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209, 8. September 1918, Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Ganz matt leuchtet das Weiße Gestein um uns. Die sauer stoffarme Luft läßt die Kerzen kaum glimmen; der Entlüftungs apparat rasselt in ihr wie eine kranke Lunge. Wir sehen von einander nichts als Schatten, die in der Dunkelheit zerfließen. Nur vor uns sprühen die Funken der Arbeit. Da hocken drei hemdsärmelig und hämmern gegen den zähen Kalk. Hell klingt die Spitzhacke unter der Wucht der Muskeln. Der Weiße Staub sprüht gegen die schweißnassen Gesichter, er legt sich schichtdick auf die Kleider und färbt alles bleich. Andere tragen den Ausschlag in Säcken durch den langen, toten Gang. Ihr Schritt läuft gruselnd die Wände entlang. Und oben fördern sie im Feuer der platzenden Minen. Denken .... Nur nicht denken! Nicht wissen, daß der Feind vielleicht schon unter uns ist, oder neben uns. Nicht glauben, einfach nicht glauben, daß er uns in diesem Augenblick hochsprengen, abquetschen kann. Nur das nicht! Auch vergessen . . . vergessen, daß dieser Hun- dertmctertrichter, »m den wir herumgingen, zwanzig Kameraden aus der Erdtiefe zermalmt ans Licht schleuderte . . . damals, vor Wochen. — Wahrlich, wir haben nichts gedacht. Wir haben mecha nisch gearbeitet, wortkarg und ernst. Langsam trieben wir unseren Stollen vor. Wochenlang. Wir hörten über uns das Laufen des Gegners; ein Posten schritt seine Stunden auf der harten Grabensohle ab. Aber dann kam dieser Mittag, da von untenher das Häm mern der englischen Mineure zu uns klang. Da begannen wir zu denken, zu berechnen. Unser Horchapparat fing die britischen Stimmen. Stundenlang lag ich am Hörer und lauschte. Meine prächtigen Pioniere arbeiteten weiter . . . Unheimlich klang dieses Wühlen gegeneinander, das die Elektrizität zu mir trug. Wird er uns zuvorkommen, uns hochsprengen? Man braucht Tage zum Einbringen der dreihundert Zentner Munition . . . aber er kann uns täuschen, er kann Schläge blind gegen die Wand tun und inzwischen die Zündschnur legen. Er kann. . . Aber wir wollen, wir wollen auf ihn stoßen, wir wollen ihn vernichten, kämpfen so im Stollen, tief, tief unter der Hellen Erde, Mann gegen Mann. Wie kürzlich, da sie auf den feind lichen Gang stießen; als jeder Schlag plötzlich hohl klang ... da die Handgranaten zurechtgelegt wurden und die Gewehre . . . eine Sprengpatrone das dünne Hindernis zerriß ... da ... da ...so Vorstürzen, einer hinter dem andern und an der Biegung die dröhnenden Granaten gegen den hockenden Feind schleudern, ihn überrennen und in den Graben stürmen . . . ringen. S o wollen wir! — Immer wieder liege ich am Hörer. In den Zweiklang mischt sich das Pochen meines Herzens, laut wie Hammerschlag. Tage verrinnen ... wir kommen näher. Tage verrannen . . . wir sind nahe! Das Gemurmel der fremden Sprache wird Wortklang. Wir arbeiten gegeneinander. Feind gegen Feind. Das Blut pulst, die Zähne beißen sich hart aufeinander, alle Nerven sind Stahl. Können wir uns irren? Wir ahnen nur die Richtung, wir wissen sie nicht. Der harte Kalkstein überträgt überall. Er kann von dieser Seite kommen und von jener, dieser Brite, vielleicht ein Schwarzer, schleichend wie die Katze. Er soll nur —! Wir gehen geradeaus. Und dann kam jene Nacht, an deren Morgen wir unfern Stollen fünfzehn Meter vor Ort abgequetscht fanden. So war er uns doch zuvorgekommen; zwecklos, nicht ein mal, daß er uns erstickte. Wir aber bohrten uns tiefer und spürten ihm nach und fan den ihn. Und wieder lag das Unheimliche dieses WUHlens gegen einander in der Membrane des Horchapparates ... da rief uns die Somme aus unserer Stellung ab. Front. Roter Mohn leuchtet auf allen Feldern. Roter Mohn und dunkelblaue Kornblumen. Und zwischen ihnen blinzeln Margueriten mit gelber Iris aus langen Weißen Wimpern in die hohe Sonne, in die Sonne, die so hoch über dem Kriege steht, so hoch, so ewig hoch. Um dicke Disteldolden summen die Hummeln immer das selbe; eintönig, einschläfernd. Weites Land liegt brach; Land, auf dem einmal geackert und gepflügt wurde, das schwere Ernte trug und leichte singende Freude. Dicke Drachenballons pendeln in der gleißenden Luft hin und her und her und hin. Zehn, fünfzehn, zwanzig . .. hundert, tau send an der ganzen Front von den Vogesen bis zum Meer. Pendeln wie schlaftrunken. Und sind doch Nerven und nehmen alles auf. Auch drüben beim Feinde schieben sich die Fühler langsam gegen den sichtigen Himmel. Und nun glotzen sich die Stielaugen der Artillerien weithin an. Diese Helle Erdschraffur da zwischen ihnen, mit der stehenden Rauchbank darüber, das ist die Stellung, in der das Poltern nie aufhört, das Krachen und Heulen und . . . das Sterben. Front — das ist der Begriff der Meilentiefe, das ist das weite unbeackerte Land, das sind die Trümmerhaufen der Städte, das sind die Riesenlager der Truppen, die zerzausten Wälder, die gesprengten Brücken. Front! Das ist die geballte menschliche Kraft im Zerstören, im Vernichten. Der bebende Puls des Wörtchens »Krieg«. Grauen und Grausen Vergessen Tod. Kleine Mitteilungen. Der Reichsausschuß für Druckgewerbe, Verlag und Papierver arbeitung mit dem Sitz in Berlin bezweckt: 1. bei der Bewirtschaftung von Papier und Pappen als Vertreter des Druckgewerbes, des Verlages und der gesamten Papier ver arbeitenden Industrien beratend mitznwirkcn und bei der Auf stellung und Beratung eines Wirtschaftsplanes tätig zu sein; 2. Vorschläge über die Herstellung und die Verteilung von Papier und Pappen sowie über die Regelung der Preise zu machen. Die Tätigkeit des Neichsansschnsses soll spätestens ein Jahr nach Friedensschluß endigen. Der Ausschuß wird zwei Gruppen umfassen. Die Gruppe I besteht ans Abteilung 1: den Verlegern von Tages zeitungen, den Verlegern von illustrierten Zeitschriften, den Verlegern der Fachpresse, den Buchvcrlegern, den Musikalienverlegern und den Kunstverlegern und aus der Abteilung 2, die Buchdrucker und ver wandte Gewerbe, Steindrucker und verwandte Gewerbe, photographische Druckverfahren und photographische Papiere umfaßt. In der Gruppe II sind sämtliche Papier verarbeitenden Industrien znsammengefaßt: sie besteht aus fünf Abteilungen. Sind Bücher Gegenstände des täglichen Bedarfs? — In Nr. 206 des Börsenblattes befindet sich auf Seite 1163 ein Aufsatz: »Sind Bü cher Gegenstände des täglichen Bedarfs?«. Nach den Ausführungen dieses Artikels, die schon von der Redaktion zurückgewicsen wurden, soll ein Verleger nicht berechtigt sein, auf vor dem Kriege erschienene Bücher Preiserhöhungen vorzunehmen, und zwar deswegen, weil Bü cher als »Gegenstände des täglichen Bedarfs« unter die bekannte Bun- resratsverordnung fallen würden. Hier liegt doch wohl ganz zweifelsfrei die Verwechslung zweier Begriffe, nämlich des Begriffs des »täglichen Bedarfs« und des »der täglichen Benutzung« vor. Bücher — auch Schulbücher — können nicht Gegenstände des täglichen Bedarfs sein, denn Gegenstände des täg lichen Bedarfs sind sinngemäß nur solche Bedarfsgegenstände, die täglich oder in kurzen Zwischenräumen gekauft werden, weil sie schnell 1175