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mehr, und er benutzte diese von ihm so sehnlichst erwünschte Unge- bunvenheit, um seiner Einbildungskraft freien Lauf zu lassen. Eine Ouvertüre und eine Kantate, il pianto ü'ui-monia, waren die ersten Stücke, die er öffentlich aufführen ließ. Beide machten nur wenig Aufsehen; von den Zuhörern ahnte damals Niemand, welcher Ruhm einst den Namen des Komponisten verherrlichen würde. Der geringe Erfolg seiner ersten Versuche schien ihm für den Augenblick alle Schreibelust benommen zu haben, denn er ließ zwei Jahre hingehen, ohne den Versuch zu wagen, ob ihm das Glück vielleicht günstiger seyn werde. Seine Biographen werden sich vielleicht den Kopf dar über zerbrechen, was er unterdessen eigentlich trieb; nichts aber scheint gewisser, als daß er sich mit ganzer Seele dem üolee kni- nienrs hingab, daß er ganz ruhig in den Tag hineinlebte, glücklich und zufrieden, nichts thun und nichts denken zu müssen. Es hatten jedoch einige Musikliebhaber aus seiner Vaterstadt Pesaro den jungen Kom ponisten in ihren besonderen Schutz genommen, und diese wollten ihn durchaus, selbst wider seinen Willen, zu Ansehen bringen. Eine Dame aus der Familie Poriicari verschaffte ihm die Mittel, nach Venedig gehen zu können, wo er eine einaktige Oper, die Lombmw. <ti macrimonio, schrieb, die im Herbst 1810 aufgeführt wurde. Bei der Truppe des kleinen Theaters San Mose befanden sich gerade damals einige recht verdienstliche Sänger, und so hatte Rossini das Glück, seine erste Oper gut aufgefllhrt zu sehen; sey es aber, daß er mit der gewohnten Nachlässigkeit seiner trägen Natur gearbeitet, oder daß sein Genius sich noch nicht entfaltet hatte, kurz, auch dieses in der That sehr schwache Werk ging ohne Erfolg vorüber. Man verlangt jetzt von den jungen Künstlern, daß sie gleich mit Meister werken auftreten sollen, man richtet sie nach ihren ersten Arbeiten, und wenn diese der günstigen Meinung nicht entsprechen, die man sich von ihrem Talente gemacht hatte, so läßt man sie mit eben so viel Gleichgültigkeit fallen, wie man sie zuerst mit Eifer zu heben suchte. Wer hatte den Schöpfer des „Othello", der „Semiramis", der „diebischen Elster" in dem Komponisten der Oombisle üi matri- mamo geahnt? Rossini verließ Venedig, ohne sich größeren Ruhm erworben zu haben. Nach diesem unglücklichen Versuch kehrte der junge Komponist nach Bologna zurück und brachte noch ein Jahr in seiner Unthätig- keit zu. Sein ehrwürdiger Lehrer Mattei, der hoffte, daß die Wider wärtigkeiten, die ihm begegnet waren, seinen Stolz gedcmüthigt haben und ihn der «inen Lehre wieder zuführcn würden; er schlug ihm daher vor, mit neuem Eifer an das Studium des Kontrapunktes zu gehen; aber Rossini, der über seinen Beruf im Klaren war, widerstand zu Mattei's großem Erstaunen abermals den Reizen der Fuge, und berei tete sich vor, von neuem die Wechselfälle des Theaters zu versuchen. Gegen Ende des Jahres 1811 wurde in Bologna I'Lguivoguo «cra- vnxsnt«, eine echt Jtaliänische Posse, aufgeführt, und obgleich noch unvollkommen, bekundete diese zweite Oper doch einen bedeutenden Fortschritt im Style ihres Komponisten, der sich nun bestimm teren Formen zuwendete. Es folgte Demetrio s polikio, eine in Rom für die vortreffliche Sängerin Esther Mondelli geschriebene Oper, in welcher eine seltene Frische der Phantasie besonders ansprach. Die Instrumentation, die Harmonie, der Ban der Gesangstücke, Alles war neu in dieser Partitur, von der noch jetzt ein Quatuor vorhanden ist, das mit Recht für eines der besten Konzertpiecen gilt. Wir erwähnten schon, wie wenig fruchtbar bis jetzt Rossini's Künstler-Laufbahn gewesen; von nun an legte der Meister aber eine merkwürdige Thätigkeit an den Tag, und der Erfolg, dessen sich sein „Demetrius" erfreute, zeigte den Theater-Unternehmern, was sie von ihm erwarten könnten. Im Jahre 1812 komponirte er für Venedig I'Inggnna keiioe, I» 8sala üi 8eta und I'Oeoa^isnv ka il Isüro, für Ferrara Gro in öubiionia und endlich für Mailand ls Pietra üel paraxono. Unter diesen zahlreichen Produkten ist nicht Alles gleich vorzüglich; in den zuletzt geschriebenen zeigen sich die Spuren einer Abspannung, die bei einer so merkwürdigen Thätigkeit mitunter wohl ganz natürlich ist, und doch findet sich unter allen diesen schnell hingeworsenen Compositionen nicht eine, die nicht wenigstens mehrere werthvolle Stücke enthielte. Nachdem Rossini 181Z zuerst in Venedig mit einer Posse, II üglio per aresrüo, aufgetreten war, brachte er seinen „Tankred" auf die Bühne. Es ist mnmöglich, Worte zu finden, die ven Ein druck genügend schildern könnten, welchen diese Oper in ihrer Neu heit auf die Venetianer hervorbrachte. Sie war eine nicht gehoffte oder vielmehr nicht vorhcrgesehene Wiederbelebung der Kunst. Alle, Vornehme wie Niedrige, wiederholten unaufhörlich den Refrain der Kavatine: üi tami paipiti. Mit der Musik des „Tankred" war nichts bis jetzt Bekanntes von Jtaliänischen Komponisten zu verglei chen, und die Venetianer schienen zu glauben, daS lyrische Drama sey nun erst erschaffen worden. Bevor Rossini Venedig verließ, schrieb er für die berühmte Sängerin Marcolini seine „Jtaliänerin in Algier", die auf dem Theater San Benedetto aufgeführt wurde. Der komische Styl, den Cimarosa so geschickt zu behandeln verstanden, war seit einiger Zeit in Italien ganz vernachlässigt worden; Rossini hatte in I'Inganuo kelics und in kiktrs üel karagouo die Wiederbelebung desselben ver sucht, doch war ihm dies erst vollständig in seiner „Jtaliänerin in Algier", einer echt Jtaliänischen Schöpfung, gelungen. Mit einem Reichthum an Einbildungskraft ausgestattet, wodurch er mindestens seinen Vorgängern gleichstand, war ihm noch der Vorzug eigen, seine Gedanken tu einer neuen Form wiederzugeben; seine Harmonie war kräftiger, seine Instrumentation pikanter und überraschender. Obgleich in der „Jtaliänerin" weniger wirkliche Erfindung ist, als im „Barbier von Scviglia" und in „Aschenbrödel", so muß man doch zugeben, daß der komische Styl in derselben freier, entschiedener und volksthümlicher ist, als in jenen schönen Compositionen; jeder Phrase ist der Stempel der Jtaliänischen kolis aufgedrückt. In Paris, wo die „Jtaliänerin" 1816 zuerst aufgeführt wurde, hat sie nicht besonders gefallen und ist auch bis jetzt noch nie mit rechtem Erfolg gegeben worden. Sey es nun, daß man hier sich nicht an die eigenthümliche Art dieser Musik gewöhnen konnte, oder daß die Aufführung unzureichend war, sie wurde nur wenige Male gegeben, und selbst Kunstliebhaber bewahren von derselben keinen günstigen Eindruck. D'Ingaimo kelice folgte der „Jtaliänerin" aus dem Pariser Theater, war aber keineSweges glücklicher. Diesen beiden verun glückten Versuchen ist unstreitig das geringe Wohlgefallen zuzu schreiben, welches die Franzosen vor der Erscheinung des „Barbier" für Nossinische Musik an den Tag legten. Das Genie hat seine Metamorphosen, die sich oft darthun, ohne daß man die Ursachen errathen kann, welche sie hervorgerufen haben. Der Künstler ändert sich, ohne daß er es selbst weiß; oft reicht der unbedeutendste Umstand hin, ihm eine unvorhergesehene Entwickelung und eine Richtung zu geben, welche der bis jetzt verfolgten ganz entgegengesetzt ist. Von allen neueren Komponisten ist gerade Rossini derjenige, welcher uns die meisten Beispiele solcher Metamorphosen darbietet. Eingetreten in den Jveenkreis der komischen Oper, wozu ihn seine Neigung zum feinen und heiteren Scherz befähigte, verließ er plötzlich dieses Genre, das ihm seine erste» Lorbeern verschaffte, kurz nachdem er eine seiner besten Possen, „der Türke in Italien", komponirt hatte, und versuchte seine Kräfte in der ernsten Oper. Bis dahin hatte man immer in dieser Operngattung, selbst nachdem Cimarosa und Paisiello sie behandelt, weniger Monotonie und weniger Mattigkeit gewünscht. Das Recitativ mit einfacher Klavier-Beglei tung nahm zu viel Zeit in Anspruch, und das Vergnügen, welches einige schöne Stücke verursachten, mußte man durch bedeutende Lange weile erkaufen. Noch war Rossini nicht darauf verfallen, das Neci- tativ Mit voller Orchester-Begleitung zu setzen, wie er eS später in „Othello" und in allen seinen ernsten Opern that; noch hatte er es nicht so innig mit dem übrigen Theil der Musik zu verknüpfen ge sucht, aber er hatte doch schon das rechte Maß darin aufgefunden. Von dem Zeitpunkte an, dessen wir so eben gedenken, schreiben sich die beiden ersten Modifikationen von Rossini's Talent her. Die eine entwickelte sich im „Barbier", die andere im „Othello". Merkwürdig ist es, daß diese beiden Meisterwerke kurz nach einer der schwächsten Compositionen ihres Schöpfers, nach „Torvalds und Dorliska" erschienen, welches zu Rom auf dem Theater üel Valle im Karneval des Jahres 1816 aufgeführt wurde. Nichts kann er bärmlicher als das Textbuch dieser Oper seyn; das Süjet ist dasselbe wie in „Lodoiska", aber so entstellt, daß man eS kaum wiedererkennt; der Verfasser scheint es sich zur Aufgabe gemackt zu haben, alle inter essante Situationen daraus zu streichen, um sie durch platte Späße zu ersetzen. Sicher kann man die Schwäche dieser Partitur dem Widerwillen zuschrciben, welchen Rossini empfand, als er das jäm merliche Textbuch durchlas, das er, durch den Kontrakt mit dem Jmpressario gebunden, nothgedrungen komponiren mußte. Mit Aus nahme eines Trio's und einiger Begleitungs-Motive ist Alles in „Torvaldo und Dorliska" durchaus unbedeutend. Man stößt überall auf Reminiszenzen, die der Komponist nicht einmal durch Abänderun gen zu verdecken trachtete. Der „Barbier von Sevilla" erschien in Rom einen Monat nach obi ger Oper. Rossini hatte sich verbindlich gemacht, für das Theater Ar gentina eine Oper in drei Akten zu schreiben, aber nach dem in Italien üblichen Gebrauche sollte ihm der Theater-Unternehmer ein Textbuch liefern. Diese Klausel konnte nun aber nicht erfüllt werden, weil alle der apostolischen Censur vorgelcgte Dichtungen verworfen wurden. Der verzweifelnde Direktor wußte sich nicht anders zu helfen, als indem er zu dem Textbuch irgend einer alten Oper seine Zuflucht nahm; der „Barbier von Sevilla" fiel ihm in die Hände, und er über gab ihn dem Meister. Rossini nahm keinen Anstand, darauf einzugehen, aber er fing seine Arbeit nicht eher an, als bis er einen von seinem Zartgefühl ihm vorgeschriebcnen Schritt gethan hatte. Paisiello hatte noch in der Blüthe seines Talents dieses Libretto ifi Musik gesetzt, und diese zu ihrer Zeit merkwürdige Oper stand noch in gutem An denken bei den Römern. Rossini fühlte zwar die Kraft in sich, mit seinem Vorgänger in die Schranken zu treten, doch fürchtete er, die Anhänger desselben dadurch gegen sich aufzuretzen. Er schrieb also an den alten, noch in Neapel lebenden Meister und schilderte ihm hie ganze Sachlage. Paisiello, dessen musikalischer Ruhm bis dahin noch durch Niemand gefährdet worden, besaß Selbstvertrauen genug, um die Konkurrenz mit einem vierundzwanzigjährigen Komponisten nicht zu scheuen. Er antwortete, daß er Rossini's Vorhaben von Herzen billige, prophezeite aber in Neapel den bevorstehenden Fall des jungen Änmaßltngs. Rossini schrieb eine bescheidene Vorrede zu seinem Tertbuche, zeigte allen Musiklicbhabern Roms Paisiello'S Brief, machte sich ans Werk und vollendete in dreizehn Tagen die Partitur zum „Barbier von Sevilla". Bei der Ausführung der Oper zu Anfang Januars 1816 verlangten die Römer, die über diesen Angriff auf Paisiello'S Ehre erzürnt waren, vor dem Schluß des zweiten Akts das Herablaffen des Vorhangs, bereuten aber am folgenden Tage ihre Uebereilung, hörten die Musik, klatschten mit Entzücken Beifall und führten Rossini im Triumph nach Haus. Dasselbe ungefähr wiederholte sich im Jahre 1820, als Garcia, für welchen Rossini den Almaviva geschrieben hatte, in Parts den „Barbier" einführen wollte. Die alten Freunde des Theater LouvoiS, die sich noch mit Entzücken der Melodieen Paisiello'S erinnerten, schrieen über Entweihung, und merkwürdiger Weise wurden ihre Schmähungen auch von den Journalen unterstützt. Zum Unglück war die mit der Rolle der Rosine beauftragte Sängerin ganz un fähig, dieselbe zu singen, so daß die Oper, weil Alles ihr entgegcn- wirkte, gar keinen Erfolg hatte. Die Alten triumphirten, aber ihre