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9V Freiheit bis in das Meer noch ganz besonders hätten aussprechen sollen, — so blieben die Niederlande doch unbeweglich bei ihrer Definition. Außerdem verschanzten sich dieselben noch hinter sogenannte Scerechte, woraus sie ein Seegebiet, ein Territorial meer, das ans Kanonenschußweite dem angrenzenden Staat an gehöre, deduzirten, welches einzig und allein von den Souve ränitätsrechten des Königs abhängig sei. In Wien hatten die Niederlande versprochen, während der interimistischen Periode die Schiffahrt auf ihrem Rheine mit keinen höheren als den zur Zeit des Abschlusses bestehenden Abgaben zu belegen; man handelte indeß gegen diese Verpflichtung, als man die Syndi katszusatzgebühr auch auf die Wasserzölle ausdehnte, und als man im Jahre 1816 am 3. Oktober, kurz nach der Konstituirung der Zentral-Kommission, eine neue Zollverordnnng erließ, welche alle durch das Königreich transitirenden Waaren mit 2 bis 3 Prozent des Werthes als Transitgebühren belegte, welche Kosten durch das Heer von sonstigen Spesen, die der Transit nach sich zieht, auf 5 und 6 Prozent des Werthes stiegen. Die Artikel 166 und 167 bestimmten sogar, daß die zum Transit deklarirten Waaren strenge untersucht und plombirt werden sollten und bestätigten eben dadurch den Umladungszwang, den Holland schon so lange ausgeübt hatte; denn wie konnte eine zum Transit bestimmte Waare, die sich mit hundert anderen auf einem und demselben Schiffe befindet, genau untersucht, wie konnte sie plombirt oder sonstigen Sicherheitsmaßregeln unterworfen werden, wenn sie nicht ausgeladen ward! Der zerstörende Einfluß dieser Transitrechte war um so größer, als eben damit der Transport zu Wasser von Bremen über Amster dam nach Köln mit dem direkten Transporte zu Lande sich gleich stellte. Nachdem alle diese, die Worte wie den Geist der Wiener Konvention verletzenden Umstände zehn Jahre angedauert, ohne daß die Sprachverwirrung sich lösen wollte; nachdem sieben Entwürfe zu einer interimistischen Instruktion vorgelegt und verworfen worden waren und Preußen vergebens darauf be standen halte, daß ihm mit Umgehung aller interimistischen Verfügungen die Vorlegung des definitiven Reglements ge stattet werde, — erklärte endlich Preußens Abgeordneter am 15. Juli 1824: daß er seiner Regierung die weiter zu ergrei fenden Maßregeln Vorbehalte und nicht mehr befugt fei, auf den unaufhörlichen Streitpunkt vor derZentral-Kommission ein zugehen. Er verließ Mainz, und alle Bemühungen, ihn wieder dahin znrückzurufen, blieben vergebens. Die ursprünglichen Rechte unseres Rheinstroms, einer der Preise, für die so viel deutsches Blut geflossen — diese wichtige Angelegenheit trat nun wieder in jene höheren Regionen, wo hin sie einzig und allein gehörte, als der Streit darüber sich entspann; denn wo es sich von der Auslegung des fünften Ar tikels des Pariser Friedens handelte, aus welchem die Wiener Kon vention hervorgegangen war, stand diese Auslegung nur den vier europäischen Mächten zu, welche diesen Frieden stipulirt hatten. England hatte schon beim Kongresse in Verona eine Note abgegeben, wodurch die Erfüllung der Bestimmungen des Pariser Friedens in Hinsicht der Rheinschisfahrt dringend ge- sordert wurde, und als infolge dessen der englische Gesandte im Haag, Sir Karl Bagot, auch mit den grammatikalischen Spitzfindigkeiten hingehalten werden sollte, indem man ihm diese Schiffahrt bis zu den Ausmündungen in das Meer frei stellte, fragte derselbe mit dem bewunderungswürdigsten Scharf sinne: „Diese Mündung, ist sie das Meer oder ist sie die Mündung des Rheines?" Derselbe Gesandte erklärte ferner, „wie die Forderung einer Transitabgabe mit einer ehr lichen Auslegung des Vertrages, welcher die Mündungen der Flüsse für frei erklärt habe, nach schlichtem Menschenverstände schlechterdings nicht vereinbar sei." Der Notenwechsel wurde von nun an überhaupt zwischen den Gesandten der vier alliirten Hauptmächte und dem niederländischen Departement der aus wärtigen Angelegenheiten lebhaft betrieben. Unter den erstern herrschte von Petersburg bis Wien und von London nach Berlin nur eine und dieselbe Stimmung über die ausgesprochene, voll kommen freie Rheinschiffahrt bis an das Meer. Oesterreich entwickelte in seiner Note vom 14. Februar 1826 die rechtlichen Ansprüche der Rheinnferstaaten auf die unbe schränkte Ausführung des Pariser Friedens mit großem Ernste, es sagte: „Die Freiheit der-Rheinschiffahrt bis in's Meer ist eine ausdrückliche Bedingung des Daseins des Königreichs der Niederlande. Die alliirten Mächte können den Grundsatz der freien Rheinschiffahrt nicht auslöschen, welchen sie vor dem An gesichte der Welt in der ersten Urkunde der diplomatischen Restauration von Europa proklamirt haben. Das Völkerrecht steht auf einer höheren Stufe, als die Verfügungen administra tiver Behörden, und die aus demselben entstehenden Folge rungen sind in zu langer Verbindung mit dem Grundsätze der Unverletzlichkeit der Traktate, als daß die vier Mächte die For derung, in den Genuß eines für alle Nationen erworbenen Rechts zu treten, Rücksichten unterordnen könnten, die nur aus örtlichen Verhältnissen und der Handelsgesetzgebung der Niederlande entspringen. Das europäische Völkerrecht will, daß Se. Majestät der König der Niederlande seine Souverä nität den Bedingungen unterordne, die in den Traktaten scst- gestcllt sind." Rußland erklärte ausdrücklich, daß die Ehre in Gefahr stehe, wenn die Erfüllung der Traktate länger in der bisherigen Weise verzögert würde, und sprach sich mit Nachdruck für die österreichische Ansicht aus. Die Niederlande entgegneten zwar, daß der Pariser Friedenstraktat nicht unbedingt bindende Kraft für sie habe und daß ihnen das Auslegungsrecht der Wiener Kongrcßakte ebenso zustehe, wie jedem andern; indeß gedrängt durch die Anforderungen der Wiederherstcller des europäischen Staaten bundes, erschien endlich das niederländische Dekret über die Rheinschiffahrt vom 10. September 1826, worin das Prinzip der freien Fahrt bis in die See zwar anerkannt, indeß nur der Leck als die Fortsetzung des Rheines auf dem Gebiete der Nieder lande betrachtet ward, und auf dieser Wasserstraße alle Zölle und Transitabgaben aufgehoben wurden. Der Leck enthielt in deß nur ein Sechstel der alten Rheinwassermenge, und die Un haltbarkeit dieses Gesichtspunktes war zu offenbar, als daß er irgendwie Anklang hätte finden können. Der chaotische Zustand der Rheinschiffahrts-Verhältnisse dauerte nun zwar noch einige Zeit fort; man erkannte indeß immer allgemeiner, daß die Bestimmung des Rheinstromcs erst dann erfüllt sei, wenn die Flaggen aller Nationen das zur höhern Regsamkeit wieder erwachte Rheinvolk begrüßen könnten und die Höhe der Abgaben dem Austausch der Bedürfnisse nicht entgegenstehe. Die Rheinschiffahrts-Kommission in Mainz nahm Kenntniß von allen diplomatischen Verhandlungen, infolge welcher der Entwurf zu einer Konvention zwischen den Uferstaaten, sowie zu einem definitiven Reglement besprochen ward, jedoch inso fern zu keinem Resultate führte, als Holland infolge der Tren nung Belgiens im Jahre 1830 sich nicht mehr für verpflichtet hielt, den früher aufgestellten Bestimmungen nachzukommen, und darauf hin die Unterzeichnung neuerdings verweigerte. Endlich jedoch, nachdem die Zentral-Kommission den hollän dischen Bevollmächtigten im Jahre 1831, vom Januar bis zuin 31. März einen Schlußtermin zur Unterzeichnung der Uebcr- einkunft gestellt hatte, erfolgte dieselbe in der 514. Sitzung der Zentral-Kommission am 31. März 1831. Diese neue Rheinschiffahrts-Konvention bestimmte: die Ans Hebung des gezwungenen Umschlagsrechts in Köln und Mainz, die freie Schiffahrt auf dem Rheine bis in die See und die gleich mäßige Vertheilung des Rheinzolles durch einen gemeinschafl' Uchen Tarif. Fünfzehn Jahre lang hatten in solcher Weise die deutsches Rheinuferstaaten die vertragsmäßigen Vortheile der freie" Handelsschiffahrt auf's neue entbehrt und den Niederlande" während dieses Zeitraumes vielleicht 25 Millionen Gulden "" unrechtmäßigen Transitgebühren entrichtet.