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272 Europa'« gesehen, und wir kennen alle, die wir nicht gesehen, auS Zeichnungen; aber keine hält mit der Pariser eine Vergleichung auS. Sie ist unser schöne« Ideal einer Börse des I9ten Jahrhundert«. Die Börse ist nicht nur HanvelS- und Wechsel-Börse, sondern auch der Sitz der Handel«-Gerichte. Der untere Theil und die Gallerieen find den Geschäften des Handel« geweiht, die übrigen Theile sind für die Tribunale bestimmt. Reinlichkeit, Lüftung, Ord nung, eine gute Polizei, alle Bequemlichkeit für die Geschäftsleute und die fremden Besucher findet man in vollkommenem Zustande. Die inneren Bürcaus für Beamten und Secretaire des Schatzes, des Tilgungs-Fonds und für die Aufseher des Gebäude« find in Harmonie mit dem Ganzen. Noch müssen wir bemerken, daß e« in Paris zwei Klassen von Maklern giebt. Die erste besteht aus den autorifirten, geschworenen ^gens <le sbange; die zweite enthält jene unlegalisirten Jobbers, die in London „älle^ men", in Paris „kvulissisrs" und in Deutsch land „Pfuschmakler" heißen. Sie machen trotzdem, daß sie für baares Geld keine Ein- und Verkäufe besorgen dürfen"), doch mehr Ge schäfte als die gesetzlichen Agenten. Wir stehen jetzt am Eingänge des Gebäudes; es ist der letzte des Monats, es ist l Uhr, und wir werden jetzt die aufgeregten Menschen am besten beobachten können. Welch ein Schwarm von Menschen, klein und groß, schmutzig und reinlich, häßlich, plump und die Meisten von ihnen unangemehm, kommt die Straße Fepdeau von den Boulevards zur Börse herunter! Wer find sie? Alle Spekulanten? — Ja, Alle. — Woher kommen sie? — Von Tortoni, oder vielmehr vom v»fe üe pari«. — Was haben sie dort gemacht? — Kaffee getrunken? — Nein. — Gefrüh stückt? — Nein. — Billard, Dame oder Domino gespielt? — Nein. — Rathen Sie noch ein Mal. — Nun gut, haben sie gewet tet? — Ja. Von 10 bis 1 Uhr kaufen und verkaufen sie Fonds per Ultimo bei Tortoni oder im Vals tle Paris, und da jetzt Borscn- zeit ist, so kommen sic hierher. Einige find reich, einige arm, einige spekulircn ungeheuer, andere nur auf ILOO oder 3000 Franken Renten monatlich; einige sind auch Wechsclmakler, einige ihre Gehülfen, andere spekulircn nie, sondern sie sind bloß Korrespondenten der Englischen, Amerikanischen und Bel gischen Zeitungen. Sie sind alle in ihrem Berufe gewesen, indem jeder den Spekulanten seine verschiedenen kleinen Neuigkeiten oder Privatgeschwätze mittheilt; und jetzt sind sie im Begriff, sich im Hauptquartier zu versammeln, um den wirklichen Stand der Stock- dörsc zu erfahren. Die Zeit rückt vor. Der Uhrzeiger steht auf 28 Minuten nach ein Uhr. Welch ein Rennen! Jung und alt, Gchülfcn und Herren, Spezereihändler und Banquier«, alle steigen die Stufen hinauf, ren- nen durch die Säulenhalle und den Zugang, außer Athem und er hitzt, gerade zur rechten Zeit, um die Glocke läuten zu hören. ES ist halb zwei Uhr! die Geschäfte haben im Parquet, d. h. in dem mit einem Gitter eingefaßten Kreise der regelmäßigen Fonds händler begonnen. Vor zwei Minuten konnte man an der Thür den Donner einer Kanone nicht hören, und jetzt könnte man den Fall einer Stecknadel vernehmen. Was giebt'S? Wer ist der Mann, der auf dem Stuhle steht, mit dem gemeinen philiströsen Gesicht? Der Börscndiener ist im Begriff, die ersten Geldpreise (Course per Comptant) der eben verkaufte» Fonds auSzurufen. Was sagt er? Die fünfprozentige: 112 Franken 7S Centimen; die drei prozentige: 76 Franken 80 Centimen; jetzt steigt er herunter. Welch ein gellender Ton! Welch eine traurige Ankündigung! Aber welch ein Getümmel folgt jetzt! Die Gehülfen der Banquiers, der Wechselmakler, der Coulissiers, die jüngeren Theilhaber der Han dels- und Banquier-Häuser stürzen heraus, eilen, einige zu Fuß, mehrere aber in Kabriolets, zu ihren verschiedenen Klienten odcr Geschäftsfreunden, oder Geschäftshäusern, um ihnen sowohl den ersten Preis per Comptant, als auch den auf Monatsabschluß mitzuthcilcn. Die Coulisse, d. i. die nicht aulorisirte» Agenten und Spe kulanten, die Allcemänner (allsxmsn) sind in Aufruhr. Es ist ein Unterschied von einem halben Prozent zwischen den FondS-Coursen vor Eröffnung der Börse und ihrem jetzigen Stande. Wa« kann das bedeuten? Einer der Matadore, der sowohl kauft als verkauft, ist sehr geschäftig. Wa« sagt er? Er sagt nichts, sondern flüstert einigen zwanzig Personen ein sehr großes Geheimniß in die Ohren und trägt jedem auf, es auf keinen Fall seinen Nachbarn wieder zusagen, und ertheilt jedem „als Freund" den Rath, Fonds zu verkaufen. WaS flüstert er denn? „Er wisse ganz gewiß, daß Mehmed Ali sich geweigert, in irgend eine Bedingung des Sultans rinzuwilligen, und daß er Ibrahim Pascha den Befehl zugeschickt habe, auf Konstantinopel zu marschiren." Dies ist genug, um da« Sinken von einem halben Prozent zu erklären; und da es der letzte Tag de« Monats ist, so muß man verkaufen, wird von Ohr zu Ohr geflüstert, bis zuletzt die fünfprozentigen auf dreiviertel und die dreiprozentigen auf ein Prozent seit gestern heruntcrgegan- gen find! Aber da Ertremc sich begegnen und selbst panischer Schrecken ein Ende nimmt, so wird fünf Minuten vor zwei Uhr da« Gerücht bezweifelt. Es kann nicht wahr seyn, sagt der Börsen-Kommissa- rius, der sich selbst bewunderungswürdig ruhig verhält, bi« da« Fal len vorüber ist und er profitiren kann, indem er Fonds um einen viel geringeren Preis kauft, als er am vorigen Tage verkauft hat; und der Prämien-Käufer und Verkäufer erklärt, daß er keine«- wege« die Genauigkeit seines vorhergehenden großen Gehrim- ') An Deutschen Börsen ist da» Umgekehrte der F-ll. nisse« verbürge; denn so eben sey von Wien ein Privatschreiben angclangt, welche« zu lesen ihm gestattet worden, und da« die Nach richt enthielte, im Orient würde Alles zur größten Zufriedenheit ge ordnet werden. Das Wahre an der Sache ist, daß die Fonds diesem großen Spekulanten zu sehr heruntergegangen oder seinen Operationen nicht angemessen waren — und eine sanfte Reaction ist nöthig, ehe der unglückliche Augenblick der Abrechnung herankömmt. Aber die, welche die Fonds zu niedrigen Coursen verkauft haben, sind nicht so leicht seiner Ansicht. So beginnt der Streit. Herr P— will ein Sinken; Herr B— ein theilweise« Steigen; die „drei Brüder Hurtig" vereinigen sich mit dem Ersteren, die Banquiers und Kaufleute mit dem Letzteren; furchtbare Ungleichheit für die Baissiers! Aber da ihr Spiel schwierig wirv, so werden sie verzweifelt, und neue Nachrichten find im Umlauf. „Haben Sie die Neuigkeit von Marseille gehört? fragte der Aelteste der drei Brüvcr Hurtig ungefähr dreißig Personen in wenig mehr als einigen Sekunden — „Welche Neuigkeit?" ist die Antwort eines Jeden. — „Ibrahim Pascha ist auf Konstantinopel marschirt?" — Die Börse wiederhallt noch einmal von dem Gerüchte, und die dreiprozentigen fallen um 10 Centimen. „Das wird nimmer geschehen", sagte einer; „wir müssen diesem zuvorkommen, ohne einen Augenblick zu verlieren, oder ich werde um halb drei Uhr in Verlegenheit gebracht seyn." Nun begiebt sich der Käufer und Verkäufer von Prämien ans Werk, er läßt ein neues Gerücht los; es ist folgendes: „Man hat den Vorschlag, Paris zu befestigen, fahren lassen, und Graf Mols hat eingewilligt, in das Güizotsche Kabinct einzutreten." Er hat nur zehn Minuten, um seine Nachricht in Umlauf zu setzen; aber in zehn Minuten kann ein Haus ruinirt seyn, besonders wenn es von Karten gebaut ist. „WaS sagt er?" fragt Einer. — „Daß Graf Mol« sich mit Guizot vcrbinven will, und daß bas Gesetz wegen der Befestigung von Paris wird zurückgenommcn werden!" — „Hm!" sagt ein Ande rer, was so viel heißt als — Aufschneiderei! Aber cs steckt an, — o, ja, es steckt an; der Pöbel glaubt eS; der Haufen schluckt den Köder in sich — die Geschichte von Ibrahim ist vergessen über Mole'S Falsch heit — und die dreiprozentigen gehen um zwanzig Centimen heraus! Die drei Brüder Hurtig bekehren leicht einige, die ein Sinken wün schen, die Fonds schwanken zwischen zehn und zwanzig Centimen alle zwei Minuten, und der Zeiger zeigt jetzt auf halb drei Uhr. Der Prämien-Käuser und Verkäufer ist zufrieden; der Augenblick der Ab rechnung ist vorüber; er hat 20,000 Franken durch seine Operationen gewonnen und schwimmt gemächlich und froh auf seinem kleinen See der Zufriedenheit und des Trostes. (!>I. ßl- !U.) Mannigfalriges. — Deutsche Oper in London. Es verdient wohl erwähnt zu werden, daß die jetzt in London spielende Deutsche Opern-Gefell- schäft (aus Mainz) dort auch Mozart'« „Figaro" gegeben hat, und zwar mit Glück, obwohl das Londoner Publikum gewöhnt ist, diese Oper von den gleichzeitig dort anwesenden Jtaliänern zu hören, und zwar den Figaro von Lablache, die Susanne von der Grisi, die Gräfin von der Persiani und den Grafen Almaviva von Tamburini. Bei den Deutschen befanven sich diese Rollen in den Händen des Herrn Staudigl, der Madame Stöckel-Heine- fettcr, der Madame Schödel und des Herrn Haizinger, wozu noch die dort sehr beliebte Madame Schumann (die Frau des Direktors) kam, die den Cherubim gab. Die Berichterstatter der Englischen Zeitungen sind zwar nicht alle einverstanden mit dem sehr beifälligen Urtheil, das die Vorstellungen de« Deutschen Figaro beim Publikum gefunden; namentlich haben sie an Graf und Gräfin Almaviva mancherlei auSzusetzen; gleichwohl geben sie zu, daß Herr Staudigl und Madame Stöckel-Heincfetter, selbst nach dem Ein drücke, den das treffliche Spiel und der reizende Gesang einer Grisi und eines Lablache zurückgelaffen, ihren Rollen eine neue Seite haben abgewinnen und den Zuhörern eincn neuen musikalischen Genuß haben verschaffen können. Während dies übrigens im Drury-Lane-Theater geschah, wurde in der Iralian Opsra, unter der Mitwirkung von Lablacht, Rubini w., Mozart's Don Juan gegeben. Aber auch hier war eS wieder eine Deutsche, die den Triumph des Abends davon trug, denn Dllc. Sophie Löwe gab die Elvira, und zwar mit einem Ausdruck des Gefühl«, „den (wie es im ^rlas heißt) nur der ge- borne, nicht der gemachte Künstler besitzt."") — Berichtigung. Mit Bezug auf die zweite Anmerkung, die wir zu dem Artikel über „die beiden Gefängniß-Systeme Nord- Amerika'S" in Nr- 6S gegeben, macht uns Herr l>r. N. H. Julius bemerklich, daß das von dem Alderman Sir Peter Laurie in London erwähnte, nach dem Schweig-System eingerichtete Gefängniß keines- wege« mit dem noch im Bau begriffenen, nach dem Pennsylvanischen System entworfenen Mustergcfängnissc (lAoüel-Ibison) zu verwechseln sey. Der Bau des letzteren ward im April 1840 begonnen; es wird au« vier Flügeln bestehen, von denen bisher erst einer vollendet ist, in welchem sich noch keine Gefangene befinden. Jenes von Sir Peter Laurie erwähnte Pönitentiarium (penitentiar>) cristirt dagegen schon seit mehreren Jahren, wie denn auch seine Angaben über die Anzahl der Wahnsinnigen die Jahre >838, 1830 und 1840 umfassen. *) kinäreä teeUax, vblok i» oalz? wusiciLvs dorn, oot waäe." Herausgegeben von der Expedition der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Rcdigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.