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276 Versbau ist häufig hart imd mit Spontecn zu sehr überlade», die Elisionen sind zu päufig »nd die Cäsur nicht selten vernachlässigt. Die Sprache endlich bat selbst an solchen Steilen, wo der Gegenstand cs wohl zuqelaffcn haben würde, nicht den gehörigen Schwung. Hieronymus Fracastorio erwarb sich seinen Ruhm durch da« Ge dicht von der Svphilis, welches im Jahre 1830 erschien. Hat man sich nur einmal über die Wahl dieses Gegenstandes zufrieden gegeben, so muh jeder Leser mit großer Bewunderung über die Schönheit und Mannigfaltigkeit der Digresstonen und über die Kraft und den Adel der Sprache erfüllt werden. Niemand Hal c« so wie er verstanden, die Lehren einer durchaus praktischen Wissenschaft in die höchste Anmuth einer reizenden Poesie zu kleide», ohne Schwulst, ohne Uedertreidung, ohne Dunkelheit und im Allgemeine» auch mit einer außerordentlichen Wahrheit und Treue. Fracastorio zeigt sich weniger als ein Neben buhler des Dichters der Gcorgita als des Manilius, den er in einem volleren Grade als de» Lucretm« sich zum Muster in den didaktischen Theilen seine« Gedicht« genommen zu Haden scheint") Bei einer Vergleichung dieser Dichter untrr einandcr stellt e« sich leicht heraus, daß Fracastorio der größere Dichter ist, Sannazaro ihn aber in der Kunst des Lateinischen Versbaues übertrifft. In der gcgen- wärtigen Zeil sehen diejenigen, welche überhaupt meinen, daß gar nichts in Lateiniscdcr Sprache gedichtet werden soll, wcil sic sich einbilden, es sey nicht möglich, sich in dieser Weift gut auszudrückrn, auch aus Dich- »cr, wie Fracastorio und Sannazaro waren, mit vornehmem Hochmuth ssuneroiliou» liitz'lain) herab. Solche» kann man eigentlich gar nicht antworten, weil sie nicht wisse», was gute Lateinische Gedichte sind, und es daher sich nicht der Mühe lohnt, ihnen zu widersprechen. Denn es ist mit ihnen ganz dasselbe Vcrhältniß, als wenn durchaus un musikalische Menschen sich den kompetcnicn Bcurtheilern musikalischer Aussührungcn gcgcnüdcrzusielltn waget!."") Noch hat Niemand behaup tet, daß Sannazaro ans Tiner Siuse mit Ariosto stände. Ader da« kann man mit Wahrheit behaupte», daß seine Gedichte in jeder Bezie hung die meisten der gleichzeitigen Italiäncr übertreffe», und daß sein Rus durch ganz Europa verbreitet war. Nach diesem berühmten Triumvirate verdient Bembo besonder« gc- namit zu werden, ein sruchlbarer Lateinischer Dichter, der auch sonst zu den bedeutendsten Schriftstellern Italiens aus dieser Zeit gerechnet wer den muß. Sein Verdienst war es unter Anderem, daß die Ilaliänischc Sprache die ihr gebührende Stelle neben der Lateinischen Sprache er hielt. Seit dem vierzehnten Jahrhundert war in Italien die Liebe zur alicn Literatur in einem solchen Grade herrschend geworden, daß die Landessprache, mit aller ihrer Schönheit, ihrem Rcichlhume und der Bildung, die sic unter Boccaccio'« Händen crlangt Halle, aus einer argen Pedanterie für kaum würdig erachtet wurde, hei erhabene» und großen Gegenständen gebraucht zu werden. In einer Rede, welche Romulo Amaseo, einer der guten Schriftsteller des sechzehnte» Jahr hunderts, zu Bologna im Jahre 1529 vor dem Kaiser und dem Papste hielt, eribeiltc er nicht allein der Lalcinischen Sprache die größte» Lob- sprüchc, sondern cntblödcle sich auch nicht, zu sagen, daß die Italianische Sprache allein für den Kramladen und die Wcrkställe, so wie für den Verkehr mit gemeinen Leuten tauge. Seine Ansicht war allerdings stark ausgesprochen, aber sie war nicht ungewöhnlich in diesem Zeitalter. Aus dieselbe Streitfrage bezieht sich ein Dialog Speronc's, in dem untrr , Anderem eine der sprechende» Personen (wahrscheinlich Lazaro Buona- mici, ei» großer Gelehrter) seine Muttersprache eine bloße Corruplion der Lateinische» Sprache schilt. Die Gründe werden von beiden Seite» mit Grist und Scharssinn erwogen, und so gcwährl der Dialog eine ganz angenehme Lektüre. Unter diesen Umständen war e« augenscheinlich rin Beweis sehr liberaler Gesinnung, wie cs sich wohl mit großcn Talrntcn vercinigl sindct, daß Bembo, der al« Lateinischer Schriftsteller eines weil ansgebrei« leieren Rufe« genoß als Amaseo, einer der Ersten sevn wollte, der seinrr Muttersprache ihre Ebre wieder verschaffte, indem er die Eleganz und glückliche Wahl de« Ausdruck« mit demselben Geschmack, den er sich in der Lateinischen Sprache erworben Halle, auf dieselbe überlrug. Daher heißt es in Speronc's oben angesühriem Dialoge, daß zu jener Zeit die allgemeine Ansicht bestanden habe, cS würde Niemand Italiänisch schreiben, der im Stande wäre, Lateinisch zu schreiben, und daß die« Vorurtheil zwar einigermaßen durch Poliliano'S Gedicht auf das Tur nier Juliens von Medici widerlegt wäre, aber doch nicht früher ganz vertilgt worden seh, als bis Bembo, ein Vcnelianischcr Edelmann und gelehrter Kenner der Lalcinischen Sprache, seine Landsleute von neuem gelehrt habe, ihre Muttersprache achten. Es ist den, gcgenwärligcn Zeitalter sehr gewöhnlich, einen ganz unmotivirlen Tadel über diejenigen auSznsprcchen, welche Lateinisch schreiben, gleichsam al« ob sie sich dadurch an der Sprache und Lilcra- lur ihre« Landes versündiglen. Nun ist freilich nicht einem Irden der Geschmack und die Phantasie Bembo « gegeben, aber wir muffen auch zu Gunsten solcher Männer, wie Amaseo war, die srestich nur Nach- ") Von diesem berübmren Gedickte veranstaltete Lkoulant eine sehr ele. aanrc Ausgabe ;u Leimig lm Jahre ttM, so wie im Jahre l82t Fröbel zu Rudolstadt eine solche von der de« Vida. ") Man erstehr hieraus, daß eS auch in England nicht an geute» kehlt, welche den so nützlichen und anniuthigen Besckäiliquimen mit »ateimichev Poesie das Todesurtheil sprechen, wie das denn aucv m Deutschland jetzt nicht selten acschieht. Aber wenn auch manche Engländer von ihren Schulen in Eton und ürsord oder manche Deutsche von den Sächsischen Furstenschulen unangenehme Erinnerungen mitgenommen haben, so soll man doch nicht das Kind mit dem Bade auSschiitteu: und wenn gar Herr von Raumer in keinen schätzbaren Priesen über England die Versertiaung Lateinischer Verne eine „alte BockSbeutclei" nennt und mit ähnlichen Ausdrücken nicht unsrcigebig ist <II 2tz8>, so stndct eine so ungerechte Acußerung ibre beste Widerlegung in den oben angesührren Worten deS Engländer«. ahmcr bleiben, wenn sie auch sür elegante Nachahmer antiker Rede» weise» zellen, und zur Steuer der Wahrheit bemerken, baß es in jener Zeit kaum irgend ein Buch gab, welches mit einiger Eleganz in Zla- liänischcr Prosa geschrieben war, mit Ausnahme des Lccameron von Boccaccio, dessen Schreibart aber nach Tiradoschi's sehr richtiger Be merkung sür ähnliche kurzweilige Dichtungen ganz vortrefflich, weniger indeß für die ernste Beredsamkeit paßte. Lie Jtaliänische Sprache Halle also selbst in ihren besten Werken »och »ich, die Kraft und Prä» cision erreich,, welche dem Ohre und dem Verstaube eine« lüchligen Kenners der Lateinischen Sprache zusagen konnlen, und c« ist nicht bloße Pedanterie, wenn man auch solchen Vorzügen ihr Recht wider- sahren läßt. Der stärkste Einwurf, teil man gegen die Anwendnng der Lateinischen Sprache in Lffcnllichrn Reben ober in moralischen Ab handlungen gemacht Hal, dürfte wohl der sevn, daß dadurch diejenigen, denen wir eben dadurch zu nutzen trachlen, oder deren Aufmerksamkeit und Mitgrsühl wir zu erregen verpflichtet sind, eben dieses Vvrlhcil« verlustig gehen. Aber ein solcher Vorwurf, obschon er eigentlich damals mit eben solchem Rechte gemacht werden konule als gegenwärng, was die Gemülbcr weniger empfindlich in einem Zeitalter, wo ein langjähriger Gebrauch der alte» Sprache, in der ja auch sehr häufig gepredigt wurde, da« Gesübl für eine solche Unzweckmäßigkeit im öffentlichen Verkehr gar nicht auskommcn ließ. Dieser Streit bezeichnete übrigen« zugleich die Acnderung i» der öffentlichen Meinung und eröffnete gleichsam da« Schauspiel eines Kampscs gegen die Aristokratie einer Gelehrsamkeit, die länger al« zwei Jahrhunderte hindurch ihre Herrschaft geübt batte, bis er endlich nach manchen Bewegungen von größerer Wichtigkeit mit dem Siege der großen Menge cndigle. Als Poggio und Politiano lebten, verlangten die eingeborenen Italiäncr sür ihre Landessprache eben so wenig eine Gleichstellung mit der Lateinischen Sprache, als die plebejischen Römer in den erste» Jahren der Republik für sich die Tbeilnahme am Konsu late begehrten. Ander« war e« in Bembo'« Zeit. Und so zeigen die Revolutionen de« menschlichen Geiste« große Achnlichkcil mit denen der politischen Geschichte, nnd c« wird ganz besonder« die Aufgabe eines Luerar-Historikcrs sevn, aus solche Analogie«» ausmerksam zu mache». Bibliographie. Vonelia. — Roman von D'Israeli dem Jüngeren. 3 Bdc. 3«i Sb. 'Uso'« llnrusalvm. — Uebersetzt von I. R. Broadhead. 2 Bdc. Outline« »k tüo lu» , or tcooüing« so»,» lila, lc«to»e. — Von R. Maugham. 10 Sb. Püree vozeage« in tüe lilaclc 8ea. — Von dem Niederländischen Konsul m Odessa, Chevalier Taiibout tc Mariguv. Mit den Ver vollständigungen desselben in« Englische übersetzt. 10' Sh. Mannigfaltiges. — Deutsche Literatur in Italien. Derselbe Ilaliänischc Kritiker, Herr Cesare Caulu, über dessen sonderbare Begriffe vom Griechischen Alterlhum wir letzthin gesprochen habe», hat auch eine» „Versuch über dic Deutsche Literatur ' drucken lassen.") Daß der ein seitige Standpunkt, von welchem au« er die Griechen de« Miltiabe« und'Aristides für Barbaren ansieht, ihm auch dic Deutsche Literatur in einem mehr oder weniger falschen Lichte darstellen muß, läßt sich wohl crwartrn. Daher bat auch Herr Caulu sür die beiden größten Rcsor- matorc» der Deutsche» Denkweise, sür Luther und für Lessing, weder da» Auffassung«-Vermögen, noch irgend eine auch nur annähernd rich tige Bezeichnung. In Luther erkennt er nicht«, al« den Grund der langen Unfruchtbarkeit Deutscher Phantasie und Deutschen literarischen Leben«. Er schiebt dem Luihcrlbum unter, was lediglich eine Folge der langen Deutschen Kriege war: tun Untergang aller wahrhaften Kunst und Poesie. War doch Luther selbst in seiner überwältigenden Prosa, wie in seinen majestätischen Chorälen, der größte Poel seine« Zeitalter«, und sind »ich, auch jene Deutschen Provinzen, wo da« Lulherlhum gar nicht bingekommc», Iabrhuudcrle lang eben so baar an poetischen und Kunst-Erzeugnissen geblieben, als ter protestantische Nordens Lcifing ist unserem Italiäncr ein Apostel des IndiffcrentiSmuS, ein tantalischcr Vermittler widerstrebender Elemente, ter ans dem Altäre Ehakespearc's mit den von Aristoteles vorgeschricbencn Formen opfern wollte. Wie sollte auch ei» Lessing, der in seinem ganzen Kunstleben »nd seiner Sokralischen Gesinnung nach ein antiker Grieche war, vor dem Manne Gnade finde», in dessen Augen da« heutige Nom weil über dem des Augustüischen Zeitalters stehlt Gleichwohl rechnet er cs dem Deutschen al« einen Mißgriff an, daß er die Geschichte der Römischen Virginia an einen kleinen Ilaliänischc» Hof vcrlcgk, wodurch seine Emilia Galotli ein so unwahrscheinlicher Cbaraklcr ge worden, daß selbst die höchste Poesie ihm kein dramatische« Leben ver leiben würde. Wir können hiernach ungefähr urtbeilcn, welche» Maß stab Herr Cesare Canin an die Deulschc Literalnr legt. Und doch ist sein krilischer Versuch als ei» wahrhafter Forlschrill zu betrachlen. Er zeigl wenigsten«, daß die Ilaliäncr nicht mehr wie sonst sich p^mit be gnügen, ans da« zu schwören, wa« ihnen dic Franzose» von der Lcul- schen Wissenschaft und Kunst vorgcsagl haben. Herr Can!» giebt un« seine eigenen Gedanke», und »ich! bloß die der Frau von Slaöl oder de« allerdings auch manchmal von ihm benutzten Genfer Lilcrar- Histo rikers Herrn Pcschier. Wer aber erst selbst denkt, kommt wohl am Ende auf dic Wahrheit, wenn er sich auch lange genug durch Irr- lhnmer hat hindurchwiuden müssen- ') Kull» lt.<ctorkt'irL UV'»,-"- . gj t-'esar« Oantu. - llUo-Nc-n-- äi ^ÜLuo, 8ett«ml)re, Aovembre Vievmlrre IA6, e keniiaiv H'ebkraio 1837. Herausgegeben von der Redaction der Mg. Preuß. Staats-Zeitung. Redizir! von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hay».