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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration», Preis 22j Sgr. (^ Thlr.) oiertcüödrlüb, 3 Tblr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in alle» Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Ma» «ränumcrirt aus diese« Beiblatt der Mg. Pr. SlaatS- Zkitung in Berlin in der Erpedition (Mohren-Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Remtern. Literatur des Auslandes. 51. Berlin, Freitag den 28. April 1837. England. Niederländische Genrebilder und Seestücke. Bon Cap. Marryat.") In dec Provinz Seeland, am rechten User ter Schelde, der Insel Walcheren gegenüber, liegt die kleine seste Stadt Tcrneuze. Unter den niederen Hausern im Umkreise der Stadt war nm die Mitte des INten Jahrhunderts eines zu bemerken, etwas weiter im Felde hinaus liegend »nd nicht eben großer als die anderen: eine enge, bescheidene, aber sauber angelegte Landmannswobnung im damaligen Geschmack. Lie der Straße zugekchrle Vordcrwand war in der Höhe dunkel orangensarben, die Fenster und Thüren mit einem lebhaslen Grün angestrichen: der Fuß der Wand, eine Elle hoch über der Erde, mit blauen und weißen Ziegeln gar srcundlich auSgelegt. Ringsum etliche Hufen Gartenland, endlich eine niedrige Hecke von Nainweiden, die das Plätzchen an allen vier Seilen umzog, und jenseit der Hecke ein sumpfiger Wassergraben, so breit, daß nicht leicht Jemand hinüderspringen mochte. An der Vor derseite führte eine kleine schmale Brücke, zur Sicherheit der Hinüber- gehenden mit einem zierlichen Eisengeländer versehen, über den Graben zur Hauslhür. Wer nun aber das Häuschen und den Garten eine Weile aufmerksamer betrachtete, der merkte bald, daß die ursprüngliche Sorgfalt und Sauberkeit der Anlage bereits in. Verwahrlosung und schnellen Verfall überging. Der Helle Falben-Aufputz war verwittert und verblichen; Fenster, Tbürcn und alles Holzwerk an dem Gebäude im übelsten Zustande, und von den weißen und blaue» Ziegeln unten war mancher herauSgesallen und nicht wieder eingesetzt. Kurz, man sah, der daS Häuschen gebaut, halte -cs sich recht mit Hiebe zierlich einge richtet, aber die gegenwärtigen Besitzer trugen keine Sorge, es im Stande zu halten. Im Innern bestand das Häuschen aus einem Erd- und aus einem Obergeschoß, und in jedem von beiden waren zwei größere Zimmer nach vorn und zwei einscnsterige Kämmerlein, höchstens 12 Fuß ins Geviert, nach hinten. Im oberen Raum waren, nach LandeSfltie, die Schlaf kammern; die beide» Kämmerlein zu ebener Erde dienten jetzt, das eine als Waschhaus, das andere zur Gerälh- und Plunder-Kammer. In dem einen der beiden größeren Zimmer daneben war die Küche aufge schlagen; Schränke und Tische rings an der Wand und daraus da« zinnerne Küchengeräth, reinlich glänzend wie Silber. ES waltete hier die vollkommenste Holländische Sauberkeit, doch zeugte die geringe Zahl und die Beschaffenheit de« GerälbeS von Armulb. Draußen auf dem Flur und innen in der Stube waren die Dielen so weiß gescheuert, so rein, daß man das Kostbarste auf den Boden hätte hinlegen können, ohne Furcht, e« zu beschmutzen. Sin plumper Tisch von Tanneuholz stand i» der Mitte, zwei schlechte hölzerne Stühle daneben; außerdem »och ein kleine« tragbare« Belt, offenbar zur Bequemlichkeit eines Haus bewohner« aus der Oberkammer berunlergebrachl und hier ausgestellt, — mehr war in dem Zimmer nicht zu sehen. Die andere Borderstube zur ebenen Erde mochte wohl eigentlich zur Wohnstube bestimmt sevn; aber wie es da innen aussah, da« wußte kein Mensch zu sagen. Seit siebzehn Jahren war Thür nutz Fenster zu diesem Zimmer hermetisch verschlossen und selbst von den Bewohnern de« Hause« Keinem ein Blick hinein verstailel gewesen. In dem beschriebenen Küchenzimmer befanden sich zwei Personen: eine Frau, der man etwa sünsunddreißig Lebensjahre, aber zugleich die Leiden und Schmerzen ansab, durch die ihre ursprünglich gewiß nicht geringe Schönheit so früh untergraben und zu Grunde gerichtet war. Jbr Gesicht war von den regelmäßigsten Zügen, die Stirn edel und frei, das Auge groß und dunkel, aber die Wangen tief abgemagert, die Farbe de« Gesichtes welk und von so gelbem Schein, al« sehe man unter der geschwundene» Haut die Knochen durchschimmern. Wenn sie in schweres kummervolle« Sinnen versank, legten sich ihr die frühzeitigen Runzeln um Stirn und Auge in tiefe Fallen, und dann und wann schoß aus den Augen ein Blitz, so jäh, so unheimlich, als wennder Wahnsinn au« diese» liefe» Höhle» blickle. Ein unsäglicher Schmerz, ein nimmer weichender Kummer, ein hoffnungsloser Gram mußte sich tief in diese« Gemülh genagt haben, eine gräßliche Erinnerung diesem brütenden Sinne beständig gegenwärtig sehn: ei» Leiden der Seele, dem nur der Tod ein Ende machen könnte. Sie trug eine Witwen- *) Aus dessen neuestem Werke: „Dbo t>ti»°t«m-8t>ip» (das Geisterschiff) — einem bisher noch nicht im Buchhandel erschienenen Romane Wir «heilen dieses Bruchstück als eine neue Probe seiner Darstellung-weise mit, die ost, wo ste in« Detail übergeht, an E. T A. Hoffmann erinnert. Haube nach damaliger Sille; ste war sauber und reinlich gekleidet, doch schien Atlee, wae ste anhalle, durch langen Gebrauch abgetragen. Lie arme Wilwe saß auf dem Belt; an dem Tisch inmitten der Slube die zweite Person, ein derber, trotzig auSsehender, blondhaariger, blühend starker Bursche von neunzehn bi« zwanzig Jahren. Seine schöne» GesichlSzüge drückten Stolz und Mulb, sein Körperbau ein Uedcrmaaß von Kraft au«; seine Augen blickten keck und entschlossen, und wie er da saß, seine Glieder bin und her wiegte und ein Liedchen vor sich her pfiff, mußte Jeder ihm anschen, daß er ein hartnäckiger, rqizbarer, verwegener und waghalsiger junger Patron war. „Geh' nicht zur See, Philipp; versprich mir das, mein Kind, mein liebes Kind", sagte die Witwe in zärtlichstem Tone und faltete bittend die Hände. — „Warum soll ich denn nicht zur See?" entgegnete Philipp; „und wenn ich hier bleib' und Hungers sterbe, was nutzt«? Denn, Golt soll mich—! es ist wahrhaftig nicht viel besser. Ich muß für mich sorgen und für Euch, Mutter. Was kann ich Besseres an, fangen? Der Onkel Van Brennen hat gesagt, er will mich mitnrhme» und will mir eine gute Löhnung geben. Wenn ich « lhue, kann ich a« Bord ein glückliches Leben führen, und wa« ich verdiene, da« reicht zu Hause für Euch." — „Philipp, ach, lieber Philipp, höre mich; ich sterbe, wenn Du von mir gehst, ich hab' ja Niemand in der Welt, außer Dir. O, mein Kind, wenn Du mich liebst, ich weiß, Du hast Deine Mutter lieb, geh' nicht fort von mir! Und wenn Du doch sort- gehst, geh ja nicht auf die See!" — Philipp gab keine Antwort; er saß eine Weile da und pfiff sein Liedchen weiter, während die arme Mutter schluchzte. Endlich hob er an: „Warum bittet Jbr auch gar so sehr? Meinl Ihr elwa, weil der Vater in der See ertrunken ist?" — „Ach, nein, nein", stöhnte sie; „wollte Gott " — „Was meint Ihr, Mutter, mit dem wollte Golt?" — „Ach, nichl«, mein Kind, nicht«; o, mein Goll, hab' Er barmen mit mir!" — Da« arme Weib sank von ihrem Sitz zu Boden und duckte knieend ihr Angesicht tief in die Kiffe»; so blieb sie eine Weile liegen und belele heiß, inbrünstig. Als sie wieder aufstand und stch auf das Belte setzle, war ste zu einiger Ruhe und Fassung gelangt. Philipp aber hall« während dcß schweigend und finster brütend da, gesessen; nun hob er wieder zu reden an: „Sehl doch, Muller, Ihr verlangt, ich soll bei Euch am Lande sitzen bleiben und verhungern; da« ist doch bart. Nun will ich Euch aber wa« sagen, hört mich an. Die Stube da drüben ist zugeschloffen, so lang ich denken kann, und Ihr wollt mir nie sagen, warum. Ein mal aber hab' ich wohl gehört — Ihr wißt, damals, wie wir kein Brod im Hause hatten; der Onkel war verreist und sollte erst über« Jahr wiederkvmmen, damals, Mutter, babt Ihr gesagt. — nun, Ihr wart damals ganz außer Euch, so halb von Sinne», Ihr wißt wohl, wie« Euch manchmal geht...." — „Za doch, mein Kind", sprach die Mutter unter Zittern und Angst; ,,wa« hab' ich damals gesagt, was hast Du gehört?" — „Zhr sagtet, Mutter, da drüben in der Stube wäre Geld, das uns au« der Notb helfen könnte; und dann fingt Ihr wieder an zu jammern und zu rasen und schriet, Ihr wolltet lieber sterben. Nun also, Mutter, gerade heraus, wa« habt Jbr in der Slube drüben, und warum ist ste Zahr aus Jahr ein verschlossen? knlweder Zhr sagl mir «, oder ich geh' zur See." Al« Philipp seine Rede anfing, Halle die Muller ganz starr vor Schmerz dageseffen, regungslos wie eine Bildsäule; mühsam thal sie die Lippen von einander, sie glotzle stier mil den Augen, die Slimme versagle ibr. Auf einmal fuhr sie mit der Hand an die rechte Seile, als wvllle sie da ekwas zusammendrückcn, und dann mil beiden Händen an die Brust, als spürle sie da innen einen hefligen Schmerz; im nächsten Augenblick sank sie um, mil dem Kops nach vorwärt«, und da« Blul strömte ihr zum Munde heraus. Philipp sprang erschrocken in die Höbe und fing sie in seine Arme aus; er legte sie aus da« Bett zurück und sah mit heftiger Seelenangst, wie das Blut in Einem fort strömte. Er war vor Schrecken und Schmerz außer sich- „Ach- Mut ter, Mutter", schrie er, „was ist Euch denn?" — DaS arme gequälte Weib vermochte nicht zu antworten; das Blut quoll aus den zerrissenen Gesäßen, und sie beugte sich mühsam vorwärts, nm nicht zu ersticke»; es sprützte aus die weißen Dielen und färbte sie bochroth. „Ach, Mut ier, liebe Mutter", schrie Philipp j» Todesangst; „sprecht doch nur ein Wörtchen, was soll ich lhun, was soll ick Euch geben? Allmächtiger Goll! wa« ist Euch denn?" — „Der Tod, mein Kind, das ist der Tod", stöhnle sie leise und sank ohne Besinnung zusammen. Lie Angst jagte den armen Philipp, er stürzte hinau«, stog zu den Nachbarn, rief sie um Hülse. Zwei oder Drei cilsen auf den ersten Nus zum Beistand, und sobald Philipp sie um seine Mutter beschäftigt