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122 Poelisk sängkalender sör ar 18Z7. (Musen,Almanach für 18Z7.) Von C. F. Dahlgren. Mil Musik-Beilagen. Jllusionerna. (Die Täuschungen.) Roman. Skildringar nr fällskapslifvet. (Schilderungen aus dem Ge- sellschaflsleben.) Schwedischer Original-Nomau. Erster Theil. Grannarne. (Lie Nachbarn.) Bo» der Verfasserin der Skizzen aus dem Alltagsleben. 2 Thle. Belraktelser i anledning af Ryska Generalen« P. v. SuchlelenS bistoriska berättelse. (Betrachtungen, veranlaßt durch des Russische» Generals va» Suchtele» historischen Bericht über den Krieg in den Jahren I8V8 und 1809.) Vom General Lagerbring. Stockholm. Frankreich. Die heutigen Theaterdichter der Franzosen. IN. Alexandre Dumas. Dumas trat zum ersten Male im Jahre 1829 auf, und obwohl er als der Letzte die Bühne betrat, so geräth er doch schon wieder in Ver gessenheit Ihm gebührt das Lob, daß er seiner dichterischen Thäligkeit ein deutliches Ziel gesteckt halte, daß ec wußte, worauf er losging. Er hat freilich nicht Alles gelha», was er vermocht hätte, er Hal nicht alle Hoffnungen erfüllt, die sich an sein erstes siegreiches Alistrelen knüpften. Er bat die geistig literarische Bedeutung seiner Kunst nicht begriffen; dafür aber hat er sich mit großer Energie in eine Tendenz geworfen, in die Rcactio» gegen die dramatische Schule des I7ten Jahr hunderts. Er fand Traditionen auf seinem Wege, die der große Haufe blindlings respektirte; er nahm sich vor, sie zu stürzen. Er sah die Zu schauer in andächtiger Bewunderung vor der idealen Schönheit des Griechischen Typus bei Racine, vor der gigantischen Größe des Römi schen bei Corneille, und von da an stand es in seinem Geiste fest, diese allen, convcntiomll gewordenen, viel angcstaunte» Typen durch frischere, jüngere, nalürlichcrc zu verdrängen. Leider hat er sich diese Ausgabe nicht in ihrem ganzen Umfange reiflich überlegt, erst seit kurzem scheint ihm die Ahnung gekommen zu sehn, wie schwer sie ist, und was dazu gehört, und noch immer ist eine arge Verwirrung in seinen Gedanken und Bezeichnungen, wenn er sich darüber aussprichl. Dieser Mangel an Ucberlegnng ist schuld daran, daß er sich verirrt, daß er sich weit ab in ein Gebiet verirrt hat, wo die wahre Literatur, welche die Offenba rung eines Geistes seyn soll, auch ibn, DumaS, verleugnen muß. Es ist in ihm ein Ungestüm, eine kindische Hast; kaum ist ein Gedanke in ihm geboren, er gönnt ihm nicht Lie Zeit, sich zu entfallen, zu läutern; es treibt ibn zur Ausführung. Kaum Hal er die Idee gefaßt, die klas sische Traditio» zu bekämpfen, so stürzt er sich kopfüber in den Kampf. Er untersucht nicht, ans welchem, aus wie tiefem Grunde Lae ruhe, was er Umstürzen will, er schätzt dessen Gewicht und Umfang nicht, er fragt sich nicht, was denn wobl der Sinn, die Bedeutung, der Kern dieses Monumentes aus alten Zeiten scy. Wäre er über solche Fragen ernst lich mit sich und mit seinen Studien zu Rathe gegangen, so würde er bald dessen inne geworden seyn, daß kein Genie, scy cs noch so kühn, noch so mächtig, trete cs mit noch so neuen Jdcenschöpfungcn auf, daß kein Genie jemals die Tradition zertrümmern oder mit einem Hauche binwcgblascn, sonder» nur sic modifiziren, sich ihrer bemächtigen und sie in neuem Geist, in neuen Richtungen sorlsetzcn kann. Herr Dumas wird nicht müde, eine Wiedergeburt der Tragödie zu prophezeien, aber was er sich darunter denkt, das ist etwas sehr Beschränktes, Einseitiges, ganz aus seiner persönlichen Befangenheit HcrauSgcbildctes. Was waren denn Herrn Dumas Zntenstoncn, als er vor neun Jahren für das Theater zu schreiben anfing? Er war in hohem Grabe eingenommen für Shakespeare und Schiller, die er damals nur in ihren äußeren Eigcn- schasten zu würdigen wußte, und in »och höherem Grade von einigen neueren Französische» Dramen, die aber bloß zur Lektüre, durchaus nicht zur Bübnendarstellunz geschrieben waren. Da ging ihm ein Gedanke auf: Natürlichkeit — und in dem Augenblick wurde ihm das Jdealische zum Gegensatz des Natürlichen, zur Unnawr. Diesem Phantom der idealen Unnatur schwor cr den Krieg, und die Streiche, die er aus den Feind zu siibren dachte, sielen aus die Poesie selbst. I» seinem blinden Haß nnlerschicd er nicht, was an der alte» Französischen Tragödie con- venlionelle Form und was wesentliche poetische Schönheit sev. Er war des ehrlichen Glaubens, cr ist's vielleicht noch, die höchste Aufgabe der dramatischen Dichtkunst scy, die Natur nachzuabmcn, sic zu reproduzi- rcn. In diesem Sinne, sür diesen Zweck ist Alles, was er für das Theater geschrieben. Hätte Herr Dumas sich einmal ernstlich gefragt, ob es denn wirklich y» Ausgabe der Kunst im Allgemeinen seh, der Natur nachzuabmcn. so batte cr in Bclrcff der Tonkunst und der Bau kunst gleich mit Nein antworten müssen. Der Maler und der Bild hauer scheine» zwar beim ersten Blick auf das Wiedcrgrben einer na türlichen Form unkt Farbe angewiesen, aber in dcr Hand des großen, des vollendeten Künstlers wird die natürliche Form nie sklavisch nach- gebildel, sondern immer als Träger eines Gedankens und durch de» Gedanken beseelt »scheinet,. Nie ist das Werk des Malers, de« Bild hauers in Zeiten, da die Kunst gedieh, ebne diese Beseelung, ohne die sen idealen Inhalt gewesen Wen» der Marmor und der Ton, die Farbe den sinnlichen Gegenstand nictu naturgetreu nachzubildcn, sondern die Nalmform in die Idee zu erheben angewiesen sind, wenn hier ein Theil, eine Linie bervorgeboben, dort eine verwischt werten muß, damit der geformte Stoff der adäquate Ausdruck eines Gedankens werde, so wird, denke ich, auch das menschliche Wort, wo es zur Kunstschöpsung der Poesie verwendet wird, sich dem Dienste des Ideals nicht entziehen dürfen. Wenn Stein und Leinwand die Sklaverei der absoluten Nach ahmung verschmähen, so wird doch das menschliche Wort nicht durch solchen'Frohndicnst zur poetischen Weihe aufsieigen. Gesetzt aber auch, wir gäben es zu: alle Kunst solle und dars nur die Natur nachahmen, und der Dichter habe nicht nölhig, eine Idee in LaS Bild der natürliche» Wirklichkeit cinzukleiden, — selbst da»» hätte sich Herr DumaS der Aufgabe, dem Beruf eines Dichters noch bei wei tem nicht gewachsen gezeigt. Was cr nachahmt, was cr darzustellen trachtet, das ist nicht die wahre, volle Natur des Menschen, es ist nur das niedrigste, das grobstnnlichste Element dieser Natur. Statt uns den Menschen zu zeigen, wie cr ist mit Lcib und Seele, zeigt uns Du maS nur da« physische Geschöpf mit seinen Trieben. Ec will die Lei denschaft in ihrer Werkstatt belauschen, wie sie entsteht, wie ste wächst, aus dem Grunde. Noch hat cr weil, dis cr dahin kommt; was er belauscht, das sind nicht Gefühle, sondern Begierden. Was er uns auf der Bühne als Liede verführt, ist nur das Begehren der Geschlechter zu einander; die Liebe als ethisches Gefühl, als Leidcnschaft, ist ihm in ihrem Wesen noch fremd. In seinem Drama treten nicht Personen und Charaktere, sondern nur Kreaturen mit Kennzeichen dec Gattung und des Geschlechtes aus. Nur das heiße Blut, nicht die Gluth der Begeisterung, der Leidenschaft, der Freude vermag cr zn schildern. Also wollen wir ihm gern die Aufgabe erlassr», die Wirklichkeit zum Ideal zu erbeben; wir wollen froh seyn, wenn er fürerst dahin gelangt, die Wirklichkeit ganz zu fassen. IV. Victor Hugo. Victor Hugo ist durch die Lyrik zum Theater und zum Roman aufgcsticgcn. Man mcrkl dies an den drei ersten Dramen, die er für die Scene geschrieben, sic stchcu in nächster Verwandtschaft mit dem lyrischen Charakter. Im Cromwell, dcr noch früher geschrieben, aber nie sür die Bühne bestimmt war, kommen zwar auch sebr lange lyrische Stellen vor, aber der vorherrschende Charakter in dem ganzen Stück ist doch das Groteske. Hingegen in „Marion Delorme", „Hernani" und „Triboulet (I-e ftoi s'urnuse)" ist dem Lyrischen rin sebr freier Spiel raum gelassen. ES war ein bedeutender und achlungSwerlber Versuch, dem dramatischen Körper solchergestalt lyrische Blülbe und Färbung zu geben, bedeutend sür die Literatur, nicht sür das Theater. Von der Bühne herab wird ei» solches, ans lyrischem Geist empfangenes Drama nie dauernden Eindruck machen, und daraus kommt doch Alles an. Denn ein Theater ist nichts, wenn cs nicht auf sein Publikum wirkt. Der Freund des Schönen in dcr Literatur wird dem Dichter diese drei Schöpfungen allezeit danken. ES sieht sich schön und zauberisch an, wie der lyrische Gedanke gleich einer Lichlgarbe emporstejgl, sich in far bige Strahlen ausbreitct und die Figuren, wie des Lichters Phantasie ste rings herum gruppirt hat, mit seinen bunten Lichtern überkleidet. Nur freilich ist dieser Glanz keine Wärme, unh die Farbe, die von außen um die Form spielt, kein Leben. Der lyrische Gedanke kann mit de» Personen eine« Dramas nicht so schallen, wie der Musikmeister mit seinen Instrumente» im Orchester; wo der Dichter cinc Person, einen Cbaraklcr geschaffen hat, da muß er ihm eine Freibeit zum Erbthcil geben, und diese Freiheit gebt in die innere Einförmigkeit des lyrischen Moments nicht auf. Es ist das Wesen des lyrischen Gedankens, daß ec keiner Metamorphose fähig ist, sondern sich immer wieder selbß in die Tiefe seines Ursprungs zucückvcrscnkt, und wenn der Dichter ver sucht, ihn zu zerstückcn und seine Glieder unter die Personen des Dramas zu vcrthcilen, so ist cr doch darum nicht vielgestaltig gewor den, wie bas Leben im Drama es verlangt. Die lyrische Erregung wird nie zur dramatischen Wirkung. Hugo s „Marion", „Hernani", „Triboulet" sind zuerst und ur sprünglich lyrische Gedanken, und al« solche wollen sie dramatisch le bendig einberwandcln. Diese Conrlisanc, dieser Bandit, dieser Königs narr bekümmern sich eigentlich wenig um das, was im Drama mit ihncn vorgcbl. Sie greisen nicht in die Handlung ein, ihr Hauvlgc- schäft sind ihre bilderreichcn Reden. Sie börcu sich selbst mit Wohl gefallen sprechen, sie geben Alle« auf de» glänzenden Ausdruck ihres Denkens und Fühlens, weniger aus dessen inneren energischen Fortgang. Eie singen eine beständige Ode von ihrer Leidenschaft, sonst aber merkt man an ihrem Wesen und Handeln nicht« davon. Doch gilt dieser Vorwurs für Marion Delorme weniger als sür Hernani; man sicht wobl, daß Hernani der erste und kräftigste Wurf des lyrischen Gedan kens in unserem dramatischen Dichlcr war. In Triboulet vollends tritt das lyrische Moment bereit« gegen ein neue« dramatische« Motiv zurück, woraus Hugo srildem gearbeitet hat, obwohl in seiner Vorrede zum Cromwell und wo er sonst seine Poetik^cnlwickelt, von demselben keine Rede ist. Die« Motiv ist dcr Gegensatz. Die erste Spur davon be findet sich allerdings scheu im Charakter von Hernani und Marion, starkes und reines Getränk ini äußerlich schmutzigcn Gefäß, der Diamant in schlechter Schlacke, die Seelenreinheit im sündigen Lcib, dcr mora- lischc Eroßsinn in äußerlich verworfener Lage. Aber so überwiegend, so kühn und absichtlich tritt die« noch nicht hervor, wie später im Tri- boulct. Der Dichter Hal es geradezu daraus abgesehen, die Seele eines Sokrates äußerlich unter dem Narrenkleid nnd dcr Narrenkappe zu vcrmummcn, und so soll ste sich dramatisch offenbaren. Er ist mit die sem Drama gescheitert, aber dadurch i» seinem Eiser sür dieses neue Motiv nicht »maltet; es ist übrigens bekannt, daß Hugo seit lange schon keinem Rathe folgt, al« seinem eigenen Sinn. Wie früher den lyrischen Gedanken zur dramatischen Erscheinung, so wollte er jetzt durchaus daS Gcnndmotiv der Aülfthese zur dramasi« scheu Geltung bringen. Was Hal er nun auf diesem Wege geschaffen; wa« zeigen un« seine drei letzten Dramen „Marie Tudor", „Lucrecia Borgia" und „Angelo"? Erst sehen wir Schaffet und Beil im Schlaf gemach einer Königin; dann sehen wir den in« Ungeheure getriebenen Gegensatz der Mutterliebe, des Verbrechen« im Herze» der verabscheutc- ste» Ehebrecherin, deren Belt ihr Vater und ihre Brüder befleißen. Und endlich im „Angelo"? Len Gegensatz von Pflicht und Leidenschaft, — aber so isi c« nicht beim rechten Namen genannt: wir seben auf der einen Seile die ehrliche Treue, auf der anderen eine Ari von