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195 zum Verkauf gebracht. In solche Nothstände, wie sie die Neh- ! rungsfischer oft erlebt haben, können die Fischer der Süd- und Lstseite nie gerathen, weil sie ein fruchtbares Hinterland haben, dessen Bewohner im schlimmsten Falle ihnen mit Hilfe bei springen. Die armen Nehrungsfischer waren vor wenigen Jahren so übel daran, daß sie fast dem elendesten Hungertode erlegen wären, wenn nicht der Edelsinn vieler Memeler Bürger noch zur rechten Zeit Hilfe gebracht hätte. Der strenge Frost und der ungewöhnlich hohe Schnee hinderten nicht nur die Fischerei, sondern machten sogar den Fischern das Arbeiten unmöglich. In gewöhnlichen Wintern richt das Fischen keineswegs; es ist eine erkältende und saure Arbeit, die bei nahendem Frühlinge mehr denn sonst mit Lebensgefahr verknüpft ist. So erhält sich noch das Andenken an jene fürchterliche Nacht vom 24. zum -5. März 1^52 den Bewohnern des Kirch- und Fischerdorfes Postniken im Gedächtnisse. Ein großer Theil der dort woh nenden Fischer, zwanzig und mehr, fuhren am 24. März ge nannten Jahres, der zwar trübe und regnerisch war, doch keineswegs Unglück ahnen ließ, mit ihren Schlitten weit über das schon mürbe gewordene Haffeis, um an geeigneter Stelle ihre Arbeit zu beginnen. Die Netze waren bald unter der Eis decke verschwunden, und die Hoffnung auf reichen Gewinn er wärmte Jeden. Doch schnell erhob sich ein rasender Sturm; Krach auf Krach erfolgte; die dicke Eisdecke borst oft iu gefähr licher Nähe der armen Fischer, die schaudernd in das tiefe, nasse Grab schauten. Noch war durch das Aufgeben der kostbaren Netze vielleicht Rettung des bedrohten Lebens möglich. Doch sver malt das Entsetzen der Unglücklichen, als der Boden unter ihnen zu wanken begann und die Masse sich hob und senkte — ein grausiges Fahrzeug! Der dunkelnde Abend, die Finsterniß der Nacht mit dem heulenden Stnrme im Bunde, machten die ^age der auf zerbrechlichen Schollen im Haffe umhertreibendcn Armen zur entsetzlichsten. Mit ihnen sorgten, zagten nnd be- feten die im Dorfe Zurückgebliebenen; ersehnt und dennoch ge- kürchtet kam der neue Morgen. Hatte vielleicht die dnnkle Nacht mitleidig ihren Schleier über die Schreckensscene geworfen? War das Eisfeld zertrümmert? Hatten die darauf Weilenden ihr Grab in dem schäumenden Wasser gefunden? Gott hatte Erbarmen! Der Sturm hatte ausgetobt; Ruhe kehrte in die ^sorgten Herzen zurück, denn alle, alle wäre« gerettet! Die «Palten des Eises geschickt überspringend, erreichten die schwer Geprüften glücklich das Ufer. Theilnehmende Liebe half die Verluste ersetze». Zahlreiche Schlittenfuhrwerke befahren im Winter die Haff- Mche, die dann öfter wie ein Heller Spiegel da liegt. Daß auch solche Fahrten nicht immer ohne Fährlichkeiten ablanfeu, ^igt folgende durchaus verbürgte Mittheilung eines davon Be- iroffenen: Quer über das Haff nach Rvssitteu glitt ein eiu- Nnniger Schlitten über die herrliche Eisfläche. Plötzlich borst unter Donnergetöse das Eis unter den Füßen des prächtigen Arabers. Ein keilförmiges Eisstück löste sich von dem übrigen Gise und in die klaffende Tiefe stürzte das treue Thier. Alle Versuche der Reisenden, mit Leinen nnd Deichsel demselben zu Helsen, waren vergebens. Doch sind solche Vorfälle selten. Un heimlich wird's dem Schlittschuhläufer, der in eiligem Laufe dahin schießt, wenn er durch die krystallene Eisdecke die Be- kuahner der Tiefe erblickt, welche, erschreckt von der unver- hafften Erscheinung, schnell davon eilen. Kuren und Littauer, w das Haff mit Waarentransporteu passiren, haben bei solchen wahrten jedem Pferde eine Strickschlinge nm den Hals gelegt. ein Pferd in einen Eisspalt, so wird es durch das Zü chen der Schlinge zur verzweifelten Anstrengung getrieben oft gerettet. Fällt ein Thier in eine offene Blänke, so zieht wan ebenfalls die Schlinge zu und das Pferd schwimmt dann we eine Blase auf dem Wasser; alsdann zieht man es anf's woselbst es sich daun bald von der ausgestandenen Angst cholt. Das fast erstarrte Thier wird in solchen Fällen mit der ^H"udschuheten Hand sorglich geklopft und so wieder erwärmt, uch Art der Holländer benutzt man bei dem blanken Eise den ! Wind als Treiber der Schlitten, indem man mit Hilfe eines Segels denselben forttreiben läßt. (S. Illustration.) Hohes Vergnügen gewährt dem Beobachter das Thi er leben in der Zeit, wenn der Frühling die Eisdecke gesprengt hat und die Schollen chaotisch durcheinander treiben. Scharen zurückkehrender Schwimmvögel bedecken den Spiegel des Haffs. Das Schnattern der Enten ist wahrhaft betäubend; in schönen Linien durchfurchen zahllose Schwäne das Wasser und Tau sende von Gänsen fischen in der kalten Flut. Nach und nach ziehen sie, hier nur wenige Rasttage haltend, nach entfernten Brüteplätzen oder suchen in dem frisch emporschießenden Rohre und zwischen andern Wasserpflanzen Schutz, bis der herein brechende Winter sie wieder verscheucht. Regenpfeifer, Strand läufer und Kampfhähne eilen behenden Schrittes an der Ufer kante hin, während träge und in sich gesunken der Reiher, im flachen Wasser stehend, auf Beute lauert, und zahllose Kibitze schreiend den Wanderer umfliegen, der sich in ihre Nähe wagt. Sobald die Flüsse von dem Eise befreit sind, zeigt sich an ihren Mündungen ein ebenso fröhliches Leben wie auf dem Haff. Der winzige Stint (Osmvrus Lxsrlanus U.) erscheint dann in Millionen Exemplaren. Aus der Tiefe der süßen Gewässer steigt er empor, um zu laichen und dann wieder zu verschwinden. Tausende von Händen setzt sein Kommen in Bewegung. Heyde- krug's Handel damit ist alsdann großartig zu nennen, denn 2000 bis 3000 Scheffel von diesen Thierchen sollen allein auf seinem Markte verkauft werden; sogar Königsberg erhält einen großen Theil davon. In Lischken, Tüchern und Säckchen wird er von den Verkaufsplätzsn in die entlegensten Dörfer getragen. Man „krillt" ihn, gießt das übelriechende Wasser, worin er gekocht wurde, ab, und würzt den Fisch mit Essig und Pfeffer. Getrocknet oder gebraten bewahrt man ihn für spätere Zeiten auf. Die katholischen Gemeinden kaufen ihn besonders gern, um bei ihren mit gewöhnlichem Hanföl gewürzten Fastenspeisen eine Abwechselung zu haben. Der Transport der Fische ist sehr einfach. Zwei damit gefüllte Beutel befestigt der Samaite am Sattelknopf des Pferdes und trabt alsdann der Heimat zu. Bald nach dem Verschwinden dieses Wichtleins erscheint sein vornehmer und besonders geschätzter Verwandter, der große, mit scharfem Gebiß bewehrte Lachs oder Salm, welcher, aus der Ostsee kommend, das Tief durchschwimmt uud die Mün dungen der Memel aufsucht, um in ihnen seinen Laich abzu setzen. Sein Lieblingsstrom scheint seit einigen Jahren der Skirwith zu sein, welcher mit einer Breite von 200 bis 225 m. eine Tiefe von 7 m. und mehr vereint. In ihm wird der Edle berückt. Ein langes zweiflügeliges Netz wird in den Strom gesenkt, doch so, daß die Enden der Flügel sich unter spitzem Winkel vereinigen; l4/z m. überragt das Netz, welches von starken Pfählen getragen wird, den Fluß. In dem Raume, deu dieses Rieseuuetz begrenzt, ist eine be- beutende Zahl von sogenannten Säcken, wie sie in jedem Mühlen teiche gebraucht werden, aufgestellt, deren Flügel bis iu die Nähe der Wände des Hauptnetzes reichen. Mit dem 1. Mai richten die Fischer alles zum Empfange des Fisches ein, erweisen ihm fortgesetzte Aufmerksamkeit und fahren damit auch bis zum September fort. Nach je 5 Tagen werden die Netze herausge hoben und durch trockne ersetzt. Da die Lachse stets an der Oberfläche des Wassers schwimmen, so kann man ihr Treiben an dieser ihnen Gefahr drohenden Stelle deutlich beobachten. Die Richtung des Hauptnetzes führt die Fische nach der Mitte des Stromes. Vorsichtig an der Netzwand schwimmen sie dann tagelang umher, die Maschen derselben studirend. Doch auch die Lachsgeduld hat ein Ende. Unwillig kehren sie um und ge rathen in die Falle. Da der Lachs als ein unbändiger Geselle bekannt ist, so betäuben oder tödten ihn die Fischer mit Knüttel schlägen, wenn sie ihn anf's Laud ziehen. Dann werden ihm die Eingeweide genommen und feine Bauchhöhle wird mit Salz und Pfeffer eingerieben. In Körben wohl verpackt, kommt er darauf nach Königsberg und anderen Städten, wo viele Lieb haber seiner warten. (Schluß folgt.)