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den Grnkral zum Bruder zu haben. Fraget fie doch, welche Ge sänge sie im Chor singen, und welches Buch sie in den Winter- Monaten lese»? Ist cS die das Buch des Edelmanns? Der einzige Dichter, dessen Verse sie kennen, ist ein Priester aus dieser Gegend, Namens Chapelon. Chapelon ist in der That ein großer Dichter. Er wurde in den letzten Jahren Ludwig'S XIV. geboren. Die Poesie trieb ihn nach Italien. ES ist ja so nahe. Bon Turin ging er nach Rom, wo seine erste Sorge war, einen Landsmann zu finden. Aber wie sollte er das anfangen? Er tritt in die PcterSkirche, und indem er seine Augen im weiten Raume umherschweisen läßt, stößt er das Schiboleth von St. Etienne aus, ein furchtbares Wort, ein Wort, über welches das Gewölbe deS HeiligthumS hätte zusammcnfinken müssen, wenn eS nicht ein so reiner Mund ausgesprochen hätte. Das Wort hörte ein Mann, der gerade aus Forez kam, und nun konnten sich unsere beiden Heimatlosen das suloi» linquimu« arva hersagen. Von Rom begab er sich nach Paris, wo die große Poesie des I7ten Jahrhunderts noch ertönte oder vielmehr triumphirend und mit erhobenem Haupte einherging. Nachdem er nach den letzten Tönen Nacine'S und la Foutaine's gelauscht und Alles gesehen, was zu sehen war, kehrte er in seine Berge zurück, um da zu sterben, wo er geboren war. Seine Rückkehr war eine große Freude für seine Familie, für seine Freunde und bald für die ganze Gegend, denn mit sich brachte er die Poesie des heimatlichen Bodens, die Sprache von Forez, das Patois, welches das Volk dieser Gegend spricht, eine rauhtonende Halbschwester deS Jtaliänischcn, welche sich jcvoch allen Ansprüchen der Leidenschaft beugt. Chapelon hat in diesem Patois gedichtet, und darum ist sein Rus nicht über diese Berge hinauSgegangrn. Aber in diesen Bergen ist auch kein anderer Ruhm dem seinen gleich. Der rohste Bauer kennt seine Verse, daS mulhwillige Mädchen singt seine Lieder, die starken Geister des Dorfes führen seine Epigramme an. ES ist kein ordentliches Fest, an dem seine Gedichte nicht will kommen wären; er ist in einer Person der Homer und der Anakreon dieser Gegend; er hat Lieder für alle Verhältnisse deS Lebens, er hat Sonneite, Romanzen, Episteln, Endreime, Epigramme, Grad- schritten und Liedcrsträuße an Chloris gemacht. Chapelon hat auch feig Testament gedichtet. ES ist das Testament eines armen Teufels, der nichts hat und seinen Freunden durchaus etwas hinterlassen will. ES besteht aus 26» kleine» Vermächtnissen, welche zusammen nicht 2» SouS werth sind. Diesem hinterläßt er z. B. eine zerbrochene Schüssel, jenem Pfirsichkerne, einem dritten einen Sperling, einem anderen den Käfig von Weivenzweigen. Nachdem er alle dies» Ver- mächtnisse aufgefüdrt, setzt er in seinem PatoiS hinzu: „DaS ist nicht AlleS; ich vermache der Wirthin di« 16 «ouS, welche sie di« Güte gehabt hat, mir zu leihen." - Sic sehen, gnädige Frau, daß ich keine Reise schreib«; das ver hüte auch GoUt Eine Reife werd« ich schreib«», wrnn Sie mir sagen, an welchen Ort, in welchen Planeten dir Reisenden noch nicht ge drungen sinh. Nur keine Rrisebeschrtibung! Ich schreib«, wie es mir rinkömmt. So eben ließ der Erzbischof von Borveaur dir Glocken unsere Dörfer ertönen, und jetzt zittern in meinem Hcrzen die Verse unseres Dichters Chapelon nach. Jeder Räderschwung führt auch seine Bewegung, sein Lächeln, sein Lrid oder seinen Schmerz mit sich. Die Nacht ist finster; wir steigen zum Flecken Argenta! nieder, und dir erste Person, die uns rmpfängt, ist rin leibhaftiger Pariser. Der rchte Pariser, das Pariser Vollblut ist wie der Bordraur-Wein; man findet ihn unter allen Breitengraden. Jlcder di«ser beiden LandSlrute ist zugänglich, wohlwollend, lächelnd; er ist Euch immer willkommen und Ihr ihm. Unser Pariser bereitet unS mit Blitzesschnelle ein Adendessen, er bringt unS in einem großen Zimmer nuter, daS er selbst eingerichtet hat, er fragt uns nach Neuigkeiten aus Paris und vom Boulevard de Gand. „Und was macht Herr Maliteurnr, meine Herren? der hat einmal Geist." — „Seitdem ich Herrn Chair-d'Est- Ange gehört habe, bin ich überzeugt, daß la Ronciör« gar nicht so schuldig ist. — Talma habe ich sehr gut gekannt. — Wie viel« Zigarren hahe ich mit A. Duma- geraucht. — Ach, dir Parisrrinnen! Sie haben das Schöne unv Gute, daß sie göttlich« Füße haben." — Und nun sprach er als Kenner vom Fuß der Frau von F. und von der Wade d«r Frau von R. Mein Freund und ich blickten unS, als er geendet, erstaunt an, ohne uns erklären zu können, wie die Otii-omau«, «ismluloin.« der Pariser Welt in diese Brrgc gtdrunaeü sep. „Mein« Herren", sagte «r zu uns, und mich nannte er bei Ra men, „ich hin hier Besitzer eines Gasthofs und in Pari- eines Ka briolets und «ine» Fiaker»; hier bringe ich den Sommrr zu, dort den Winter, und daher mein Wissen. UebrigenS werde ich später meine Memoiren schreiben." Von diesem Dorfe, das am Rhonr liegt, senken wir uns auf Valence, Montölimart, bis NimeS nieder, immer den schönen Rhone, meinen LiedlingSfluß, zur Seite. An diesem Tage war daS Wasser nur spärlich vorhanden; das Bett des Flusses lag trocken; die Hügel erhoben sich rechts, glänzend im gelben Blätterschmuck der nahen Weinlese; da» ganze User strahlte in Freude und Heiterkeit. Ich «rhebe den Blick. Dieser durchbrochene Berg dort oben ist eine Brücke, welche di« Römer über einen Gebirgsbach geschlagen haben, den wir höchstens mit einem Brette beehren würden. Noch sehe ich vor mir di« riesenhaften Bogenwölbungen der Brücke über den Gard. Am besten ist-, man kömmt beim Untergang der Sonne hierher, wenn ihr letzter Schein von diesen Triumphbogen znrückstrahlt. Man nähert sich diesem Wunderwerke mit einer feierlichen Stimmung; man hat kaum di« Augen zum Himmel aufgeschlagen, so erwacht da» Vorgefühl von etwas Unerwartetem- Die Bewunderung ist noch unbestimmt, aber darum nicht weniger mächtig. Wir schreiten über die Brücke. Was waren doch dir großen Römer für Manner! Sie brauchten da eine Brücke und richteten drei auf. Beschreiben läßt sich hier nichts, denn der kleinst« Stein, der von dieser Höhe auf die prächtigste Beschreibung nirderrollle, würd« sie wie GlaS zerschmettern. Aber eine Barbarei darf nicht verschwiegen werden. Die Bewohner besitzen die Brücke über den Gard als volles Eigen thum; sie haben drei übercinanocrgebante Meisterwerke; sie haben das umringende Schweigen und das schäumende Wasser, das zwi schen den hohen Felsen burchbraust. Uno sie, die Sterblichen von ArleS, fie, die Sterblichen von fünf Fuß und einigen Zollen, haben es sich einfallen lassen, mit ihren schwachen Händen eine gebrechliche Brücke über den l Gard zu bauen. Welcher Spott! Mit welchem Rechte wollt Ihr Pygmäen diese ungcheuren Stcinblöcke und Bogcn- wölbungen, welche die Römer zwischen Himmel unv Erve ausgerichtet haben, durch die elenden Bretter, welche an fingerdicken Fäven schwe ben und die ein Windhauch wegrcißt, kindisch nachäffen? Wir haben dir Brücke mit entblößtem Haupte und in stummer Bewunderung überschritten. Auch Nimcs ist voll von den Spuren der Römer. Aber hier treibt man einen anderen Mißbrauch; außer halb der Stadt will man sich nickt ver Brücke über den Gard be dienen; in der Stadt bedient mau sich zu sehr der Arena, der Maison Carree und des BadeS der Römischen Damen. Nm diese Denkmäler würdig zu ehren, müßte nicht Tag und Nacht daS Menschengewimmel sie erfüllen. Der Mensch setzt das Ungeheure herab, wenn er ihm zu nahe tritt. So haben sie die Maison Carree zu einer Ausstellung von Gemälden und Stickereien benutzt. Die Maison Carree ist rin elegantes Gebäude, das von anderen Denkmälern, die eS umgeben, fr« gemacht ist. In demselben ist «in Wächter, der sich auf die an tiquarischen Studien geworfen und zwei dick« Bände über die Maison Carree geschrieben hat, zwei dicke Bände, um zu beweisen, daß zwei Nägel, welche in der äußeren Mauer riugeschlagcn sind, princep» juventuri« berruten oder auch nickt. Diese beiden Nägel Haden über haupt den Gelehrten der Gegend schon viel Kopfzerbrechen gemacht. Der eine sagt: die Nägel Kellen ein I. dar. — Nein, sagt der An dere, rin 6. Ein Dritter wieder, es ist rin HI. — Herr Pelet ist überzeugt, daß das KI rin 6 ist, wahrend Herr Seguir wieder dar auf schwört, daß diese« 0 ein !A ist. Da kam als Dritter Herr Merimee hinzu, welcher daS VI und da» O vermitcelte — denn da» ist nicht ein v unv daS II nicht ein KI, sagt« rr; sondern eS Ist rin I-., lmrmr Verus, nrineonx juveuculis; Keinrr hat Recht, weder Hrrr Pelet noch Herr Merime«. Wäre da» Denkmal fernrr von der Stadt grltgen, so würde es nicht zu diesem Nägclkreit Anlaß gege- brn hadrn. SS wäre durch dir Stillr und Entfernung geschützt worden. Ein anderes Brispirl. Nichts ist so merkwürdig zu NimfS, wie dir Bädrr der Römischen Damen. ES find gewölbte Gang«, gr- räumig« Zimmrr, BaS-RelirfS, Statuen, di« ganze elegant» Behag lichkeit dirser Asiatischen Civilisativn. Nun^ in den öffentlichen Gär- trn, wo st« jetzt liegen, in welchen der Staub aufwirbelt und wo schmutzige- Wasser dunstet, haben die Bäder der Römischen Damen ihre ganz» Poesie »«rlorcn. ES ist in der Tbat unmöglich, sich diese vornehmen Dam«n in die verstümmelten Marmorwändt, in da« schlammige Wasser, in dir offenen Grotten, in diesen Staub, in dirse Sonne zurückzubenken. Vergeblich sucht Ihr fie mit ven glühend sten Stellen auS Ovid's Lirbeükunst oder den schmelzendsten Elegiren Tidull'S herbkiznrufen. Niemans erscheint, weder dir Herrin noch die Sklavin, weder dir Römische Conversaiion, noch vir Schönheit«- mittel oder dir Wohlgerüche. DaS von den Siegrrn drr Gallier gebaute Bad ist jetzt ein« Schwimmschule zum Grdrauch der ungr- waschensten Bewohner von NimeS. Aber daS schönste Denkmal der rstadt, das scltrnstr und bewun- drrnSwrrthrstc ist dir Arena. SS ist ein Riesenwerk. Auswendig sind dir ewigen Mauern ihrer Zierde beraubt worden; tritt man hinein, so glaubt man «in «den erst fertig gewordenes Denkmal zu frhen. Da find dir hallenden Gänge, die hohen Stufen, das unge- h«nr« Domitorinm. Hier drängten sich die Senatoren, dort die Rittrr; dort saß das souvcrain« Volk, writrr hinauf der PlrbS, und noch höh«r di« Fremden. Betracht«» Sir ditsr Bank, gnädige Frau, über deren unkcusch« Brrzirrung Sir rrröthen würden, wenn Sie «in« Ahnung von ihrem Sinne hätten; daS war die Bank der Cour- tisanen, und ihnen gegrnüber saßen dir Brstalinnen, gehüllt in ihr kruschrS Gewand. Unter diesen hallenden Gewölb«» brüllten die Löwen, in diesen Hallen harrten dir Gladiatoren; in diesen unermrß- lichen Gängen suchte das Bolt Schutz, wenn der Regen di« Römer daran rrinnrrtr, baß fir in Gallien waren. Für Alles war gesorgt jeder Play aezrichnet, Verwirrung unmöglich. Da warrn, woran in unseren Theatern nicht zu denken ist, Thürrn für den Eingang und Thüren für den AuSgang. Der ungeheure Raum leerte unv füllte sich wi« mit einem Zauberschlagr. Nun rathen Sir, gnädigr Frau, wenn Sir eS können, welche« Schauspiel mich in der Arena von NimrS erwartete. Ich eilt«, löste rin Billet im Bürrau, drang in dies« gehrimnißvollen Wölbungen, stieg ganz oben hinauf, auf brr niedrigsten Plätze, und tief unten, tief unten sehe ich etwas sich bewegen. Was war es? Man hätte «S für ein Stück Golbschaum halten können, welches der Wind wegbläst. Fünf odrr sechs RegimentS-Trompetrr spielten die Favorit-Arie. Rathen Sie, was es war. Ich war genöthigt, vom Berge niederzustcigen. O, Erstaunen! Ich s,h« ein auSgcspannteS Seil und aus diesem «in«, alte Frau, dir älteste unter den alten Komödiantinnen dieser Welt, Madame Sagui in eigener Person. Wohl war sie es. Auf dem Kopf hatte sic cinr kleine lrisirte Perrücke; sie trug eine himmelblaue, goldgestickte Tunika; an dcn Füßen hatte sie Sandalen. Ihr« kleinen spinvelkürrcn Arme dienten ihr als Balancirstange, und mit dieser zerarbcircte sie sich, daß eS rin Erbarmen war. Aus den Zeiten thrcs Ruhm» hatte sic eiucn köstlichen GcstuS beibchaltrn, der ihr