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— 234 — Europas zur andern jagt, um sich die letzterfundnen schmutzigen Anekdoten erzählen zu lassen und hier und da ein galantes Abenteuer zu erleben? Wirklich Großes, zumal im Drama, entsteht nur durch Druck auf den Willen; dadurch allein keimt ein großer Stoff. Wirkliche Meisterschaft in Führung einer Handlung aber ist nur zu erreichen durch Uebung in Führung und Beherrschung andrer Menschen, diese wieder nur dadurch, daß man sich tüchtig mit dem Leben, und nicht zum wenigsten mit seiner Prosa, herumschlägt. Dann wird zwar nicht jedes Jahr das erforderliche „abendfüllende" Stück fertig werden, aber es wird vielleicht ein Werk entstehen, welches dauert. Theodor Fontane, der, wenn auch kein Dramatiker, längst ein ergrauter und berühmter Balladendichter und Geschichtschreiber war, eh er die Feder an seine erste Er zählung setzte, schenkte uns „Irrungen, Wirrungen" kurz vor seinem siebzigsten Lebensjahr. Er konnte das, weil er nicht, gleich Heinz Tovote, schon in den Zwanzigern an seinem Talent Raubbau getrieben hatte. Vom Engländer Richardson vollends, dem Bahnbrecher des Familienromans, ist es bekannt, daß er als alter Buchverleger, dem seine Waaren nicht gut genug gingen, auf den Gedanken kam, selber Etwas zu schreiben, daß er seine „Pamela" mit 51, seine „Clarissa Harlowe" (deren Liebesschicksal, nach der Frau von Stasi-Holstein .eigner Aussage „das erste große Ereigniß" bildete, das sie er lebte) mit 59 Jahren veröffentlichte. Das sollte jedem Einsichtigen beweisen, daß es mit dem Schreiben nicht eilt. Wieviel Unkluge, die sich schmeichelten, nur ihren strotzenden Geist zu entladen, endigten, bei bald er schöpfter und abgehetzter Phantasie, in dem trostlosen Bemühen, ihre leeren Taschen zu füllen! . .