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Ein Spaziergang im Wasgenwalde. Von Htto Ickitsch. Es war am 21. Juli 1875 gegen fünf Uhr früh, in Geb- weiler rauchten noch wenige Schornsteine und anßer dem Haus knecht im Gasthause und einigen Männern, die zur Arbeit auS- gingen, war auf den gestern Abend so belebten Straßen niemand zu sehen. Ich wanderte thalaufwärts, die lange Straße hin, welche als Hauptverkehrsader die Stadt und das Thal durch zieht. Den Schluß des Ortes bilden mehrere große Fabriken, Baumwollen- und Wollspinnereien, deren Säle neben-, statt über einander gebaut sind, und als Zubehör reinliche, hübsche Ar- beiterhänser mit Gärtchen davor, immer vier bis acht in einer Reihe zusammengebaut, bei den Häusern der Fabrikbesitzer präch tige Gartenanlagen, die sich an der letzten Fabrik am Berg auf wärts ziehen und mit einer künstlichen Ruine endigen. In allen Gärten und Gärtchen viele Pflaumbäume mit grünen, gelben, rothen Früchten, dieses Jahr in besonderm Reichthum prangend. Bunte Blumen in reicher Auswahl erfreuen das Auge; saftiges, frisches Grün überall. Thalaufwärts folgen bald die Ruinen der Burg Hugstein. Noch sind die unteren Gehänge der Thalseiten mit Weinpflan zungen bedeckt, erst in der Höhe beginnt der Wald. Aber das Thal steigt rasch aufwärts, wenige Kilometer ins Gebirge hinein verschwinden die Weinberge, weht eine frische Gebirgsluft uns entgegen, senken sich die Wälder an den Bergseiten zur Thal- sohle herab. Eichen und Kastanien bilden die Hauptbestände,! bald treten auch Kiefern, weiterhin dunkele Edeltannen ans, in:! Thale wiegen die Wallnußbäume vor. In einer halben Stunde ist Bühl erreicht, ein langes gut gebautes Dorf mit zahlreichen Kanfläden, einigen Fabriken; die Kirche liegt am Eingänge eines Seitenthales über dem Dorfe, nebst den Dächern der umgebenden Gebäude über dichte Baum- gruppcn aufrageud, mit einem schönen Hintergrund hoher bewal- i deter Berghänge. Ein „näherer" Weg führte mich jenseit der j Lauchbrücke an dem zwischen hohen Erlen rauschenden Bach hin! bis zu einer großen Baumwollenspinnerei; durch den Hof hin durch und jenseit desselben durch Bäume entdeckte mein Auge! einen bequemen Weg, aber das kategorische „Nein"' des brum-! wenden Hausmanns (Portier nennt maus hier noch) nöthigte den deutschen Geographen zum Umwege um die Gartenmauer herum. Merke Dir: auf der Chaussee bleiben, ist manchmal gut auch wenn sie einen Bogen macht, und nicht überall findet der Wan derer williges Entgegenkommen. Auf manchen „guten Morgen", den ich den nun häufig Be gegnenden bot, erhielt ich entweder keinen Gegengruß oder die französische Antwort „Von four", obgleich ich sonst im ganzen Thale nur deutsch reden hörte. Auch die lärmende, herumja gende und sich prügelnde Straßenjugeitd in Gebweiler hatte ge stern Abend nur deutsche Worte in ihrem Sprachschatz. Am Wege und an den Felshängen sind Rauerium 8001-0- äouia, Mauerpfeffer (8oäaiu allmm), Origanum majus, mehrere Arten Qnliuiu, lunuriu vulAuris, Vorbusoum die verbreitetsten Pflanzcnspezies. Durch das Dörfchen Schweighausen führt die Chaussee weiter nach dem wie Bühl langgebauten Lautenbach. Die Häuser sind unansehnlicher und zeigen die Entfernung von der Kultur wie die Annäherung an das Gebirge. Die Lauch (die Anwohuer sprechen Lüuch, das ch wie in Bach) rauscht lauter, hin und wieder eilt ein Seitenbach aus einer Thalschlucht ihr zu, Schneidemühlen sind in Arbeit, in den Häusern sicht man Schmiede am Ambos, Weber vor ihrem Webstnhl, Schneider an ihrer Werkstatt — Thütigkeit all-überall, aber wenig muntere Gesichter, die heiter ins Leben hincinschauen. Verstimmt sie der Anblick eines deutschen Gebirgswandcrers? Eine ruru nvi» ists allerdings, ich habe ohne mich rühmen zu wollen, bis jetzt mei nes gleichen hier noch nicht angetroffen! Auf Lautenbach folgt nach einer halben Stunde Linthal, welches sich größtcntheils in einem Nebenthale nach dem Kleinen Belchen hinaufzieht, dann die Hänser und Mühlen von Höf fen und Sengern. Aeltere, unansehnliche Häuser erscheinen, höher sind die Felsen, die an den Weg herantretcn. Bei einer Aus allen Melttheilen. VI. Iahrg. Schneidemühle geht der chaussirte Weg auf das rechte Ufer (Rey- mann's Karte zeichnet ihn auf dem linken Ufer weiter). Wenige Stunden haben genügt, um mich aus dem leb haften Gebweiler in ein friedliches Waldthal zu versetzen, wo das Rauschen des Flusses, das Murmeln und Plätschern der Quellen, das Sausen des Windes in den hohen Tannen ertönt und die Klänge des bewegten Volkslebens, das Rasseln der Wa gen, die kriegerische Musik der Garnison, den schrillen Pfiff der Dampfpfeifen von Lokomotiven und Fabriken ersetzen muß. Das Klima ist rauh geworden, mit dem Wein sind auch die Kasta- uien, später die Nußbäume verschwunden. Wie nahe, wie be quem zu erreichen ist dieses schöne Thal! Noch ein gut Stück aufwärts, bis über Nieder-Lauchen, läßt es sich verfolgen. Und doch, wie wenig wird es besucht! — Ich sitze oben an der Straße auf einem Steinblock. Unten in der Tiefe rauscht die Lauch; über mir ist die Chaussee in die Felswand gesprengt. Epheu hängt von den Felsen herab, rankt sich an den Tannenstämmen hinauf. An dem von Bäu men überschatteten Berghange hat ein üppiger Pflanzenwuchs sich entwickelt; mannshoch ragen 8xiraou ulmaria und 8ouooio bHiÄi über die dicht gedrängten Farnkräuter empor. Ein kleines Stück weiter, und ein wilder Bach strömt seit wärts aus einer Felsenschlucht heraus. Es ist der Abfluß des Belchensees, an dem Zusammenfluß liegt eine Schneidemühle, der es an Wasser nicht zu fehlen scheint. In der Seitenschlucht hinauf oder wenigstens an ihren Wänden hin (denn die Thal- sohle hat der wilde Bach mit Beschlag belegt) führt der Weg zum Belchen. „Doas isch wüescht!" warnte wohlmeinend der Müller. Also frisch hinauf. Freilich war der Weg „wüescht" genug, namentlich wo trockenes Tannenrcisig am steilen Geröllabhang über lockeren Steinen lag. Bei alledem ist ein Stück wilden Weges einmal eine angenehme Abwechselung. Und weiterhin kam auch wieder gebahnter Weg: eine jener zahlreichen Holzschlittenbahuen, die aus kurzen Querhölzern bestehen, die an den Seiten durch Pflöcke in der Erde befestigt und hin und wieder durch Längshölzer mit einander verbunden sind. Hier werden die aus Buchenholz gefertigten Handschlitten von kräftigen Händen abwärts gezogen; bisweilen gibts wohl auch einmal eine Lustfahrt für Einhei mische oder Fremde. Für den Fußgänger aber bieten diese Pfade unter allen Umständen wenig Vergnügen. Die Quer hölzer sind zu nahe an einander, je zwei sind zu weit für einen Schritt, dazu sind sie zu ungleich und zu rauh gearbeitet, als daß der Fuß gern längere Zeit darauf gehen sollte, und zwischen den Hölzern auf der Erde zu gehen ist nicht weniger unthun- lich. Nebenher aber ist selten noch ein Raum frei, auf welchen der Wanderer treten könnte. Auf einer über das Thal ragcn- ! den Felsenecke saß ich eine Zeit lang, hincinschaucnd in das Meer von kräftigen Tannen, Lärchen nnd Buchen, welches über und unter mir Berg und Thal mit wechselnden Farben überzog. Nachdem ich auf meinem „wüeschtcn" Wege länger als eine Stunde keinen Menschen, ja wenig Spur vou Menschenhand ' gesehen hatte, traf ich zwei Holzarbeiter nnd kam wenige Mi nuten später an den hochgelegenen Weiler Roll. Wer hätte hier einen, wenn auch stark abhängigen, Wiesenplan mit Garten, reichbehangenen Kirschbäumen, hübschen, wenn auch ländlich ein fachen Sitzen unter Baumgruppen, ja einen offenen Tanzboden und eine Kegelbahn gesucht? Und dazu fand ich freundliche zuvorkommende Wirthsleute, die mir schon zuvor von Straß burg aus gut empfohlen waren! Mit einem Gärtner, der nebst zwei jüngeren Begleitern Botanisirens wegen von St. Amarin herüber gekommen war, wanderte ich weiter. Den Dietamnus, den er am Belchen ge sucht hatte, konnte ich ihm freilich nicht zeigen, andere Pflanzen um so mehr, da er noch wenige Kenntnisse in der Pflanzenwelt zu besitzen schien. Unser Weg ging zuerst durch dcu Garten, wo wir in Gemeinschaft des Wirths den kleinen süßen Kirschen tapfer zusprachen, dann über einen großentheils mit Adlerfarn und blühendem rothen Fingerhut überzogenen offenen Hang. 45