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Wöchentlich erscheinen deck u:nme rn. Prännmerati:>i Vreis 224 Sgr. (( Tblr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Et' hödunq, in alten Theilen Ler Preußischen Menarche. Magazin für die Man oränumirirt ans dineS Beiblatt der Allg. Pr. Staats- ZeiUing in Berlin in der E.rpcditicn (Mohren - Straße Nr. Z4): in der Provinz so Ivie im Äuslande bei den WoblUwt. Post-Aemiern. Llreratur des Auslandes. 144 Berlin, Mittwoch den 30. November 1836 Frankreich. Die Kunst, zu reisen, bei den Engländern, Italienern, Deutschen und Franzosen. Lou George Sand. Aldidn'S Insulaner trage» ei» ganz besonderes Fluidum mit sich herum, ich möchte cs das Britische Fluidum nennen, in welchem sie reisen und worin sie der Atmosphäre der Gegenden, durch die ihr Weg sie führt, eben so unzugänglich sind, wie die Maus in der Luftpumpe. Nicht bloß den tausend Vorsichtsmaßregeln, womit sie sich umgeben, rer- danken sie ihre ewige Leidenfreiheit. Nicht darum, weil sic drei Paar brooelios, eines über das andere, anbabcn, langen sic, trotz Regen und Kolb, vollkommen rein und trocken an; nicht weil sic wollene Perücken tragen, bietet ihre starre metallene Frisur aller Feuchtigkeit Trotz; auch nicht darum, weil ein Jeder von ihnen mit so viel Pomade, Bürstqn und Seife beladen einbcrzieht, als man bedürfte, um ein ganzes Regi ment Rekruten aus Nieder-Bretagne zu schniegeln, sind ihre Nägel siel« untadelhast und ihr Barl immer steif; nein , der Grund von dem Allen ist, daß die äußere Lust ihnen nicht bcikommcn kann, daß sie in ihrem Fluidum wie unter einer zwanzig Fuß dicken Krhstallglocke geben, trinken, schlafen und essen und mitleidsvoll durch dasselbe auf die Stei ler blicken, denen dec Wind daS Haar aufplusterl, und auf die Fuß gänger, denen der Schnee das Schuhwerk durchnäßt. Indem ich auf merksam den Schädel, die Physiognomie und die Haltung der fünfzig Engländer beiderlei Geschlechts betrachtete, die jeden Abend an den Wirtbstafeln der Schweiz wechselte», fragte ich mich, was wohl der Zweck so vieler weiter, gefahrvoller und mühseliger Pilgerschaften sehn möchte, und mit Hülfe meines FübrcrS, de» ich stets darüber zu Ratüc zog, glaube ich ihn endlich entdeckt zu babcn. Hier ist er: eine Eng länderin Hai zum eigentlichen Zweck ihres Lebens, cs dahin zu bringen, selbst die höchsten und stürmischsten Regionen zu durchwandern, ebne daß ihr auch nur ein Haar in ihrem Nacken gekrümmt werde. Der Zweck eines Engländers ist, eben so, nach einem Ausflug durch die Well in sein Vaterland zurückzukehren, ohne sich die Handschuhe be schmutzt oder die Stiefeln zerrissen zu haben. Daher kömmt cs, daß sie, Männer und Frauen, wenn sic sich des Abends nach ihren beschwer lichen Slreifzügen in de» Wirlhshäusern zusammcnsinden, ordentlich ins Gewehr treten und sich mit nobler, zusriedencr Miene in der gan zen majestätische» Undurchdringlichkeit ihrer Reise-Haltung präsentsten. Nicht ihre Person ist cs, die reist, sondern ihre Garderobe, und der Mensch ist nur der Träger des Mantelsacks, das Vehikel der Kleidung. ES würde mich gar nicht wundern, sähe ich in London etwa Reisebe richte unter folgenden Titeln erscheinen: Wanderungen eines HutS durch die Pontinischen Sümpfe — Erinnerungen an Helvetien, von einem Rockkragen — Reise um die Welt, von einem Kautsclzuk-Mantel Die Jtaliäner verfallen in den entgegengesetzten Fehler. An cin gleichmäßiges mildes Klima gcwLhnt, verächtcn sie selbst die einfachsten Vorsichtsmaßregeln , und der Wechsel der Witterung in unserem Klima packt sic so gewaltig, daß sie sogleich Heimweh bekommen. Mit stolzer Verachtung durchstreifen sic unsere Gegenden und vergleichen Alles, was sie sehen, beständig und unvcrholcn mit ihrem schönen Valcrlande, nach welchem sie sich überall zurückscbnen. Es ist, als wollten sic Italien wie ein Grundstück durch die Lotterie anSspiclen und als suchten sic Abnehmer für ihre Loose. Konnte Einem etwas die Lust zu einer Reise über die Alpen verderben, so wärt es die Marktschreiern, mochte man sagen, die man bei allen Städte» und Dörfern mit anzuhören hat, deren bloße Namen schon einem Jtaliäner Herz und Stimme aiischwcl- len, so wie er sie nur ansspricht. Die besten -und geräuschlosesten Reisenden sind die Deutschen. Vor treffliche Fußgänger, unerschrockene Raucher und sämmtlich ein bischen Musiker oder Botanisirer, sehen sic mit Ecmach und Verstand und trösten sich über alle WirthShaus-Langweil mit der Cigarre, der Flöte oder dem'Herbarium. Gravitätisch wie die Engländer, prunken sic doch nicht so mit ihrem Vermögen und machen nicht mehr Parade als Worte. Sie reisen ohne Aufsehen und ohne Andere zu Opfern ibrcr Vergnü gungen oder ihrer Muße zu machen. Was uns Franzosen betrifft, so muß man gestehen, daß wir uns weniger als irgend ci» Volk Europa'S aufs Reise» verstehen. Un geduld verzehrt uns, Bewunderung reißt uns fort, unsere Empfindun gen find lebhaft und mächtig, aber bei dem gcringstcn Mißgeschick er greift uns Unmmh und schlägt uns zu Boden. Obgleich unser bum» meist wenig erquicklich ist, so übt es doch eine Gewalt über unS aus, dic u»S bis an die Gränzen der Erde verfolgt, u»S kräftig und zur Ausdauer in Strapazen und Entbehrungen untauglich macht und uns das kindischste, abgeschmackteste Heimweh einflößt. Unvorsichtig wie dic Jtaliäner, besitzen wir doch nicht ihre physische Kraft, um die peinli chen Folgen unserer Unbedachtsamkeit zu ertragen. Wir bcncbmc» uns auf der Reise gerade wie im Kriege, voll glühenden Eisers beim erste» Auftreten, aber ganz muthloS nach einer Niederlage. Wer eine Fran zösische Karavane auf den steilen Wegen der Schweiz ausbrcchen steht, wird lache» über die ungestüme Freude, über das spaßhafte Ren nen in den Schluchten, über die lustige Hast, über all dic verlorene Mühe, über all die im voraus beim Antritt tcs Marsches verschwendete Anstrengung und über dic an dic ersten besten Gegenstände rnibufiastisch wcggeworsene Aufmerksamkeit. Man kann abcr sicher daraus rechne», daß die Karavane nach Verlauf einer Stunde alle in ihrer Macht stehende Mittel, sich körperlich und geistig abzumattcn, erschöpft hat und gegen Abend vereinzelt, unmutbig, zerschlagen und mit Mühe sich fortschleppcnd an der Herberge eintreffen wird, ohne auf die wirklich bcwnudcrnswerthen Dinge, außer höchstens , mit einem ganz flüchtigen und müden Blick, geachtet zu haben. Dies Alles nun ist vielleicht nicht so unwichtig, als es scheinen mäg. Eine Reise, hat Man ost gesagt, ist ein Abriß vom Leben des Mensche». Die Ari, zu reisen, ist also das Kriterium, nach welchem man die Nationen und die Jndividucu bcurthcilen kann; dic Kunst de« Reisens ist fast die Wissenschaft des Lebens. Ich für mein Theil thue mir aus diese Reise-Wissenschaft etwas zu Gute. Abcr ach, was hat es mich gekostet, sic mir zu erwerben! Ich wünsche Niemanden, um einen gleichen Preis dahin zu gelangen, und dasselbe kann ich von Allem sagen, was die Summe meiner gewon- ncncn Ideen und angenommenen Gewohnheiten ausmachl. Weiß ich ohne Langeweile und ohne Nnmutb zu reisen, so bilde ich mir doch nicht cin, daß das Gehen mich nicht ermüdet, und daß der Regen mich nicht naß macht. Es steht in keines Franzosen Macht, sich so viel Britisches Fluidum anzueignen, um allen Einflüssen von Wind und Wetter ganz zu entgchc». Meine Freunde sind in demsel ben Fall, so daß unsere Toilette auf dem ganzen Wege für die Reisen den unter der Luftpumpe cin Gegenstand des Aergerniffcs und der Ver achtung war. Aber welche Entschädigung findet man auch dafür, wen« man sich auf die Erde wirft, «in auf dem ersten besten Moose au-- znruhen, wenn man sich in der Sennenhütte cinräuchern läßt, wen« man ohne Hülse des Maulthiers und des Führers die schwierigste« Wege zurücklcgt, wenn man auf den fchwammichte» Wiesen den weiß- geflügcltcn, pnrpuräugigen Apollo vcrsolgt, wenn man an den Ge büschen entlang nach der Phantasie hascht, dic rascher und schöner ist, als allc Schmetterlinge dec Erde! Und sollte man auch am Abend zerzaust, gebräunt, bestaubt, schmutzig und zerrissen vor den Engländer« erscheinen, sollte man auch für einen Seiltänzer oder Komödianten ge halten werden! (IE fl. st. !».) Die Königin Hortensia bei Napolcon's Landung von Elba. (Schluß.) Dic Marschallin Nev machte einen Besuch bei der Königin, als wir gerade nur zwei oder drei Personen um den Theelisch saßen. Dic arme Marschallin war ganz verstört. „Ach, gnädige Frau, was ist diese Lgndung für ci» Unglück", sagte sie zur Königin; „wir waren so ruhig! Mein Gemahl geht diesen Abend nach Besancon; er zieht die Truppe« zusammen, um gegen den Kaiser zu marschiren." — Die Königin ant wortete nicht. — „Aber weich ein toller Gedanke ist dem Kaiser beige- kommen?" fuhr dic Marschallin fort; „sehr bald wird er das Opfer desselben scyn. Wer wird sich mit ihm vereinigen? Niemand. Jeder mann ist von den Eiden gegen ihn entbunden und hat sie Andere» ge leistet." Die Königin, einigermaßen durch die wegwerfende Art und Weise, mit welcher die Marschallin ihre Gedanken aussprach, verletzt, crwicdertc kalt: „Es ist gar kein Zweifel, daß sehr viele Mensche» gegen den Kaiser sind; wer wird aber auch glauben, daß nicht Ein Franzose z» ihm übergeben werde? ... Seine Rückkehr ist freilich ein großes Unglück, das ich eben so, wie Du, beklagen muß, ohne indessen Deinc Ucbcrzeugung zu theilen, daß der Kaiser ganz verlassen scyn dürfte. Meine Meinung ist, daß wir einen Bürgerkrieg haben werden, und das ist cin trauriger Gedanke." „Einpn Bürgerkrieg?" ries dic Marschallin erstaunt. „Ah, Sie kenne» Frankreich sehr wenig! Es will Keiner mcbr etwas vom Kaiser wissen, und mein Mann, der den Stand der Dinge besser als wir bcurihcilcii kann, bedauert dic traurige Lage, dic sich der Kaiser bereitet. Er wird keinen Mcnschcn ans seiner Seite haben "