einen so raschen Aufschwung nahm, so hätte man, scheint cs, auch an ihre innere Organisation denken müssen. Das geschah aber nicht- Gheel war nur ein Aufbewahrungsort, eine Art Botany-Bay, wohin Belgien; die Irren sendete, hie »ach einer Behandlung von einigen Wochen für unheil bar erachtet worden waren. „ES ist sehr wahr", so drückte sich der Schöffe Verbist in einem an den Kommunal-Rath von Ghcel abgestattctcn Bericht vom 10. November 1838 aus, „daß dieser Stand der Dinge von jeher die Aufmcrkiamkcit der Vor steher der Gemeinde erregt hat, aber die meisten Polizei-Verordnungen waren veraltet und in Vergessenheit gerathen." Schwere Mißbräuche hatten sich cingeschlichen. Die Leitung von mehr als 700 Irren war, so zu sagen, dem Zufalle überlassen. Dieselbe Nachlässigkeit herrschte in administrativer und medizinischer Hinsicht; die Irren verweilten in der Gemeinde und verließen dieselbe, ohne daß die Behörde Kenntniß davon erhielt. Die Kolonie war ein großes Feld der Beobachtung, das aber unfruchtbar für die Wissenschaft blieb. Eine Radikal-Reform schien unter solchen Umständen unvermcidlich. Demzufolge nahm der Kommunal-Rath von Ghcel im Jahre 1838 ein organisches Reglement für die Polizei- und Aussichts-Verwaltung an, nebst den Grundlagen der medizinischen Leitung. Man zählt nicht weniger als 9000 Bewohner in der Gemeinde Gheel, von denen ein großer Theil in Flecken lebt, welche vom Ccntral-Dorfe mehr oder weniger entfernt sind. Die Irren sind auf allen Punkten der Gemeinde verstreut. Alle Bewohner der Gemeinde, welchen Stand oder welche Be schäftigung sie auch haben mögen, können solche bei sich aufnehmen. Die Aufnahme erfolgt nach Akkord mit der Familie oder mit den Hospitälern. Die meisten Irren leben hier auf Kosten der Regierung. Eck giebt keinen bestimmten Preis für die Pensionen; dieselben wechseln nach Verhältniß des Unterhalts und dcS Comforts, der für die Kranken ge fordert wird. Im Allgemeinen steigcn sie nicht über 300 Gulden und fallen nicht unter 100 Gulden. Jeder Irre steht unter der unmittelbaren Aufsicht des Pflegevaters (s» heißt der, dem der Kranke anvertraut wird). Der Pflegevater ist verbunden, seinem Pensionaire eine gesunde und reichliche Nahrung, eine gesunde und luftige Wohnung, ein gutes Bett u. s- w. zu liefern. (Art. 21 und 22 des Reglements.) Monomanen, welche eine entschiedene Neigung zum Morde oder zum Brandstiften haben, werden nicht in Ghcel ausgenommen. (Art. 4.) Alle Irren werden, wie sie ankommen, und mit allen über sie zu erhal tenden Notizen, in ein Register eingetragen. (Art. ü.) In einer Nicderlassnng wie diesc muß eine thätige und unablässige Auf sicht stattfinden. ES giebt keinen Irren in Gheel, der nicht eine AufsichtS- Kommission oder einen besonderen Direktor zu seiner Bewachung hat. Die allgemeine Beaufsichtigung der Irren fällt der Lokal-Verwaltung zu. (Art. 17.) Die Hospitäler, Städte, Gemeinden, welche Irren in Ghcel unterbringcn, können besondere Beaufsichtigungs-Kommissionen auf ihre Kosten ernennen oder Bevollmächtigte zu diesem Zwecke abordnen. Indeß bleibt die spezielle Beaufsichtigung unter der Kontrolle der Burgemeister- und Schöffen-Ver- sammlnng. (Art. 18.) Die verschiedenen Mitglieder der Beaufsichtigungs- Kommission haben die Pflicht, die Kranken häufig und unangemeldet zu be-