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Haus« meine« Verwandten zusammengesetzt war, so dald Geschmack zu finden. Es war eine Gruppe von Emigranten, die aus mich den Ein druck einer herumzitbende» Komödiantemrnppe machte. Obgleich ich von meiner Kindheit an belehrt und gewohnt war, da«! Aller und da« Mißgeschick bei allen Dknschcn zu achten, so halte ich doch die grüßte Muhe, über die Französischen Freunde und Freundinnen meine Lachlust zu unterdrücken. Liese Gesellschaft vereinigte aber auch ein solche« Ge misch seltsamer Persönlichkeiten und lustiger Gegensätze, daß sich darin sehr viel dardot, was die Einbildungskraft eine« junge» Mädchen« er greifen mußte, eine« Mädchen«, das eine besondere Geschicklichkeit be saß, das Lächerliche aufzufaffen, und deren Beobachtungsgabe noch beißender werden mußte, je mehr sie gezwungen war, durch eine schick liche Zurückhaltung ihre Kritiken zu verschweigen. Ich bewunderte die vornehmen Mienen und Schönpflästcrchcii, die Schminkt, Koketterie und Etikette dieser armen Marquisen und Gräfinnen, aber nicht« war für mich kleine Engländerin befremdender, als die Unwissenheit über England und seine Zustände, in der sie freiwillig beharrten, der einseitige Na- lionalHochmuib, mit welchem sic in der Mitte der Britischen Hauptstadt ihrem kleinen Kreis den Namen ksrimilo sooiülü beilegten. Fern seh cs von mir, wenn ich hier versuche, einige der fleißigsten Besucher hervorzuhebeir und zu malen, an einc Karrikalur zu denken; ich will nur die cinsachen Eindrücke meiner damals noch aus der Gränzc dec Kindheit stcbendcn Jugend schildern. Die Herzogin von C.... soll den Reigen rröffnen; ihr Rang fordert das schon. Sie war eine lange hagere Gestalt, damals u»ge- sähr üv Jahre alt, und halte einen schwankenden unsicheren Ganz. Zu Fuße grhen hat sie wahrscheinlich erst in England gelernt, in den La gen der Größe berührten ihre Sohlen die Erde nicht so leicht, und wenn c« geschah, so waren, nach dkr damaligen Mode, ungeheure hohe Absätze zwischen der Ferse und dem Boden. Ihr Gesicht zeigte noch deutliche Spuren verblichener Schönheit, ja, sie würde noch jetzt jur schön haben gelten können, hätte nicht ein fortwährendes gezwungcncs Lächeln ihre Lippen umspielt, und balle nichl eine ungcbeurc Schichte von Schminke in zu großem Mißverhältnisse mit den bohlen, fast geisterhaft auSscbcn- dcn Augen und dem grünlich blassen Teint gestanden. Ihre Kleider waren von höchst einfachem Stosse, aber ungemein uclt. Sie gab vor, der Englischen Mode zu folgen, und sagte ost: „isso voici nuno » l'an- "iaiso"; allein weder sie noch ihre Kammerfrau wollten sich im Ernste herablassen, „non grosses bourgooi-ies flo I,nnch«:u" nachzuabmeu, und so blieb ihr Anzug weiter nichts als eine verschollene Mode vom allen Versailles. Sic war gulmülbig, lcutsclig, treu gegen ihre Freunde uird, wie alle Hosleme, gewohnt, viele Fragen zu mache» und ans keine einzige die Antwort ab;,,warten. Am Französischen Hofe hatte sic einst große» Einfluß und sich dadurch viele Freunde erworben, die ihr seit dem noch lreu und dankbar geblieben. Sie haue einige Kostbarkeiten gereitet, deren Werth ihr in Loudon ein bescheidenes Auskomme» ver schafft c. Ein Man», der das Stichblalt mancher witzigen Spoilern, beson ders von Seilen der Herzogin, war, mag jetzl an die Reihe kommen. Es war ein kleiner Abbü, eine sauste Figur, mit Sorgfalt gekleidet, dienstfertig, geschäftig, mit Auge und Ohr stets auf drr Lauer, ein guter Redner und großer Verschwender von Taback. Er war der Politiker par oxcollono« und als solcher einc wahre Gcißcl für die Minister von Großbrilanicu. Nic übcrschültelc sie Jemand nicbr mit Denlschristen, als der Herr Abbü. Keine Woche ging ohne Beweis scincr^olilischtn Weisheit und schriftlichen Thälizkeii zu Ende. Pläne zur Jnsurgirung der Vcndce, zu Invasionen in Frankreich, die Französische Flotte zu zerstören, Bonaparte in Paris anfzubeben und ih» in den Tower von London zu sperren, wechselten mit einander ab. Der letztgedachte Plan war seine eigentliche LicblingS-Jdcc, er sprach mit dem größte» Enthu siasmus davon und dielt, an das Kamin gelehnt, stundenlang« Reden darüber, wobei er sich so erhitzte, daß er oft erhaben wurde. „Aber", setz'e er gewöhnlich »ach einer Reibe vielversprechender Phrasen hinzu, „die Minister Sr. Englischen Majestät wollen « nicht begreifen und verlängern nnversiändigerweise einen Krieg, der so viel Geld und Blu» kostet." Alle« Unglück unserer Land- und Sce-Erpcdilionen beklagte er al« traurige Folge der Bernachlässtgung seiner Rathschläge, während alles Glück im Kabinette, Parlamente und aus dem Schlachtfelde au« der endliche» Befolgung derselbe» entsprang. Er war auch der einzige Franzose dieser Gesellschaft, der cs nicht für seiner unwerld hielt, den Verhältnissen Englands eine schwache Aufmerksamkeit zu gönnen; war seine rechte Tasche voll von Entwürfen, die Französische» Armer» zu ver tilge», die Tuilcricen in die Lust zu sprengen und die Bendre zu be waffnen, so strotzte die linke von Maßregeln, unsere National'chuld zu tilgen, die Zehnten zu verwandeln, das Parlament zu rrsormiren, die Armenlare aus,»beben und Irland zu unterwerfen. Der Chevalier de« H ... verdient riuc Stelle in unserer Gallerie. Er war ein schöner Mann mit einrr ganz kriegerisch«» Gestalt und schien mehr dem revolutionnairen Frankreich als dem ancion ««Aimo ans zugehörc». Er baue dabei da« Talent, hübsche V«rsc und RLthsel zu mache», u»d blie« die Flöte. Da« merkwürdigste seiner Befltzihümer aber war seine junge Frau. Sie war mehr hübsch als schön zn nen nen, sehr wohlgebaut, kleidete sich geschmackvoll und balle in ihrer ganzen Physiognomie etwa«, das auf Geist und Herz schließen ließ. Allein sobald man sie hörte, mußte man sich über da« voreilige günstige Uribeil selbst wundern. Sie öffnete den Mund nie, ohne «ine Albern heit zu sage», „nd ihr armcr, in sie verlicbier Mann zitterte, wenn sie zu reden anfing. Eje war nickt von adeliger Herkunft, batte ihrem Manne kein Vermögen milgebracht, aber wär tbäiig, rnlschloffcn und eine sehr gute Wirlhin, alles Eigenschasicii, die wenig für den Salon des auswärtigen Frankreichs paßten- Bon den viele» Beispielen der Verlegenheit, die sie ihrem Mannt durch ihre Dummheit dereim«, führe ich nur folgende« an: Der berühmte Delille und der berüchtigte Minister Calonnr bcsuch- 22 le» eine« Sonnabend« unsere „große Socictat" in BrunSwick-Square. Welche schöne Gelegenheit für unseren Chevalier, sei» poetische« Talent gellend zu machen! Eine halbe Stunde vor dem Souper, während die ganze Gesellschaft spielte oder plauderte, stand er plötzlich auf, nahm einc nachdenkliche Miene an, ging im Zimmer auf und ab, murmelte zwischen den Zähnen, schlug sich auch mitunter an die Stirn, forderte sodann Diule und Feder und schrieb mit einer Hast, al« fürchtete er, eine glückliche Inspiration zu verliert». Er schrieb ei» wenig, schien «in Wort zu suchen, strick, veränderte und schrieb wieder und präscn- tirle endlich mit bescheidener Rube dem berühmten Dichter sein Im promptu. Da dieser im Gedichte nickt unaiisehnliche Komplimente cmpsing, so machte er natürlich dem Verfasser bedeulendc Gegen-Komplimente, welche dieser halb geschmcichcll, halb schamrolh biunahw. Die gegen seitigen Ballericcn der Schmeicheleien und Entschuldigungen schwiege» e»dlich, der politische Abbö griff schon nach dem Fadc» seiner allein seligmachenden Projekte, al« plötzlich die Frau unseres gekrönten Steg- reifoichlerS ihre schöne», von Tbräncn blinkenden Ange» zum Himmel erhob und ausries: „Welches Glück, daß diese« Impromptu so gelungen ist! Mein armcr Mann hat die ganze gestrige'Nacht nicht geschlafen, immer geschrieben, auch den heutige» ganzen Tag schrieb er daran, wir sind darüber zu spät gekommen. Ärmer lieber Mami! jetzt bist Du doch zufrieden?" Ich habe den Chevalier vor dem Baron von G. .. . und seiner Tochter genannt, und dieser, fürchte ich, vergiebl mir die Sünde gegen die Rangordnung so leicht nicht Er war ein Elsasser, Deutsche« Blut rollte in seinen Adern und der Stolz eine« Kaiserlichen Reicbsfrei- hcrrn. Er war rin Fünfziger, haue edle Züge, elegante Manieren und galt für den beste» Tänzer seiner Feit. Er war nickt Hefter und schien dcr Unglücklichste der Gcscllsckast. In die Sonuabend-Gesellschaft ging ec nur seiner Tochter Angelika wegen, der ec nichts abschlage» konnte. Angelika war ein schönes Blond löpfchen, sie lieble ihre» Vater zärtlich, und cr lohnte ibr mit der größte» Sorgfalt und den möglich sten Opfern. Die Quellen des Baron«, mit d.cren Hülse er seine Toch ter so anständig kleidete und ihr alle unschuldige Wünsche erfüllte, wa ren ein Gebcimniß, bi« ich zufällig dahinter kam. Der frühere Tanz lehrer unserer Pensions-Anstalt war reich und alt geworden und verließ seine Stelle. Sein Platz ward bald durch einen Franzosen besetzt, von dessen Talent unsere Lehrerin mit der größten Bewunderung sprach und von dem sie eine vollständige Kunst-Resorm in ihrer Anstalt propbe. zeit«. Dcr Mcistcr wird von uns sehnsüchtig crwarlcl, er kommt endlich, und wen sehe ich« — den Baron von G .. . . Man denke sich aber den Schrecken und die Bestürzung dc« Ba ron«, als cr auch scincrseil« mich erkanntc; scine Hand zitlerlc, sein Gesicht erglühte und er konnlc säst kcin Wort bervorbiingen. Doch ich war so klug, mich so zu stellen, als kenne ich ibn nicht; cr thak nun dasselbe, und die Sache blieb volle acht Tage verschwiegen, bi« ick nämlich wieder zur Muhme kam, dcr ich freilich AllcS erzählic. Man bewunderte einen Mann, dcr so stolz auf seine Geburt, so hartnäckig in seine» Grundsätzen war und doch, bloß aus Liebe zu seinem Kinde, zu einem Geschäft herabstieg, das cr für Entwürdigung ballt» mußte. Voll Bewundcrung für diese väterliche Hingebung, beeilte man sich, noch sunszchu Andere das Kcheimniß und die Bewunderung genießen zu lassen, und diese Fuuszebn entdeckten es wieder zwanzig Änderen- Der Baron wurde den nächsten Seunabrnd und die folgenden mit noch mcbr Achtung als gewöhnlich behandelt, und nichts konnte ibn auf den Verdacht führen, daß wir von seinem Metier und seiner Tascheugeigc etwa« wußten. Angelika machte im Hause meine« Derwandtrn die Bekanntschaft und die Eroberung eines jungen, sehr reichen Kanfmannssohn«. E« waren für die Liebenden große Hindernisse zu übersteigen; der Baron wollte lange nichts von einer Hciraib seiner Tochter mit einem Bürger lichen wissen; endlich siegle auch hier die Liebe sür sein Kind über hartnäckige Borurlbcile. Angelika ward sehr glücklich mit ihrem Manne; ibr Vater lebte bei ibr, umringt von blükcnde» Enkel», in bereu Lieb kosungen cr seinen Stolz und scinc Unglückssälle vergaß." Frankreich. Gu>zot übrr hjc Philosophie dc« cichtzchntcn Jahrhunderts und ihre Wirkungen. (Schluß.) Der wescnlliche Charakter, dcr Rubin dcr Philosophie de« ackt- zcbnlcn Jahrhunderts ist ihre hohe Achtung sür den Mensch«», ihr erhabener Begriff von dec Würde und den Rechten de« mcntchlichen Wesen« an und sür sich, abgescbcn von jeder anderen Betrachtung, — ein so weit rein religiöser Gedankt, den die Philosophie des achtzehn ten Jahrhundert« zum erstenmal in die bürgerliche Ordnung brachte, indem sie cs sich zugleich eifrig angelegen seyn ließ, den Menschen, und zwar jeden Menschen, in vollkommenen und wirkichcn Besitz seiner Würde und seiner Rechte zu setzen. Daher eine cben so bervortretende, eben so rühmliche Eigenschaft der Philosophie de« achtzehnten Jahrhunderts: ibr unermeßlicher, uner sättlicher Ehrgeiz, zu Gunsten de« Menschen, zu Gunsten allrc Men schen, — «in Ehrgeiz, dcr nicht nur da« Wohl, das allgcmtinc Wohl, sondcrn auch die Vervollkommnung, die unendlicke Vervollkommnung, nach allen Seiten bin bezweckte. Dcr Ekrgciz führt die Philosophen wie die Könige irre; aber bei den Philosophen erzeugt dcr Ehrgeiz auch alle» Große, was die Menschheit rrhebl und bereichert. Wer wir auch seyn möge», laßt uns dcm Ehrgeiz mißtrauen, aber ihm niemals entsagen, den» da« Hieke auf die höchste Macht unserer Natur, aus di« schönst«» Aussichten sür unser Geschick verzichten. Hat abrr das achtzehnte Jahrhundert die Erhabenheit dieser Natur,