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43 tcnd. Ein Gleiches findet fich in Havre, in Rouen und auf den Bre- tagnischen Inseln. „Diese wichtigen Thatsachcn", sagt Herr B-, „die inan geahnt, zu wiederholten Malen auch iin Kleinen angedeutet, aber nie mit so viel Genauigkeit und in solchem Umsang, strafen die legale Theorie der Schuldcnhaft förmlich Lügen. Man behauptet, dieselbe habe zum Zwecke, ven, der zahlen kann und nicht nsill, zum Zahlen zu zwingen. Ist cs nun nicht sonnenklar, daß säst in allen Fallen, wo diese Tortur angewendet wird, sie ganz überflüssig ist? Ist es nicht klar, daß dieser böie Wille, die betrügerische Absicht, bie vom Gesetz immer voraus gesetzt wird, fast nie vorhanden ist und vorhanden sepn kann? Wie! wegen 15, 2<>, 30 Franken wird einer das Gesängniß riskiren? Wo ist der Mensch mit gesunder Vernunft, der, wenn cs eine so schwache Summe gilt und er sie bezahlen kann, sich, ich will nicht sagen, dem Gesängniß, sondern nur der Furcht, ver bloßen Drohung, eingesteckt zu werden, ja den Kosten aussetzt, die man zur Erlangung des Rechts, zu verhaften, tragen muß? Hört also auf, von euren legislativen Tribünen herab zu sagen, daß vie Schuldenhaft eine Prüfung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners ist; man unterzieht sich einer solchen Prüfung nicht um einiger Franken willen. Sagt auch nicht, daß das Zntereffe des Staats diese Prüfung gebietet; das Interesse des Staats verlangt nicht, daß man einen Menschcn cinstecke wegen vier- odcr fünfhundert Franken, die er nicht bezahlen kann. Sagt lieber, wenn ihr es wagt, baß die Schuldcnhaft weiter nichts ist, als eine dem Gläubiger gegebene Gelegenheit, seine Leidenschaft zu befriedigen, Beide zugleich, Mann und Frau, Vater und Kinder, zu quälen, die, welche nichts schuldig sind, zu zwingen, daß sie für ven zahlen, der schuldig ist, denen, die nichts versprochen hatten, Geld abzuprcffcn und endlich die Schande einer ganzen Familie gesetzlich anszubcutcn: sagt dies, und ihr habt die Wahrheit gesagt, eine schimpfliche Wahrheit." Wie sehr gewinnen diese Betrachtungen nicht an Kraft, wenn man sieht, daß die Schuldcnhaft überdies ein unnützes, für den Gläubiger kostspieliges Mittel ist, zur Bezahlung einer Schuld zu gelan gen. Der Verfasser beweist durch unwiderlegliche Zahlen, daß ein Drittel aller Verhaftungen keine Bezahlung zur Folge hat, daß ein zweites Drittel mit Verhandlungen endet, in deren Folge der Gläubiger einen Theil seiner Forderungen opfert, und daß nur ein Drittel die Bezah lung der ganzen Schuld zur Folge hat; und selbst in diesen günstig sten Fällen verliert der Gläubiger sehr oft eine Kostensumme, die nicht in Rechnung gebracht wird; denn da die Summe der in Rechnung gebrachten Kosten nicht genügt, um einen Gerichtsdiener zu den nöthigen Maßregeln zu veranlassen, so fügt man dem ein außeror dentliches Geschenk hinzu, das für den Gläubiger verloren geht. Hier und noch mehr im Folgenden erhebt sich ein Einwand, den wir erwähnen müssen. Im Folgenden nämlich, wo der Verfasser von der Schuldcnhaft im Allgemeinen zu den besonderen Arten derselben übergeht, behauptet er, indem er von der Schuldenhaft in Handcls- und Bankerottsachen spricht, diese Institution diene nicht, wie ihre Bertheidiger vorgeben, zum Schutz des Handels, und zwar beweist er dies unter Anderem daraus, daß überall, und namentlich in den bedeutenderen Handelsstädten, die Kaufleute nur einen sehr kleinen Theil der Gläubiger bilden, die ihre Schuldner einstecken lassen; denn man kann bis auf einen gewissen Grad daraus schließen, daß der Handel dieses außerordentlichen Schutzes, den die Gesetzgeber aus drücklich für ih» eingerichtet haben wollen, nicht bedarf und keinen Gebrauch davon macht. Was für die Richtigkeit dieses Schlusses besonders sprichr, ist die Seltenheit der Verhaftungen bei Bankerotten. Hier aber, wie im Vorhergehenden, wo von dem geringen Betrag der Summen die Rede ist, um derenwillen die Verhaftungen statt finden, läßt sich der Einwand erhebe», daß die Wirksamkeit der Schuldcnhaft, wie jedes Einschüchterungs- und Repressiongesetzcs, nicht nach der Zahl und der Natur der Fälle, in welchen die Drohung wirklich zur Ausführung kommt, zu messen ist, sondern nach der Zahl und Natur der Fälle, in welchen die Drohung das verhindert hat, dessen Verhinderung ihr Zweck ist. Freilich werden wir nie die Zahl der Fälle bestimmen können, wo das Gesetz wirksam war, ohne ange- wcnbet zu werden, wo die Furcht vor dcr Schuldenhaft den Schuld ner bewogen hat, seine Schuld zu zahlen, die er ohne diese Furcht nicht bezahlt hätte; aber eben darum stehen wir hier auf unsicherem Boden. Dies sicht auch der Verfasser ein, aber er beseitigt die Schlüffe, die sich daraus gegen seine Darstellung ziehen lassen, auf folgende Weise: „Man behauptet", sagt er, „daß die abschreckende Wirkung der Schuldenhaft sehr groß sepn und daß sie dazu beitragen muß, die Handelsgeschäfte, und folglich auch die Circulation der produktiven Kapitalien, leichter und schneller zu machen. Wenn wir bws auch zugeben, wird darum unsere Sache schlechter? Nein; den noch bleibt dies stehen, baß die Schuldenhaft, da sie ohne Unterschied nach allgemeinen Regeln angewandt wird, Schuldner trifft, die nicht zahlen können, d. h. Unglückliche, Unvorsichtige, die den Gläubigern ihr Eigenthum.aber nicht ihre Personen schuldig sind. Man nehme für jeden Unglücklichen der Art zehn, man nehme hundert Fälle an, in welchen die Furcht vor der Hast die Erfüllung einer eingegan- gencn Verpflichtung bewirkt, was hat die Gesellschaft damit gewonnen? Nichts; vielmehr ist das Uebel, daß durch diese Institution ange richtet worden, noch immer zu groß, als daß cs irgend einen Ersatz dafür gäbe." „Als am Ende des vorigen Jahrhunderts die Tortur abge schafft wurde, hätten ihre Vertheidigcr auch sagen können: „„Man übertreibt das Uebel, ohne das Gute, das dadurch bewirkt wird, in Anschlag zu bringen. Das peinliche Verhör ist schrecklich,, aber bet vielen Verbrechern genügt das gewöhnliche; einige lassen es gar nicht so weit kommen, sie gestehen, sobald sie vor der Folterbank stehen, sobald der Fuß nur in die Spanischen Stiefeln gesteckt ist, und cbe man einen einzigen Schlag gethan: die Tortur tbut also nicht so viel Böses, als man schreit."" — Diese Vertheidigung hat die Abschaffung der Tortur zur Freude der Menschheit nicht gehindert; sie ist nicht im Stande, irgend eines von den Straf- oder Zwangs- spstcmcn, die bloß auf das alte Eiuschüchterungsprinzip gegründet sind, zu retten; sie wird auch dcr Sache der Schuldgefängnisse Nichts helfen." „Ich habe es schon gesagt und wiederhole es noch einmal, um die Schuldcnhaft zu verthcidigen, genügt cs nicht, zu zeigen, daß sie einiges Gute bewirkt, hier und da eine Bezahlung verschafft: das wird Niemand bestreuen; aber mir diesem System könnte man auch die Bastonnade der Chinesen, die Zwangsarbeiten Rußlands und die Strangulirung der bösen Schuldner bei den Türken rechtfertigen; man muß weiter gehen, ;nan muß zeigen, daß jenes Gute nicht her weitem durch das Böse übertroffen wird, und das wird nie mög lich sepn." Eine merkwürdige Thatsachc, die ebenfalls dazu dient, das Ge wicht jenes aus der abschreckenden Wirkung der Schuldcnhaft her geleiteten Einwandes zu mindern, ist, daß diese Haft nie häufiger vorkommt, als in den blühenden Zeiten des Handels, und nie seltener, als in den Stillstands- oder den kritischen Perioden. Der Verfasser hat eine Tabelle entworfen, in welcher man die Zahl der Gefangenen in Paris von 1744 ab, in Lyon von 1808 ab und in ganz Frank reich von 1824 bis 1833 zugleich mit dem öffentlichen Wohlstand, dem LourS dcr öffentlichen Fonds und dem jährlichen Durchschnitt der Bankviskontos steigen und fallen sieht. Also in den Perioden, wo man bei ven Schuldnern am meisten Zahlungsfähigkeit voraussetzen sollte, finden die meisten Verhaftungen wegen Nichtbezahlung statt, und in den Epochen, wo man erwarten sollte, daß die meisten Schuldner außer Stande find, zu zahlen, wer den deren am wenigsten verhaftet. Dieses Resultat ist eine zwei schneidige Waffe: cS spricht sowohl mr als gegen die Schuldcnhaft. Run kommen wir zu einer sehr interessanten Tabelle. Der Ver fasser betrachtet nämlich das Vechältniß der Schuldcnhaft zu der öffentlichen Moral und dem Interesse der Gesellschaft und stellt zn diesem Zweck die Zahl der Gefangenen jedes Departements mit der Anzahl der Verbrechen gegen die Personen und gegen das Eigen thum, dcr Zahl der unehelichen Kinder, der Selbstmorde und der Kinder, die schreiben und lesen können, zusammen. Um die Resul tate dieser Vergleichung noch anschaulicher zu machen, theilcn wir jede dieser Rubriken in zwei, die des Marlmums und die des Mini mums, und geben von jeder dcr vier oben angegebenen Klaffen der Departements nach dcr Anzahl dcr Schulvgcsangcnen die Zahl der Departements, in denen das Marimum, und die, in denen das Mi nimum jeder Rubrik vorkommt, also z. B- von der ersten Klasse die Zahl der Departements, in denen am meisten, und die, in denen am wenigsten Verbrechen gegen die Personen Vorkommen, u. s. f.; es ergiebt fich dann folgende Tabelle: Die Klaffen der Devariements nach dcr Anzahl dcr Schuldgcsan- gencn- Verbrechen gegen die Personen- Verbrechen gegen das Eigenlhum Selbst morde. Uneheliche Kinder. Elementar unterricht- MaN- Mini M-N. Mini Mari- Mini- Man- Mini- Man- Mini- Erste Klasse. . . 20 3 14 4 15 8 14 4 13 IO Zweite Klaffe. . II 4 12 8 10 10 13 7 12 8 Dritte Klasse.'. II 4 II 4 13 7 12 8 11 4 Vierte Klaffe. . 18 5 13 10 12 II 13 10 Ik 7 „Ich war bis jetzt", sagt Herr B-, „sehr vorsichtig in meinen Folgerungen: wirv man mich voreilig nennen, wenn ich aus so vielen devcutsamen Thaisachen schließe, daß die Schuldcnhaft, indem sie die leichtsinnigen Darlehen ermuntere, abenteuerliche Unternehmungen hervorruft, den Unterricht selbst zuweilen nachtheilig macht und, in dem sic Geld leichter zu ihrer Disposition stellt, gefährlichen Neigun gen, Leidenschaften, die zu Verbrechen werden können, Nahrung giebt?" Damit kommen wer zugleich aus einen Punkt, auf den der Ver fasser besonders viel Gewicht legt: er zeigt nämlich, daß die Schul- denbaft die Wirkung hat, den Wucher zu begünstigen, und allerdings erscheint dies als einer dcr bedenklichsten und zugleich gegründetsten Vorwürfe, welche dieser Institution zu machen sind. Diese Industrie scheint in den großen Handelsstädten Frankreichs mit einer Leichtig keit und Publizität ausgeübt zu werden, über die man erstaunen muß. Einzelne Geschichten von der Unverschämtheit der Wucherer find bekannt; auch unser Verfasser zitirt einige kuriose Beispiele, die mchr aus einer Satire oder aus einer Sitten-Komödie genommen scheinen, als aus der Wirklichkeit. (Schluß folgt.) Ampere der Aeltere. Nach Arago's Gedächtnißrede in der Akademie der Wissenschaften. Ampere wurde in dem Dorfe Polömieur in der Nähe von Lyon am 22. Januar 1775 geboren. Er stammte von einer rechtlichen, aber mit zeitlichen Gütern nicht überflüssig bedachten Familie ab. Wie bei allen ungewöhnlichen Geistern, zeigten sich auch bei ihm schon frühzeitig Spuren einer höheren Begabung. In seiner ersten Kindheit beschäftigte ihn die Zahlenwiffcnschaft, deren Schwierigkeiten er spielend löste, und das Lesen ernster Bücher. In seinem dreizehn-