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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration» Preis W,- Sgr. Tblr.) oiertelhihrlicb, z Lhlr. süe das ganze Jahr, «hne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie, Magazin für die Man »ränumcnrt auf dieser Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz s» wie im Auslande, bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 146. Berlin, Mittwoch den 6. Dezember 1837. Spanien. Cervantes und Don Quixote. Die erste Amerikanische Ausgabe eines Spanischen Klassikers — nicht etwa eine Ucberlragung, sondern der Urtext mit sehr schätzbaren Erläuterungen begleitet — liegt vor uns. Eine solche Erscheinung ver dient näher besprochen zu werten; sie beweist uns nicht bloß, daß man sich in Amerika mit der Spanische» Literatur immer mehr bekannt und vertraut macht, — sie deutel zugleich, im Zusammenhänge mit vielen anderen. Thalsachen, auf den großen Prozeß geistiger Befreundung hin, welcher zwischen allen civilistrlcn Völkern im Werke ist. Diesen Prozeß haben die Begebenheiten und Umwälzungen der neuesten Zeit thcils cingeleiict, thcils rascher gefördert. Früher saß jedes Volk innerhalb seiner Gränzen eingepfercht und wußte von seinen Nachbarn kaum so viel, wie wir jetzt von Siam oder Japan. Ein Strom, eine Bergkette, eine imaginaire auf der Karle gezogene Linie schied ein Land von dem anderen vollständiger, als jetzt der weile Ocean. Wie Hal sich dies geändert! Die Theile des christlichen Staaicn-ShstemS stehen in Mit leidenschaft zu einander, wie Glieder und Organe eines und desselben Körpers; die äußersten Enden Europa'» sind einander näher gerückt, als vormals die Provinzen einer Monarchie. Die schnellen und leichte» CommunicationS-Mittel, die wir den neuesten Entdeckungen der Wissen schaft verdanken, werden das klebrige thun. Schon jetzt braucht man zu einer Reise von Brilanien, dieser ultimr, TIruio der Allen, bis in die südlichste Spitze von Italien weniger Zeil, als Horaz zu seiner Fahrt von Rom nach Brundusium. Ein fashionabler Tourist besucht mil dem Dampsboot binnen etlichen Wochen alle Plätze, die in der Iliadc und Odyssee namhaft gemacht werden. Jeder ansehnliche Hafcn- platz des Europäischen Festlandes wimmelt von Reisenden; Paris und Rom zählen ihre Gäste zu Zehntauscnden. Ja, es besucht heutzulage so Mancher fremde Länder, der im eigenen Vaterlandc nie über die nächste Nachbarschaft, über den Horizont seines Dorskirchlhurms hinaus gekommen ist. So gedankenlos und stumpfsinnig ist denn doch wohl Keiner, daß ihn im fremden Lande, unter fremdem Volke nicht eine Art Neugier oder Wißbegier anwandeln sollte, die Sprache, die Schriften, die Meinungen, die Sillen desselben kennen zu lernen. Dabei fehlt cS auch nicht an geistig empfänglichen und gebildeten Reisenden, die ein ernsteres Interesse für Kunst und Lilcralur einer fremden Nation mit nach Hause bringen und dasselbe durch gründliche Studien bethätigcn. Es zeigen sich die Wirkungen hiervon in den Reformen, die das AnlerrichtSwesen in unseren Zeilen erfährk. An den beiden neuen Lon doner Universilälcn werden nicht bloß über die allen klassischen Sprachen, sondern auch über alle neuere Literaturen Vorlesungen gehalten; es sind Dichter und Schriftsteller in sehr schätzbaren »eilen Bearbeitungen erschienen, zum Beweise, daß die Professoren aus ihren Posten nicht müßig sind. Viele Zeitschriften, meist sehr geschickt und zweckmäßig redigirt, wirket, zu dem gemeinschaftlichen Zwecke, das Publikum mil den Leistungen der Lilcralur und Kritik des Auslandes bekannl zu machen. Die Engländer haben sich bisher mehr mil der politischen, als mit der literarischen Geschichte fremder Völker befaßt. Die Geschichte Spaniens namentlich har in England sehr ausgezeichnete Darsteller ge- fimdcn, von denen nur zu bedauern ist, daß sie sich beinahe ausschließlich mit den auswärtigen Slaatsverbandlungen und Kriegen der Spanischen Könige befaßt, den iiiucrcn Zustand des Landes und Volkes aber im Dunkeln gelassen haben. Aas bekannte Werk von Robertson ist eine Geschieh,c, nicht Spaniens, sondern Europas zur Zeit der Regierung Karls V. Watson s „Regierung Philipp'« H." würde mil größeren! Recht den Litel: „Der Niederländische Befreiungskrieg" führen, denn dieser macht den Hauptinhalt aus. Hingegen sind in den letzten Jahren in Nord-Amerika, oder von Nord-Amerikanischen Verfassern, nicht weuigc Schriften erschiene», welche über de» gesellschaftlichen Zustand, den Charakter und die geistige Bildung der Spanischen Nation Licht und Aufschluß geben. An Wasbingwn Irving wollen wir hier nur erinnern, da seine neuesten Werke gewiß jedem Leser, mindcstcns dem Namen nach, bekannt sind. Lieutenant Slidcll hat seine Reise durch Spanien beschrieben und die eigenthümliche sociale Pbvstognomie dieses Landes mit großer Lebendigkeit stizzirl. Cushing's „Erinnerungen aus Spanien" sind zwar ein Gemisch von Wahrheit und Dichtung/enthal te» aber nichtsdestoweniger sehr gründliche und mühsame Forschungen über besonders interessante Punkte der Spanischen Geschichte. Des verstorbeucn Professors Licknor „Vorlesungen über Spanische Literatur", am Harvard College zu Cambridge gehalten, sind »och uugcdruckt; sie gebe» eine umfassende kritische'Darstellung, dergleichen man in kemcm Spanischen Werke sinder, und lassen, was Reichhaltigkeit und Vollstän digkeit betrifft, sowohl Bouterweck als dessen Ausschreibcr, den glanzend beredten Sismondi, weit hinter sich. Ticknor's Nachfolger, Longfellow, durch mehrere verdienstliche Schriften bekannt, hat die „Gollas sie istsmigue", die schönste Perle der Castsiischcn Poesie des IStcn Jahr hunderts, trefflich ins Englische übertragen. Vöu Elliot aus Phila delphia haben wir eine sehr gewandte Ücbcrsetzung der „Geschichte des Quevedo", keine leichte Arbeit. Gegenwärtig nun Hal uns Herr Sales, der an demselben Harvard College Lehrer ist, den Fürsten der Castilischcn Klassiker, Cervantes, in einer neuen Ausgabe vorgeführl, die in vielen Stücken eigenthümliche Vorzüge besitzt. Wir nehmen davon Gelegen heit, das Buch selbst, den Don Quixote, und seine Bedeutung für die damalige Zeit zu besprechen. Wir haben es ja mit einem Werke zu thun, das populair in einem Umfange geworden ist, wie schwerlich ein anderes, und das nicht bloß den Spaniern, sonder» in Wahrheit dem ganzen lesenden Europa als ein Licblingsbuch angehört- Cervantes lebte zur Zeit Philipp'« II., als die Spanische Monarchie von der Höhe ihrer Macht bereits zu si»ken änfing, aber sich mit den äußerste» Anstrengungen auf derselben zu behaupten suchte. Das Reich begann schon an Altersschwäche zu leiden und strebte doch »och immer, sich auszudehnen; es halte seine Flotten auf allen Meeren, cs führte Krieg in der alten und in der neuen Wilt. Die Waffe» im Dienste des Königs und der katholische» Religion zu führen, war die einzige Ehre des Ekelmannes. Alle ausgezeichnete Dichter und Schriftsteller, welche Spanien damals zählte, haben in Len Kriege» Karl'S V. und Pbilipp'S II. gefochten, sie müßten denn geistlichen Standes gewesen sch». Cervantes war arm, aber aus altem edlem Geschlecht; überhaupt wenn ein echter Castilicr sonst nichts hat, so hat er doch einen Stamm baum- Auch er führte in seiner Jugend und in der ersten Hälfte seines Manncsalters ein unruhiges und abenteuerliches KricgSlebcn, von dem er auch dann »och nicht lassen wollte, als er in der Schlacht einen Arm verloren halte. Unler mannigfachen Schicksalen sah er alle Länder rings um das Mittelmeer; fünf Jahre, brachte er als Christen-Sklave in Algier zu. Doch war diese Zeil für ihn nicht verloren; hier faßte sein scharfes Auge das muselmännische Lebe» aus, dessen Pracht und schwelgender Luxus in mehreren seiner Erzählungen mit so glänzenden und brennenden Farben geschildert ist. Nachdem er viel erfahren und unglaublich viel erduldet, kehrte er in sei» Vaterland zurück, mil Ruhm und mit Narben bedeckt, arm an Geld, reich an Beobachtung und Kennlniß des Lebens, einen Schatz in sich tragend, den er später in seinen Nomanschöpfungcn wuchernd aiilcgte. Er konule sich übrigens auch jetzt zu einem sitzenden, unlbätigen Leben nicht bequemen Wir finden ibn da und dort, in den verschiedensten Provinzen Spaniens; auf seinen Wanderungen benutzte er die reichliche Gelegenheit, die sich ihm bot, den Volkscharakter zu studiren. In Andalusien mag er die Muster für den lebendig sprühenden Witz, die seine Ironie gesunden Haden, womit so viele seiner Romanfiguren ausgestatlel sind; in Sevilla machte er ganz besondere Bekanntschaft mit der Brut von ingeniös»« hichstznz, von Gaunern und Beutelschncidern/ welche in seine» Pica« resco-Nopellcn eine so respektable Rolle spielen. In der Manchs end lich bat er nicht bloß die Geographie zu seinem Lon Quixole stukirl, sonder» auch a» den Söhnen dieser edlen Landschaft den wuuderlicheu Kontrast von überspanntem Stolz und kläglicher Armuth, welchen die Spanischen Komiker zu so mancher ergötzlichen Karrikatur auszubeuten gewußt baden. Bis dahin hatte sich Cervantes als Dichter nur durch seine „Galatea" bekannt gemacht. Es ist darin viel dichterische Schön heit an eine Art von Poesie verschwendet, die für unsere Zeit ungenieß bar geworden ist. Das damals sogenannte Hirtengedicht (Pastor»!'-) hat etwas UnnalürlicbcS, Gezwungenes und Geschmackloses; von natur« gettcuer Charakter-Auffassung, worin Cervantes' größte Stärke lag, kann darin gar nicht die Rede sehn. Er bat auch eine große Anzahl Schauspiele verfaßt, die aber sämmtlick verloren sind, bis ans zwei zu Ende de» vorigen Jahrhunderts wieder aufgesundeiic. Eines von diesen, „die Belagerung von Numantia", bewährt in kühner und richtiger Charakterzcichnung und in dem kräftigen Kolorit der Darstellung die Hand des Meisters. Erst im 37stcn Jahre seines Ledens legte Cervan tes die letzte Hand an den erste» Theil seines Don Quixote. Ueber- haupt sind alle ausgezeichnete Romane hierin anderen Erzeugnissen der Dichter-Phantasie unähnlich, das Produkt dcr späteren Lebensjahre ihrer Verfasser. Die Schule des NomandichtcrS ist die Well, deren mannigfaltige Erscheinungen und Kräfte man nur durch eine lange, sorgfältige Uebung kennen und behandeln lernt. Der Verfasser crzäblt uns selbst, daß er an seinem Don Quixole zu schreibe» anacsange» habe, als er just im Gefängnisse saß. Wodurch er sich diese Has! zu-