Volltext Seite (XML)
254 Freunde, der eine Villa in Baghcrca hatte; aber das Volk stürzte ihm nach. Von Zimmer zu Zimmer verfolgt, verbarg sich der Fürst in einem Bette. Er wurde nicht gesunden, und das Volk entfernte sich wieder. Als aber der Fürst aus seinem Versteck hervorkam, sah ihn ein Kind, das hinter der Thür stand. Dieses rief die Mörder zurück, und der Fürst wurde gctödtet. Derselbe war einer der vornehmen Herren Palcrmo's, wie auch der Fürst von Buttcra, aber er war nicht so beliebt wie dieser. Beide hatten sich durch maßlose Verschwendung zu Grunde gerichtet, aber der Fürst Buttera wurde es nicht gewahr und hatte wahrscheinlich bis zu seinem Tode keine Ahnung davon, denn seine Pächter hatten ihm eine bedeutende Summe ausgesetzt. Der Fürst de la Cattolica dagegen war beständig im Kampfe mit seinen Gläubigern; in seiner größten Noth ließ er sich eine Ordonnanz ausstellen, welche ihm 80 Jahre zur Bezahlung seiner Schulden zugestand. Mit dieser schickte er seine Gläubiger zum Teufel. Da der Fürst von Buttera um jene Zeit nicht mehr lebte, so war nur der alte Fürst von Paterno vermögend, die aufgeregten Gemüther zu beruhigen und dem Blutbad Einhalt zu thun. Als der General Pepe im Auftrage der provisorischen Regierung vor die Stadt rückte, bewirkte der Fürst, daß beide Theile einen Vertrag unterzeichneten. Die Bedingungen wurden aus einem Amerikanischen Schiffe, das im Hafen lag, erörtert und angenommen. Einer der Artikel besagte, daß die Neapolitaner ihren Einzug ohne Musik halten sollten. An dem Stadtthore gab nichtsdestoweniger der Tambour-Major das gewöhnliche Zeichen, und die Musik begann; da stürzte ein Mann aus dem Volke auf den nächsten Tambour und durchstach seine Trommel mit einem Messer. Man wollte ihn verhaften; da aber ein Aufstand zu fürchten war, so mußte der General Pepe den Tambours befehlen, die Trommel nicht zu rühren, und der Artikel kam, mit Ausnahme dieser kurzen Unterbrechung, zur Ausführung. Der Traktat wurde aber dennoch, nicht nur in einem, sondern in allen seinen Artikeln, verletzt. Zunächst verweigerte das Neapolitanische Parlament die Ratification, und als nach dem Einrücken der Oesterreicher der Kardinal Gravina zum General-Lieutenant von Sicilien ernannt worden war, wurde Alles, was seit der Entfernung des Erbprinzen von der Insel vorgegangen war, sür ungültig erklärt. Es kamen hierbei merkwürdige Dinge vor. So hatte z. B. die Stadt Messina einen Antheil an den Kommunal-Stcucrn, und davon deckte sie einen Ausfall der Grundsteuer. Neapel bemächtigte sich dieses Antheils und forderte, daß die Stadt auch den Ausfall zahle. — Der Fürst von Villa-Franca hatte eine Besitzung, welche er zum Reisbau verwendet hatte und welche ihm jährlich 0000 Unzen (72,000 Fr.) cinbrachtc; hiernach war seine Steuerquote abgemessen worden. Da machte man in Neapel die Entdeckung, daß die zum Reisbau nöthigen Bewässerungen der Gesundheit der Einwohner schädlich sepen, und ließ deshalb dem Fürsten die Andeutung zugehen, diese Bodenbcnußung aufzugeben; der Fürst gehorchte und baute nun Weizen und Baumwolle, die indeß einen weit geringeren Ertrag gaben und wodurch seine Einnahme von 72,000 Fr. auf 0000 sank. Dennoch mußte er dieselbe Abgabe zahlen, nämlich SOO Unzen, also 3000 Fr. mehr, als ihm seine Besitzungen ein brachten. Im Jahre 1831 wurde Sicilien von furchtbaren Heuschreckenschwärmen heimgesucht; die Grundbesitzer wollten zusammentreten, um sie zu vertilgen. Da aber Versammlungen von Menschen über eine gewisse Zahl nicht gestattet sind, so ließ man ihnen von Neapel anzeigen, man wolle gegen Einführung einer neuen Auslage die Vertilgung der Heuschrecken übernehmen. Die Auflage wurde trotz aller Reclamationen eingeführt. Gleichwohl aber vertilgte man die Heu schrecken nicht, welche von selbst abzogen, nachdem sie die Aerndtcn abgefressen hatten ; die Auflage wurde nicht wieder aufgehoben. Solche Vorfälle haben einen unauslöschlichen Haß zwischen den Siciliancrn und Neapolitanern erzeugt, einen Haß, der ungleich tieser wurzelt als der der Engländer und Irländer oder der der Holländer und Belgier. In der letzten Zeit hat derselbe freilich etwas abgenommen. Als der jetzige König auf den Thron gelangte, begab er sich auch nach Sicilien und schickte seiner Ankunft die Be gnadigung von zwanzig politischen Vcrurtheilten vorauf, die ihn, in lange weiße Gewänder gekleidet und Palmenzweige in der Hand haltend, bei seiner Landung begrüßten. Von dem Wagen, der ihn nach dem Palaste fahren sollte, wurden die Pferde ausgespannt und er im Triumphzuge dahin geführt. Einige Zeit später kam er den Erwartungen der Siciliancr noch mehr ent gegen, indem er seinen Bruder mit dem Range eines Bice-Königs nach Sici- l,en sendete. Der Graf von Sprakus war noch ein sehr junger Mann, und feine Jugend flößte anfangs seinen Unterthanen Furcht ein, die durch einige leichtsinnige Streiche noch vermehrt wurde. Aber der Jüngling bildete sich schnell zum Manne und bereitete eine sociale und artistische Wiedergeburt des armen und schönen Siciliens vor. Zwei Jahre nach seiner Ankunft ath- mcte die Insel schon freier, und der Jüngling war der Abgott der Siciliancr geworden. Leider ist aber der Graf von Syrakus schon seit längerer Zeit wieder nach Neapel zurückberufcn. A. Dumas. Frankreich. Die Jungfrau von Orleans. (Fortsetzung.) Nach der Häringsschlacht äußerten mehrere Höflinge die Meinung, der König müsse Orleans seinem Schicksal überlassen und sich nach der Provinz Dauphinö oder Languedoc zurückziehen; zum Glücke Frankreichs aber erlangten minder kleinmüthige Rathschläg« die Oberhand, deren Verdienst von einigen Historikern und allen Dichtern der berühmten Agnes Sorel zugcschrieben wird. Es thut uns leid, zur Widerlegung eines Jrrthums beitragen zu müssen, den Schiller durch die Zauberkraft seines Genies geheiligt hat; aber aus histori schen Urkunden geht mit Gewißheit hervor, daß Agnes erst läZl, nach dem Tode Johanna's, bei Hof erschien. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die nach dem Jahre II3S im Charakter des Königs bemerkte Veränderung durch ihren Einfluß bewirkt wurde"); selbst diese Hypothese indessen wird nicht durch das Zeugniß gleichzeitiger Schriftsteller unterstützt. Um diese Zeit hielt Karl VII. sein Hoflager zu Chinon, dem ehemaligen Lieblings-Aufenthalt Hcinrich's II. von England und seines Sohnes, Richard Löwenherz, in dessen Nähe sich die Thürme des Klosters zu Fontevrault erheben, wo die Gebeine dieser Monarchen ruhen. Die halbverfallenen Wälle Chinon's bieten in ihrer mittelalterlichen Majestät noch immer einen höchst romantischen Anblick dar, und der Wanderer läßt sich gern die alterthümliche Burghalle zei gen, in welcher, der Sage zufolge, die Jungfrau von Orleans von ihrem Fürsten zuerst empfangen wurde. Dieses Schloß liegt aber nicht, wie Schiller annimmt, an dem nördlichen Ufer der Loire °°), sondern südlich von diesem Flusse, zwischen Tours und Saumur. Auf ihrem Wege dahin blieb Johanna in einer Entfernung von wenigen Lienes, im Dorfe St. Catharine de Fierbois, stehen und ließ den König von ihrer Ankunft und ihren Absichten benachrichtigen. Die Erlaubniß, in ein Wirthshans zu Chinon einzukehren, wurde ihr leicht gegeben; schwieriger war es, Zutritt zum Könige zu erlangen. Zwei Tage überlegten seine Räthe die Sache; einige hielten Johannen für eine Zauberin und Abgesanbtin Satan's, andere betrachteten sie als eine wahnwitzige Enthusiastin, noch andere glaubten, daß man in der äußersten Noth kein noch so wenig versprechendes Rcttungsmittcl von der Hand weisen müsse. Es wurde eine Kommission er nannt, um sie auszufragc»; diese stattete einen günstigen Bericht ab, und mehrere Hofleute, die sie aus Neugier besucht hatten, kamen so von ihrer natürlichen Beredsamkeit, ihrem begeisterten Tone und ihrer ungekünstelten Frömmigkeit durchdrungen zuritck, daß Karl sic endlich zu sich berufen ließ. Um die bestimmte Stunde wurde die arme Bauervirne von Domremy in den stattlichen, von fünfzig Fackeln beleuchteten und mit Rittern und Edelleutcn angefüllten Palastsaal eingcführt. Der König wollte sic auf die Probe stellen und stand deshalb in einfacher Kleidung unter dem Haufen verborgen, während einige prächtig geschmückte Hofleutc die oberste Stelle einnahmcn Es ist in dessen nicht unwahrscheinlich, daß Johanna sein Biloniß gesehen oder eine Be schreibung seiner Züge erhalten hatte ; sie trat festen Schrittes vor, erkannte den König auf den ersten Blick und beugte das Knie vor ihm mit den Worten; „Gott schenke Euch langes Leben, edler König!" — „Ich bin nicht der König ; er ist dort", sagte Karl, indem er auf einen seiner EdeUcute deutete. — „Im Ramen Gottes!" rief sie aus, „Ihr seyd cs, und kein Anderer. Sehr edler Herr Dauphin, ich bin Johanna die Jungfrau, von Gott gesandt, Euch und Eurem Reiche beizustchen; auf sein Gebot verkündige ich Euch, daß Ihr in Rheims gekrönt und sein Statthalter in Frankreich werden sollet. Edler Dauphin!" fügte sie hinzu, „warum wollt Ihr mir nicht glauben? Ich sage Euch, Gott hat mit Euch, Eurem Lande und Eurem Volke Mitleiden; der heil. Ludwig und Karl der Große legen ihre Fürbitten für Euch ein." — Karl zog sie hierauf bei Seite und erklärte nach einer kurzen Unterredung, das Mädchen habe ihm Geheimnisse offenbart, die nur ihm selbst und Gott bekannt wären, und die, wie er später einem seiner Günstlinge, dem Herrn de Boissy, mittheilte, aus den Worten bestanden; „Ich sage Dir, im Namen des Herrn, daß Du der wahre Erbe Frankreichs bist." Kurz vorher hatte der König allein in seiner Kapelle sein Gebet verrichtet und die göttliche Hülfe nur in dem Fall angefleht, wenn er der rechtmäßige Thronerbe sey. Ein solches Zusammentreffen der Ideen bei einem so naheliegenden Gegenstände ist leicht aus natürlichen Gründen zu erklären. Dieses Wunder scheint auch auf den König keinen sehr starken Eindruck hervorgebracht zu haben, da seine früheren Zweifel über die vermeinte Sen- düng Johanna's nach wenigen Tagen wiederkehrten, und man wird in der That finden, daß nur die Masse des Volks und der Armee ihr festen Glauben schenkte, während bei denjenigen, die in ihrer Nähe standen, das Zutrauen zu ihr bald abnahm. Sie bewunderten gewiß den hohen Flug ihres Patriotismus und ihrer Frömmigkeit, fanden sie aber natürlicherweise mit Krieg und Politik gänzlich unbekannt und in allen weltlichen Geschäften so unschuldig wie ihre eigene Heerde. „6'<>8tnit clmne mervoilloi».«", schreibt ein alter Chronist, „commo olle ü« comportmt et eanüuismc en xnn kniet; veu que en nutrez olm8e8 eile entölt I» ylu.8 m,»ple Herger« que an veit oaoqueu." Aber die Menge, die aus der Ferne zusah, nahm bald etwas llcbernatürliches an ihr wahr, und es verbreitete sich überall der Ruf ihrer Wunderkräfte. Ihre Reise von 120 Licucs, größtentheils durch feindliches Land, ohne einen Feind anzu treffen over durch ein einziges Hinderniß aufgehalten zu werden, wurde als -) Bekanntlich schrieb Franz 1 unter das Porträt! Agnes Sorel'- folgende Zeilen^ "> ,.Wir wollen jenseits der Loire uns sieben; lind der gewab'gc» Hand des Hinnnels weichen." Der Dlebtcr scheint dieses Chinon mit einem anderen Chateau-Chinon, im alten Herzog- thume Burgund, dem jetzigen Deport, der Nitzorc, verwechselt zu Haden.