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160 Prinz von Oranieu und die Revolution Haden abwechselnd seinen lite rarischen Weihrauch zu riechen bekommen. Herr von Staffart wird übrigens jetzt gewiß viel besser mit seinen Senatoren fertig, als jemals mit seinen Versen; unter den 82 Ehren männern, denen er als Präsident Vorsicht, befinden sich kaum drei Wi derspenstige; alle Andere sind wie kalfaterte Schiffe, die mitten in der Rhede vor Anker liegen und schlummern: so oft man im Takel werk ein Pfeifen vernimmt, kommt es von Außen her. Vierzig Jahre und lausend Gulden Eontribulion, das Patent mit einbegriffen, machen den Belgischen Pair. Vor kurzem begann ein Mitglied sein Geschwätz über die Todesstrafe mit folgenden Worten: „Entschuldigen Sie, wenn mein Schnupfen mich daran hindert, meine Ideen mit" Klarheit auS- zudrücken." Der Präsident der Repräsentanten-Kammer mirß das Steuerruder mit festerer Hand fuhren, als der Präsident des Senats. Auch wird er in seinem Berufe kräftiger unterstützt, und zwar nicht bloß von Sei ten der Mitglieder, die wir schon genannt, sondern auch von Seiten derer, die in ihrer Sphäre Geltung und Einfluß haben. Zunächst kommen die Gebrüder Rodenbach, die Kosaken der Partei, die man voranschickt, um das Terrain der Verhandlungen aus zuwittern. Der Eine, Konstantin Rodenbach, vormals praktischer Arzt, ist Eommiffair des Distriktes Mechel» geworden. Dec Andere, Alexander Rodenbach, hat schon im zehnten Lebensjahr sein Gesicht verloren; dessenungeachtet nimmt er, mit seltenem Scharfblick, an den Verhand lungen der Kammer thäligen Antheil, indem er nicht bloß Generalfragen, sondern auch Diskussionen über finanzielle Dinge bis in die winzigsten Details verfolgt. Die Rodenbach s haben »och einen dritten Bruder, der nicht zur Kammer gehört: cs ist der Oberst Peter Rodenbach, ehe mals Secoude-Lieulenant unter dem Kaiserreich, den man 1830 aus einer Destillation hcrvorhvlte, um ihm die Wurde eines militairischen Komman danten von Brüssel zu übertragen. Diese Familie Hal sich wegen ihres leidenschaftlichen Hasses der Holländischen Regierung bekannt gemacht. Der blinde Alexander ließ die ersten Petitionen in Flandern unterzeichnen, und sein Bruder Konstantin wurde gleichsam vorgeschoben, um den Wunsch einer ewigen Ausschließung des Hauses Oranien zuerst vor dem Kongresse auszusprechcn, ein gefährlicher Auftrag, dessen er sich mit der Kaltblütigkeit eines Baschkiren, der die schöne Stadt Moskau in Flam men steckt, entledigte. Den Obersten Rodenbach macht die öffentliche Meinung für die Plünderungen verantwortlich, die am 6 und 7 April 1834 in Brüssel vorfielen. Ein kleines Journal halte das damalige Betragen des Kommandanten sehr gut mit den Worten charaktcristri; „Der Oberst Ikflcke-vn-kaz- (der unten herumstreichl) poinlant-lzu'on- pillo-en-haut (während man oben plündert)/' So viel ist aber sicher, daß in jenem Tumulte der Fehler an Jedermann und doch auch wieder an Niemand lag. Die Behörden hatten Furcht, und die Truppen stan den der Emente mit geschultertem Gewehr gegenüber, indem sie einer Unterschrift entgegen harrten, für die keine Feder sich finden wollte. . Zu der verlornen Mannschaft') des geistlichen Heeres kann man auch Herrn Desmet rechnen, der scherzweise der Bilderstürmer genannt wird, weil die Karrikatureu das Privilegium haben, seine Wuth zu reizen, und weil er sie in den Kaffeehäusern zerreißt, so ost einige Mißgriffe der katholischen Partei darauf persifflirt sind. Zn dem schlagfertigen Heere der katholischen Aristokratie hält der Abbü de Focre, Deputirter von Flandern, das Banner des Herrn Muelenaere, seines Freundes und Obcrlebnshcrrn. Der Abb« de Foerc ist ein kurzer stämmiger Mann von ungefähr 80 Jahren, und besitzt im Gebiete der Slaatsbaushaltkunde tüchtige Kenntnisse. Wenn die Frage wegen der Handels-Freiheit erstlich reif ist, so wird man ihn als Käm pen des Prohibitiv-Systems auftreten sehen. Unter der Holländischen Regierung wurde er als Journalist der Opposition vcrurlbcilt; obgleich nun ein Kind der Presse von 1830, verleugnet er jetzt doch seine Muller. Zhm zunächst kommen Herr LiedtS, ebenfalls Deputirtcr von Flandern; Herr von Sücus, Sohn des SenalorS, und Herr Adolf DechampS, der jüngste Katholik der Kammer, VerSkünstler und Red ner zugleich, die s;»-» altera des Katholizismus auf der Tribune, ein junger Mann von 26 Zähren, der anfangs die WiedergeburtS-Ideen des Abb6 de. Lamennais theille, und dem Papste gar keine weltliche Macht zugcstcben wollte, jetzt aber in der monarchischen Partei ein weiteres Feld für seinen jugendlichen Ehrgeiz sucht. Bevor wir die aristokratischen Katholiken verlassen, müssen wir noch einetz Mannes gedenken, der. in den ersten Zeiten der Revolution seine Rolle spielt», und noch immer, obgleich er jetzt auf einem weniger glänzenden Posten steht, einen stillen, aber wesentlichen Einfluß übt. Herr von Verlache, nunmehriger Präsident des Eaffationshofes, thul der katholischen Partei immer noch kräftigen Vorschub. Er strickt im Verborgenen einige Maschen an dem großen apostolischen Netze, welches die neue Belgische Congregation dereinst über das ganze Land auSbresten wird. (Fortsetzung folgt.) England. Die Englische Bühne in Ostindien. lAus dem Reise - Tagebuch eines Engländers.) Bei unS in England hat ein auSgezeichneler Schauspieler, wenn sein Lebenswandel untadelhafl ist, in den ersten Zirkeln Zutritt. Die Englisch-Indische Gesellschaft aber wird durch so subeile Fäden zusammengehallen, das Gewebe der Etikette ist dort so sein gesponnen, daß es fast unmöglich sey» durste, über die Stellung eines Schauspic- ') Luk»»» peräus. So heißen bekanntlich die Ersten beim Slunnlausen. lerS in den gesellschaftlichen Zirkeln der Präsidentschaft etwas Bestimm tes zu sage». Sagt man Leuten von irgend' einer Klaffe, sie sehen nicht ehrcnwerlh, so bemühen sie sich auch "nicht ferner, es zu werden; weist man Individuen, deren Gaben die höchsten Stände bezaubern können, eine untergeordnete Sphäre ini Leben an, schickt man sie in WirthShäuser und Tabagieen, statt ihnen an vornehmen Tafeln Sitz und Stimme zu gönnen, so wird ihr Talent bald nur den gemeinen Haufen ergötzen. Viele Schauspieler würden freilich an solchen Orten sich behaglicher fühlen, als in den Salons der Hohen Beamten. Unser Kean fand in der sogenannten „Kohlenhöhle" am Strand unendlich mehr Befriedigung, als an der prächtigen Tafel jenes bekannten West indischen Kaufmanns, dessen Weib und Töchter ihn mit ihren, Geträtsch über Shakespeare zu Tode peinigten. Nun zu den Actricen insbesondere! Was sollen diese unter den Englisch-Indische» Ladies für eine Rolle spielen? Eine große Künst lerin, die einem dichtgedrängten Publikum täglich Thränen entlockt, oder durch de» Zauber ihres Gesanges die Hörer fortreißt, wird sich durch den Rang, durch die kalte Herablassung ihrer gnädigen Wirthin nicht demiithigen lasse». Freilich kommen dabei Charakter und Lebenswandel der Schauspielerin sehr in Betracht; gleichwohl wird man, wo so viele Helene» betheiligt sind, eine ganze Zliade von Katzbalgereien weissagen könne,i. Welch' ein endloses Gewebe von Klatscherei und skandalösen Anekdoten, wenn die Lady selbst nicht ein Mirakel von Zurückhaltung ist, — wenn sie in dem Katechismus des weiblichen Dekorums nur Einen Artikel übersieht? Die unbedeutendste Taktlosigkeit wird durch weibliche Rhetorik zu einem schweren Verbrechen gesteigert, und die arme Künstlerin muß ein elendes Dasevn führen, weil sie kein vollen deter Engel ist. Unter den gegenwärtigen Umständen kann die Englische Bühne in Ostindien natürlich nur als ein Liebhaber-Theater angesehen werden. Was für Zurüstungen sind nicht allemal nöthig, bevor dieses oder jenes Drama auf Liebhaber-Brettern — prvstiluirt wird? Was ersinnt und erkünstelt man nicht Alles, nm diese oder jene Blöße zu bedecken? WaS siir lustige Zänkereien um die Haupt- Rollen! Die Garderoben- Anekdoten des Theaters in Madras würden Stoff zu einem sehr unter haltenden Buche geben. Es war vielleicht das hübscheste Sommer- Theater, das man jemals erbaut hat. Von seinem universelle» Ge brauche — es diente zugleich als Casino, Freimaurer-Loge und Parla ment — empfing es den Namen Pantheon. Die interessanteste Pe riode seiner Geschichte ist jetzt vorüber: die Reduction der Gehalte beim Civil- und Militairstande, und noch andere Ursachen mehr, haben den Indo-Briten auch diesen harmlosen Genuß versalzen. Mark Ro- warlh, der «rbiler vIcAantiarum der Kolonie, war Direktor des Thea ters zu Madras, und bezog in dieser Eigenschaft ein anständiges Gehalt. Er rekrutirle seine Truppen mehrenthcils aus jungen Militair-Pcrsonen, und dressirte die zartgeformleste» seiner Eleven zu Theater-Damen. Aber unser Oberst Elisha Trapaud! Ei, wie Schade, daß mir in diesem Augenblick nicht Scarron's Pinsel zu Gebote steht, um den guten Trapaud zu malen, den man bei seinen Lebzeiten boshafter Weise „Oberst Crapaud" (Kröte) nannte! Er besaß die ganze theatralische Reizbarkeit eines Ragolin; und wenn man seiner Eitelkeit schmeichelte, so entschloß er sich, jedwede Rolle zu übernehmen, wie wenig auch seine Person, ein wahres Pasquill aus die Menschheit, dazu geeignet sey» mochte. Bei Allen« dem war er ein braver Schauspieler; man mußte zwar über ihn lachen, so oft er nur die Bühne betrat; allein er nahm dies für die Wirkung irgend eines komischen Einfalls, und freute sich von ganzem Herzen. Einst beredete ihn Zemand, eine Komödie zu schreiben, und zum Unglück machte er sich in allem Ernste daran. Ein solches Gewebe von Abgeschmacktheiten war noch nie in dem Gehirn eines Bühnendichters ausgehcckl worden; dennoch bildete er sich viel darauf ein, und gab sich bei der Vorstellung alle erdenkliche Mühe. Die übrigen Schauspieler thaten ihr Mögliches; denn Trapaud war ein so harmloser und drolliger Mensch, daß Keiner ihn hätte kränken mögen. Zu dieser Komödie, die er den „Kaufmann von Smyrna" betitelte, schrieb Herr Trapaud einen Prolog, den Mark Rowarth gern oder ungern deklamircn mußte. Der Prolog wurde mit rauschendem Spott-Beifall ausgenommen. Während der Vorstellung vergaß aber ein Schauspieler seine Rolle, und ein Anderer extemporirle eigenen Unsinn, so daß der arme Autor in schäumende Wuih geriet!). Als der Vorhang gefallen war, ries man den Verfasser heraus, und warf einen mit Blumen durch- flochtenen Kranz aus die Bühne. Nach einigem affektieren Sträuben ließ es Trapaud geschehen, daß zwei Schauspieler ihn krönten. Zn diesem Zweck mußte erst die dicke Perücke von dem dicken Kopfe des Männleins herunter; allein der Kranz bestand aus Blätter» von einer dornigen Hecke, welche die kahlen Stellen seines Kopfes blutig kratzten. Trapaud verließ die Bühne unter Fluchen und Verwünschungen. Nie werde ich die Ausführung des Macbeth vergessen, bei welcher ein junger Herr Anstey, der Sohn des berühmte» Verfassers des „Füh rers in Bath," weil es an Schauspielerinnen fehlte, die Rolle der Lädy Macbeth übernommen hatte. Jedermann weiß, wie schnell in heißen Klimaten der Bart wächst. Anstey s Bart, der von der schwärzesten Farbe war, hatte im Verlaufe des Stückes so große Fortschritte gemacht, daß die Lady während der Pause zwischen dem vierten und fünften Akt sich rasiren mußte. Die schwüle Lust hinter den Coulissen nöthigte aber Herren Anstey, mit seinem ganzen Rasir-Apparalc auf die kühlere Bühne zu gehen. Da machte sich Einer den boshaften Spaß, und klingelte. Der Vorhang rollte aus, und zeigte der schönen Welt von Madras zu ihre», nicht geringe» Erstaune» die Lady Macbeth bei einer so höchst unwciblichcn Toiletten-Arbeit. Ma» denke sich das Zeterge schrei und wiehernde Gelächter des Publikums! (^sial. äourn.) Herausgegeben yon der Redaktion der Allg. Preuß. StaatS-Zeitung. Gedruckt bei A, W. Hayn.