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Wicheutlich erscheint» drei Nummern. Pränumeration». Preis 22j Sgr. (j THIr.) »ierteliöhrlich, 3 Thlr. sür da« ganze Jahr, ohne Er- HSHung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Ma» prinumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staat». Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren < Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im Au»lande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 103. Berlin, Freitag den 26. August 1836. Frankreich. Ein Blick hinter die Couliffen der Oper. Alles, was zum Theater gehört, Sachen und Personen, war von jeher für das Volk in einen Nimbus gehüllt, der auch jetzt noch nicht verschwunden ist. Arnal kann nicht über die Slraße gehen, ohne von zwei Böotiern angegaffl zu werden, von denen Einer den Anderen an- siößl und zu ihm sagt: „Siehe, stehe, da ist Arnal! Ich versichere Dir, es ist wirklich Arnal." Gewöhnlich verändern sie dann ihren Weg, um ihm auf drei Schritt zu folgen, und »ran sicht sie ein Lächeln der Verständigung mit anderen Böoiiern austauschen, die sich ebenfalls um- wenden, nm „Renaudin von Caen" vorübcrgehcn zu sehen. Dieses Lächeln bedeutet so viel wie: „Ah, Sic erkennen Arnalk Wir auch, wir haben ihn sogleich erkannt, wie wir durch unser Nachgehen bewei sen." Oft besuchen auch solche Leute bloß deshalb jene Kaffeehäuser, die unzertrennlichen Nachbarn der Theater, uni zu sehen, auf welche Weise die Schauspieler frühstücken, Bier trinken oder Domino spielen. Sie wenden ihre zärtliche Neigung besonders dem Komiker zu, halten sich mit unterdrücktem Lachen in seiner Nähe auf, bieten ihm einen Stuhl an, reichen ihm Kreide für sein Billard-Queue oder heben sein Schnupftuch auf. Diese stummen Gefälligkeiten rühren endlich den Schauspieler, der dann nach und nach den Unermüdlichen grüßt, ihm einen Händedruck bewilligt und ihn späterhin wohl gar des vertraulichen Du'S würdigt. Wenn der Unermüdliche jung ist und aus diese Weise seine Zeil verschwendet, die er seinem Notar oder seinem Advokaten schuldig wäre, so sagt seine Familie gewöhnlich von ihm: „Er ist ein Taugenichts, aus dem nie etwas werden wird, denn er steckt ewig mit Schauspielern zusammen." Die Schauspielerin ist ein Gegenstand der Neugierde, der noch ganz anders gesucht und begehrt wird. Zn seiner Loge nimmt der Portier ihres Hause« die Besuche der Nachbarn an, die sie vorübergehen sehen wollen, wenn sie sich in die Proben beziebt; auf ihrem Wege dahin begegnet sie jungen Leuten, die ihre Stunden kennen und sich >» Reihe und Glied ausstellen, um sie zu erwarten. Kaum erscheint die Ersehnte, so setzen sie sich von fern schon in Positur, drehen ihre Haar locken, schärfen ihren Blick, und al« ob sic diesctbe znm ersten Male säben, sagen sie, laut genug, um verstanden zu werden, indem sie ihr auf dem Trottoir Platz machen: „ES ist Dejazel!" Des Abend« findet man sie im Theater auf dem Balkon, im Orchester wieder, aus der Menge hervor zwei behandschuhte Hände erhebend, deren eine sich mit dem Hallen der Lorgnette abmüdet, während die andere die Falten einer bschsirebenden Halsbinde znrechtlcgt. ES ist nicht Einer unter ihnen, der sich nicht auf seinem Platz erkannt glaubte, der sich nicht einbildete, der Gegenstand unzähliger Blicke und Kokelterieen zu sevn. So gehen die Sachen ihren Lauf fort, bi« die Schauspielerin eine« Tage« einen also lautenden Brief erhält: „Madame! Zch bin achtzehn Zahl alt, von frischem und glühendem Herzen. Zch kann nicht Millionen zu Ihren Füßen niederlegen, aber ich weihe Ihnen meine ewige, gränzenloje Liebe. Ihr leidenschaftlicher Anbeter Eduard. ?. 8. Da ich bei meinen Acllern wohne, so antworten Sie mir nicht nach meiner Behausung. Senden Sie mir vielmehr Poste restante einen Bries, in welchem Sie mir sagen, ob ich Sie nächsten Sonntag um Ein Uhr im Luxemburg, auf der drillen Bank links von der Allee de« Observatorium«, erwarten darf. Sie werden mich an meinen grünen Beinkleidern, zugeknöpftem Neberrock und am Feuer meiner Augen er kennen, die Ihnen meine überschwengliche Glückseligkeit ausdrücken wer den. Sollte es Ihnen nächsten Sonntag nicht möglich sehn, so mag e« bi« zum folgenden verschoben bleiben." Ein anderer Brief ähnlicher Art. „Madame! Frelillon ist ein so gute« Mädchen, daß sie sicher auch gern einen braven Burschen kennte, der vor Verlangen brennt, sie zu sehen. Kommen Sie in den Laden, stellen, Sie sich, al« wollten Sie Batist- Schnupftücher kaufen, und stecken Sie mir did Antwort auf gegen wärtige Zeilen heimlich zu, damit c« die anderen Commi«, die große Spaßvögel sind, nicht gewahr werden. Eugene, Commis im ehernen Pferd, auf dem Boulevard der Itgliäner." Die armen Jüngelchen glauben, daß die Sängerin nach dem Schauspiel mitten durch den Lärm und Dampf de« Abendessen« noch ihre Stimme ertönen läßt, und daß sie mit chromatischen Tonleitern den Refrain eines Trinkliedes verziert; daß die Tänzerin kein Wort spricht, keinen Kuß empsängl, ohne einen Fußwirbel zu machen; daß sie in ihrem Zimmer umherhüpst, daß sie rin Entrechat schlägt, wenn sie ihren Shawl au« dem Schrank nimmt, daß sic cine liebliche Pirouette zirkelt, wenn sie die Thür zumacht, und daß sic sich ihrem auf weichem Divan ruhenden Geliebten nie. nähcrt, ohne einige PaS de BaSgue auSzu- sühren und ihm ein Blumenkörbchen zu überreichen. Frctillon erscheint ihnen immer sorgenlos, strahlend, großmüthig, Champagner schlürfend und ihr Leben in einem Strudel von Thorheil und Freude dahinrollend. Sie können sich nicht vorflellcn, daß die Sängerin, nachdem sie den Tag über die Tonleitern durchgcübt (eine Ucbung, die den Nachbarn so verhaßt ist, daß sie ost Anlaß zu einer Wohnungskiindigung wird) und den Abend drei oder fünf Akte hindurch mit Anstrengung gesungen hat, sich eiligst, in warme Kleider gehüllt, aus ihrem Theater entfernt und in ihr Bett flüchtet, um den Halsschmerzen, dem Verlust der Stimme und anderen Leiden zu entgehen, denen die Sänger ausgesetzt sind; sie denken nicht daran, daß die Tänzerin sich de« Morgens durch lausend abscheuliche Verdrehungen, Kmebiegnngen und Fußirillcr, die sie ab» magern, ersticken und in Schweiß baden, zu der Anmuth und dem Er folg der Verstellung vorbereitet; daß sic, dem Rennpferde gleich, beim Zurückireten hinter die Coulisse in Haufen von Tüchern gehüllt wird und sich, abgcmaltet, ohne Leichtigkeit und ohne Lächeln, mühsam in ihre Loge hinausschlcppt, um ein wenig Ruhe zu suchen und mit einer Stunde voll Beklemmungen einen kleinen mit Beifall gekrönten Erfolg zu büßen. Wa« Frelillon anbetriffl, so ist sie ein Weib von überaus viel Geist, aber nichtsdestoweniger trübsinnig, sic, die jährlich mit großer Sorgfalt zwölf Rollen einstudirt, täglich vier Probe-Stunden durch» macht und ganz bürgerlich nm sünf Uhr zu Mittag speist, weil sie in zwei oder drei Stücken mitspielen muß. Da« ist die Wahrheit, die nackte Wahrheit, die eben so prosaisch und unbedeutend auSsteht, wie eine in der Nähe betrachtete Dekoration. Laßt un« diese Wahrheit den Jünglingen ans der Provinz, de» Gymnasiasten, den Ingenieur«, de» Schreibern der Advokaten und No tare, den Zöglingen der Schulen und der ganzen zwanzigjährigen Ge neration zurusen, die da« Leben mit einem Regenbogen von Vergnügen gefärbt sicht, für dir da« Theater eine Hölle voller Lust, ein Kapernaum der Freude ist; die in den Tänzerinnen Huri'«, Sylphiden, Sulta ninnen erblicken, Nymphen, goldbcschwingte, ätherische, duslige Wesen, strahlende Schmetterlinge, bnnte, zerbrechliche, die Erde 'verschmä hende und in höhere» Regionen, in einer Atmosphäre von Portugie sischen Wohlgcrüchen, von Patschuli-, Vanille- und Blumen-Effcnz um- berflallrrndc Insekten. Diese unglückseligen Neulinge reißen ihre jung fräulichen Nasenlöcher weit auf, wenn Ihr von einer Prima Donna sprechet; ihre rochen, flaumsedrigen Obren erweitern sich, um den klein sten Umstand ihre« Lebens einzusaugen. Sie beben vor gcheimer Eifer sucht, wenn sie erfahren, daß Ihr mit dieser Prima Donna reden, daß Ihr, so oft es Euch beliebt, den Stoff ihre« Gewände« berühren dürft; vor Neid möchten sie Euch morden, wenn sie erfahren, daß Ihr zuwei len ihre Hand küsset. In irgend ein Theater Zutritt zu haben, bei Madame Saqui zum Beispiel, scheint ihnen unendlich mehr wertb, al« eine Einführung in den Salon der besten Gesellschaft. Für sic sind die Couliffen eines Königlichen Theaters das Paradies.... des Muhamed versteht sich; und wenn Ihr ihnen ohne Umschweife, ohne Vorbereitung da« Anerbieten machtet, sic hinter die Couliffen der Oper zu führen, so würden sie, erstarrt vor Glück, mit dem Angesicht zur Erde stürzen. Man muß gestehen, daß die tollen Jugendstreiche unserer Vorfahren nicht wenig dazu bcigetragen haben, da« Leben der Theater-Schönen in einen poetischen Glanz zu hüllen; man hat un« so viel von Marquis erzählt, die durch Tänzerinnen zu Grunde gerichtet, von General-Päch tern, die wie Schwämme bi« auf das letzte Goldkörnchen auSgesangt wurden, von vornehmen Wollüstlingen, die ibre Güter mit den Car- margo'S, mit den Guimard'« durchbrachten, bei ihren Abendtafcln Golt und dem Könige Trotz boten und de» Puder ihrer Perrücken auf ge blümten Sophä's abschültelten. Diese geschminkten Liebschaften, in Reif- röcken, Pantoffel» und Chinesischen Gewändern, diese Grolten-Licbschaf- ten bildete« damals die Geschichte der Stadt und de« HoscS. Frankreich hatte geraume Zeit keine andere Geschichte. Sich eine Schauspielerin >u ballen, war ein so unumgänglich uolhwendiger Luxus, daß der Mar- fchall von Sachsen, dieser Mann des Kriege«, dieser Herkules, der mit einem Fauststoße einen Boxer zum großen Jubel de« Londoner Pöbels in einen Schmutzkarren hincinwarf, daß dieser Marschall von Sachsen