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18 die Fundamente der alten romanischen Basilika wieder und ließ sie eine Zeit lang offen, um daraus den Grundriß konstruiren zu können. Auch Pfeilerstücke mit Kapital und Sockel wurden in den südlichen Strebepfeilern des jetzigen Schiffes entdeckt*); nun nahm man auch die jetzt noch stehenden Theile jener Basilika zu Hilfe, und war im Stande, ein getreues Bild jenes älteren romanischen Domes zu konstruiren. Es wird behauptet, daß derselbe am nördlichen Querschiff schon ein ähnliches dreieckiges Portal, natürlich romanisch, wie das jetzige originelle, aufzuweisen hatte. Aber schon hundert Jahre später, um die Mitte des 13. Jahr hunderts, erschien diese Kirche zu klein für das wachsende Personal der Geistlichkeit und für die Menge der Wallfahrer. Die alte Chor- abside wurde abgerissen, eine größere frühgothische erbaut, deren Dachbalkenlage jetzt noch erkenntlich ist, die Thürme wurden durch einen Mittelbau verbunden, auch das Querschiff im frühgothischen Stile erweitert. Ob auch damals schon das Schiff umgebaut wurde, läßt sich zwar aus Urkunden nicht erweisen, doch deuten viele Momente im Detail und Aufbau auf einen frühgothischen hallenkirchenähnlichen Umbau des romanischen Kirchenschiffes hin. Aus dieser frühgothischen Bauperiode datirt auch die Substruktion des damaligen Chores, welche in der jetzigen Krypta noch sichtbar ist, der Guß der ersten großen Glocke, „Susanna", welche bedeutend schwerer als die jetzige war und im Jahre 1472 beim Dombrande zerschmolz, und endlich der größte Theil des malerischen Kreuzganges. Kurz nach dieser Zeit erreichte der gothische Baustil in Deutsch land seine größte Blüte. Die Dome in Köln, Straßburg und Freiburg waren im Bau begriffen, und die dort geübten Formen fanden im übrigen Deutschland bald Nachahmung. Hier in Erfurt dachte das reiche Domkapitel an einen großartigen Umbau des ganzen Domes. Es herrscht in Fachkreisen entschieden die Ansicht, daß es dem Kapitel, welches über die größten Reichthümer verfügte, und welches für den Chor des neu zu erbauenden Domes eine so mächtige Substruktion im kühnsten Plane aufführen ließ, daran lag, den ganzen Dom in den Formen und Dimensionen des jetzigen Chores umzubauen. Die Ansicht wird durch viele Gründe erhärtet. Leider ist dieses Projekt nur theilweise zur Ausführung gekommen, nur der prachtvolle Chor und die reiche dreiseitige originelle Vorhalle an der Nordseite des Querschiffes wurden errichtet, zu derselben Zeit, in der Mitte des 14. Jahrhunderts, wurde auch die große Freitreppe an der Nordseite jener Substruktion, der sogenannten Cavate, hergestellt. Der jetzige Chor, .einschiffig mit fünfseitigem Schluffe, nach in- schriftlicher Angabe am Tage Mariä Empfängniß 1349 begonnen, gehört zu den Meisterstücken gothischen Baustiles. In ihm herrscht bei allem Reichthum die lauterste, duftigste Anmuth und Eleganz, die sich besonders im Innern mit dem bunten Lichtschimmer der alten Glasmalereien und den mächtigen Dimensionen zu dem Eindrücke tiefster religiöser Erhabenheit und Majestät verschmilzt. Elf von den 16 Strebepfeilern, zwischen denen die hohen bunten Fenster mit manigsachem, sehr edlem Rosettenmaßwerk hinaufsteigen, tragen Heiligenfiguren, von zierlichen durchbrochenen Baldachinen gekrönt. Die Streben enden in Fialen, überragt von einer fialenunterbrochenen Galerie. Dienstbündel zwischen den reichen Fenstergliederungen tragen im Innern das Gewölbe des Chores. Die ganze Behandlung des Details am Chor ist aus der vorzüglichen Schule der klassischen Straßburger Gothik entlehnt. Die Dimensionen des Chores sind: 33 in. Länge, 14 m. Breite, 27 m. Höhe. Der Chor wurde nicht, wie gewöhnlich angeführt wird, schon 1352, sondern erst 1372 voll endet. Aus dieser selben Blüteperiode der Gothik rührt das originelle dreiseitige Doppelportal her, dessen Formenreichthum den des Chores fast noch übertrifft. Von den vielen Skulpturen dieser nach den Prinzipien der französischen Gothik konstruirten Portale haben nur die klugen und thörichten Jungfrauen künstlerischen Werth, die übrigen sind roh und handwerksmäßig gearbeitet. Das obere Geschoß dieses eigenthümlichcn gothischen Palastes zeigt Maßwerke, die auf kölnische Studien schließen lassen. Genauere Zahlenangaben über Beginn und Vollendung des Portikus fehlen. Von dieser Zeit (um 1350) ruhte die Bauthätigkeit am Dome bis zum Jahre 1472, wo ein großer Brand, der die Stadt einäscherte, auch den Dom in eine rauchende Ruine verwandelte. Die Thürme brannten aus, die erste große Glocke, Susanna, schmolz samt dem übrigen Geläute, so daß nach urkundlicher Angabe „das glühende Erz die Domstufen hinablief", das Schiff stürzte zusammen, auch der Chor wurde schwer beschädigt. Noch in demselben Jahre begann man mit der Restaurirung des Gebäudes und dem Neubau des Schiffes. Dieses ist eine dreischiffige Hallenkirche von sehr schönen Verhältnissen, die Seitenschiffe breiter als das Mittelschiff, die Raumentfaltung ist offen und frei, wird auch, bei der Größe des Raumes, nicht durch kleine Unregelmäßigkeiten im Grundrisse be einträchtigt. Auffallend im Grundrisse ist, daß die Axe des Chores die des Schiffes schneidet, eine unbedeutende Abweichung, die viel fach motivirt und erklärt worden ist. Die quadratische Stellung der 2 mal 4 Pfeiler und deren Gliederung bekunden eine Kreuzung von westfälischen nnd süddeutschen spätgothischen Einflüssen. Die Dimen sionen des Schiffes sind: 45 m. Länge, 28 in. Breite, im Querschiff 39 m. Breite, 19 in. Höhe. Die ganze innere Länge des Domes beträgt 90 in. Im Jahre 1497 wurde in den restaurirten Thurm die neue große Glocke „Gloriosa" (nicht Maria Gloriosa, wie gewöhnlich angegeben wird) aufgehängt, und mag wohl auch um diese Zeit der neue Schiffbau vollendet worden sein. In den nächsten Jahrhunderten hatte das nunmehr vollendete Gebäude in den innern Zwistigkeiten der Stadt viel zu leiden, im 18. Jahrhundert zerstörte ein Blitz nochmals die Thürme, welche abermals ausbrannten; die große Glocke aber blieb wie durch ein Wunder unversehrt. Durch alle diese Schicksale, sowie durch die Blokade 1806 hatte die Struktur des Domes schwer gelitten. Der jetzigen Regierung gereicht es zum Ruhme, daß sie in unsern Tagen eine großartige Restaurirung des ganzen Bauwerkes auf ihre Kosten unternehmen ließ, durch die das hehre Denkmal der Baukunst sich schöner als je verjüngte. Und in der That, wie ein Weihegeschenk der Gottheit ragt der Dom weit über das weite Häusermeer der Stadt empor, auf Meilen weit sichtbar die Stadt überstrahlend. Wer je in diesen erhabenen, Halbdunkeln Räumen voll Würde und Majestät, die mit berühmten Kunstwerken vergangner Zeit, den Tumben berühmter Todter, den Epitaphien der Patrizier, den Gräbern der Mönche und ihrer Aebte angefüllt sind, gewandelt ist, wer bei Abend vom Steiger aus die untergehende Sonne in dem Goldgründe des Madonnenbildes, welches die Westfa^ade krönt, zwischen dem Grün der Bäume sich wiederspiegeln gesehen hat, dem wird der Eindruck des Doms zu Erfurt ein unauslöschlicher bleiben. y vom Verfasser. Die französische Mekhong-Expedition. Im südlichen Mnnan. Von vr. Uernkard Zöllner. Von hervorragenden Kennern orientalischer Zustände ist gerade in den letzten Jahren wiederholt das Urtheil laut geworden, daß der Islam nicht nur unfähig sei zu einer innern Weiterbildung, sondern auch daß seine staatenbildende Kraft abgeschwächt sei und ein wirkliches Kulturvolk mit dem Koran als Gesetzcsnorm brechen müsse. Es mag dies für Völker richtig sein, welche wie das ägyp tische sich anschicken, das morgenländische Gewand ihrer Gesittung mit abendländischem Flitterstaat aufzuputzen, sicher aber ist der Lehre Mohammed's nicht im allgemeinen jene Kraft der Propaganda abzusprechen, welche dieser Religion schon durch den Charakter ihres Stifters zu Theil geworden ist, und die Geschichte der afrika nischen Fellata-Staaten und der neuesten Umwälzungen im Westen und Südosten des chinesischen Reiches ist wohl geeignet den Beweis zu liefern, daß der einfache, konsequente Monotheismus des Islam nicht bloß in andere Religionssysteme, sondern auch in Staaten, welche sich auf eine Jahrtausende alte Kultur gründen, einen zer sprengenden Keil zu treiben im Stande ist. Auf den Trümmern chinesischer Herrschaft hat der Schreiber-