Volltext Seite (XML)
MsdmfferTageblall für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Klage eingezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerat.' Nr. 286 — 91. Jahrgang Wilsdruff-DreSden !elegt.-Adr.: .Amtsblatt' Poslicheck: Dresden 264i Mittwoch, den 7. Dezember 1932 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags s Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. Irei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 1» Rpsg. Alle Postanstalten und Post boten, unsereAusträgeru. ,, ... -- . Geschäftsstelle, nehmen zu jederZeitBestellungencnt- Wochenblatt für Wilsdruff U. UMgegeNd gegen. Im Fall- höherer Gewalt, Krieg od. sonstiger — Betriebsstörungen besteht kein Anspruch aus Lieserung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke ersolgt nur, wenn Rückporto heiliegt. "me'b^ Fernsprecher: Ami Wilsdruff Nr. 6 Lcks'V durch Fernruf übermittelten Anzeigen übern, wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlisch^wenn d« BLagdurch Lrlaae ernoezooen werden wnst nder Giikiilg wieder ReWtaWrSfidM. Oer dritte Akt. Die Regierungskrise liegt hinter uns; zwei Akte dieses Schauspiels sind vorüber. Nun hat der dritte Akt begonnen: die Auseinandersetzung der neuen Negierung mit dem Reichstag. Eine Massen szene sozusagen, denn sieben Parteien, 584 Volksvertreter spielen mit! Erst Verhandlungen zwischen dem Reichs tagspräsidenten und dem Reichskanzler, dann Be sprechungen innerhalb der Fraktionen des neuen Reichs tags selbst bildeten die Anfangsszenen, doch wußte man nichts Genaueres über die Vorbereitung zu den kommen den Parlamentsschlachten, weil die Fraktionen mit ge schlossenen Visieren, also ohne etwas zu verraten, zum erstenmal wieder die Stätte des Schlachtfeldes — Ver zeihung! den Sitzungssaal betreten haben. Daß sic dort einige Mißtra nensanträge gegen die neue Regierung vorfanden, war schon vorher von den Antragstellern bekanntgegeben worden. Aber auch andere Anträge, namentlich solche lohn- und sozialpoli tischer Natur, sind angekündigt oder bereits eingereicht, was eigentlich ganz zwecklos wäre, wenn man eben nur mit einem Kampf rechnen würde, der natürlich mit der Auflösung des Reichstags enden müßte! Denn solche, Anträge nur zu Demonstrationszwecken einzubringen, ist zwar ein altes parlamentarisches „Gewohnheitsrecht", aber heute sehr überflüssig; denn so etwas „zieht" bei den Wählern wirklich nicht mehr. Ein Antrag aber ist darunter, der ein allgemeines Interesse Hervorrufen kann; er verlangt nämlich eine Änderung des Artikels 51 der Verfassung und müßte also, uni dies gleich vorwegzubemerken, im Reichs tag mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Dieser Artikel regelt die Stellvertretung des Reichspräsidenten im Falle seiner „Ver hinderung" oder einer „vorzeitigen Erledigung der Präsi dentschaft". Diese Stellvertretung liegt dann zunächst in den Händen des Reichskanzlers; bei voraussichtlich länger andauernder Verhinderung oder im Rücktritts- bzw. Todesfall „ist die Vertretung durch ein Neichsgesetz zu regeln". Der jetzt dem Reichstag vorzulegende Antrag will demgegenüber, und zwar ohne weiteres, den Neichs- gerichtspräsidenten zum Stellvertreter machen, so daß also hierbei der Reichskanzler überhaupt ausgeschaltet wird. Damit geht man noch über das Stellvertretungsgesetz vom 10 März 1925 hinaus, das dem Reichskanzler seine bis herigen Rechte wenigstens für die Zeit einer „zeitweiligen Verhinderung" des Reichspräsidenten belassen hatte, im übrigen nur für den damaligen Fall galt. Man hat unter dieser „Verhinderung" aber nicht allein eine solche aus Krankheitsgründen zu verstehen, sondern der Reichspräsi dent ist laut Artikel 43 der Verfassung „an der ferneren Ausübung feines Amtes verhindert", wenn der Reichstag einen Antrag auf Volksabstimmung über die Absetzung des Präsidenten mit Zweidrittelmehrheit annimmt; in eineni solchen Falle würde also auch die Stellvertretung Platz greifen. Der erste deutsche Reichspräsident Ebert ist gestorben, ehe seine Amtszeit abgelaufen war; seine Präsidentschaft war also „vorzeitig erledigt". Zuerst war verfassungs gemäß zunächst der Reichskanzler Dr. Luther der Stellver treter, dann, nach Annahme des Stellvertretungsgesetzes, bis zur Neuwahl der damalige Reichsgerichtspräsident Dr. Simons. Erst genau zwei Monate später erfolgte der Amtsantritt Hindenburgs, und mit diesem Tage endete die Amtszeit des Stellvertreters. Erwähnt werden mag noch, daß die Ansetzung des Termins für die Präsidenten wahl bzw. -stichwahl „auf Vorschlag der Reichsregierung" durch den Reichstag zu erfolgen hat. Bei Annahme des beabsichtigten Antrages, den Artikel 51 in erwähnter Art abznändern, würde Deutsch land so etwas wie einen „Vizepräsidenten" erhalten. Der würde aber ganz anders aussehen wie der amerikanische Vizepräsident: denn dieser wird tatsächlich durch dieselbe Partei gewählt, die für ihren Kandidaten den Präsidenteu- sitz zu erobern vermag. Hier aber, bei uns, würde es der oberste deutsche Richter sein, dem durch die ganze politische und verfassungsrechtliche Entwicklung in Deutschland bereits eine überragende Stellung verliehen worden ist. Man wird gespannt sein dürfen, wie der Reichstag auf diesen Antrag reagieren wird, der, wie gesagt, nur mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen werden kann. Hoover kündigt neue Sparmaßnahmen an Präsident Hoover verlas im Kongreß in Wa shington die übliche Jahrcsbotschaft. Zur Wirt schaftsbelebung in den Vereinigten Staaten, so betonte er, seien notwendig: Eine drastische Kürzung der Ver- waltungskostcn, eine völlige Neuorganisation des ameri kanischen Bankenshstems und eine Zusammenarbeit mit den übrigen Nationen zwecks Stabilisierung der Rohstoff- Preise durch Verbrauchshebung und Wiederherstellung des allgemeinen Vertrauens Hoover kündigte sodann eine Kürzung des Haushalts um 580 Millionen Dollar an, schlug eine weitere Gehalts kürzung bis zu 14,8 Prozent vor sowie die Abschaffung unnötiger Kricgsteilnehmerbezüge. Er befürwortete ferner die Zusammenlegung zahlreicher Regierungsstellen. Reichstagseröfsnung mit Kampswahien. Die Wahl des Reichstagspräsidiums. Trüber Novemberhtmmel hängt über Berlin und zwischen den Bäumen des Tiergartens ziehen die Nebelschwaden. Fröstelnd stehen ein paar Gruppen politisch Unentwegter in gemessener Entfernung vom Reichstag, Unentwegte, die zum zweitenmal in diesem Jahr den Anmarsch der Volksvertreter nicht versäumen wollen. Im nässenden Novemberwinde zu warten lohnt sich aber schlecht, denn die meisten Abgeordneten waren schon früh an die Stätte ihres Wirkens gezogen. Fast spurlos geht also der Augenblick vorüber, in dem zum erstenmal seit dem 12. September die Fahnen an den vier Ecktürmen des Reichstagsgebäudes in die Höhe gehen zum Zeichen dafür, daß das „Hohe Haus" tagt. Eine mehr trübe als nervöse, von der Ungewißheit des Kommenden aufgerHzte Stimmung liegt auch über dem Sitzungssaal des Reichstages, auf den mit großer Neugierde die zahlreichen Tribünenbesucher heruntersehen. Der englische Gesandte sitzt auch diesmal wie stets in der Diplomatenloge, doch fehlt heute sein französischer Kollege. Den führenden Ton im Sitzungssaal geben natürlich die braunen SA.- und SS.-Uniformen der Nationalsozialisten ab. Aber als der aus" ihren Reihen gestellte Alterspräsident, General Litz mann, sich nnter den Heilrufen seiner Partei genossen zum Präsidentenstuhl begeben hat, sieht man, daß er nicht seine Uniform trägt, sondern einen dunklen Rock, an dem das Eiserne Kreuz glänzt. Einen Augenblick gehen die Gedanken zurück zum 31. August, als die Kommunistin Klara Zetkin an dieser selben Stelle stand. Was sich damals dort abspielte, war auch menschlich eine wenig würdige Szene gewesen. Politisch hatte sie zum erstenmal mit dem alten Brauch gebrochen, daß das Alterspräsidium nur eine Funktion bedeutet, nicht aber poli tische Reden hält. Als absichtliche Antwort hielt nun General Litzmann gleichfalls eine politische Ansprache, bei der es viel Widerspruch auf kommunistischer Seite, viel Beifall bei den Nationalsozialisten gab. Nach dem Namensaufruf, der ohne jede Störung verlief, beginnt, wie man im Ältestenrat bereits beschlossen hatte, gleich die Präsidentenwahl. Und nun gab es eine politische Sensation, die vom Reichstag mit großem Erstaunen aus genommen wurde: Der Vertreter der Kommunistischen Partei erklärte nämlich, daß in einem etwa notwendig werdenden zweiten Wahlgange die Kommunistische Partei für den früheren Präsidenten, den sozialdemokratischen Abgeordneten Löbe, stimmen würde. Nach diesem Intermezzo kommt es dann zur Wahl. Abg. Göring erhält gleich im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit von sechs Stimmen. Unter stürmischen! Beifall seiner Parteifreunde begibt er sich aus den Sitz des Präsidenten. Dann kam die zweite Sensation des Tages: Von den Nationalsozialisten wird der Zentrumsabgeordnete Esser zum Ersten Vizepräsidenten voraeschlaacn. Aba. Löbe beaibt Alterspräsident General Litzmann eröffnet den neuen Reichstag. sich unter stürmischen Rufen auf die Rednertribüne und erklärt, daß seine Partei für den Abg. Esser stimmen würde. Und so geschah es, daß der bisherige Erste Vizepräsident Esser von einer Mehrheit gewählt wurde, die sich aus Nationalsozialisten, Deutschnationalen, Zentrum und Sozialdemokraten zusammen setzt. Denn er erhielt 445 Stimmen; auf den kommunistischen Abg. Torgler fiel der Rest von 93 Stimmen. Die dann folgen den Vorschläge gingen kreuz und quer. * Sitzungsbericht. (1. Sitzung.) 68. Berlin, 6. Dezember. Pünktlich um drei Uhr begibt sich Alterspräsident General außer Dienst Litzmann (Nat.-Soz.) zum Präsidentenstuhl und eröffnet in bekannter Form die Sitzung. Sofort entstehen stürmische Szenen, nach deren Abklingen Alterspräsident Litz mann zunächst feststellt, daß er mit 82 Jahren das älteste Mitglied des Hauses ist. Nachdem er zwei Nationalsozialisten, einen Deutschnatio- nalen und ein Zentrumsmitglied als vorläufige Schriftführer berufen hat, hält der Alterspräsident folgende Ansprache: Unsere Machthaber haben sich in den letzten vierzehn Jahren reichliche Mühe gegeben, das Volk an Enttäuschungen zu gewöhnen. Die letzten Enttäuschungen waren die des 13. August und des 25. November. Man hatte erwartet, daß der Reichspräsident nach diesen jahrelangen fruchtlosen Experi menten zur befreienden Tat schreiten und den Führer der stärksten politischen Bewegung Deutschlands mit der Regie rungsbildung beauftragen würde. Es wäre dann die Wahl auf einen Mann gefallen, der allein fähig sei, das Vaterland zu retten. (Stürmisches Händeklatschen bei den National sozialisten, Lachen und Niederrufe bei den Kommunisten.) Statt dessen hatte man ein Scheingefecht geführt. Man wollte unserem Führer nicht die Macht überlassen. Während der Reichspräsident einen: Hermann Müller, einem Brüning und einem Papen sein volles Vertrauen schenkte, versagte er dieses Vertrauen einem Manne, in dem Millionen Deutscher den größten und besten der lebenden Deutschen sehen (Hände klatschen bei den Nationalsozialisten), der 14 Jahre und länger gearbeitet hat, Deutschland zu erretten. In einem Schreiben vom 23. November hat Adolf Hitler unter Einsatz seiner Person und seiner Bewegung sich dem Reichspräsidenten zur Verfügung gestellt; dieser hat ihn abgelehnt. Vor genau 18 Jahren, am 23. November 1918, fanden die Durchbruchsschlachten bei Brzceczinp und die bei Lodz statt. Sie brachten eine glückliche Wendung und ihnen verdankt der jrtz'ge Reichspräsident seinen Feldmarschallstab. Heute handelt es sich um wichtigere Dinge als um den Feldmarschallstab. Es handelt sich darum, daß Hindenburg dem historischen Fluch entgeht, das deutsche Volk zur Verzweiflung getrieben und es dem Bolschewismus aussftliefcrt zu haben. (Laute Zurufe und Hu-Hu-Rufe bei den Kommunisten), obwohl der Retter bereit stand! Volk und Vaterland müssen einzige Richtschnur unseres Denkens und Handelns fein. Vorteil und Wunsch des einzelnen oder einer Familie einer Gesellschaftsschicht oder einer poli tischen Partei oder gar einer auswärtigen Macht dürfen dabei keine Rolle spielen, (Händeklatschen bei den Nationalsozialisten, Zurufe bei den Kommunisten: Südtirol!), gleichgültig, ob er von Dauer ist oder nicht. Der Artikel 1 der Staatsverfassung heißt: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus- (lebhafter Bei fall bei den Nationalsozialisten)! Darauf erfolgte der Namensaufruf der Abgeord neten, der etwa eine Stunde dauerte und ohne besondere Zwischenfälle verlief. Vorher war die Beratung von Anträgen auf Haftentlassung von Abgeordneten am Widerspruch aus dem Hanse gescheitert.' Das Haus schritt dann zur präfidenienwahl. Abg. Dr. Frick (Nat.-Soz.) schlägt den Abg. Göring als Reichstagspräsidenten vor. Abg. Steinhoff (Dtn.) erklärt, daß trotz der Bedenken, die seine Fraktion gegen Herrn Göring hat, die Deutschnationalen ihm die Stimme gegeben hätten, wenn die Nationalsozialisten nicht deutlich angekündigt Hütten, daß sie gegen den Kandidaten der deutschnationalen Fraktion sür einen der Vizepräsidenten posten, nämlich den Abg. Graef, stimmen würden. Die Deutsch nationalen schlagen vor. den Abg. Graef zum Reichstagspräsi- denten zu wählen. Abg. Dittmann (Soz.) empfiehlt die Wahl des früheren Reichstagspräsidenten Löbe. Abg. Rädel (Komm.) schlägt den Abg. Torgler für die Wohl zum Präsidenten vor und erklärt sodann, daß ein eventuell notwendig werdender zweiter Wahlgang die Kommu nisten veranlassen werde, auf einen eigenen Kandidaten zu ver zichten und ihre Stimme dem sozialdemokratischen Kandidaten zu geben. Göring wieder Reichstagspräsrdeni. Daraus nimmt das Haus die Wahl des Präsidenten vor. Sie erfolgt im vereinfachten Verfahren und führt zu dem Ziel, das? Abg. Göring mit 279 von 545 Stimmen zum Reichstags- Präsidenten gewählt wird. Auf den Abg. Graef entfallen 51 Stimmen. Göring hat also sechs Stimmen über die Hälfte sämtlicher abgegebenen Stimmen erhalten. Gorings Wieder- Wahl wurde von den Nationalsozialisten mit stürmischen Heil- rufcn begrüßt. Der neue Neichstagspräftdent übernahm sofort die Leitung der Sitzung. Görings Dank. Präsident Göring dankte dem Alterspräsidenten warm für die Einleitung der Sitzung und nennt ihn ein Vorbild für das zzanze Deutsche Volk hinsichtlich seiner Pflichterfüllung