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274 in' der Tbat galten diese Beifallsbezeigungen weniger dein Genie des Komponisten, als seinem Tücl eines Landsmannes der Königin. Diese Fran, die mau bcjchnldiglc, ihren Bruder, den Kaiser, zu sckr zu lie ben, dursle kein Deutsches Talent prolegircu, ebne des Hochocrralbs angcklagt zu werden; sie mußte den EnldusiasinuS, den ihr diese herr liche Musik cmflößtc, unter der Miene der kältesten Glcichgulligtci! verbergen, sie mußte die Thränen, die ihr ins Auge traten, wenn sie den „Abschied der Zph>gcnia" Horle, znrnckhalicu, denn sonst lies sie ja Gefahr, den Verdacht zu erregen, daß nur die Erinnerung an ihr Vaterland ste rühre; sic mußte zittern, einer schuldigen Parteilichkeit angcklagt und „Ausländerin" oder „Ocstcrrcicherin" genannt zu werden, und wir wissen leider nur zu gut, wohin diese beiden Namen die un glückliche Frau führten. Obgleich ich keincswegeS so traurige Folgen meiner Verehrung für die' Eluckschc Musik zu fürchten Halle, umßic ich doch alles Mögliche thun, um sie meinem Baler zu verbergen; nur in seiner Abwesenheit wagte ich es, die schwierigen dramatischen Arien dieses Meisters einzu- studircn, und ost, wen» ich davon noch ganz erschöpft war, tarn mein Vater nach Hause, brachte Piccini mil, und kann mußte ich die großen Gesangstnckc aus der „Dido" vorlragcn, nachdem ich mich an „Alcestc" bciser gesungen Halle. Glücklicherweise wusste ich immer irgend «iuen Vorwand zu ersinnen, um die Schwäche meiner Summe, meinen Mangel an Atbcm zu entschuldigen, ohne jemals den wahren Grund davon einzugestchen, und diese Verschwiegenheit lohnte mir meine Mut ter immer mit einem dankbaren Blicke. Ich berichte diese kleinen unbedeutenden Thalsachcn nur deshalb, um meinen Lesern eine Idee von der hoben Wichtigkeit zu geben, die man damals auf die Musik legte. Das Erscheinen einer neuen Oper erregte mehr Interesse, als ein bedeutendes politisches Ereigniß; cS bil deten sich augenblicklich Parteien für und wider; man wagte sein Le ben für sein Idol, wie in jenen Zeilen, wo die Christen einander würglen, weil sic ihre Religion mißverstanden. Die Suchk nach Kampf und Streit ist aber den Franzosen so angeboren, daß sic schon bereit sind, sich für eine Kunst zu fchlagen, ehe sie dieselbe schätzen und lie ben gelernt haben. - Das Studium der Musik mußte in Frankreich so allgemein wer ben, wie es jetzt ist, um uns endlich auf die große Entdeckung binzn- sühren, daß es auf der Welt nur zwei Arien von Musik gicbt, die gute und die schlechte, und daß ein Meisterwerk keines Vaterlandes bedarf, weil cS überall als solches anerkannt werden muß. Mau bat sich so lange, und vielleicht auch mit Recht, über die Französische Musik lustig gemacht; nun aber muß man doch endlich gestehen, daß eine Schule, aus der Opern wie „Montano", „Aline", „Joseph", „die weiße Dame", „die Stumme von Porlici", „Fra Diavolo" und noch so viele andere treffliche Composttioncn hervorgegangen sind, auch ihren Rang unter den großen Mächten der Harmonie bchauplcl. (Schluß folgt.) England. Eine Stecknadel-Fabrik und ein JrrenbauS in London. (Schluß.) Ich zäblle etwa vierzig Irren, darunlcr einige sehr merkwürdige: der größte Theil war jedoch ohne besonders auffallende Eigcnschasicn. Es ist dasselbe Verhältnis, wie in dem geselligen Leben, wo die Mehr zahl flach und ohne Farbe ist. Die Originale sind nicht zahlreicher unter den Irren, als unter den vernünftigen Leuten. Nur zwei dieser Unglücklichen überhäuften uns mit Schimpfredcn, und sic waren au der freien Bewegung gebindert. Der Eine stack bis zum halben Körper in einer Art Schilderhaus und appellirtc mit gebundenen Handln au die Freiheit All-Englands. Aber die Gesetze der Freiheit beschützen nur diejenigen, die etwas von dem Verstände besitzen, der sic gemacht Hal. Ich begriff noch so viel, daß ich ihn an dem Doktor rächen sollte, welcher ihn fcincr Freiheit beraubt balle. Uebrigens sprach er dieses Alles ohne Folgerichtigkeit. Er ries mit derselben Wuth Worte, die gar keine Be ziehung auf seine Leidenschaft ballen und mil Schimpsrcdcn gemischt hcrvorsprudelten. Der Mann war einer von denen, von welchen die Wärter sagen'. Er ist böse. Wie viel noch böfcrc Menschen gicbt es, die frei sind, weil ihre Schlechtigkeit Methode bat, und weil ihre ver derbte Vernunft ihrem schlechten Instinkt zusammenhängende und folge richtige Gedanken zu Gebote stellt Die heilbaren Kranken sind mil denen vermischt, deren Uebel un heilbar ist. Ich halle wobl Lust, den Doktor zu fragen, ob dieses Zu- saiiiiiienskvn nicht die Gencsung verzögere, und ob die unheilbare Narr heit nicht ansteckend sch. Aber ich merkte, daß die Frage zu spekulativ «ar, und behielt sic daher für mich. Ich wollte nicht für einen lang weiligen Mensche» gelten. „Haben die Irren im Allgemeinen eben so guten Appetit, als ver nünftige Menschen?" fragte ich den Doktor. —.„Einige essen viel, die Mehrzahl wenig." — „Sind sic empfindlich gcgcn den Wechsel der Temperatur?" — „Einige; Ankere machen wieder keinen Unterschied zwischen Kälte und Wärme." — ^.Schlafen sie gut?" — „Einige wenig, andere niemals. Die übrigen wie vernünftige Menschen." — Unser Gespräch ward lebhaft. Ich vielt mich an die Sache. Der Dok tor aihmele aus voller Brust. Und dennoch hätte man kaum unter scheiden können, ob wir von Mensche» oder von Thieren sprächen. Der Doktor öffnete eine starke eiserne Thür, welche zu den Gemä chern der Frauen führte. Das Erste, was mir ausfiel, war das Aussc- hcu und der Anzug der Wärterinnen. Bei den Protestanten gicbt es keine fromme Schwestern, die ter Pflege der armen Wahnsinnigen oft ihr zartes und hohes Lebens-Vcebällniß weihen, die sich freiwillig in diese traurigen Gefängnisse einschließen lassen und von Jugend an das Aller und mil Verstand den Unverstand bedienen. Slail bescheidener und schweigsamer Nonnen, weiche mit ihrer Milgisl das Recht erkauft baden, Arme und Kranke zu pflegen, fand ich recht hübsche Dienstmät- chcn, mit oben ausgeschnittenem Kleide, bloßer Brust und Schullern, oder so durchaus lricht mil einem MusscUmnch verhüllt, wie alle Dienst mädchen in anständigen Häusern in England. Eine von ihnen sühne uns in el» Zimmer, wo drei friedliche Irren sich mit Nähen und Plätten beschäftigten. Die Plätterin verließ ihr Eisen, kam gerade auf mich zu und sagte mir, daß sie die Tochter Karbs des Ersten sev, welche ihre Feinte gegen alles Recht eingc- spcrrl hielten. Sic fügte hinzu, daß ihre Gefangenschaft nur eine kurze Zeit dauern, .daß sie endlich über ihre Feinde lriumphircn und einen Fürsten, der sic liebte, heiralhcn wcrkc, vorausgesetzt, sagte sic mir leise ins Ohr, indem ste aus den Doktor zeigte, daß Sic mir zu der Befreiung aus Le» Händen dieses Menschen Ihren Beistand leihen. Dan» nahm sic ihr Eisen wieder znr Hand und fuhr fort, mil vieler Geschicklichkeit zu plätten, die Worte König, Hcirath und Gcsäuguiß immer vor sich binmnrmelnd. Die beiden anderen schlugen nicht einmal die Angk» auf. Sic näblcn sehr schnell und gut, nur daß man ihnen zeigen mußte, wo sie anfaugcn und endigen sollten, ohnc welche Anweisung sic Allee durch eiuander zusammen nähe» oder wohl gar im Leeren fingern wür den, wenn auch ihre Arbeit vollendet wäre. Diese armen Frauenzimmer werden besser behandelt, als die übrige». Sie leben mit den Wärte rinnen zusammen, welchen sie i» allen ihren Arbeiten helfen, erhallen Thee und eine Slclle am Kamin. Der schwache Rest von Vernunft, welcher in ihre Finger übergegangcn zu keyn fcheinl, stellt sie mit dcn Hauslhiercn auf gleichen Fuß. Die meisten dieser unglücklichen heilba ren oder unheilbaren Frauen boten dem etwas unbarmherzigen Sinn Les Neugierigen, welcher nicht genug Ungewöhnliches in diesem großen Elende vorsinden kann und Neues bis zur höchsten Slufc des Unglücks haben will, nichts Interessantes dar. Einige irrten auf den langen Korridoren herum, stießen sich an, vielleicht auch ohne sich zu sehen, obnc sich zu sprechen, standen ohne Zweck still, blickten ohne Neugierde umher, sprachen und schwiegen ohne Grund, eine unwandelbare Trauer in ihren Mienen vcrralhend, obwohl ihnen innerlich das fehlte, waS irgend eine Trauer hätte begründen können. Es waren arme, nur noch vegctircnde Körper, welche die Abwesenheit des cdlcu Gastes, dcr ^eelc, die so lange in ihnen gewohnt hatte, zu betrauern schienen. Einige saßen in den finsteren Winkeln ihrer Zimmer, an einem Ort, den sie aus einem dunkeln Gefühl von Schaam auswäblen — als ob sie dadurch, daß sic ihren Bcrstand verloren, cincn große» Febllrilt begangen hätten. Andere hielten sich dicht an de» Fenstern, ohne daß sie etwa« betrachteten. Vielleicht glauble» sie im Finstern zu scyn! Diese Wahnsinnigen werden nicht vertraut mil cinandcr, obgleich sie sich täglich scheu; sie finden sich wieder, ohne sich wieder zu erkennen, und jener Instinll von Geselligkeit, welchen ter Zufall in dem unvcrnünsli-, gen Thier erweckt, und welcher biSwell»» Tbierc verschiedener Gailuug, selbst feindliche Tbierc, an ciuandrr gewöhnt und so zu sagen freund schaftlich verbindet, ist in ihnen todt. Die neu Hinzugekommenen erre gen keine Neugierde. Wie sollte man wissen, daß sic nicht schon am Tage vorher da waren? Was ist hier gestern? Was ist hier morgen? Die Irren baden kcincn Gedanken für die Zeit, sic fühlen sich nicht älter werden, sic haben keine Idee von Anfang und Ende, sie können leider den Tod nicht hoffen. Sic wissen nicht, wer der war, welcher aus ihrer Mille verschwunden ist, wissen nickt, was die Leule machen, welche ihn in einen Sarg nageln, nicht, ob dies ihre Befreiung oder ein neues Gcfängniß ist.") Der Doklor ließ mich gehen, ohne mir ein Wort zu sagen, mich bisweilen verlassend, uni einen Befehl zu crlhcilen oder irgend einen Bericht von dcn Wärterinnen zu vernehmen, und wie dcr Slcck- nadcl» Fabrikant benutzte er diesen Spaziergang mit und schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Zuletzt wollte ich ihm doch eine gute Mei nung von mir bcibringen und suchte irgend eine statistische oder ad ministrative Seile auf,' durch welche ich mich in seinen Augen über die bloße Neugierde erheben konnte. ES fielen mir einige Fragen ein, welche jedoch »ich, sämmllich gelangen. „Hat man wohl, Hcrr Dok tor", sagte ich z„ ihm, „die allgemeinste» Ursachen des Wahnsinns aus gesucht lind bestimmt?'? — „LS gicbt drei Hauplursachcn, die Eifer sucht, die Trunkcribeil und das Unglück." — „Glauben Sie, daß es überall nur diese Ursachen sind", sagte ich unkluger Weise. Er ant- woricte nich^; das wäre ja überflüssig gewesen. „Und welche von die sen drei Ursachen", fuhr ich fort, „liefert die meiste» Opfer?" — „Die Trunke»keit." — „In diesem Falle ist dcr Wahnsinn eine Straft, das ist ein Gedanke, welcher tröstet." Er Hörle nicht nach mir. „Welches '> Der Ueberseyer dieser un Allgemeinen eben so wahren als geistreichen Ammssung erlaubt stcü hier eme kurze, aus eigener Erfahrung gcschomte Bemerkung Nur ein verhaltiiißmaßig sehr kleiner Theil von Geistes kranke» zeig, steh so aan; stumpsstnniq, wie hier geschildert worbe» Bek den unheilbaren ist freilich das morgen von gestern und heute wenig oder gar ulchr verschieden, auch ist wohl nicht zu erwarten, daß Geistesabwewnde in der Zeit ihrer Krankheit Ncsterionen machen, aber sehr viele haben ein «Utes Erinnerungs-Vermögen, zeigen Gefühle von Zuneigung bis zu einem Grade von Erkundschaft, und eben so dcr Abneigung, und wisse» auch recht gut, wo ste sich bestnden, ste meinen rann gewöhnlich, ste gehören nicht hierher. Auch die Neugierde ist nicht selten, und von viele» Wahnlmmgen werden fremde, welche die Anstalten besuchen, nicht minder neugierig betrachtet, als diese sich die Unglücklichen anschauen Der fremde Besucher gilt den Wahiistnniaen dann meistentheil» für eine» neuen Ankömmling- und die Gewrachigeren wollen ihn aussraqrn East Alien fällt der Zrcmdlmg aus, aber Jeder macht stch aus ihm, was eben seinen zerrütteten Verstand bcichgstigt, einen Freund, einen Verwandten, einen Vormund, und redet und klagt ihn so an Personen, welche oster in den Anstalten erscheinen, werden den Irren bekannt, ste wer den von ihnen begrüßt, selbst von den ausgemachtesten Konsustonarie» bei Namen gerufen u s w. Viele Irren stven ircilich auch ganz unemvstndlich da, selbst für die nothwendiqsten vebensbcdnrmiffe, nur ihren Wärtern gehor- tam, und cs maa ein Rathsel bleiben, was in ihren Augen ein Fremdlmg ist. Eine besonders merkwürdige Erscheinung aber war es dem Verfasser dieser Zeilen, daß alle Wahnsinnige, die cr in ihren lesten Stunden beobachten konnte, und eS ist Lies l-iber bereits eine ansehnliche Zahl, kurz vor ihrem Tode ihren Verstand wiedervekamen und mit Bewußtsen» starben