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diese« menschliche» Geschick«, Lie es so bock stellte, wohl begriffen? Wußte ticse Philosophie, Lie so stolz auf dcn Menschen, so ehrgeizig für ihn war, den Mensche» wiiklick auch al« einen würdigen Gegenstand so großen Stolze« u»d Ehrgeize« zu fassen? Nein, die Philosophie de« achtzehnten Jahrhundert« hallo nur eine» unvollständigen, kleinlichen Begriff vom Menschen; sic verkannte, was er Ekelste« und Reinste« in sich trägt, was sein Loos Erhabenste« und Schönste« Hal. Sie sah in ihm nicht da« hohe, unsterbliche, vom göttlichen Hauch beseelte Wesen, welche« aus seinem Wege durchs Leben an einem göttlichen Werke schaffen Hilst und anderswo dcn Lohn für seine Arbeit empfangen soll. Sic betrachtete den Mcnschen vorzugsweise in seinen Beziehungen zu dcr materiellen, wirklichen Welt, und da sie eine wesentlich sociale Philosophie war, die sich die Ausgabe gestellt hatte, die irdische» Ver hältnisse des Mrnscken zu verändern, so studirle sie an ihm auch nur die Seile, mil dcr rr dcr Erde angcbörl. So sali maii, merkwürdig genug, dasselbe Jahrhundert, welches die Würde de« Menschen am höchste» achtele, welche« am meisten von dcm Menschen erwartete und die größten Ansprüche zu seinen Gunsten er hob, den Mcnschen aus dcr Lcilrr dcr Wesen crmcdrigcn, seinc Natur verstümmel» und die Würde sci»e« Slandpunkls säst vernichten! Ein gelehrter und treuer Dolmetscher dcr Philosophie de« achtzehn ten Jahrhundert«, spiegelt Herr von Tracv ihren Ebarakler in seinen Werken ab. Auch in ihnen ist dcr Mcnsch, nur noch viel bestimmter und folgerichtiger, ein Wesen, welche« von nichts weiß, als von seinen Empfindungen,' und da« fick selbst nur durch seine Empfindungen kcnnl, dessen Handlungen von dcr Nolhwcndigkcil gebotcn sind und durch das bloßc Interesse scmc« persönliche» BcrguügcuS getestet werden, der nicht weiß und nickt wissen kann, ob er eine Seele Hai, ob es einen Gott giebt, ob er selbst wirklich cin Wesen ist, denn die Wissenschasl entdeckt in ihm nur eine flüchtige Berbindnng materieller, durch eine unbekannte Krast angczozcner und zusammengedallencr Stoffe. Und für dieses zweifelhafte, untergeordnete Wesen ist die Philo sophie doch von so liescr Ehrerbietung erfüllt! Für diele« beschränkte, ephemere Geschick hegt sic die lebhaficstc Lhcilnahme! Diese unsichere, eilte Wahrheit verfolgt sie mit so glühendem, reinem Eiser! O, danken wir dem menschlichen Widerspruch, oder, um ganz auf richtig zu sprechen, wie ick denke, vielmehr der göttlichen Welkheit, die den Menschen seine herrliche Natur nicht zerstören läßt, selbst wenn er sie verkennt, die in den menschliche,! Geist estien Schatz von Wahrheit niedergrlcgt bat, dell kein Jrrlhum daran« verbannen kann, und in das menschliche Herz eine Fülle von Uneigennützigkeit, die auch die egoistisch sten Theoriccn besiegt und bettelt! Die Philosophen de« achtzehnten Jahrhundert« haben Golle« Werk ost verkannt, und doch besaßen sic Glauben, ja, tiefen Glauben an die Wahrheit, die, wenn man sic sprechen hört, kein Recht auf so viel Zutrauen hätte; llild doch dienten sie so freudig dcr Menschheit, die, wenn sie nicht« weiter wäre, al« was sie in ihr sahen, kcinc» Anspruch aus so viel Hingebung mache» könnte. Die Schritten de« Herrn von Tracy wurden, so wie sic erschiene», sehr begierig gelesen, übersetzt und erläutert, besonders in England, Ita lien, Spanien und Süd-Amerika, überhaupt in allen den Länder», wo das achtzehnte Jahrhundert sein Werk noch nickt gclhan balle, wo dcr alle gesellschasttiche Zustand nicht umgestürzl war. I» Frankreich machte» sie keinen so lebhaften und allgemeinen Eindruck. In Frank reich balle das achizehnlc Jabrhundcrl seine Laufbahn vollendet und «ar über unsere Häuplcr dahingegangen Scmc Wohlihalc» waren erworben, seine Fehler erkannt. Nene Bedürfnisse von ganz anderer Art rissen uns aus andere Bahnen fort. Was ist aus dem lockende», mächligc» Zauber geworden, dcn das bloßc Wort Freiheit noch eben erst aus das Volk ausübte? E« rennt herbei, es stürzt sich dcm Blend werk der Gewalt entgegen. Gestern noch verbargen sich Glauben und Religion, die Kirchen waren geschlossen, und siche da, die Kirchen öffnen sich wieder, die Menge drängt sich hinzu, und der gewaltige Geist, ter dem Staate die Religion wiedergiedt, die glänzende Stimme, die sie in die Seelen zurückrusl, sesscln ganz die öffentliche Kunst. Man suhlt noch die Schauder dcr wilden Zerstvrungssucht, die Frank reich mit Trümmern bedeute, und überall beleben und erbeben sick die Trümmer wieder; überall regt sich unendliche, bcwlmdcrnswerlbc Arbeit und allgemeine Lust, wieder auszubauen. Jung und Alt, Erfahrung und Ehrgeiz, Besonnenheit lind Enthusiasmus, Alle« drängt »ach Einer Richtung hi», Alle« Hilst an einem und teinsclbeu Werke arbeiten; und Napoleon, dcr diese verschiedenartigen Triebfedern durchschaut, vereinigt sic alle nach seinem Willen, reißt sic sorl, wohin es ihm beliebt, tbeiit den cincn Ruhe, den anderen Bewegung zu und beherrscht al« unum- schräuktcr Gebieter im Namen dcr Ordnung und des Sieges dieselbe» Kencralionen, Lie beim Beginn ihre« Lebenslauf« die konstiluirende Versammlung entzückt ewigen Frieden und ewige Freiheit halten be schließen hören! Bei dieser plötzlichen Umkehr der Diuge hielte» dic meisten Philo sophen, Herr von Tracy an ibrcr Spitze, sich fern, überrascht, besorgt, mißtrauisch, unabhängig, im Senat wie im Institut, wenn es galt, über politische Maßregeln 'abzustimmen, wie wenn es galt, Jteen zu äußern. Wer möchte ihnen ihre Bcsorgniß, ibr Widerstreben zum Vorwurf machen? Die Reaktion war heftig und blind; sie führte den Willen eine« großen Volk« und den Genius eine« große» Manne« weit über La« rechte Ziel binau«; sie stürzte Napoleon in die unumschränkte Ge walt und Frankreich in da« Vergessen seiner Reckte. Die Ideologie war deni Herzen der Philosophen mil gutem Fug werth und ibrucr, al« Ler Krieg, welcher der Ideologie erklärt wurde, sich gegen den Gedan ken selbst kehrte. Wie hätte Herr von Tracv nickt mit seiner eigenen Freiheit auch die Freiheit dc« menschlichen Geistes gefährdet glaub!» sollen, als er im Jahre INN seinen „Kommentar" >u dcmselbrn „Geist dcr Gesetze", von dem Monttsquicu im Jabrc I7HN unter dcr alten Regierung zweiundzwanzig Ausgabe» in »och nicht zwei Jahren erlebt bähte, in Frankreich nicht drucken lassen konnte und ihn in Amerika hcrauSgeden mußte! Aber wenn Herr von Tracv auch über diese Rückkehr zu Ideen, die cr besiegt glaubte, in Staunen gericth, wenn er auch die Beweg- lichkeil dcr Menschen bcklagle, so war cr doch zu klug, als daß er c« hätte versuchen sollen, den Kamps weiter zu treiben, als die Würde seine« Ebarakler« und seine« Lebens e« erheischte. Er zog sich von den Geschäften und au« dcr politischen Welt zurück, um in Auteuil, wie er selbst sagt, den ganze» Zanbrr der Einsamkeit, dcr Ruhe, dcr Studien und dec Freundschaft zu grnießc», und dcn Zauber, — füge ich hinzu, — der eben so freien als scmgestlielcn Unterhaltungen voll Maß und Ungezwungenheit, deren Eebeimniß nur La« achtzehnte Jahrhundert befaß. Bald jcdoch mußte er auch dieses Tröste« enlbchren; zu den Acrgcrnissen des Philosophen kamen noch die Prüfungen tcS Menschen und zu den Verrechnungen des Geistes die Trübsalc des Herzens. Er verlor in wenig Jahrrn seine vertrautesten Freunde, seine liebsten Bc- kannlcn. Mtt dcm vorrückcndcn Aller ward seinc Gesundheil wankend, sein Gcsichl schwach; eine gleichmülbige, aber ticse und uucrschülicrliche Traurigkeit bemächtigte sich seiner Seele. „Seitdem", sagt cr (und er lebte seitdem noch zwanzig Jahre), „schleppte ich mein übrige» Leben nur noch unnütz so bin." Ein edler Kummer, der das Gemüth de« Philosophen noch voller Lcbcndigkcil und Hingebung ließ! Als dic Verblendung dcr unnm- schränkien Gewalt und dic Verirrungcn tcS Ehrgrizc« die Uebcl über Frankreich brachten, die Herr von Tracv ost vorhergesagi batte, al« er mitten unter dcn grausamsten Uuglückssällcn einige Hoffnung durch- sckimmern sah, scincm Vatrrlande das zu sichern, was da« Kaiserreich ihm niemals gegeben batte, rin wenig Frieden und Freiheit, da sübltc cr seine ganze Kcasl wieder erwachen. Niemand betrachtete da« Schau spiel der fremden Invasion und Frankreich« Schicksalsschläge mit so bitterem Schmerz wie er. Aber wen» auch das Herz des Patrioten litt, so bewahrte dock der Philosoph dic Unabhängigkeit seine« Unheil«; er sab dic Nolhwcndigkcil cm, sich zu unvcrmcidlichcn Opfern zu cnt- fchließen und i» dcn Ereignissen, welcher Arl sie anch srvn mochlcn, das zu suchen, was da« Wohl dcr Nation gebol. Bei dieser große» Gelegenheit bewies cr, daß dic Vcranlwonlichkeit ihn nichl crschrccktc. Er war e«, dcr am 2. April Ist!» im Scnal die Absetzung de« Kaiser» verschlug. Kaum aber war die Restauration vollbracht, so befand er sich fchv» wieder in der Zurückgezogenheit und Opposition, die cr nichl wieder verließ. Unlcr dieser schwankenden Regierung, die Frankreich« Stimme nicht erstickte und sie dock auch nichl verstand, bei diesen fruchtbaren Debat te», wo dic verschiedene» Rcchlc sich achten lernte», wo der mcnschliche Gedanke, angeregt und zurückgehalten zu gleicher Zeil, seine Würde und seinc Herrschaft wiedcrcrlangte, ohne seine Kränzen zu überschreiten, und, um dcr Akadcmic selbst ein treffende« Wort zu entlehnen, inmit ten dicsc« „mübsamcn Fortschritte« unscrcr bckämpsic» Freiheiten" hätte Herr von Tracv ohne Zweifel, wäre es sein Wille gewesen, dcn heil samsten Einfluß ausübcn müssen. Aber seine Generation, in der ge- scllschasckchc» Unterhaltung und im Studirzimmer ausgewachsen, war nickt sür die Herbheit, Langsamkcit und anscheinende Erfolglosigkeit dcr politische» Kämpsc, nichl für dic ewige, unendliche Wahl zwischen Slrcil und Vergleich geeignet. Sie zahlte aus den rasche» Sieg der Wabrbcil und zog sich zornig zurück, sobald sic sah, daß cr ibr mit Harluäckigkcit streitig gcmackl wurde. Wcr rin etwas stolze« Herz und eine etwas hohe Vcrminsl bat, dcr muß lange genölhigt gcwcsc» seyn, mtt dcr Harte de« Eigennutzes und mit dem Ungestüm der Lcidenscbaf- lc» zu uiiterbaiidcln, cr muß osl ihre Macht erprobt und ibrc Schläge empfunden haben, nm sich endlich in sie zu finden und sick mit cincm unvollständige,! Sieg zu begnügen. Herr von Tracy nahm an den Debatten der Pairs-Kammer nur wenig Theil und^wobnte ihren Sitzun- ge» sogar nichl mehr rcgelmäßig bei. Dcr Gedanke dc« Philosophen verlangte nach wcitercn Räumen, freiere» Bewegungen und minder hitzigen Kämpfen. Auch dcr Philosoph sand in dcr damaligrn Richtung der Eemülbcr und der Idee» keine große Betriedigung. Da« WieLcrerwachen früherer Sttcuiaketten u»d alter National-Leidenschaften führte allerdings eine» Theil de« Publikums zu Grundsätzen und Werken zurück, die während des Kaiserreich« ganz unbeachtet geblieben waren. Voltaire, Rousseau, Diderot, Eondillac, Helvetiu« wurde» von neuem und viclsältig wieder gedruckt, gelesen, gescierl. Aber während und neben dieser Auferstehung der Philosophie tcS achtzehnten Jahrhundert« wuchs eine neue Pbilo- sopbie empor, die in dcr intellektuelle,i Welt dcn Spiritualismus, in der moralische» Welt da« Pflichlgesctz al« Svmbcl anerkannte, die in Ler poliliichen Welt nicht die Souverainclät der Zahl gelten ließ, die dem religiösen Glauben dic Hand rcichtc und cine Freundin der Wissenschaft und Freiheit war, nur nach anderen Grundsätzen und mit audercn Ge sinnungen al« ihre Vorgänger. Die Philosophen selbst lassen sick nicht gern, besonder« wenn ihre Ideen die herrschende,, gewesen sind, aus eine streitige Tbeilung der Herrschaft cin. Ungeachtet der wieder auslebenden Popularität seiner Meister, ungeachtet seiner eigenen Erfolge, blieb Herr von Tracv dock mit der GegcnwaN wenig zufrieden und hoffte wenig von der Zukunft. Er machte von seinem Ruf, von seiucm Vermögen, vo» seiner Muße den edelsten Gebrauch, indem cr an den Fortschritten der Wissenschaften lebhafte» Antheil nahm und gegen geheime« Unglück, geae» ausgezeichnete jungc Leute verschwenderisch war mit seiner Üutcr- stätzung, mil seinen Rückschläge» und mit dem aufrichtigen, schlichte«, Wohlwollen, welche« denen, auf die e« gerichtet ist, den Verpflichtete» ,,»d den Wobltbätcr in ganz gleichem Lickte erscheinen läßt. Er war der Mittelpunkt ei»cc auserwähsten, seclcnvollen, dankbaren und ehrer- bietigcn Gesellschaft; die zärtlichste Sorge umgab ih»; er batte da« fette,ie Glück, seine Wahrheitsliebe, seine Hingebung sür die Menschheit und da« Vaterland unter seinem Namen sortleben zu scheu. Ei» grau-