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460 ins Gesängniß gesetzt und die Kinder für frei erklärt. Unter diesen Kindern zahlten einige kaum 2 bis Z Jahre, andere wieder 12 bis IS. Die Letzteren erklärten vor der Obrigkeit,' Ye sehen nur aus Noth von ihren Aeltern verkauft worden; auch hätten Ye gar keine Lust, in den Schooß ihrer Familien, wo Entbehrungen jeder Art ans fle warteten, zurückzukchren. Man setzte Ye dieser Erklärung zufolge in Freiheit. Dann ließ der Magistrat zum Besten der kleinen Kinder Listen herum- < gehen und Jeden, der eines oder mehrere derselben an sich nehmen wollte, zur Unterzeichnung seines Namen« aufsordern. Alsbald schrieben sich die reichste» und angesehensten Bewohner, sowohl Muhammedaner als Hindu'«, in die Listen ein. Die Hindu'« zeigten anfang« weniger Eifer; nachdem aber Einer von ihnen den klebrigen bemerklich gemacht hatte, daß diese Kinder, die Alle von Hinduschen Aeltern waren, ihre Religion verändern würdrn, wenn sie in muselmännische Familien kämen, so bestürmte die ganze Hindusche Aristokratie die Obrigkeit mit der Bitte, da- sie doch die Muselmänner auf den bereit« geschloffene» Listen wieder streichen Mächte. E« entspann sich nun eine lange und heftige Debatte über den Gegenstand, die die Behörde nicht ohne große Mühe beschwichtigen konnte. Dieser Erwerbszweig hat öfter traurige Ergebnisse; denn er reizt die Habsucht vieler armen Leute, die sich dadurch bewegen lassen, Kinder zu stehlen oder gar mit Gewalt zu rauben. Die Räuber kleiner Kin der sind in Ostindien eben so zahlreich und gefürchtet, als die Taschen» diebe am Eingang der Schauspielhäuser in London. Bor mehreren Jahren kamen in Delhi eine Zeitlang sehr viele Kinder abhänden. Lange forschte man vergeblich nach den Vermißten; endlich sand ein Baler seine kleine Tochter auf dem Gebiete de« Radscha von Putiala; sie wurde sogleich nach Delhi zurückgebracht, und ihre Aussagen veran laßten die Verhaftung einiger Verbrecher. Das Kind war Abends mit einem anderen kleinen Mädchen ausgegangen, um Holz einzusammeln, al- eine alte Frau sie anging und ihnen sagte, sic wolle das Holz kau fen. Die Mädchen folgten der Alten in ihre Wohnung, um das Geld dafür zu empfangen; kaum aber waren sic an Ort und Stelle, als man Ye Beide in einen Keller einsperrle. Einen Tag daraus wurden sie herausgebolt und jede in einen großen irdene» Wafferkrug gesteckt, den man auf den Rücken eine« Ochsen packle. Dann setzle sich die Kara wane in Bewegung und kam ohne Schwierigkeit zum Sladlthor hin aus. Ein anderes kleine« Mädchen wurde um dieselbe Zeil seinen Aeltern zuruckgestcllt; dieses aber verdankte seiner Entschlossenheit seine Befreiung. Da« Kind zählte nicht über 8 Jahre und hieß Mussumanl Goumanv. ES hatte sich eines Abends von seinen Gespielinnen verirrt und war von einem Manne ergriffen worden, der es mit Gewalt nach einem Boole schleppte. DaS Boot ging unter Segel und hielt nach zweitägiger Fahrt vor Manilla-Gendschi, wo Schcik-Buddan — so hieß der Räuber — einem reichen Bewohner der Sladt das Mädchen, da« er für seine Schwester ausgab, znm Kaufe anbol. Der Handel wurde mit 14 Rupien geschloffen; aber der Käufer wollte das Geld nicht eher herauSgeben, bi« Scheik-Buddan in Gegenwart de« Darogba wiederholt hätte, daß die junge Goumany seine Schwester seh. Der Mann wil ligte ein; denn errechnete auf den Schrecken, den seine Drohungen dem Kinde cinslößl; aber die kleine Goumanv besaß Herzhaftigkeit genug, ihm zu widersprechen und dem Darogba Alle« zu erzählen, was sich zu- getragen batte. Der Räuber wurde gefesselt nach Dschelalpvhr gebracht, wo man ibm Peitschenhiebe und lange Gesängnißstrafe zuerkannle. Die Vorsicht, welche der Käufer dec kleinen Goumanh bei dieser Gelegenheit an den Tag legte, ist übrigens etwas Seltenes in Ostindien; gewöhnlich schließt man dergleichen Käufe ohne weitere Erkundigung ab. Der Indier versetzt sich nicht in die Lage der trostlosen Aellern, denen man ibr Kind geraubt Hal,, und doch würde man ihm sehr Unrecht thnn, wenn man ihn für einen gefühllosen Egoisten balle wollte. Im Gezentbeil, er ist edelmütbig und uneigennützig; ein Freund kann über seine Habe, ja über sein Leben verfügen; aber seine Neigungen sind nur einem kleinen Kreise zugewendet. Außer seiner Familie und einigen Freunden inleressirl und rkbrl ihn Nichts — er besitzt engherzigen Edclmulb. Dieser Gleichgültigkeit de« Hindu'S gegen alle« ferner Sie bende verdankten e« die berüchtigten Thug'«, daß ihre Mordlhaten so lange ungerächl blieben. Die Thug'« verließen zu bestimmten Zeiten ihre Wohnungen, kehrten mit fremden Waaren bepackt wieder und leb ten herrlich und in Freuden. Ihre regelmäßigen Wanderungen und ibr Luxus erweckten großen Verdacht; da sie aber ihr schreckliches Gewerbe nur in bedeutender Entfernung trieben und am heimischen Heerde gute Nachbarn, gute Väler und treue Freunde waren, so dachte kein Mensch daran, den Thug'« auch nur ein Haar zu krümmen. Ist ein Kind seiner Familie entrissen worden, so kommt e« nur sehr selten zurück. Zuweilen verhaftet man die Verbrecher, wenn sie ihre Beute schon lange verkauft haben; dann bleiben sie im Gesängniß, bi« da« Kind wiedergesunden ist, wa« in den meisten Fällen einer ewigen Kerkerflrafc gleichkommt, klebrigen« ist da« Verfahren der Hinduschen Justiz nichts weniger al« summarisch und sichert den Angeklagten vor ungerechter Berurtheilung. Zuerst wird die Sache einer schlichten Polizei-Behörde übertragen, die kleineren Vergehen mit angemessenen Strafen, z. B-, fechsmonatlicher bi« zweijähriger Hast, Geldbußen von 30V Rupien, u. dgl., belegen darf. Hat da« Vergehen eine härtere Strafe verdient, so schickt der Polizei-Beamte den Schuldigen vor die Assisen, die ibn bi« zu vierzehnjährigem Gesängniß verurtbeilen können. Eine muhammedanische Gcricht«persou wohnt diesen Verhandlungen im mer bei und schreibt, wenn sie beendigt sind, auf die Rückseite de« Akten-Bande« da« Fetwa oder den Artikel au« dem Gesetze Mubam- nied'«, welcher auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Dann fügt er noch Siegel und Unterschrift bei und schickt die Akten an den Gerichts hof. Wen« das Fetwa den Gefangenen frcispricht, oder »crurtheilt, und der Gerichtshof damit einverstanden ist, so wird dasselbe unverzüglich vollstreckt; im entgegengesetzten Fake kommt die Sache vor da« Gericht erster Instanz, Nisam Edderlet genannt, von dessen Aussprüche» nicht weitrr appellirl werden kann. Die Indischen Kinder-Räuber brauchen keine so Mane Taktik anzu wenden, wie ihre Kollegen in Pari« und London. Einige Leckerbissen oder eiu Spielwerk reichen schon hin, um da« Opfer zu gewinnen. Zu weilen bedienen fle sich auch eine« Tranke«, „Daluzä" genannt, der, in mäßiger Quantität genossen, einen tiefen Schlaf, in starker Quantität aber den Tod zur Folge Hal. Vor wenigen Jahren vergiftete ein Dieb mit diesem Getränk eine ganze Familie. Am liebsten fleblen die Indier Kinder au« ärmeren Klaffen, weil da« Verschwinden derselben «eil we niger Nachsnchungen veranlaßl. Darum sind aber die Kinder der Reichen keineSwcge« sicher: diese werden um der Edelsteine, Armbänder und Geschmeide willen, die sie an sich trage», fortgeschleppt, nach Ler Be raubung erdrosselt und dann in Brunnen oder Flüsse geworfen. Außerdem drobt den Kindern der Indier sehr ost die Gefahr, auf den Altären der Göttin Kali oder Derga, eine« bösen Geniu«, geop fert zu werden. Im Jahre 1821 geschah c«, daß ein Knabe, der bei einem Dorfe au der Gränz- der Provinz Dschinlia eine Heerde weidete, von Personen überfallen ward, die ihm einen Knebel in den Mund flecken wollten; der Kleine schrie noch zu rechter Zeit au« Leibeskräften, und die herbeicilendcn Bauern bemächtigten sich der Ucbelthäter. Einer von diesen Menschen erklärte vor Gericht, daß Wolschcng Nenyanl Quar, Schwager des Rani Singh, Radscha'« von Dschinlia, ihnen befohlen habe, ein Kind irgendwo zu rauben, um es der Göttin Kali zu opfern, damit sie seinem Weibe, der Schwester des Radscha'«, Fruchtbarkeit be willige. Dieses Gcständniß, da« die beiden anderen Gefangenen bekräf tigten, begleitete der erste Geständige mit einer genauen Beschreibung des Ceremoniel«, da« man bei solchen Opfern beobachtet. . Die Britische Regierung ließ dem Radscha von Dschinlia sofort anzeigen, daß fle, fall« man ein solche« Verbrechen noch einmal versuchen oder ausführen sollte, die sofortige Auslieferung derer verlangen wurde, welche Veranlassung dazu gegeben hätten. Auch bedeutete man ihm, es werde die Urheber, zu welchem Stande sie auch gehören möchten, die härteste Strafe treffen. Der erschrockene Radscha betheuerle, er habe an dem Verbrechen durchaus keine» Theil genommen, und gelobte, dar über zu wachen, daß so gräuliche Opfcr in seinen Staaten nicht wieder verkämen. Die Göttin Kali hat jedoch leider über den abergläubischen Hindu gar zu große Gewalt. In Zeilen allgemeiner Noth oder herr schender Seuchen erwartet man das Heil von blutigen Opfern, die auf dem Altar dieser Göttin geschlachtet werden. Selbst die Muhammedaner halten Kali für einen mächtigen feindseligen Dämon, und man darf mit Grund befürchten, daß, trotz der Versprechungen de« Radscha'« von Dschinlia und der Wachsamkeit de« Britische» Gouvernement«, noch manches Menschenopfer diesem angcbeleten Scheusal fallen werde. (ä. ä.) Mannigfaltiges. — Bartholemy'« Virgil. Nisard's geharnischter Aufsatz gegen die „leichte Literatur", und da« Beispiel, das er selbst durch seine Ge schichte der Lateinischen Dichter der späteren Zeil gegeben, scheinen in der Thal nichl ohne Einfluß auf mancherlei Bestrebungen in Frankreich geblieben zu ftvn. So lasen wir kürzlich von I. I. Ampöre eine geist volle und ausführliche Krilik des Ausoniu« und seiner Zeit, von Granier de Cassagnac eine Darlegung de« religiösen Leben« der Griechen und Römer, und jetzt beschenkt uns gar Bartholemy, der leichtfertige Sänger der Villeliade und früher bekanntlich der poetische ZwillingS- bruder Mervs, mit einer neneu Uebersetzung der Aeneide! Wir können dem Französischen Publikum nur Glück dazu wünschen, wen» es wieder Aufmerksamkeit genug für die Meisterwerke der Alten besitzt, und Herr Bartholemy ist ganz dec Mann dazu, diese Aufmerksamkeit zu fesseln. Freilich bat er darum eben so wie seine Vorgänger zu dem einmal mundrechten Alexandriner seine Zuflucht nehmen müssen, aber unter seinen Händen gewinnt dieser wirklich eine gewissermaßen klassische An- mulb, und so wird er wohl auch den Vergleich mit Virgil's gefeilten Hexametern viel eher vertragen können, al« der Alexandriner Delille'«, der in seiner llebersctznng dcr Aeneide diese durch mancherlei Zusätze total verändert und eher ein Seitcnflück zu Voltaire'« Henriadc al« einen Widerhall de« Lateinischen Epos geliefert hat. Zwar sind in Frankreich nciterdingS Versuche gemacht worden, den reimlosen Bers einzusübren, und namentlich ist die« dem Herrn Oberst Lefranyoi« in seiner kürzlich vollständig (mit dem Original on cegsrsi) erschienenen Uebersetzung der Schillerschen Trilogie des Wallenstein gelungen; aber diese Versuche habe» weder bei der Kritik noch beim Publikum Anklang und Eingang finden wollen, und so wird es wohl für jetzt noch beim Alerandrincr verbleiben müsse». Wir geben hier zur Probe, weil fle allen des Originales kundigen Leser» noch am meisten im Gedächtnisse sind, die Eingangsworte dcr Aeneide, nach ter Uebersetzung de« Herrn Bartholemy, mit den vier apokryphischen Anfangs-Zeilen: ^eaa« evoore, »ur i'^kkriK me« Premier.« roll'«; vopoi«, qnittLvt le» boi», par me« douoei le^oon Aoeur du iobourour >L terre. ^^uurd'kui, deruuiant «ter im»xv» de pMerre, ^e elmote e.e Iieron, qui )ouet du de«tti» ^>e Premier viot »u nr-xe lotiu I-»uttL eootro io eie! et dluosa «aorron^ee; ili e«t » ,ul))Nstuer de« pe»p!eo enimmi«, L'our troorportor «e« dieux »u l^tium promi», kt sooder le deroe»u de» xr»nde« orirrio«,», Vo« doo de liome 2ux »ept eolliae» HerauSgegcbcn von der Nedaction'der Allg. Prcuß. Staat«-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann^ Gedruckt bei A. M. Hayn.