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Nr. 85. Leipzig, Mittwoch den 12, April 1918, ^ ^ch stott *2^!, Ste'l<kng^ju«hc werden mit 10Pf. pro Z RaumIb-pf.^'^S.I^o^6.^50M.; fürMch " ^ Mitglieder 40 Pf.. 32 M.. 60M.. 100 — Dsilagen werden ! MBWUMVMÄLpsi; 83. Jahrgang. Redaktioneller Teil Der deutsche Buchhandel. Nach vieljähriger persönlicher und sachlicher Erfahrung, Von Professor vr, Hermann Conrad, Das Alter, das inan als die Zeit des vielseitigen Ent sagens unmöglich schön nennen kann, hat doch einige Vorteile Vor den früheren Stadien der Lebensentwicklung, Man kann einen ruhigen, von persönlichen Widerständen ungestörten Blick zurück auf die Erfahrungen längerer Zeiträume senden und über Vorgänge und Zustände, einzelne Menschen und Gesellschafts kreise ein Urteil fällen, das nicht objektiver ist — das wäre eine Einbildung; denn es gibt nur subjektive Urteile —, aber eben wegen der Fülle der aneinander gemessenen Erfahrungen mehr Anspruch auf Süchtigkeit hat, als das von Menschen, die im Wogendrange des Lebens noch hin« und hergeworfen werden und wenig Zeit und Neigung zu ruhigem Abmessen und Vergleichen haben. Und noch einen Vorzug hat das Alter in seinen Würdigun gen: es kann toben, ohne, wie das in der vergangenen Zeit des Materialismus so nahelag, selbstsüchtiger Absichten verdächtigt zu werden. Es braucht sich auch nach dieser Seite in der Aus sprache dessen, was es für die Wahrheit hält, keine Zurück haltung auszuerlegen; denn wo das Streben so gut wie abge schlossen ist, hat die Liebedienerei keinen Sinn, Ich bin ein reichliches Menschenaltcr lang in vielseitiger Verbindung mit deutschen Verlegern gewesen, ich habe in diesem Verkehr fast nur angenehme persönliche Eindrücke gewonnen und diesen Stand nach seiner ideellen Bedeutung für unser Volk hochschätzen ge lernt: ich stelle nach dem ihn bewegenden Geiste den deutschen Buchhandel über den jeder anderen Nation. Diese Wahrheit möchte ich jetzt, noch vor Toresschluß, anssprechen und begründen. Und ich kann das unbeschadet tun; denn die literarischen Ver pflichtungen, die noch auf mir ruhen, sind so reichlich, daß ich Gott nur bitten kann, er möchte mir das Leben noch so lange lassen, bis ich sie erfüllt habe: einen neuen Verlagskontrakt werde ich kaum mehr abschlietzen. Da ich das Vierteljahrhundert der »Moderne« miterlebi habe, so weiß ich sehr Wohl, daß es auch Minderarten und Entartungen unter den deutschen Ver legern gibt, die die ichsüchtigen, also antisozialen, kulturfeindlichen »j Der vorstehende Artikel verdankt seine Entstehung einer Ein ladung der Redaktion, die sic anläßlich des 7V, Geburtstages des Herrn Professor Or. Conrad (26. Dezember 1915) an den Verfasser richtete. Wie sich die Leser erinnern werden, sind in der letzten Zeit Stimmen laut geworden, die sich bemühten, den Literaturbetrieb, wie er sich im englischen Berlagsbuchhandcl in den letzten Jahrzehnten hcransgebildet hat, den deutschen Verlegern als Muster hinzu stellen, Es lag daher nahe, Herrn Prosessor Or. Conrad, einen der besten Kenner der literarischen Verhältnisse beider Länder, um sein Urteil über den deutschen Berlagsbuchhandcl im Vergleich zu dem englischen anzngehen. Nicht ohne Genug tuung drucken wir den Artikel, dessen Erscheine» sich aus mancherlei Gründen verzögert hat, hier ab, überzeugt, daß die hohe Anerkennung, die Herr Prosessor Conrad dem deutschen Berlagsbuchhandcl zollt, nicht eitler Selbstgefälligkeit in unserem Berufe Vorschub leisten, sondern ihn anspornen wird, sich auch in Zuknnst mehr von der Rück sicht aus die Forderungen der Wissenschaft als vom bloßen Nntzlichkcits- standpnnkte leiten zu lassen, Red, Spintisierereien nach dem Muster des bewußt undeutschen, an Geistreichigkei! kranken Nietzsche, die den »Bauernaufstand« gegen unsere klassische Herrenkunst, wie die »moderne« Bewegung von einem ihrer Anhänger vorzüglich bezeichnet worden ist, sowie die sklavische Verehrung häßlicher ausländischer Götzen gefördert haben. Ja, auch Gassenkehrer hat es unter ihnen gegeben, die unrein geschlechtliche Gegenstände in Massen verbreitet und durch eine in den letzten Jahrzehnten leider salonfähig gewordene Hintertreppenliteratur unberechenbaren Schaden unter der unreifen männlichen und besonders der weiblichen Jugend bereitet haben. Aber solche Leute können ebensowenig für Repräsentanten des deutschen Verlegertums gelten, wie man die ungesunden Ausflüsse des .geistigen und künst lerischen Zigeunertums deutsche Wissenschaft und deutsche Kunst nennen könnte, da doch die geistig führenden, die maßgebenden Kreise unseres Volkes zu jeder Zeit jenen Ver legern wie diesen Ausflüssen keine Macht über sich gestattet haben. Ein Stand kann nur repräsentiert werden durch die Summe seiner anerkannten Größen, anerkannt nach ihrem Bildungs stande, ihrer Gesinnung und der Richtung ihres Strebens, die ihren Stand so hochgehoben haben, wie er augenblicklich steht, und nicht derer, die ihn hinabgezogen. Wie ein Urteil niemals anders als subjektiv sein kann, so kann es auch niemals gebildet werden, ohne daß persönliche Ein drücke mittätig sind. Und ich muß bekennen, daß die Eindrücke des Verkehrs mit meinen Verlegern — ich habe die Mehr zahl persönlich kennen gelernt — so gleichmäßig günstige waren, wie sie meine einfachen, ehrenwerten und wohlwollenden Lands- § lcute in West- und Ostpreußen, unter denen ich das Glück gehabt habe aufzuwachsen, die militärischen Kreise, in denen ich die größere Hälfte meiner Amtszeit als Offiziersbildner tätig ge wesen bin, und die deutschen Gelehrten, denen ich in vielen Einzel beziehungen, vor allem aber durch die Berliner Gesellschaft für neuere Sprachen und die Shakespeare-Gesellschaft nahegetreten bin, in mir hinterlassen haben. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich aus dem Album meiner Er innerung einige Porträts von ihnen nachzuzeichnen suche. Mein erster Verleger (der George Eliot- und der Thackeray- Biographiej war Georg Reimer: ein schon älterer Herr, als ich ihn in den achtziger Jahren kennen lernte, klein und von mar kierten Zügen, von knapper, geradliniger und öfters temperament voller Rede, der es aber, wo er vertraute, an mitteilsamer Offen heit und vor allem an Wohlwollen nicht fehlen ließ. Sein Nach folger, der jetzige Inhaber des Reimerschen Verlags, vr, Walter de Gruyter, ist äußerlich das Gegenteil von seinem Vorgänger, aber in seiner ganzen seltenen Körperhöhe nicht bloß, sondern auch in seiner Gemütsentwicklung eine ritterliche Erscheinung, Man weiß nicht, was einen mehr einnimmt, seine entgegen kommende, von aller geschäftlichen Geheimniskrämerei entfernte Offenheit, seine vornehme, mit liebenswürdigem Humor gemischte Freundlichkeit, die auch in der Ablehnung versöhnlich bleibt, oder sein gediegenes Wissen und seine umfassende literarische Bildung, Man geht nach einer halbstündigen Unterredung immer erfreut von ihm. Dieses Urteil wird ihm möglicherweise gar nicht einmal angenehm sein, insofern es ihm eine viel größere Menge von.Verlagsanerbietungen eintragen könnte, als es bei 421