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Der Handelsgärtner
- Bandzählung
- 5.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- 2Zf5
- Vorlage
- Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin, Deutsche Gartenbaubibliothek
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin, Deutsche Gartenbaubibliothek
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1824034628-190300002
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1824034628-19030000
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1824034628-19030000
- Sammlungen
- LDP: Deutsche Gartenbaubibliothek
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Der Handelsgärtner
-
Band
Band 5.1903
-
- Ausgabe No. 1, 3. Januar 1903 1
- Ausgabe No. 2, 10. Januar 1903 1
- Ausgabe No. 3, 17. Januar 1903 1
- Ausgabe No. 4, 24. Januar 1903 1
- Ausgabe No. 5, 31. Januar 1903 1
- Ausgabe No. 6, 7. Februar 1903 1
- Ausgabe No. 7, 14. Februar 1903 1
- Ausgabe No. 8, 21. Februar 1903 1
- Ausgabe No. 9, 28. Februar 1903 1
- Ausgabe No. 10, 7. März 1903 1
- Ausgabe No. 11, 14. März 1903 1
- Ausgabe No. 12, 21. März 1903 1
- Ausgabe No. 13, 28. März 1903 1
- Ausgabe No. 14, 4. April 1903 1
- Ausgabe No. 15, 11. April 1903 1
- Ausgabe No. 16, 18. April 1903 1
- Ausgabe No. 17, 25. April 1903 1
- Ausgabe No. 18, 2. Mai 1903 1
- Ausgabe No. 19, 9. Mai 1903 1
- Ausgabe No. 20, 16. Mai 1903 1
- Ausgabe No. 21, 23. Mai 1903 1
- Ausgabe No. 22, 30. Mai 1903 1
- Ausgabe No. 23, 6. Juni 1903 1
- Ausgabe No. 24, 13. Juni 1903 1
- Ausgabe No. 25, 20. Juni 1903 1
- Ausgabe No. 26, 27. Juni 1903 1
- Ausgabe No. 27, 4. Juli 1903 1
- Ausgabe No. 28, 11. Juli 1903 1
- Ausgabe No. 29, 18. Juli 1903 1
- Ausgabe No. 30, 25. Juli 1903 1
- Ausgabe No. 31, 1. August 1903 1
- Ausgabe No. 32, 8. August 1903 1
- Ausgabe No. 33, 15. August 1903 1
- Ausgabe No. 34, 22. August 1903 1
- Ausgabe No. 35, 29. August 1903 1
- Ausgabe No. 36, 5. September 1903 1
- Ausgabe No. 37, 12. September 1903 1
- Ausgabe No. 38, 19. September 1903 1
- Ausgabe No. 39, 26. September 1903 1
- Ausgabe No. 40, 3. Oktober 1903 1
- Ausgabe No. 41, 10. Oktober 1903 1
- Ausgabe No. 42, 17. Oktober 1903 1
- Ausgabe No. 43, 24. Oktober 1903 1
- Ausgabe No. 44, 31. Oktober 1903 1
- Ausgabe No. 45, 7. November 1903 1
- Ausgabe No. 46, 14. November 1903 1
- Ausgabe No. 47, 21. November 1903 1
- Ausgabe No. 48, 28. November 1903 1
- Ausgabe No. 49, 5. Dezember 1903 1
- Ausgabe No. 50, 12. Dezember 1903 1
- Ausgabe No. 51, 19. Dezember 1903 1
- Ausgabe No. 52, 26. Dezember 1903 1
- Register Register 4
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Band
Band 5.1903
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- Der Handelsgärtner
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Gärtner=Roman aus der Gegenwart von Alfred Beetschen. „Aber, Schatz, wo denkst du hin? Das Tischtuch ist entzwei geschnitten, da ist alle Flickerei umsonst. Wer weiss, wozu es gut ist, wenn ich dem Vater einmal ernstlich den eigenen Willen zeige. Was haben wir denn von unserem heimlichen Brautstand, auch wenn Vater in der Gehilfensache endlich Vernunft annehmen wollte?“ Als sie hierauf nichts zu erwidern wusste, meinte er lächelnd: „Na, also!“ „Aber du, Heini, was um Gotteswillen willst denn du anfangen dort in dem fremden, grossen Hamburg? Ach, am End’ lässt mein böser Liebster uns alle miteinander sitzen und fährt mit dem ersten besten Dampfer nach Amerika!“ Ihr gekünstelter Humor, an dem sie sich umsonst zu halten suchte, schlug plötzlich in bittere Tränen um. „Nein, Heini“, fuhr sie jetzt leidenschaftlich bewegt fort, „es ist geradezu unverantwortlich von dir, einer Laune wegen deine ganze Zukunft so leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Meinst du vielleicht, die streiklustigen Gärtner werden dir’s danken, dass du ihnen mit deinem Kopf und deinem Geld in der Not beispringst? Auslachen und aussaugen werden sie dich, den Prinzipalssohn, der ja doch nicht zu ihrer Gilde ge hört und durch Erziehung und Bildung weit von diesen Umstürzlern getrennt bleibt!“ „Nein, Hilde, so wird’s nicht kommen, verlass dich drauf! Du siehst die ganze Sache mit den Augen des Zweifels und des Misstrauens an. Das ist nicht recht, ver stehst du? Ohne das bisschen Glauben an die Menschheit, wo käme man da hin? Gerade weil mein Vater so denkt wie du und sich nicht in die Lage der ihr gutes Recht fordern den Arbeiter zu versetzen versteht, gerade deshalb wird er noch alle Heiligen erleben!“ „Pfui, Heinz! Das klingt nach Schadenfreude! Wie kannst du so von deinem Vater sprechen!“ „Hättest du ihn gestern gesehen, wie er meine ausge- streckte Hand zurückwies und hättest ihn gehört, wie er er klärte.’ »Du gehst deiner und ich geh’ meiner Wege! Du würdest mit deinem ,Pfui!‘ nicht so freigebig umgehen.“ — Stumm schritten sie nebeneinander. Sie hatte seinen Arm losgelassen; sie fühlte sich gekränkt und gedemütigt. Gut, wenn er’s nicht anders haben wollte, mochte er in sein Unglück rennen. Das war noch immer die beste Lehr meisterin, wenn alles andere versagte. Jetzt näherten sie sich dem vor der Stadt auf freiem Felde liegenden neuen Friedhof. Die Morgensonne spielte um die Monumente und Kreuze, dass die goldenen und silbernen Buchstaben auf den Marmorblöcken nur so funkelten. In den langhaarigen Trauerweiden blitzte es von tausend Diamant tropfen, junge Blumen erhoben ihre Köpfchen dem Licht ent gegen. Auch hier, an der Stätte des Todes, war der Frühling eingezogen. Sein belebender Hauch, sein himmlisches Lächeln verklärte den Hügel des geringsten der hier Begrabenen. An dunklen Regen- und Wintertagen mochte sich einem in dieser Einsamkeit das Herz zusammenkrampfen, — heute fühlte man sich in’s sonnenscheindurchflutete Gefilde der Seligen versetzt. Sie brauchten nicht lange zu wandern. Frau Rombergs Schlummerstätte lag am südlichen Ende des Friedhofs. Schlanke Cypressen bewachten eine epheu- umsponnene dunkle Marmorplatte, über die sich ein zart- farbiger Blumenflor neigte. In der Mitte war das Epheublätter- dach abgehoben, so dass man die kurze Inschrift mit dem Geburts- und Sterbetag der hier Ruhenden gewahr werden konnte. Darunter befanden sich die einfachen Worte: Die Liebe höret nimmer auf! Heinz war tief erschüttert, als er nach längerer Zeit wieder zum erstenmal diesen ihm geheiligten Erdenfleck betrat. Hilde hielt sich scheu zurück. Sie wusste es noch nicht, was es heisst, eine Mutter zu den Toten zu legen. Der Gedanke schien ihr so entsetzlich, dass sie ihn nicht ohne Not herauf beschwören mochte. „Siehst du, Hilde“, sagte Heinz im Flüstertöne, „hier heisst es: Die Liebe höret nimmer auf. Lass das schöne Wort uns Leitstern sein, als hätt’ es die gute Mutter da unten zu uns gesprochen.“ Er sprach es so schlicht, so aus dem innersten Herzen heraus, dass sie nicht widerstehen konnte und in stummer Bewegung seine Rechte ergriff. „Hier lass es uns geloben im Angesicht des Himmels, unter Gottes junger Frühlingssonne, dass wir uns treu bleiben, -— komme, was da wolle! Und die Mutter, deren Andenken wir ehren, wird unser Bündnis segnen!“ kam es langsam, fast feierlich von den Lippen des seine Tränen nur mit Mühe zurückhaltenden Mannes. Dann fanden sich ihre Herzen aufs neue in einem langen heissen Kusse, dem die Heiligkeit des Ortes eine besondere Weihe verlieh. — „Und vergiss nicht, mir zu schreiben“, sagte er, als sie, von glückverheissenden Gefühlen überwältigt, den Rückweg antraten. „Den Brief hier“ — erst jetzt übergab er ihr das für sie bestimmte Couvert — „brauchst du mir nicht zu be antworten“ . Er lächelte und sie sah in reizendem Schmollen zu ihm empor. Dann nahmen sie Abschied unter freiem Himmel, beim Gesang der Buchfinken und unter dem Früh geläute der ihnen beiden so vertrauten Domglocken. „Gott behüte dich!“ Das war das letzte, was sie ihrem Geliebten zuflüsterte. Dann hüllte sie ihren Mantel fester um sich und schaute ihm tief bekümmerten Herzens nach, wie er, von ferne noch mit dem Hute winkend, die Richtung zur Bahnhofsstrasse einschlug. Zwölftes Kapitel. Als Heinz im dahinbrausenden Zuge in den Frühling hin einfuhr, dessen junges Grün auf Hügeln und Tälern sich vor seinen Augen ausbreitete, hatte er das Gefühl, einen Lebens abschnitt hinter sich zu haben. Mit dem dahinschwebenden, sich in tausend Nebelgebilde auflösenden Rauchqualm der Lokomotive, die ihn einer schönem Zeit entgegenführen sollte, sah er viel liebe Erinnerungen, die er bisher treulich gehegt, sich verflüchten. Er sah sich als kleiner Knabe, wie ihn die Mutter zur Schule brachte, wie er nur widerstrebend und mit Tränen in den Augen der ersten Abc-Lektion folgte, die ihm eine Ewig keit zu dauern schien. Er erinnerte sich der Zeit, wo er zitternd und zagend dem gestrengen Vater die Realschul-Zeug nisse unterbreitete, oft Lob, mehr aber noch Tadel über un genügende Zensuren über sich ergehen lassen musste. Er liess in Gedanken die Schulkameraden jener Jahre Revue passieren. Was war das für eine buntzusammen gewürfelte, aber harmlos-heitere Gesellschaft gewesen. Wie *) Zur gefälligen Beachtung! Durch ein Versehen des Setzers ist die Erzählung „Frühlingsstürme“ in No. 9 des „Handels gärtner“ in der Reihenfolge nicht richtig umbrochen worden, so dass wir den Abonnenten hiermit nochmals diese Feuilleton-Spalten übermitteln. viel übermütige Streiche hatten sie nicht zusammen ausgeheckt und vollführt. Einmal, — es kam ihm vor, als wäre es gestern ge wesen — da hatte er zusammen mit dem Georg Hauser ein Vogelnest ausgenommen und den Fund glückstrahlend dem Vater gezeigt. Den Finderlohn hatte er sich freilich anders vorgestellt. Statt dem Resultat seiner zoologischen Exkursion Anerkennung zu zollen, hatte ihm der Vater einen Denkzettel auf die gespannten Hosen verabreicht. Das war seine erste grosse Enttäuschung gewesen. Später erst kam es ihm all mählich zum Bewusstsein, dass das Leben im Grunde aus lauter Enttäuschungen zusammengesetzt sei. Wie manchen Freund, dessen Treue er für felsenfest ge halten, hatte er im Lauf der Jahre zu den Toten werfen müssen, wie viel Liebe verkehrte sich in Hass, wie viel Wohl wollen in Argwohn und heimliche Feindseligkeit. Und erst beim Militär, als er seine Jahre abdiente, wie viele böse Er fahrungen hatte er da machen müssen. Wie viele singen gedankenlos das Lied vom guten Kameraden und wie nur wenige dürfen sich rühmen, einen solchen treuen Herzens kameraden zu haben? War ihm schliesslich nicht der eigene Vater, indem er seine Hand von ihm abzog, vom Schicksal abspenstig gemacht worden? Er schaute den Rauchwolken der Maschine nach, die gleich Schleierfetzen an den Hecken hängen blieben und dann in nichts verflatterten. So ist die Liebe, sagte er sich, — so ist das Leben! Eine bittere Stimmung hatte sich seiner bemächtigt, da er das grüblerische Philosophieren nicht gewohnt war. Als er bald darauf auf einer Anhöhe, an welcher der Zug vorüberflog, ein paar fröhliche Kinder gewahrte, welche die Eisenbahn und ihre Insassen mit ihren Tüchlein und durch Küsschenwerfen grössten, da hellte sich sein vergrämtes Ge müt wieder auf. Das eine der Mädchen, mit goldblondem Haar und einem roten Tuch um den Kopf, erinnerte ihn an Hilde. So mochte seine Braut ausgeschaut haben, als sie noch im Flügelkleide nach der Kinderschule wanderte. Was war sie doch für ein lieber herziger Schatz. Ja sie, das fühlte er, würde ihm treu bleiben und seine Leiden und Freuden mit ihm teilen, wie es seine Mutter getan hatte. Die Zeit der Prüfung war für sie gekommen. Er er innerte sich dunkel, im Theater einmal so eine Liebes- und Feuerprobe mitangesehen zu haben. Das Paar, um das es sich rändelte, — ihre Namen waren ihm, da er nur wenig Ge- egenheit gehabt, ins Theater zu gehen, entfallen — musste, bevor es vereint wurde, durch Feuerflammen und Wasser ströme schreiten. Der betreffende Opernheld, das wusste er noch, spielte während der schwierigen Prozedur ruhig die Flöte, als ob die sie umtobenden Elemente ihnen nichts hätten anhaben können. Nun war auch er im Begriff, eine solche Reise anzu treten; seine Hilde war im Geist bei ihm, und sein guter Mut sollte ihm das beruhigende Flötenspiel ersetzen. So ganz auf sich gestellt, wie jetzt, mit einem kleinen Kapital, an dessen baldiger Vermehrung er nicht zweifelte, in der Tasche, war er in seinem Leben noch nie gewesen. Jetzt zog er aus, um eine Zensur zu holen, die seinem Vater einst noch Bewunderung abnötigen und ihn, den erfahrenen Alten, ein ganz kleines bisschen beschämen sollte. Er malte sich die Szene aus, wie es sein würde, wenn er, nachdem die gerechte Sache der Gehilfen zum Sieg ge führt worden, dem Vater wieder unter die Augen käme. Der Alte würde sich, wenn auch nur notgedrungen, in die neue Sachlage fügen, mit Achselzucken klein beigeben und er, der Junge, der mit geholfen, das Banner des Fortschritts auf die Schanze zu pflanzen, würde in grossmütiger Anwandlung, schon aus angestammter Kindesliebe, verzeihen und vergessen. Fehlt nur die bengalische Beleuchtung! hörte er Willy Pefrenz spötteln und gedachte, ihn, wenn möglich, noch heute in seinem Quartier in der Eppendorfer Landstrasse aufzu suchen. Der Gedanke, nun bald selbst mit seiner Person in der Streikangelegenheit in den Vordergrund treten zu können, schmeichelte ihm doch. Der Name Romberg war nicht so unbekannt, als dass er zu befürchten gehabt hätte, nicht mit offenen Armen empfangen zu werden. Je weiter er gegen Norden ins Land hineinfuhr, desto kriegslustiger ward ihm zu Mut. Aus einer Hamburger Zeitung, die er sich an einer Haltestation ins Wagenabteil reichen liess, entnahm er mit Befriedigung, dass die Mittel des Streikfonds stetig im Wachsen begriffen seien. „Die Bürgerschaft“, hiess es da, „bringt nach wie vor den sich so tapfer für ihre Sache wehrenden Gärtnergehilfen die lebhaftesten Sympathien entgegen, so dass an einem all gemein befriedigenden Ausgang der unter so überaus günsti gen Auspicien begonnenen Lohnbewegung nicht mehr zu zweifeln ist.“ Im Inseratenteil fand er nicht weniger als vier ver schiedene Anzeigen von Versammlungen, in denen zu dem bevorstehenden Streik, der, wie es schien, die ganze freie Hansastadt in Atem hielt, Stellung genommen werden sollte. Es ist höchste Zeit, sagte sich Heinz, indem er die Zeitung sorgfältig zusammenfaltete und in den Ueberzieher steckte, dass ich heute abgefahren bin, sonst hätte ich den Anschluss verpasst, und Freund Petrenz samt Genossen würde mich in Acht und Bann getan haben. Er freute sich darauf, wieder einmal andere Gesichter zu sehen und andere Luft einzuatmen. Auch Hamburg selbst war ihm so gut wie unbekannt. Nur auf der Durchreise hatte er vor Jahren einmal einen Teil der Stadt flüchtig zu sehen bekommen. Wie vieles würde ihm, dem Provinzler, die stolze und schöne Hansestadt zu sagen haben! Während Felder und Dorfschaften, Wälder und Fluss läufe in rastlosem Wechsel an seinen Augen vorüberflogen, träumte Heinz sich wohlig in die kommende Zukunft, die, wie alles Ungewisse, von der Hoffnung Vorgespiegelte, etwas Ver lockendes an sich hatte. Auf der nächsten Station nahm ihm gegenüber eine junge Dame Platz, deren pikantes, von schwarzen Kraushaaren um rahmtes Gesicht er schon irgendwo gesehen haben musste. Sie hatte, wie er, ein Handköfferchen bei sich, auf dem ein Blumenstrauss lag. Während die beiden Reisenden ein ober flächliches Gespräch mit einander anknüpften, weniger aus persönlichem Interesse, sondern nur, um sich nicht wie Stock fische einander gegenüber zu sitzen, steckte das mit mehr auffallender, als chiker Eleganz gekleidete Fräulein sein Näs chen ab und zu in die Veilchen und Rosen, was, da es jedesmal mit einem feierlichen Augenaufschlag geschah, einen unfrei willig drolligen Anblick gewährte. Heinz grübelte in seinen Erinnerungen nach. Wo hatte er diese eine südliche Glut ausstrahlenden Tollkirschenaugen nur gesehen? „Gestatten Sie die Frage“, sagte er nach einer Weile, „waren Sie nicht früher in X.?“ Er nannte den Namen der Universitätsstadt, in der Fritz Liermann „Pandekten wälzte“. „Allerdings“, flüsterte die Fremde, indem sie leicht er rötete. „Haben Sie auch dort studiert?“ Dass man ihn, den Gärtner, für einen Sohn der Alma mater zu halten geneigt war, belustigte Heinz und erfüllte ihn zugleich mit stiller Genugtuung. Seine Freude erhielt aber einen kleinen Dämpfer, als er nicht ganz ohne Unbehagen er fuhr, dass die ihm gegenüber sitzende Schöne mit den Toll kirschaugen und dem grossen schwarzen Hut in einem be kannten Studentenkaffee der betreffenden Stadt längere Zeit die Stelle einer Buffetdame bekleidet habe. Nun errötete Heinz, — er wusste selbst nicht warum, und seine Stimme klang unsicher, als er fragte: „Haben Sie nicht auch einen Herrn Liermann, Fritz Liermann, kennen gelernt?“ „Ist er bei den Saxonen? Die verkehrten nämlich, müssen Sie wissen“, fügte sie mit wichtiger Miene bei, „häufig in unserem Lokal. Es waren reizende Herren darunter.“ Als Heinz erwiderte, es handle sich in diesem Fall um keinen Couleurstudenten, vielmehr um einen „Wilden“, war das Fräulein sichtlich enttäuscht. „Ach so, hm!“ — machte sie und schnupperte mit ihrem Näschen an ihren Blumen herum. „Ja, jetzt erinnere ich mich, Fritz Liermann stud. jur., ganz richtig. Das ist der nette junge Mann, der so hübsche Gedichte macht.“ Und als Heinz ein ziemlich verwundertes Gesicht zeigte, fuhr sie in kokettem Tone, mit naiver Selbstgefälligkeit fort, „auch mich hat er besungen. Jawohl! Er war furchtbar verliebt der arme Junge. Er hat mich oft gedauert. Und die Verse waren wirklich allerliebst.“ „Was Sie sagen!“ platzte Heinz heraus, der seinen Freund noch nicht von der dichterischen Seite hatte kennen lernen. „Schade, dass ,Nepomuki‘, so wurde er von den Kom militonen genannt, nicht Mütze und Band tragen durfte. Es hätte ihm famos zu Gesicht gestanden. Aber sein Papa soll ein furchtbar eigener Herr sein.“ „Das nun gerade weniger“, versetzte Romberg junior, indem er sich verpflichet fühlte, seinen Schwiegervater in spe in Schutz zu nehmen. „Aber Herr Liermann ist als kleiner Beamter nicht eben mit Glücksgütern gesegnet und muss froh sein, den einzigen Sohn überhaupt studieren lassen zu können.“ Die Dame hatte offenbar gar kein Interesse daran, in die Verhältnisse des Herrn Liermann senior eingeweiht zu werden, denn sie blieb eine Antwort auf die Bemerkung ihres Reisegefährten schuldig. „Aber herrlich muss es doch sein, das Studentenleben! Wenn ich so bei meinen Likörflaschen und Tassen vom Buffet aus auf das lustige Treiben der Saxonen und Teutonen her unterschaute, habe ich die jungen Leute wahrhaft beneidet. Ach, war das oft ein Leben bei uns, manchmal wurde in vorgerückter Stunde auch gesungen und getanzt!“ „Sie sind gewiss viel angeschwärmt worden, mein Fräulein!“ „Wieso meinen Sie?“ gab sie nachdenklich zurück, in dem sie ihr auffallend hübsches Gesicht diesmal fast ganz in den Rosen und Veilchen verschwinden liess. Als er, nicht gerade gewandt in Komplimenten, verlegen über seine kecke Frage, nach einer passenden Antwort suchte, kam sie ihm zu Hilfe, indem sie, sich lässig zurücklehnend, sagte: „Unser Beruf bringt das so einmal mit sich, nicht? Ich würde mir auch lieber von einem schneidigen Mädel als von einem mürrischen Kellner einen Trunk kredenzen lassen. In Süddeutschland liegen die Verhältnisse freilich ganz anders. Dort herrscht noch jener harmlosgemütliche Ton, der hier im Norden, zumal in den Grosstädten, ganz unmöglich ist. Hier gilt eine Kellnerin als ein Abschaum der Menschheit; in München wird in den feinsten Fremden-Cafes nur von Damen serviert. Das Publikum ist aber auch darnach, anständig und honett; in Berlin zum Beispiel möchte ich nicht um die Welt sein. Was ich von da schon habe erzählen hören, — einfach schauderhaft!“ Heinz musste lächeln, als er sie so in Eifer geraten sah. „Sie fahren auch nach Hamburg?“ „Ja und — nein! Nach Blankenese zu Verwandten. In zwei Wochen gehe ich in eine Saisonstelle nach Wiesbaden.“ Sie sagte das mit einer so selbstzufriedenen hoheitsvollen Miene, dass Heinz vor dem unternehmungslustigen Mädchen ordentlich Respekt bekam. „Man muss die Feste und die guten Stellen nehmen, wie sie fallen!“ erklärte sie lachend. „Dabei sieht man ein Stück Welt, und das ist auch etwas wert, — nicht?“ Auch er, sagte er sich, war im Begriff, ein Stück Welt kennen zu lernen, eine Welt freilich, die solch einem lustigen Sommervogel kaum behagen würde. Das Dampfross schnaubte am Sachsenwalde, an Friedrichs- ruh vorüber. Er hoffte, die Grabkapelle des grossen Toten, der dort ausruhte, aus dem Wipfelmeer auftauchen zu sehen, — vergebens. Er wünschte sich unwillkürlich ein Fünklein von des Gewaltigen Tatkraft und Ueberredungskunst, um seiner Mission den Sieg zu sichern. Nun er dem Ziele nahe war, kam er sich so schwach und kleinmütig vor. Das Fräulein mit den Tollkirschaugen machte Anstalten, ihre Sachen zusammenzulegen, um sie beim Verlassen des Wagens bei der Hand zu haben. Sie würde abgeholt werden, bemerkte sie leichthin, somit war er jeder weiteren Hilfe leistung überhoben. „Grüssen Sie meinen Dichter, wenn Sie ihn sehen, — Herrn Liermann, meine ich!“ — lächelte sie. Artig liess er ihr, nachdem er’s versprochen, den Vor tritt. Noch ein Blitz aus ihren dunkeln Augen, ein Nicken ihrer Hutfedern, — und die hübsche Reisebekanntschaft war seinen Blicken entschwunden. Sie hatte ihn auf kurze Zeit auf andere Gedanken ge bracht, was er ihr noch nachträglich dankte. Jetzt nahm ihn die ihn umbrausende Gegenwart vollständig in Anspruch. Hamburg, das langgehegte Ziel seiner Wünsche war er reicht; nun hiess es, keine Zeit verlieren und seine Freunde nicht länger auf sich warten lassen. Im Menschenstrom liess er sich dem Ausgang der Bahnhofshalle zutragen, wo er einen Moment, wie um zu sich selber zu kommen, nachdenklich stehen blieb. Dann winkte er einen Droschkenkutscher her an, der sein Gepäck in das geschlossene Gefährt schaffte. „Eppendorfer Landstrasse 6“ beauftragte er den biederen Rosselenker, der mürrisch mit dem bärtigen Haupt nickte und alsbald seinen Gaul in einen gelinden Trab versetzte.
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