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Ottendorfer Zeitung : 05.12.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190612052
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061205
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061205
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-12
- Tag 1906-12-05
-
Monat
1906-12
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 05.12.1906
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Zur Sonnenfinsternis. Zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis am 14. Januar 1907 wird eine Expedition der Hamburger Sternwarte unter Führung des Prof. Schorr in nächster Woche nach der Gegend von Dshisak in der Goldnajssteppe in Mittel-Asien auf brechen. Für unsre Südwestafrikaner. Zwanzig Wiesbadener Gast- und Badehausbesitzer wollen den krank aus Deutsch-SüdwestafrikL zurück kehrenden Offizieren während der stillen Jahres zeit Zimmer einschließlich Frühstück, kostenlos zur Verfügung stellen, während die Kurverwal tung ihnen den unentgeltlichen Eintritt zu ihren Veranstaltungen gestattet. Der verbrannte Hundertmarkschein. Einen unangenehmen Verlust hat ein Tischler meister in Altona erlitten. Er erhielt mit der Post einen Brief mit einem Hundertmarkschein. Da der Tischler etwas kurzsichtig ist, öffnete er den Brief über der Petroleumlampe. Dabei flatterte der Schein heraus, fiel auf das Lampen glas, fing Feuer und war im Nu von den Flammen verzehrt. In der Ostsee außer Kurs. In eine seltsame Lage kam an einem der letzten Tage der in Stettin erbaute griechische Torpedojäger „Nile", der sich auf dem Wege durch den Nord ostseekanal nach Griechenland befindet. Im dichten Nebel der Ostsee kam das Schiff völlig außer Kurs und fuhr bis vor die Mole von Saßnitz, ohne zu wissen, wo es sich befand. (!) Auf die Dampfsignale hin gab ein Saßnitzer Lotsenboot die nötigen Aufklärungen. Weit kam die „Nike" indessen auch dann nicht, denn schon bei Binz ließ der Kommandant Anker werfen und telegraphierte nach Stettin um einen Schiffsführer, der das Boot nach Kiel bringen sollte, denn oie Besatzung besteht bis auf einen deutschen Maschinisten aus griechischen Leuten. Die Leiche im Koffer. Der Mordprozeß gegen den Möbelhändler Wilhelm Mayer aus Meschede, der beschuldigt ist, die Witwe Vogel in Wildungen ermordet zu haben, wird am 5. Dezember vor dem Schwurgericht in Kassel seinen Anfang nehmen. Der Leichnam der Frau Vogel war in Frankfurt in einem Koffer ge funden worden. Mayer, der hartnäckig die Tat leugnet, wurde in New Jork festgenommen. Die Anklage lautet auf Raubmord; für die Verhandlung sind drei Tage angesetzt. X Kritiker und Schauspieler. Ein Überfall auf einen Zeitungsredaktur durch einen Schauspieler wird aus Mühlhausen i. Th. ge meldet. Der Schauspieler Pape fühlte sich durch eine Kritik des Redakteurs Gustav Kühler in der Mühlhauser Ztg/ in seiner Künstlerehre beleidigt und drang in der Dunkelheit in die Wohnung des Redakteurs. Dort überfiel er den Arglosen in hinterlistiger Weise, machte sich der iätüchen Beleidigung, Körperverletzung und Hausfriedensbruchs schuldig und nahm dann feige Reißaus. — Die Angelegenheit wird noch ein Nachspiel vor Gericht erfahren. X Ern Zahnarzt für einen Elefante» gesucht. Die Direktion des gegenwärtig in Barmen gastierenden Zirkus Sarasari befindet sich in großer Verlegenheit. Der größte von den neun Elefanten, „Cohn" mit Namen, rannte sich kürzlich bei einer Balgerei mit „JenNY", einem weiblichen Elefanten, an einer steinernen Mauer den linken, mächtigen Stoßzahn aus; der zurückgebliebene Stummel soll nun, da er zu faulen anfängt, plombiert werden, während der rechte Stoßzahn abgesägt werden soll. Ob wohl der Elefant an Kops und Füßen derart gefesselt werden wird, daß der betreffende Zahn arzt ungehindert arbeiten kann, hat die Zirkus- direktion noch keinen Dentisten gefunden, der die Operation übernehmen will. X Selbstmord eines Mörders. Dem irdischen Richter entzogen hat sich der 30 Jahre alle Tagelöhner Franz Haupt aus dem Dorfe Erbach, der dieser Tage in der Wirtschaft zum „Pfluggarten" in Ulm a. D. die 29jährige Kellnerin Marie Lutz aus Eifersucht erstochen hatte. Haupt, der nach der Tat geflüchtet und aus dessen Ergreifung eine Belohnung von 300 Mark ausgesetzt war, wurde von einem Bahnwärter zwischen den Ortschaften Grimmel- fingen und Donmtthal beobachtet, als er dort aus einem Bauernguts Unterschlupf suchen wollte. Sofort eilten zahlreiche Bauern herbei, die das Versteck des Mörders umzingelten. Als Haupt sah, daß es kein Entrinnen mehr gab, stieß er sich das Taschenmesser mitten in das Herz; seine Verfolger sanden ihn bereits als Leiche auf. X Zu der Bluttat am Kaiser Wilhelm platz iu Breslau, wo der 24 jährige stuck. Ml. Richard Hahnfeld aus Mehne i. P., der zuletzt in Jena studierte, auf die 38 Jahre alte Rechtsanwaltswitwe Kollwitz ein Revolver attentat verübte und dann sich durch zwei weitere Kugeln tötete, wird noch folgendes be richtet : Zwischen dem Studenten und der Witwe K., die vor mehreren Monaten von Bromberg nach Breslau verzogen war und Mutter von zwei erwachsenen Kindern ist, hatte seit einiger Zeit ein freundschaftliches Verhältnis bestanden, das seitens des Studenten aber insofern als ernster aufgefaßt wurde, als er glaubte, es würde schließlich zu einer Heirat führen. Ge legentlich einer Aussprache zwischen beiden soll Hahnfeld auch um die Hand der Mtwe K. an gehalten haben, welcher Anttag jedoch von der letzteren wegen des Alterunterschiedes in schonendster Weise zurückgewiesen wurde. Die hierdurch be dingte Lösung des Verhältnisses nahm der Student ohne irgend welche Erregung ruhig hin, bis seine schon seit längerer Zeit über reizten Nerven ihn jetzt zu der unseligen Tat getrieben haben. Die Kopfverletzung der Frau K. ist nur leichter Natur, so daß sie bald als völlig geheilt das Krankenhaus wird verlassen können. x Der Gobelindiebstahl im Schlöffe des Grafe« de Berthier bei Diedenhofen, wobei den vermeintlichen Räubern Gegenstände im Werte von über 100 000 Mark in die Hände fielen, wird immer rätselhafter. Wie jetzt ge meldet wird, war die Schloßdienerschaft schon seit einiger Zeit davon unterrichtet, daß die wertvollen Gobelins nach Paris, dem ständigen Aufenthalte des Grafen, wandern sollten. Der Verwalter Kempf erklärte auf eine Anfrage, daß er mit der Schloßverwaltung nichts mehr zu tun habe. Er glaube nicht an einen Gauner streich L la Köpenick; denn früher sei schon davon gesprochen worden, daß die Gobelins verkauft werden sollten. „Es wird Wohl nicht eher Licht in die Affäre kommen, bis der flotte junge Herr Graf de Berthier (der Adjutant des französischen Kriegsministers ist), selbst Farbe bekennt, ob er bestohlen worden ist, oder die Gobelins mit seinem Einverständnis entführt worden sind!" Erzfnnde. In der Nähe des Dorfes Michai- lowda bei Carayagui, Gouvernement Jelissawet- pol (Rußland), sind reiche Manganlager entdeckt worden. Nach zuverlässiger Schätzung ist das entdeckte Lager von hohem Wert. Man nimmt an, daß die rationelle Ausbeutung ausländischen Unternehmern angeboten werden wird. Gerickrskalle. Posen. In dem Prozeß wegen der Militär- Maffendiebstähle bekundet der Hauptangeklagte Loll, daß er ein umfangreiches Geschäft habe, sein Umsatz betrage über SV 00V Mk., er habe mehrere Ange stellte und könne nicht über jeden Posten Auskunft geben. Er habe nur unter der Bedingung gekauft, daß die Gegenstände auf gesetzlichem Wege erworben seien, und daß er sie auch Weiterverkäufen könne. Eine derartige Klausel habe er zuletzt in fast allen seinen Briesen gehabt. Er habe geglaubt, damit seine Pflicht zu erfüllen, obwohl es ihm peinlich war, derartiges anständigen Menschen vorzulegen. Der Angeklagte sagt ferner: „Herr Vorsitzender, Sie haben sich gewundert, daß ich in einem Jahre 6—700 Gewehre gekauft habe, und das als un geheuer viel bezeichnet. Das ist durchaus nicht der Fall. Wir haben in Deutschland 600 Kompanien, jede Kompanie hat 100 Gewehre, das macht 300000 Gewehre. Jede Kompanie ist berech tigt, in jedem Jahre die Hälfte auszuschalten, es stehen also 150 000 Gewehre zur Verfügung. — Vors.: Aber die Gewehre sollen doch zerschlagen werden? Angl.: So lautet die Bestimmung. Aber es ist nachgewiescn, daß man, um für die Kompanie- oder Bataillonskasse höhere Pacht werte herauszuschlagen, Gewehre ganz ver ¬ laust hat. Ich schrieb mal an den Kriegs minister, ob er mir nicht die Bedingungen mitteilen könnte, was zu kaufen erlaubt sei. Ich erhielt die Antwort, daß nur Behörden diese Bedingungen bekämen, nicht die Händler. — Bert. Hertzberg: Ich will als Beweis auch an führen, daß Herr Loll von einem einzigen Offizier 30—40 Gewehre bezogen hat. — Angekl. Loll: Bei der ostastatischen Expedition wurden, ganz neue Gewehre, sogar das neueste Modell SS, in erheb lichen Mengen an den deutschen Flotten-Verein abgegeben. Der Flotten-Verein hat nachher diese Gewehre wieder verkauft. Der Angeklagte schließt, baß er seine Ankäufe für durchaus reelle gehalten habe. — Der Verteidiger Warschauer des Ange klagten Grosser stellte unter Beweis, daß Grosser mindestens seit sechs Jahren unzurechnungsfähig sei. Er beantragt, einen Spezialisten ber Nerven heilkunde vorzuladen. Das Gericht beschließt demgemäß. — Der Angeklagte Besbroda aus Thorn, ein Lieferant des Loll, erklärt sich für un schuldig und behauptet, die Gewehre und die Munition auf ehrliche Weise erworben zu haben. — Der andre Lieferant des Hauptangeklagten, der Tischlermeister Wredecke aus Hildesheim, erklärt, die Gewehre für sich selbst zum Zweck der Umarbeitung und des Verkaufs an Förster gekauft zu haben. Nur zufällig sei er durch die,Jägerzeitung' mit Loll bekannt geworden. Leipzig. Im Hochverratsprozeß gegen den Kaufmannsgehilsen Lanzani aus Italien und den Kaufmann Hamburger wurde der erstere wegen Verrats militärischer Geheimnisse zu 2 Jahr 6 Monat Zuchthaus, 5 Jahr Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht verurteilt und der letztere sreige- sprochen. Vie R,oburit-6xplofion bei Mitten (Westfalen). Ein fürchterlicher Unglücksfall, einer der folgenschwersten der neueren Zeit, hat sich bei Witten in Westfalen zugettagen. Eine ganze Fabrik, in der Roburit (ein seit etwa 20 Jahren bekannter Sprengstoff) hergestellt wird, ist fast völlig zerstört, nahezu 50 Menschen sind getötet, an 200 mehr oder minder schwer verletzt. Uber die Katastrophe wird berichtet: Die Fabrik liegt in einer keffelförmigen Bodensenkung, etwa 3V- Kilometer von der inneren Stadt entfernt, ungefähr auf der Mitte des Weges zwischen Witten und Annen. Auch in der letztgenannten Stadt, die weniger geschützt liegt, sind die durch die Explosion hervorgerufenen Schäden noch erheblich größer als in Witten selbst. SituationSplan der Unglücksstätte. Gegen 8 Uhr abends brach in der Fabri! Feuer aus und kurz darauf fand die erste Explosion statt. Viele Bewohner verließen in großer Angst ihre Häuser, das Wichtigste ihrer Habe mit sich nehmend. Einige Hundert begaben sich voller Neugier zur Schreckens stätte. Da erfolgte plötzlich eine zweite weit schwerere Explosion. Durch die Gewalt dieser Explosion wurden die Umstehenden zu Boden geworfen und größtenteils durch die in der Luft umherfliegenden Steine, Bretter, Eisenteile usw. mehr oder weniger schwer verwundet. Eine Anzahl von Personen wurden dabei ge- töret. Einem Polizeisergeanten wurde durch eine Eisenstange der Leib aufgerissen — er war auf der Stelle tot. Die furchtbare Gewalt der Explosion wird durch die Mitteilung anschaulich gemacht, daß auch in Dortmund und Langendreer, also in ansehnlicher Entfernung, Schaden angerichtet wurde. In Dortmund wurde eine große Spiegel scheibe in einer Geflügelhandlung zertrümmert; einer Frau wurde durch ein mit großer Gewalt fortgeschleudertes Eisenstück ein Fuß abgeschlagen. In Langendreer stürzte durch die Erschütterung die Wand eiues Hauses ein. Welche Greuel der Verwüstung durch die Katastrophe ange richtet worden sind, ließ sich schon in weitem Abstande erkennen. Auf der Hauptgeschäftsstraße Wittens, der langgedehnten Bahnhofstraße, dieeine Viertelstunde Weges vom Explosionsherd enlfernt liegt, sind die stärksten Spiegelscheiben wie Zier glas zerbrochen, in Stücke geschlagen, zu Atomen zerstäubt. An den großen Warenhäusern sind sechs, acht, zehn Scheiben vollständige aus dem Rahmen gerissen und auf den Bürgersteig und auf das Pflaster geworfen worden, wo sie mit den aus den Auslagen herausgeschleuderten Waren mannigfachster Art ein wildes Durch einander bildeten, in dem die Geschäftsinhaber und ihr Personal mit Schaufeln und Reißbesen Ordnung zu schaffen suchen. Man sah Häuser, an denen dicke Türen wie Streichholzschächtelchen eingedrückt sind. Auf dem Marktplatz drängte sich angstvoll eine große Menschenmenge, zumeist Frauen und Kinder, die mit dem Wenigen ihrer Habe, was ihre vom Schreck gelähmten Hände zu greifen vermochten, vor dem Unheil geflohen sind. In ganzen Scharen kamen Leute mit beschmutzten und zerrissenen Kleidem, Augen zeugen der Katastrophe, die von der Gewalt des Luftdruckes zu Boden geworfen wurden. Langsamen Schrittes gingen, von Führern ge leitet, Verwundete vorüber, Kopf und Hände mit dicken Gazeverbänden umwickelt. Es sind die weniger stark Mitgenommenen, die nach An legung des Notverbandes sich in häusliche Pflege begeben konnten. Schümmer waren die Armen daran, die man in schnell dahin rasselnden Fahrzeugen jeglicher Art, in Omni bussen, Droschken, auf Milchkarren, Bäckerwagen, Lastfuhrwerken zu den Krankenhäusern und zu den andern in der Ette hergerichteten Verbands plätzen schaffte. Als der Brand ausbrach, dachte kein Mensch an eine Gefahr, selbst der Betriebsleiter Doktor Kunze scheint die Sachlage als ziemlich un bedenklich angesehen zu Habern Denn wie man erzählt, soll er einem um das Publikum be sorgten Polizeibeamten die beruhigende Ver sicherung gegeben haben, daß nichts Schlimmes mehr passieren werde, da das Roburit von den Flammen nicht zur Explosion gebrachr werden könne. Wenige Augenblicke später zerriß ihm die Explosion den Kopf. Die Entstehungsursache der Katastrophe wird in einem Verbrechen gesucht. Die Direktion der Roburitfabrik ist der Meinung, daß es sich nm einen verbrecherischen Anschlag handelt. Kundige Personen erklären, daß es trotz des Viaue- ausbruchs zur Explosion nicht gekomnien wäre, wenn nicht in besonders gefährlichen Kammern Feuer angelegt worden wäre. Die erste Explosion erfolgte in der Mischkammer, bald darauf die zweite im Lagerraum, in dem sich 300 Kisten Roburit be fanden. Glücklicherweise konnte eine dritte Explosion vermieden werden, da die Dentzer Pioniere die letzten Roburitbestände aus den Fabrikräumen entfernt haben. Uber vierzig Tote wurden geborgen. Es werden noch viele Leichen ver mißt. Von den Beamten der Roburitfabrik selbst wird die Zahl der erheblich Verletzten auf rund zweihundert geschätzt. Der Kaiser richtete aus Raubten, wo er zum Jagdaufenthalt weilt, ein Beileidstelegramm an den Bürgermeister von Dortmund und ließ für die Verunglückten 25 000 Mk. überreichen. Der angerichtete Sachschaden wird auf etwa 2 Millionen Mark geschätzt. Feuerwehrleute, Soldaten und Bürger sind unablässig am Rettungswert tätig. buntes /Allerlei. Kindermund. In der Kindervorstellung eines Theaters wird „Aschenbrödel" gegeben. Als der Vorhang fällt, fragt Klein-Elschen: „Mama, geht das Aschenbrödel jetzt wieder ins Bilderbuch?" — wenn meine Opritschniks bald dein Haus be tteten, um den Bojaren zu verhaften. Solltest du einen Wunsch im Herzen tragen, dann offen bare ihn mir." Errötend flüsterte die Fürstin: „AllergnSdigster Zar, ich bitte, gewähre mir Schutz vor meinem Gemahl, der mich nach jedem wilden Zechgelage mißhandelt." „Kehre beruhigt in dein Heim zurück, liebe und getreue Tochter; ich werde dem groben Bären die Krallen stutzen," spricht der Zar spottend, und entläßt huldvoll die Bojarin, aus deren Augen triumphierend Schadenfreude blitzt. Als die gefürchteten Opritschniks, die mit leidlosen Schergen Iwans, den Äankettsaal be tteten, verstummen jäh die Klänge des Dudel sacks, und dem schreckensbleichen Bratschengeiger fällt der Fiedelbogen aus der Hand. Die halb trunkenen Edelleute, die beim Beginn des Ge lages ihre Waffen abgelegt hatten, starren mit verstecktem Grimm auf die verhaßten Eindring linge ; sie wagen es nicht, sich der Verhaftung des gastlichen Haushern zu widersetzen. Nachdem der Hauptmann der Leibwache den rasch ernüchterten Bojaren zum Verhör vor Iwan geführt hat, betrachtet dieser ihn mit lauerndem Blick und spricht höhnisch: „Da du das Mittel, das mich von meinen Schmerzen befreien könnte, gar zu sorgfältig hütest, muß ich dich zu meinem Arzt, auch wider deinen Willen, mit Anwendung von Gewalt machen. Du weißt, daß. es dem Mann im roten Wams, meinem getreuen Meister Hämmerling, ein leichtes ist, dir die Zunge zu lösen, wenn duinVerstockthettbeharrst—weshalb schweigst du?" „Weil ich kein Hellmittel gegen deine Krank heit besitze," spricht der Bojar mit fester Stimme. „Das glaube ich dir nicht, wett ich dein boshaftes Herz kenne." „Nun, wenn du meinem Manneswort nicht traust, so will ich feierlich den Schwur leisten, daß ich von der Arzneiwissenschaft so wenig ver stehe, wie ein Muschik von der Sternkunde," beteuert der Bojar. „So höre mein letztes Wort!" spricht Iwan mit eisigem Blick: „Ich gebe dir Bedenkzeit, bis morgen der Hahn den jungen Tag ver kündet ; verharrst du dann noch in deinem sünd haften Trotz, so wirst du das Licht der Sonne nicht mehr schauen." Ein Wink des Zaren gilt der Leibwache als Befehl, den Gefangenen in den Kerker abzuführen. Ruhelos durchmißt der Bojar den engen Raum, der nur matt erhellt ist; er kennt den verborgenen Sinn der furchtbaren Drohung und weiß, daß ihn der Zar blenden lassen will. Die qualvolle Seelenfolter läßt in dem Unglücklichen den Entschluß reifen, das Gift, das er in goldner Kapsel verwahrt auf der Brust trägt, dem Zaren als angebliches Heil mittel zu senden. Diesen furchtbaren Plan der Notwehr ver wirft der Gefangene bald wieder, erwägend, daß er nutzlos sich opfern würde, weil Iwan der Schreckliche viel zu argwöhnisch ist. Von den Folgen des Weines und durch körperliche Ermattung bewältigt, sinkt der Bojar in kurzen, unruhigen Schlummer. Schon dringt der erste graue Schimmer des Morgens durch die schmale, vergitterte Luke in der Mauer, als der Schläfer von der Steinbank sich aufrichtet, noch ganz erfüllt von einem seltsamen Traum gebilde, das in der Erinnerung immer deutlicher wird. Der Traum hat ihm dm geliebten greisen Vater gezeigt, wie er im Lehnstuhl am Fenster sitzt, die schmerzenden Glieder mit Pelzwerk umwickelt. Dieses Bild gestaltet sich immer klarer: der Bojar erinnert sich an das wüste Geschrei, das aus dem Schloßhofe schallt. Zwei Stallknechte schlagen unbarmherzig auf eine Zigeunerin los; sofort verbietet der Vater diese Roheit und beschenkt das Weib. Die alte Mongolin erkennt die Ursache des Leidens, und aus Dankbarkeit verordnet sie ein heilsames Bad dagegen, das dm Vater von der Qual erlöst. Antoniewitsch Scheremetjew atmet befreit auf, er klammert sich an die Hoffnung, daß dieses Traumbild ihm Rettung verheißt. Nach dem ersten Hahnenschrei naht der Kerkermeister mit den Knechten des Meisters Hämmerling; der Bojar erklärt: „Ich bedarf zur Heilung des Zaren der HUfe des Gärtners, holt ihn eilig herbei!" Als dieser Mann so rauh geweckt und aus dem Bett geholt wird, glaubt er, daß sein letztes Stündlein ge schlagen hat. Der Bojar befiehlt in strengem Tone: „Pflücke im Würzgarten die sieben Kräuter, die ich dir nenne. Es sind Salbei und Lawendel, Raute und Wohlverleih, Minze, Baldrian und Bilsenkraut; sie sollen mit jungem Birkenlaub und den zarten Sprossen des Eibenstrauches in einem Kessel gesotten werden. Aus dem Sud bereite man ein Bad, in dem der kranke Zar, so heiß er es ertragen kann, eine Stunde ver weilen muß. Hiernach sollen ihn die Diener sanft abreiben und in gewärmte Decken hüllen, damit ein heftiger Schweiß eintritt; dann wird Väterchen Zar von Schmerzen befreit sein." Was der Bojar gehofft hatte, erfüllte sich. Sei es, daß die Kraft der Krankheit bereits ge brochen war, oder daß die energische Anwendung des Kräuterbades und der Schwitzkur das Wunder bewirkte. Es trat der glückliche Erfolg ein, daß der Zar sein Lager gesund verlassen konnte. — Aber durch diese rasche Genesung erhielt der Groll, den Iwan gegen seinen Arzt wider Willen hegte, neue Nahrung; er befahl, den Gefangenen vorzuführen und empfing ihn sehr ungnädig: „Ich verkünde dir, Antoniewitsch Scheremetjew, daß der Schatzmeister angewiesen ist, dir die versprochene Belohnung in dein Haus zu senden, denn du hast sie verdient. — Doch nun ist die Verderbtheit deines heimtückischen Charakters erst völlig offenbar geworden. — Du sahst kaltblütig, wie ich durch Schmerzen gepeinigt wurde und verschwiegst das Heilmittel. Ich habe deshalb auch dem Stockmeister den Befehl erteilt, du hundert Knutenhiebe auszu zahlen, die dich hoffentlich von deiner Bosheit heilen werden. — Nun höre, was ich dir noch zu sagen habe: Es ist die Kunde zu mir ge drungen, daß du in der Trunkenheit dein Weib mißhandelst; das ist eines Bojaren unwürdig! — Solltest du dich noch einmal so weit ver gessen, so werde i ch dem Arzt sein — mein Heilmittel kennst du!" - - End«. ress»
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