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158 der schrecklichsten Gefahr zu begegnen, sobald die Thur aufgeschlossen würde, wenn nicht früher Hülfe käme. Sie wandte die Augen hinaus zu der Orgel und flehte in Gedanken zu den symmetrisch stehenden, langen, blinkenden Orgelpfeifen. Aber mit allen ihre» Mündungen schwiegen sie jetzt. — Sie sah auf zur Kanzel; dort stand Niemand; auf den Bänken saß Niemand. Ihren letzten Freund hatte sie von sich entfernt." „Sie wandte den Kops wieder zum Chore hin. Sie erinnerte sich, daß damals, wo sie so Biele hier versammelt gesehen hatte, auch zwei Priester im Ornat vor de» Schranken herumgegangcn waren und den Knieenden etwas geboten hatten. Ohne Zweifel zur Hülfe! Aber jetzt — jetzt befand sich hier Niemand. Wohl lag sie auf deu Knieen mit gefalteten Händen und begehrenden Augen: aber Keiner, Keiner war da, der ihr das Allermindeste bot: Sie weinte." „Sie sah durch die hohen Kirchen-Fenster zum klaren Mittags- himmel hinaus; ihre Blicke irrten über den weiten, feinen Azurglänz umher, der sich unermeßlich nach allen Gegenden erstreckte, aber ihr Auge konnte an nichts haften. Kein Stern schien jetzt, und selbst das Bild der Sonne ward durch die Fcnster-Psorten verdeckt, obgleich sie ihre milde goldne Flulh über die Erde strömen ließ. Sie mußte da wieder ihren Blick hineinwenden und er senkte sich zur Erde. Ihre Kniee ruhten auf einem Grabstein und sie sah mehrere solche um sich herum. Sie las die auf den Steinen cingegrabenen Namen, welche lauter in Schweden gebräuchliche waren. „ „Ach!"" sagte sie seufzend vor sich hin, „„ich heiße nicht wie die Anderen, meiner Namen sind viele gewesen, geliehene, oft gewechselte. Einen, der mein eigner wäre, bekam ich nicht; o! hätte ich nur einen einzigen, so wie andere Men schen! Mich hat Niemand in seinem Buche ausgezeichnet, nach mir frägt Niemand; Ich habe mit Keinem zu schaffen! — Arme Azouräs."" flüsterte sie leise u»d vergoß bittere Thränen. ES war kein Anderer, der das „Arme AzouraS" ausgesprochen, aber es war gleichsam, als wäre es ein inneres, höheres, unsichtbares Etwas gewesen, welches das äußere, niedrigere und sichtbare Wesen beklagte. Das Mädchen weinte noch immer. Gott ist todt, dachte sie, aber ich bin ein Mensch, ich muß leben, nnd sie weinte immer innerlicher und bitterer." „Unlerdeß verstrich die Mittagszeit, und die Stunde des Abend gesanges schlug; die Glocken im Thurme fingen an, ihre dumpfe Fcier- stimmc hören zu lassen, und Schlüssel rasselten im Schlosse. Da schreckte das heidnische Mädchen auf, und einer leichten Wolke nicht unähnlich, schwebte sie vom Altäre wieder in ihren Versteck, und es schien ihr, als hätte sie sich im Chor der Kirche Freiheiten genommen, zu denen sie kein Recht hatte." „Jedoch — als die Harmoniken der Orgel mit der milden Sonnen luft in der Kirche zu verschmelzen begannen, stand AzouraS lauschend, und sie fühlte plötzlich, wie die Qual aus ihrer Brust verschwand. Sie hielt es nicht mehr für gefährlich, die Kirche zu verlassen; sie schlich sich weg, ehe der Abcndgesang beendigt war, kam auf den Kirch hof und zur nördlichen Pforte. Kindliches Vergesse»! Warum dachte sic nicht jetzt an die Ausgesandtcu ihres grausamen Verfolgers's" Bibliographie. Klassik» författare: Svenska vittcrheten. (Schwedische Klassiker.) ister Band Stjcrnbjelm. Ungdoms tidsfördrif. (Jugend-Zeitvertreib.) Von Fr. Cedcr- borgk. Stockholm. 1 Thl. 16 ß. Hertha, poelisk Kalender för ar 1835. (Poetischer Almanach für 1833) Lund. Svenska fornsänger. (Alte Schwedische Gesänge. Eine Samm lung von Kampflieder», Volkslieder», Spielen und Tänzen, nebst Kinder- und Kirtengcsängem) Herausgcgcbcn von Arvidsson. Stockholm. I Tbl. 34 ß. En troendes ord, af La Mennens. (?»roles el'un cro- )mnt.) Lund. Belgien. Belgiens öffentliche Charaktere. (Fortsetzung.) Der Stammhalter der Familie Robiano, Gras Franyois, wei land Kammcrberr des Königs der Niederlande uud jetzt Belgischer Se nator, der Einzige unter seinen friedfertige» Kollegen, der manchmal zu vpponiren versucht, ist emigermaßcn ei» Flecke» i» der reine» katho lischen Einheit seines Geschlechts. Ec ist ein anmutbigcr Erzähler von Anekdote», nnd steht bei den Scinigcn in den, Rufe', daß er die ab scheulichen prosaischen und poetischen Werke der pbilosophischc» Schule des 18ten Jahrhunderts ohne Graue» gelesen habe. Man geht so weit, zu bcbauplcn, er wisse ganze Tiraden VNlaire's auswendig, und schände die Würde des Adels in solchem Grade, das; er mit Plebejern Umgang pflege, die keinen adeligen Blutstropfen i» Uwe» Ater» haben Man erzählt, daß ein Senator von bürgerlicher Abkunft, der we gen seines durch Industrie erworbene» Vermögens in Belgien berühmt geworden, eines Tages einen, Glicdc dicker erlau btem Famlie seine Auf wartung machte. Dieser Schritt wurde so unschicklich befunden, daß die anwesende» Dame» von ibre» Sitzen ausstanden, und es für gc- ratben hielten, den Salon zu verlassen. Ich zitirc dicsts Faktum nur deshalb, weil eine so energische Probe von Belgischem Adclstolz kaum auf historischem oder traditionellem Wege zu m s gelangt ist. Herr von Robiano d'Ostrcgttics, Bruder des Obigen, sitzt gleichfalls unter de» Mitgliedern des Senates. Obgleich seiner Partei aufrichtiger zugethan, steht er doch in weit geringerem Ansehen, als sein älterer Bruder. Herr Robiano von BorSbekc zeigt noch größeren politischen Eiser, als seine beiden Brüder. Er ist Einer von denen, die das Bel gische Volk am kräftigsten gegen die Holländische Negierung anspornten. Er besitzt einen rechtlichen Charakter, ist streng gegen sich selbst wie ge gen Andere, und wacht mit ängstlicher Sorgfalt über die Privilegien des Adels und insbesondere seiner Familie — Privilegien, die zwar aufgehoben sind, deren Litel er aber wie ein geheiligtes Recht beibe hält, das in Zukunft wieder gültig werden kann. Die folgende Anek dote wird ihn treffend charakteristren. Im vergangenen Jahre wurde dem Grafen Robiano von Borsbcke ein Soh» geboren. Er ging iu Begleitung der von ihm selbst gewählten Tauspalhcn zu dem Pfarrer des Ortes. Dieser befragte ihn über Namen und Charakter des Neu geborene». „Schreiben Sie Messirc von Robiano." Der Pfarrer wendete ein, dieser Titel habe ja keine Gültigkeit mehr, und er könne also de» Neugeborenen nur als Grafen von Robiano in das Kirchen buch emtrageü; aber Herr von Borsbcke demonstrirte ihm vor, daß nur der Erstgeborene in seiner Familie de» Titel eines Grafen zu führen berechtigt sep, wogegen die jüngeren Söhne seit undenklicher Zeit Messirc betitelt würden. Nene Weigerung des Geistlichen. Was hatte nun der Vater zu thun? Eh' ec eine solche Verletzung des alten Herkommens duldete, ließ er lieber deu jungen Messire gar nicht tau fen, und ein anderer Pfarrer, der die historische Ueberlicferlmg mehr zu ehren wußte, lauste später das hochgeborene Kind ganz nach des Vaters Wunsch. Herr Robiano vou Borsbcke gehörte zur Kammer der Repräsen tanten; er entsagte aber diesem Berufe, als das bekannte cncpklische Schreiben des Papstes gegen die demokratischen Prinzipien erschien. Trotz der Antipathie, die jeder vernünftige Mensch gegen solche Lehren fühlen muß, ist es doch unmöglich, denjenigen seine Achtung zu vcr- fagen, die sich mit so großer Freimülhigkeit imd Loyalität dazu beken ne». Ich sür mei» Theil bewundere jede» kräftigen Sinn, der über Zeilen, Unglück und Gefahren triumphirl; es ist mir dann, als sähe ich die alten Bilder eines Ba» Dvk und Velasquez aus ihren verwit terten Rahmen hecauStrete», um über die Jahrhunderte zu richten, die sie in s Grab gesenkt haben. Obschon mau auch die Vilain XIIH. dcn Chefs der katholischen Partei zuzählt, so stehen diese doch an Kräftigkeit der Ansichten und an Ultraismus den Herren von Robiano weit nach. Die Ersteren sind jedoch, wenn man ihnen glauben darf, eines der ältesten adeligen Ge schlechter Flanderns. Sie wolle» in gerader Linie von dcn Grafen von Gent abstamme», deren in der Geschichte der Flandrischen Grafen und Burgundischen Herzoge häufig Erwähnung geschieht. Der Graf Philipp Vilain XII1I. war 1808 Maire von Gent, und Napoleon machte seine Frau, die Baronesse von Fcltz, zur Hofdame der Kaiserin Marie Louise. Von 1813—182!) war er Mitglied der General-Staaten, in welcher Eigenschaft er hauptsächlich den Finanzen oblag. Nachdem die Hollän dische Regierung feine Wiedererwählung in Flandern verhindert hatte, ließ er die Revolution, ob aus Furcht oder aus Fahrlässigkeit, ihren Gang gehen. Mehr Hofmann als politischer Kämpfer, spielte er in den stürmischen Tagen der Revolution unter dcn Insurgenten keine Rolle. Sein verschwundenes Gestirn ging erst dann am patriotischen Himmel wieder aus, als die Gewitterwolken sich verzogen hatten und der Thau der Königlichen Gunst die Spuren des vergossenen Blutes wcggespült hatte. Sein Soh» dagegen, der Vicomte Charles Vilain Xllil,, nahm lebhaften Antheil an den, Kriege, den die Presse mit der Holländischen Regierung fühlte. Er war es , der die bekannte Petition zu Gunsten der Freiheit des Unterrichts abfaßte. König Leopold rief ihn von den Bänken des Kongresses, auf welchem er Limburg rcpräscntirte, und schickte ihn als bevollmächtigten Minister »ach Roni und dcn Jialiäni- fchen Staatc». Jetzt ist er Gouverneur vou Ost-Flandern nnd gehört zur Kammer der Rkpräseiitanteii. Der Vicomte Charles Vilain XIIH. gilt nicht für eine» vollkommen überzeugten Katholiken. Er ist weniger Enthusiast, als kalter Vcrnu»ftme»sch. Er gehört zu dc»jenigen, welche glauben, daß das religiöse Element mehr äts irgend ei» anderes dazu geeignet scy, die Gesellschaft auf moralischem Fundament wieder zu er bauen. Ich habe gesagt, daß man die eben genannten drei Familien als die Chess der katholisch-aristokratischen Partei betrachten könne. Dies ist nicht so zu verstehen, als wären sie die einzigen Denker und Auto ritäten der Partei: sic sind nur wegen ihres Alters, ihrer Rcichlhümer und der tiefen Wurzeln, die sie im Belgischen Boden geschlagen haben, eine Art voll Palladium des Adels, hinter welchem er den Andrang der neuen Idee» zu bekämpfe» sucht. Es wäre außerdem ein schwieriges Unternehme», wenn man Bel giens Politiker nach ihren, wirkliche» Verdienst oder ihrem Einfluß klasfifizirc» wollte. Ji, Belgien ist dies sogar viel weniger möglich, als in jede,» anderen Staate; den» hier sind die Parteien »och nicht dis- ciplinict: auf keine», Felde giebt cs anerkannte Chefs; man kämpft „ach Act der Barbaren, bald in der Nähe, bald aus der Ferne, ohne Tak tik, ohne Subordination, ohne cinen bestimmten Pla» zum Feldzug. Nur Wenige verstehen sich auf schriftliche oder mündliche Debatten; man streitet nicht dialektifch, man zankt uud raust einander. Oft mische» sich die Sekundanten in das Duell der Nebcnhuhlcr; ost schließen die Kämpfer plötzlich ein Bündmß lind fallen über ihre Se kundanten her. Der Gegenstand des Streite? ist nämlich ein überaus komplizirter, und es bandelt sich nicht um die zwei großen Prinzipien, Katholizismus und Liberalismus, schlechthin. Ans der einen Seite hört man dcn Katholiken, Herr» Dumorlicr, dem katholische» Minister de Theny zurufm: „Sie haben uns nm alle unsere Freiheiten gebracht!" nnd auf der andere» Seite mache» es dic Liberale» demselben Herrn Dumorticr j»m Vorwurf, daß er mit Le» Minister» für die Theatcr- Ccusur votirt habe. Die diplomatische Frage ist die erste, welche die Parteien geibcilt bat. Da haben sich auf beiden Seite», zur Bectbcitiznüg und zur Bekämpfung^ Lidcrchc und Katholiken von allen Nuancen ciugcn »deu.