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Eine Stunde jenseits Guttannen war der Schnee nicht nur dichter, son dern wir waren auch genöthigt, uns einen Weg durch ihn zu bahnen. Aber statt der Kälte litten wir sehr durch die Hitze, und Herr Zybach fühlte sich dadurch so entmuthigt, daß er Abschied von uns nahm und uns der Obhut Gottes empfahl. (Schluß folgt.) Finnland. Der Finnische Bauer. (Schluß.) Das andere unentbehrliche Personal in des Bauern Ranchstube machen die Bettler aus. Zwar sind sie nicht permanent, sondern kommen und gehen, aber selten verstreicht ein Tag, wo die an größeren Straßen liegenden Höse nicht Besuch von einem oder mehrere» solcher haben, so daß man auf dieses Vcrhältniß Stagnclius bekannte Worte anwendcn kann- „Die Idee ist ewig, nur die Schatten verschwinden." Der Bettler ist nichts weniger als verachtet und übersehen. Geführt vom Schicksal, wie Homer'ü Bettler, kommt er oft mit Fran und Kind von Hof zu Hofe, allerorts als Gast, nirgends aus Gnade ausgenommen. Der Heerd hat Wärme für ihn, wie für die Anderen; er begehrt nichts, Zeder kennt seine Bedürfnisse in voraus und hilft ihnen ab, so gut er kann. ES ist nicht die Rede davon, ihm irgend eine ver schmähte Kost vorzusetzen; er ißt, wie das übrige Hausvolk, von dem besten Gericht, welches das Haus besitzt, das will heißen, von dem einzigen. Er erzählt, wenn er etwas zu erzählen hat: beliebt es ihm, mit Jemanden in der Stube zu scherzen, so thut er cS; seine Kinder, wenn er solche mit sich führt, spielen mit den Kindern des Haukes. Des Abends geht er zur Ruhe, wo er einen bequemen Platz leer an der Wand findet, oder auf einer Bank, zufrieden, wenn ein Anderer die bessere Ruhestätte erhalten, und zufrieden, wenn es ihm selbst glückte, sie zu gewinnen. Will er weiter ziehen und ist selbst kränklich oder hat schwache Personen in seinem Gefolge, so spannt der Bauer nach uraltem Brauch sein Pferd an und fährt ihn und die Seinen willig und ohne Ansprüche bis zum nächsten Hofe. Auf diese Weise lebt der Bettler in Saarijärwi und unter den Finnen im Allgemeinen. Er ißt Rinden- brod, wenn der Tauer Nindcnbrod ißt; sollte der Bauer von Weizenbrod leben, so wird der Bettler dieselbe Kost erhalte». Ueber alle Beschreibung ist die Armuth, die unter dem Volk in Saarijärwi herrscht. Die sparsame, oft unnatürliche Nahrung wirkt schädlich ans seine Leibeskräfte, und Unbekanntschaft mit anderen Genüssen des Lebens, als Schlaf und Nnhe, macht, daß er sich ausschließlich an diese hält und cs versäumt, für Andere zu arbeiten. Selten sieht man sein Nachdenken weiter gehen, als bis auf die nächsten Tage, und man kann sich darüber nicht wundern, weil der Unterhalt in denselben ihm schon mehr als genug nachzusinucn aufgiebt. Kein Industriezweig hat i» diesem Sprengel Wurzel geschlagen, da der Absatz nur mit größter Schwierigkeit und mit Nachtheil ins Werk zu setzen wäre, ver möge des Mangels von Städten und kultivirtcn Ortschaften. Der Landbau hat in den Frostnächten eine» schwere» Feind. Viele Höse sind am Enve deü Jahres so von Allem entblößt, daß sie ihr Feld nicht besäen können. Der Bauer, wenn er so lange gehungert Hai, übereilt die Acrndte und schneidet die Achren, ehe das Korn seilte Ausbildung und Reife erhalten konnte. Das Vieh, das Sommers im Grase an den Usern der Waldbäche und in de» Thälern zwischen Morästen und Felsen weidet, kaut im Winter Stroh, das wenige Stroh, das nicht selten von Stellen aus acht, zehn, ja sechzehn Meilen Entfernung hcrgeholt ist. Oft aber muß das Vieh mit ganz undicnlichem Futter auühaltcn. Die geringe und schwache Milch, welche die Kühe solcher gestalt geben können» wird angewcndet, um das bittere Riudenbrod hinab zuwürgen, das in den meisten Häusern die einzige Nahrung deü Bewohners ausmacht. Man kann sich eine Vorstellung von dem Zustande dort oben mache», wenn man hört, daß nach glaubwürdige» Berichten in einem unlängst eingetrctcne» Frostjahr nur zwei Höfe des Kirchsprengels Brod von Roggen befaße». Die Rede: er ißt reines Brod das ganze Jahr, oder; er ist stein reich, ist dort gleichbedeutend. Ich erinnere mich zweier Fälle, wo diese Noth mir in einer mein Gefühl tief verwundenden Gestalt begegnete. Ich kam auf einer Jagdpartie zu einem dieser große» Rauchschuppen, um dort mich aus> zuruhcn. Die Stube war voller Kinder, außer ältere» und jüngere» erwachsene» Leuten. Nahe am Osen-Hccrd befanden sich auf Stangen gereiht eine Menge braungelber Streifen von der inneren Rinde der Fichte, welche Stücken steifen Leders glichen. Ich fragte, noch ehe ich mir dieselben genau betrachtet, was das wäre, und wozu cs dienet und der Hauswirth antwortete: „Lieber Herr, davon wird Brod." Es waren der Worte nicht mehr, aber die Meinung und der Ton, die in ihnen lagen: kennst du das nicht t o, du kennst das nicht! waren ergreifend. —. Ein andermal kam ich zufällig auf eine Wiese, deren Besitzer Heu-Aerndte hielt. An den Wänden der Heuschcuer hingen die Speise- körbc der Leute, und ich öffnete aus Neugierde mehrere derselben. I» allen fand ich Kuchen, die aus Rinde zusammengetnetet waren, inwendig kohlschwarz, mit einem kalkweißen Ueberstrich von Mehl auswärts, mehr fürs Auge als für den Geschmack. Außerdem enthielt nur ein Theil der Körbe eine Art Klöße, dickgesalzen oder auch bloß mit einigen Korn Salz bestreut. Man braucht sich die Schwere der Arbeit nur vorzustellen, die unter der stärksten Hitze bei solchen Erfrischunge» verrichtet wird, um eine» Begriff vo» wirklicher Noth zu erhalten und von der Stärke der Mcnschcnnatur, dieselbe zu ertragen. — Das gewöhnliche Zerstörungs-Element alles Wohlstandes und Glückes, der Branntwein, dürfte in dieser Gegend sicher nicht als durchaus verwerflich zu betrachten scyn. aber wie Viele haben wohl die Mittel, sich einer solchen Waare zu bedienen? Sieht man hier ja einmal einen Betrunkenen, so kann man überzeugt sepn, baß nicht sowohl die Sättigung am starken Getränk, als die Ungewohnheit, einen so kräftige» Genuß zu vertragen, seinen Zustand herbeigeführt hat. Aus der Behandlung, welche die Bettler beim Finnischen Volk an den er wähnten Stelle» finden, kann man leicht auf seine Gastfreundschaft und sein Wohlwollen im Allgemeinen schließe». Mit weniger eigenem Hab und Gut giebt es wohl kaum ein Volk, das williger wäre, Alles zu theilen, und zu gänglicher für jedes Ansprechen einer Hülflcistung- Dem Fremdling wird stets das Beste geboten, was das Haus anschaffen kann, und nur mit größter Mühe vermag man Einen dazu, eine geringe Geldvergütung für das, was man unter seinem Dache genossen, anznnchmcn. — Die Nahrungssorgcn, die sich ununterbrochen bei dem Bewohner von Saarijärwi anhäufen, lassen für die muntere Freude keine Zeit, die an einigen anderen Orten die Feste und Spiele des Volkes beseelt. Nur zur Weihnachts- und Mittsommers-Zeit bemerkt man einen erwachenden Sinn für Zerstreuungen. Während des Monats nach dem Christfest sammelt man sich zu Lust und Tanz, obgleich nicht so oft und so zahlreich, wie cs im ganze» Norden und auch in Finnland zu dieser Zeit än glücklicher bedachten und reicheren Ktrchsprcngeln stattfindet. Was aber auch in des Waldbauern Hütte nicht fehlen darf, ist ein aufgedeckter Tisch, der wochenlang mit dem Besten zur Parade dasteht, was man während des hcrbstlangen Hungerns hat entbehren können, um nur jetzt die willkommenen Weihnachtsbesuche zu bcwirthcn und zu erfreuen. Keiner tritt zu dieser Zeit in eine Wohnung, dem nicht geheißen würde, sich Gutes zu thun; der Arme hat stets sei» Brod getheilt, und auch für den Reichen dünkt er sich jetzt einen oder de» anderen Leckerbissen zu besitze», der nicht verschmäht werden darf. Zur Weihnachtsfeier gehört auch, daß Tisch und Bänke mit Sorgfalt gescheuert und daß die Wände mit einer Masse vo» Pcrtfackeln überkleidet werden, welche darin stecken bleiben, bis sie durch das tägliche Plündern dünner werden und »ach und nach gänzlich verschwinden. Die Mittsommer- (Johannis-) Nacht wird fast am frohsten von allen Festen begangen. Da brennen die sogenannten Kocko-Feuer, und mancher Schuß, den man vielleicht verschwendet hielte, wenn er auf ein Hasel- oder Schneehuhn verwendet würde, wird nun feier- lichst bloß zum Staat abgcschossen. Zum Anbringen des Kocko wählt man gewöhnlich eine hohe, schon vorher halb eingebrannte Kiefer auf einem nackten und dominirendcn Felörückcn. Rings um dieselbe stellt man trockenes Holz und harzige, brennbare Stoffe, je höher, desto besser, und zur Mitternacht wird der ganze Stapel unter Geigciiklang, Hurrahruf und Abbrcnncn von Schüssen angezündet. Diese Lustfeucr, in dem schönen Halbdunkel der Sommernacht weit über die Hochebenen und Thäler fort gesehen, gewähren einen über raschende» Anblick. Der Bauer in Saarijärwi erscheint äußerlich gleichgültig und wortkarg. Seine Gemüthsart ist aber sanft, geduldig und nachgiebig. Die Armnth und der Druck, worin er lebt, haben ihn in sich verschlossen gemacht: alle Kräfte seines Wesens wirken nach Innen, so daß sie nur selten und ohne Nachdruck in äußeres Handeln übergehen. Die großartige Natur, die ihn umgiebt, hat ihm nie die Freude ihrer eigentlichen Eroberung gewährt: sic hat sich ihm stets zu hoch und unbezwingbar gezeigt, und sein Geist fristet bei ihrem Anbau ein vegetatives Leben, während seine physischen Kräfte schlummern und schwinden. Hiermit stehe» zwei Umstände in nahem Zusammenhang; erstens, daß er, was auch der Fall, in hohem Grade unverstellt und ehrlich geblieben ist, denn Einfalt und Frömmigkeit gehen im Allgcmcinc» tmmcr Hand in Hand; und ferner, daß er muthlos und stumpfsinnig ist und unvermögend zu allen Thaten scheinen sollte, bei denen Lebendigkeit und Fassungskraft in Frage komme». Dennoch ist durch häufige Beispiele bestätigt, daß dieses scheinbar chaotische Wesen, wenn es unter andere Verhältnisse versetzt wurde, in kurzcr Zeit Kräfte entwickelte, die sich unerschöpflich zeigten nnd sich schneller und geschickter anwendcn ließen, als manches andere gute Geistesver- mögcn bei vorausgegangener Ucbnng. Der genannte Sprengel ist voller Naturschönheiten, und diesen Vorzug bat er gemeinsam mit allen Gegenden höher hinauf nn Lande. Nichts kann dem Gefühle mächtiger imponiren, als die weite Tiefe der unendlichen Wälder. Ma» wandert in ihnen, wie auf dem Boden eines Meeres, in einer ununterbrochenenen einförmigen Stille, und hört bloß hoch über seinem Kopfe den Wind in den Gipfel» der Fichte» oder de» wolkcnhohen Kronen der Föhren. Dann und wann stößt man, gleich einem Eingang in die Unterwelt, auf einen tief im Thal liegenden Waldsee, zu dessen von hohen Wänden um gebenem, mit Bäumen umgrüntem Bette sich kein Windzug verirrt, und dessen ruhige Fläche nie vo» etwas Anderem sich kräuselt, außer von dem Spiel der in ihn fallenden Fichtcnäpfel und dem Durchschwimmen eines einsam jagenden Luchses. Ein Himmel scheint sich dann tief unter den Füßen des Wanderers zu wölben, stiller als oben der, und wie beim Eingang in die Ewigkeit, dünkt man sich von Göttern und Geistern umgeben, deren Gestalten man mit dem Auge sucht und deren Flüstern man jeden Augenblick mit dem Ohr aufzufangc» wähnt. — Von einem anderen FelSrückcn herüber hört man das Rauschen eines Waldbachcs. Man geht danach hin, man scheint ganz nahe zu seyn, und sieht doch nichts Anderes als de» haivckrautbcwachscnen Waldboden und Stamm an Stamm von den Föhren, die cr trägt, bis man auf die Weite eines Wurfes mit seinem Stocke das entgegengesetzte Ufer sich durch die Gipfel seiner Birken verrathen sicht. Erst wtnn man dicht am Rand des Abhanges steht, sicht man einen Schimmer der blitzerndcn Wellen zwischen dem Laube, und faßt man, um sein Hinabklimmcn zu sichern, die Wurzel einer Birke mit der rechten Hand, so kann man mit der linken sich auf die überhängendcn