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Wöchemliw «rscdcinxn drei Nummern. Pränumeration». Drei« 22; Sgr. (j oierletjährlich, Z Tdlr. sür da« ganze Jahr, ohne Er- böd sing, in allen Ldeiien der Pxcumtlbk» Monarchie. für die Mau vränumerirt auf diese« Literaiur-KIatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (Friedrich«str. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuKande bei den Wokllbbl. Post-Aennern. LitcraLur des Auslandes. 77. Berlin, Monlag den 28. Juni 1841. Frankreich. Zur Geschichte der Bildung der Französischen Sprache. °) 3- I- Ampere's kürzlich erschienene Geschichte der Bildung der Französischen Sprache s dli^ruirn <le I» turinurinn ile la I.uußu« t'rnnpui-ie) ist das verbindende Mittelglied zwischen seiner „Geschichte der Französischen Literatur vor dem I2ten Jahrhundert" und seiner „Vergleichenden Geschichte oer Französischen Literatur im Mittel- alter". Von der größten Bedeutung ist hier die Frage: Welches sind die Gränzen des Mittelalters? Ampere ertheilt darauf eine sehr bestimmte Antwort: Das Mittelalter ist die zwischen dem I2ten und Ibten Jahrhundert liegende Epoche. Diese Zeit hat eine eigeuthüm- llche Bildung, welche eine aufsteigende Bewegung, einen Höhepunkt und ein Herabsinken von dieser Hohe sehr deutlich wahrnehmen läßt. Zwischen beiden Gränzpunkten liegt eine eigenthümlichc und voll ständige Literatur und Kunst, eine neue politische Gestaltung. In der Literatur finden wir Thibault von Champagne und den Km».»» >l» Kennet, itt der Architektur die Bogcnwölbung, im religiösen Leben den heiligen Bernhard und den Mystizismus, im öffentlichen Leben das Ritlerthum, in der Sphäre der Negierung das Königthum, in der bürgerlichen Gesellschaft bas Volk. Mit Ausnahme des König- thums und des Volks, denen noch eine weitere Entwickelung bevor- steht, sehen wir diese verschiedenen Elemente sich allmälig auflösen, und im täten Jahrhundert zeigt sich schon Vie Morgenröthe der neuen Bildung. Neue Gestirne kommen am Himmel zum Vorschein, und der Geist schweift aus unbekannten Bahnen. In dem Frankreich des t2ten Jahrhunderts, welches sich un- widerruflich von den Ueberliefcrungen der alten Welt losreißt, stehen zwei Sprachen einander gegenüber; die eine ist entartet, geschwächt durch daS Alter, entweiht durch viele Invasionen; die andere steht in ihrer Kindheit und hat eS kaum bis zum Lallen gebracht; beide sind aber, trotz ihrer Entartung, mächtige Organe. Die Lateinische Sprache hatte, wie die Römischen Monumente, traurige Entwür digungen zu erdulden. Die Sicambrischcn Könige schändeten sie, indem sie ihr huldigten. Sogar die Kirche beschimpfte sie, und Gregor I. predigte die Verachlung aller grammatikalischen Regeln. „Was kümmern mich", sagte er, „die Solöcismen und Barbaris men; nach solchen Kleinigkeiten frage ich nichts, und ich Halle es sür schmachvoll, das Wort Gottes den Gesetzen des Donat zu unter werfen." Jin Uten Jahrhundert lautete die Tauffornecl: Lgu re bupie.in ln uamuu- patris, tila'i er -ipirilu-. 8NU< li. Obschon die Kirche Donat verachtete, ließ sie dennoch in Allem, was das Dogma betraf, nur vas Lateinische zu, wie sie in ben Kirchen das Licht durch bunte Scheiben dämpfte. Die dogmatische Theologie wies immer die Landessprache zurück. Die Philosophie, welche so lange der Kirche untergeben war, schien ebenfalls die Volkssprache zu fürchten, und erst mit Eartesius, wo sie sich an die allgemeine Vernunft wen dete, fing sie an, Französisch zu sprechen. Die polemische Theologie und die Predigt bedienten sich zuweilen deS Französischen, aber nur, wenn sie sich an die unwissende Menge wenden mußten. Die Ge schichte bleibt der Landessprache treu, und ihr epischer Stil in Villc- hardouin, ihre Naivetät in Joinville zeigen eine Frische, die uns jetzt noch entzückt. In der Poesie erhält sich das Lateinische eine Zeit lang neben der Landessprache. Aber der Kampf wurde ent schieden, und der besiegte Daktylus mußte sich ins L!»llögo üe hiuvarre flüchten. Nun wird die Poesie allgemein zugänglich; sic nimmt alle große Erinnerungen auf, alle Begebenheiten, welche die Welt bewegen, alle menschliche Empfindungen. Sie besingt die historischen Ueberliefcrungen, aber sic entstellt sie zugleich. Sie feiert die Jungfrau Maria und die Heiligen, aber ohne sich um den Martyrologismus zu kümmern, und sie durchwebt den Roman mit der Legende und die Andacht mit cynischen und ironischen Ab schweifungen. Sie beschwört die epischen Schatten Alerander'S und Priam's herauf; aber wo bleibt die dichterische Begeisterung, wo die Wahrheit? Der Makedonische König ist nicht mehr der Zerstörer der Persischen Macht, sondern ein irrender Ritter, welcher unter einer Glasglocke Perlen am Ufer des Meeres fischt, ein Astrolog, welcher ans einem Greif zum Himmel auffährt. Die Geschichte wird verfälscht und entweiht wie die Kunst, und Muhammed wird von den Trouvöre'S in einen Römischen Kardinal verwandelt. ES l Kuszuq aus I. sJ. Amvrrc's kürzlich erschienener „8l»o>lrk a- I.> herrscht überall finstere Nacht, aber diese Nacht wird durch einzelne Blitze der Poesie erhellt. Die beiden Sprachen, welche sich das Gebiet Frankreichs theilcn, haben beide ihren eigenthümlichen Genius: im Süden die Blüthen des Geistes, die sehnende Leidenschaft, die idealen Beziehungen des Lebens; im Norden kompakte Kraft, cynische Fröhlichkeit, Sinn für die Realität des Lebens, der sich traurig oder spöttisch äußert; im Süden die feudale Poesie, im Norden die bür gerliche Poesie, die sich meistens nicht über daS Geklätsch kleiner Städte erhebt. Ampore beurtheilt dieselbe mit gerechter Strenge; er findet in ihr keine Spur von wahrem Kunstsinn, der sich im Mittel alter überhaupt nur in dcr Architektur zu erkennen gicbt. Die Geschichte dieser Literatur, wie sie Amporc gefaßt hat, ist ein eben so umfassendes wie neues Werk. Zuerst kam cs daraus an, die Sprache zu ergründen. An zahlreichen Untersuchungen fehlt es nicht, aber wie viele Jcrthümcr und Lächerlichkeiten laufen auch Mil darunter? Zu diesen letzteren kann die Linguistik gewiß ein stär keres Kontingent stellen, als jede andere Wissenschaft. Nehmen wir z. L- den Holländer Bckan, dcr ein dickes Buch schrieb, um zu be weisen, daß das Flamändische im Paradiese gesprochen worden sey. Bochard findet Phönizische Wurzeln in allen Sprachen, fast in allen Wörtern. Henri Etienne führ! Alles auf den Hellenismus zurück. Dann kommt die Wuth der Hebräischen Ableitungen; ImbU (Geschwätz) ist die Uebersetzung von Babel. Welches sind Vie Mittel, um sich in vielem Irrgarten zurecht zu finden? Die sichersten sind wohl, alles bis jetzt Geleistete streng zu prüfen, dem Kitzel der neuen Entdeckungen zu widerstehen, vie Wanderungen dcr Völker zur Grund- lagc brr Sprachwanderungen zu machen, die Sitten und Einrich tungen zu stubiren. Auf diese Weise ist Ampere zu Werke gegangen. Er hat alle vor ihm ausgestellte Ansichten einer strengen Prüfung unterworfen und die Entdeckungen seiner Vorgänger erweitert und berichtigt. Zuerst stellt er nach Beispielen, welche er den verschiedensten Ver zweigungen des großen Indo-Germanischen Sprachstammcs entlehnt .hat, die allgemeinen Prinzipien dcr Sprachumwandlung hin, welche im Uebergange von den alten zu den neueren Sprachen fast bei allen Nationen aul dieselbe Weise und nach denselben Gesetzen vor sich ge gangen ist. Diese Prinzipien wendet er dann auf die Romanischen Sprachen an. Die Grammatik, das organische Gesetz beschäftigt ihn zunächst. Er verfolgt auf eine wissenschaftliche Weise die Kor- rnmpirung der Lateinischen Sprache, welche sich in der Zusammen ziehung der Wörter, dem Wcgwcrscn der Endungen und der Ver wechselung dcr Fälle kundgiebt. Eine genaue Analyse der syntaktischen Elemente sühn ihn zu der Ansicht, baß Vie Französische Grammatik rein aus der Lateinischen hervorgegangen ist, und daß sich in jener keine Form findet, welche nicht mir einer Lateinischen Form in Ver- binvung steht. Dadurch wird die oft wiederholte Behauptung wi derlegt, daß vie Französische Sprache der Germanischen Eroberung ihr Entstehen verbaute. Davurcb würde zugleich die Hypothese von Raynouard wegsallen, daß cs nämlich eine ursprüngliche Romanische Sprache gegeben, die ein Mittelglied zwischen dem Lateinischen und den modernen Sprachen gebildet, und deren sich die Troubadours be dient hätten. Nachdem er R-aynouard vom ausschließlich philosophi schen Standpunkte aus bekämpft, setzt er ihm auch die Thatsachcn entgegen und fragt ihn, wie eine einzige Sprache sich inmitten der allgemeinen Zerstückelung Eurvpa's hätte erhalten sollen, und welche menschliche Macht sie wohl den verschiedenen Völkern hätte aufzwin- gcn wollen? Dcr lcrikalische Theil des Buches ist nicht weniger bemcrkens werth. Bei der Geschichte der Wörter-Verwandtschaften tritt zuerst vie etymologische Frage auf. Hier hanvelt es sich darum, sichere Prinzipien aufzustellen. Erstes Gesetz: Die bloße Aehnlichkeit dcr Wörter gestaltet noch kein Urtheil über ihre Abstammung. So hat, wie Ampere bemerkt, »mur-m im Mantschu-Tatarischen eine Bedeu tung, welche der von amourenx ziemlich nahe kömmt. Soll man voraus schließen, daß die Mantschu's die Bezeichnung der Liebe den Römern gegeben oder sie von ihnen entlehnt haben? Gicbt es nicht zwischen den Gesichtern zufällige Aehnlichkeiten? Zweites Gesetz: Die größte Unähnlichkeit der Wörter beweist nichts gegen ihre Ver wandtschaft. Zwischen Wörtern, die ganz verschieben lallten, kann dennoch ein etymologisches Band nachgewiesen werden. Man darf also die bloße Analogie nicht zur Norm machen, und man muß, um den Ursprung eines Wortes zu kennen, seine Geschichte kennen. Da daS Französische eine Romanische Sprache ist, so hat diese Geschichte hier zwei Epochen: den Uebergang des Lateinischen in die ursprüng-