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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumcraticn«- Prei« 22 j Tgr. THIr.) viertelinbrlich3 Ldlr. Nir da- ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Tdeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man vräuumerirt aus diese« Bei! lau der Lllg. Pr. Staats» Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in ter Provinz so >vie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post - Remtern. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Freitag den 9. Juni 1837. Frankreich. Miisikalische Salons in Paris. Bon Mad. Sophie Gay. Nachdem wir in einem früheren Artikel") das Aushören zener alten Salons bedauert, die der Lod oder die Revolutionen aus immer ge schloffen; nachdem wir uns über den Umsturz oder die Entweihung jener Tempel beklagt, die der Unterhaltung, dieftr uralten Goltbeit der Franzosen, gewidmet waren, muffen wir uns jetzt ein wenig trösten und von dem sprechen, was uns noch geblieben. Da der Name der Gräfin Merlin schon mit Recht ein in der literarischen Welt bekannter ist, so hoffen wir, daß man u»S verzeihen wird, wenn wir diese Frau an die Spitze derjenigen stellen, welche die gute Gesellschaft nud die schönen Künste am meisten zu ehren verstehen. Die Gräfin gehört zu der kleinen Zahl von Personen, die der Oeffent- lichkeir Trotz bieten dürfen, und sie selbst hat diese Wahrheit anerkannt, indem sie die Geschichte ihres Lebens publizirte. Sie vergaß aber, darin ihrer seltenen Talente zu erwähnen; sie sprach nicht von dem liebenswürdigen Eifer, den sie stets an den Tag legte, junge Künstler, die aus allen Ländern nach Paris kamen, zu ermulbigen, sie in ihrem Salon zu vereinigen, und deshalb wird sie hoffentlich nicht beleidigt 'epn, wenn ich es übernehme, da« Publikum aus diese« kleine musika lische Paradies aufmerksam zu machen. Dort höric man ost junge Mädchen, die mit ihrer lieblichen Stimme bi« jetzt nur ihre Familie entzückt hallen, die Psalmen von Marcello, die Chöre ans der Schöpfung oder dem „Moses" mit jener Reinheit vortragen, welche die Kirchen-Musik weit über jede andere erbebt Bei Len Klängen dieser herrlichen Akkorde fühlte sich wohl Zeder bewegt: die leichtsinnigste» Frauen wie die kältesten Elegant«, die sonst mit vornehmer Gleichgültigkeit auf Alles, «aS die wahren Genüsse der Seele betrifft, berabschanen, wurden hier von religiösen Gefühlen durchdrungen; Freigeister, die doch an Nichts zu glauben pflegen, müssen wohl an diesen heiligen Harmoniken erken nen, daß es noch ein anderes Land gebe, als die Erde, und in diesem Salon, umgeben von allem Glanze und allen Verführungen der wirk lichen Welt, denken sie wider ihren Willen an eine schönere, bessere, und begreifen endlich, daß eine so herrliche edle Sprache sich nur au Golt richten kann. SS ist unmöglich, de» Einfluß zu verkennen, den der Salo» der Gräfin Merlin aus die sogenannte „Gcscllschasts-Musik" von Paris aus- übte. Sic war die Erste, die es bewies, daß man ohne den geringsten Nachlhril alle Borzüge einer vornehmen Weltdame mit dem Talente einer großen Sängerin vereinigen könne; denn wenn Frau von Merlin, in einer niederen Stellung geboren, die Bühne betreten halte, so wür den, glaube ich, die glänzendsten Erfolge ihre Leistungen gekrönt haben. Ihre schöne, umfangreiche, starke und doch so liebliche Stimme, ihr dramatischer Bortrag, das tiese Gefühl, das ihren Gesang beseelt, ver bunden m>l so vielen anderen Gaben, die die Natur ihr verliehen hat, hatten sie zum Liebling de« Publikums gemacht; sie Hal sich damit be gnügt, den kleinen auscrwLhltcn Kreis von wahren Kunstliebhabern zu entzücken. Aber man kann die Wirkung schon beurtheilen, die das schöne Talent der Mad. Merlin aus ein zahlreiches Parterre hervor- gebracht hätte, wenn man sich jenes Konzerts erinnert, das sic vor mehreren Zähren zum Besten der Griechen veranstaltet und selbst diri- girt hat; der Saal des Vauxhall wiederhallte damals von den Tönen oe« rauschcndsten Beifalls, und die Künstlerin feierte einen glänzenden Triumph. Die Revolutionen, die in ganz Frankreich so große Leränderungen und Umwälzungen herbeigesübn baden, übten auch aus die Musik ihren Einfluß «ns, und unsere modernen Compositione» sind von den älteren eben so verschieden, wie der Geschmack unseres heutigen Publikums von dem des vorigen Jahrhunderts. Natürlich war cs von jeher bei uns Gebrauch, daß überall, in Pälästen wie in bürgerlichen Häusern und in Hütten, die jung,,, Mädchen sangen, um zur Unterhaltung der Gäste oas Ihrige beizü,ragen. Bon der Plätterin an, die man zu einem Festmahl von gebackenen Mehlklößen unter der Bedingung einlud, daß sic nach Tischt ein Weihnachislied singe, bis zu der edle» reichen Erbin, die man aus dem Kloster holen ließ, damit sie beim Dessert irgend eine ernste, gehaltene Arie von Rameau oder Lullv der Großmutter Vorträge, backe jede Familie ihre Lieblinqssängcrin und ihren Salon ; dieser mochte nun mit vergoldeten Lehnsesseln oder mit Holzstüblen möbliri fcvn. Eine solche gezähmte Nachtigall war ein sür alle Mal zu allen außer- ') S. Nr. i«) bc« Magazin» v I. 18« ordentlichen Diners, die im Kreise ihrer Bekannten gegeben wurden, eingeladen, und selten sehlie sie bei diesen Gelegenheiten; denn sie wußte, welchen hohen Werth man aus ihre Gegenwart legte. Der letzte Gang des Lefferts war da« Signal zu dem ersten vollen Kehlton, mil dem die Sängerin debülirle, und ohne daß irgend ein Akkord ihr die Ton art angegeben hätte, ohne vorbereitendes Rilornell für da« Publikum begann stc ihren Gesang. Indessen vertraten bald Lieder au« komischen Singspielen, die da mals die ganze elegante Welt entzückten, jene ernsten, tragischen Ge sänge aus heroischen Opern; man wollte nun nichts mehr hören, als Anetten, und diese Biode ward schnell allgemein verbreitet. Die Tisch- Konzerte endigten gewöhnlich mit sehr heiteren Trinkliedern, die aber die Sängerin nicht mehr hörte, denn es war damals Sitte, daß die jungen Mädchen sich vom Tische entfernten, sobald die Gäste anfingen, zu lustig zu werden: ein Gebrauch, der eben so zuträglich für die Un schuld der Einen, als sür die Heiterkeit der Anderen war. — Aber bald hörten diese anspruchslosen Konzerte ganz auf; denn es ward Mode, nur mil Begleitung des Klaviers und später des Pianosorle zu singen. E« sand sich keine Frau mehr, die ihre Stimme ohne Lie Unterstützung eine« Saiien-Znstrumenis aus« Spiel setzte; aber nun war es auch um die muntere, leichte Arictte geschehen, sie machte der großen dramatischen Arie wieder Platz; die Romanze verdrängte das Lied, und die an- mutbigen Töne der kleinen naiven Sängerin gingen unter dem Reci- taliv und dem svstematischcu Vertrag der ausgebildeten Künstlerin ver loren. ' Bei dieser Revolution gewann die Musik gewiß sehr viel. Zta- liänische Tonkünstler, die nach Frankreich kamen, weihten ihre gläubigen Schüler in da« Geheimniß ein, denselben Ton lauge aushalten zu kön ne», ohne den Athem dabei anzusirengen ober gar zu verlieren; sic lehrten sie mezza voce singe» und die Stimme nach Belieben an- schwellen und wieder sinken zu lassen. Man hörte auf, nach dem Takt zu schreie», und die wohlmeinenden Zuhörer wurden von einer großen Angst befreit; sie durften nichtJiiehr fürchten, den Sänger mitten in einer großen musikalischen Phrase, die ihm den Athem raubte, ersticken zu sehen. Das ganze Publikum theilte sich nun in zwei Parteien, in die Anhänger der Zlaliänischen und die der Deutschen Methode, und diese beiden fremden Mächte veranlaßten eine Art von Bürgerkrieg in Frankreich, in diesem guten Frankreich, da« bis dabin so gleichgültig gegen alle Fortschritte der Harmonie gewesen, dem die Melodieen seiner alten Balladen u»d seiner monotonen Menuet« genügten, da« an sei ne» Liedern nichts al« ihre geistreichen, lustigen oder boshaften Refrain« lipbte, ohne sich darum zu kümmern, wie sie in Musik gesetzt sepen — diese« Frankreich, das ohne England da« unmusikalischste Land in Europa gewesen wäre, fing mit einemmale Feuer und nahm für und wider die Deutsche oder Ztaliänische Methode Partei. LS war, al« ob in Frankreich ein Religionskrieg ausgebrochen, und diese Verschiedenheit der Meinungen, diese musikalische» Streitigkeiten entzweiten und nenn ten ganze Familien, lösten die festesten Bande der Freundschaft auf uiid wirkten auf alle Theile der Gesellschaft verderblich. Selbst die aufgeklärtesten Geister, die sanftesten Menschen wurden von dem allge meinen Schwindel mit ergriffen, und ich erinnere mich jetzt noch oft mil Lachen an Alle«, was ich in meiner frühesten Jugend von dieser Thorbeit zu leiden hatte. Meine Mutter, eine schone liebenswürdige Frau, war ihrem geistreichen Galten von ganzer Seele ergeben, und nichts batte bisher den Frieden dieser glücklichen Ehe gestört, als sic eines Tages entdeckte, daß ich eine ziemlich gute Stimme und einige Anlagen zur Musik batte. Sogleich wurde ich aus väterlichen Befehl dem berühmten Ztaliänischcn Gesanglehrer L. Zmperiani, dem wir das schöne Talent der Morichelli zu verdanke» halten, übergeben. Aber da dieser große Musiker die Glucksche Musik, die meine Mutter anbelete, aufs tiefste verachtete, wußte diese ihre ganze Autorität zeltend zu machen und meinen Baler zu bewegen, dem Ztaliäner den Abschied zu geben. Sie verlraule mich nun der Leitung unseres berühmten Fran zösischen Singlehrers Richer an; cs war derselbe, der auch der Köni gin Unterricht gab, der, im Verein mit Piccini, die Konzerte im Petit Prmnon dirigirte, und den das ausgezeichneic angeborene Talent de« jungen Garat bewogen batte, diesen bei Hose einzusübrcn. Ach! dies« musikalischen Soireen waren ja die einzige» angenehmen Zerstreuungen jener unglückliche» Fürstin geworden; den» ihr Herz war schou von den traurigste» Ahnungen gedrückt. Und auch selbst dieses unschuldige Vergnügen durfte sie nicht ganz rein und ungetrübt genießen. Kaum wagte sic, ei» Duett oder irgend eine Arie aus der „Armide" in Ge genwart eines Hose« singen zu lassen, der so eifrig ihr zu gefallen strebte, indem er dem Meisterwerk des Ritter« Gluck avplaudirte, und