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Betrachtung zum 16. Sonntag nach Trimtatis. Apostelgesch. 16, 34. Und er sührete sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch und sreuete sich mit seinem ganzen Hause, das; er an Gott gläubig geworden war. Vom Kerkermeister zu Philippi ist hier die Rede, der sich der Pupurkrümeriu Lydia, die wir vor acht Tassen die erste europäische Christin nannten, als erster Christ in Europa zugefellt. Was hier von ihm berichtet wird, klingt überaus schlicht und einfach und ist doch, näher besehen, etwas großes und gewaltiges. Denken wir doch nach! Derselbe Mann, der noch wenige Stunden vorher sich in seiner düsteren Gewissenhaftigkeit nicht genug hatte tun können, um Paulus und Titus die Gefangenschaft so drückend als möglich zu machen, führt jetzt diese Männer wie werte Gäste in sein Haus; der wohl gemeint hatte, Wasser und Brot sei noch für diese Sorte Leute zu gut, bewirtet sie jetzt an seinem Tisch mit dem besten, was er zu bieten vermag; und der noch kurz vorher es als die größte Beleidigung empfunden haben würde, wenn jemand von ihm gesagt hätte, er sei auch einer von jener Sekte der Nazarener, der begehrt jetzt für sich und die Seinen die Taufe und freut sich mit seinem ganzen Hause voll lautem Jubel der ihm zuteil gewordenen Gnade. Wahrlich, könnte man nicht angesichts dieses Sieges des Evangeliums über dies Menschenherz mit Recht auch das Wort schreiben, das einst Kaiser Wilhelm der Erste über den gewaltigen Sieg vor Sedan geschrieben hat: „Welch eine Wendung durch Gottes Fügung." Hier haben wir ein rechtes Musterbeispiel, was Gottes Macht und Gnade aus einem Menschen machen kann und wie eins aus dem anderen folgt: Ein neues Herz, ein neues Leben. Aber warum machen wir doch im Großen und Ganzen so selten solche Erfahrungen, da doch das Wort Gottes in seiner Kraft noch dasselbe ist, wie im Anfang? Ich meine, das hat in der Hauptsache einen zweifachen Grund. Sehr oft lieats daran, daß es am rechten Ernst der Bekehrung fehlt, an jenem Ernst, der uns aus der Frage des Kerker meisters entgegenblickt: Liebe Herren, was soll ich tun, daß ich selig werde? Unter dem, was er soeben erlebt, war sein Herz aufs tiefste erschüttert worden, hatte er alles, worauf er sich bisher verlassen hatte, als nichtig er kannt und war ihm nur das eine wichtig geworden: „Wo finde ich Rettung für meine Seele? Wie werde ich selig?" Wo finden wir aber heute solchen erschütternden Ernst? Wo geschieht es, daß die Frage nach der Seligkeit so alles andere in den Hintergrund drängt. Selten genug ist es der Fall. Den meisten in unserer Zeit sind oft die gar kleinlichen Fragen des Alltags oder die Fragen der Politik, der Wissenschaft, vor allem die Brotfrage ungleich wichtiger, als die Frage nach dem Einen, was not tut. Darum kommts bei ihnen auch zu keiner inneren Erschütterung, zu keiner ernstlichen Bekehrung und darum auch zu keinem neuen Leben. Aber es gibt auch solche unter uns, denen es ums Seligwerden ernstlich zu tun ist und doch machen wir auch bei ihnen oft die betrübende Erfahrung, daß das neue Leben nicht zum Durchbruch kommt. Was ist da wohl der Hinderungsgrund? „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig" so hatte Paulus dem Kerkermeister geantwortet und dieser glaubte, dieser warf seine ganze Zuversicht auf diesen mächtigen, starken, alleinigen Helfer und Heiland und seine sündenvergebende Gnade und aus diesem Glauben erwuchs für ihn das neue Leben. Aber solcher Glaube ist nicht jedermanns Ding. Nur auf Gnade angewiesen sein, über all sein bisheriges Tun den Stab brechen und in Christi Jesu allein, dem eingeborenen Gottessohn und in dem von ihm vollbrachten Versöhnungswerk das Heil sehen, das dünkt ihnen zuviel zugemutet, dazu können sie sich nicht entschließen. Der Weg der Bekehrung und zu einem neuen Leben paßt ihnen nicht, denn es ist der Weg der völligen Drangabe aller eigenen Gerechtigkeit und darum kommts auch bei ihnen zu keinem Durchbruch, sie bleiben in den Ansätzen stecken. Und doch ist und bleibt der Glaube an die Gnade Gottes in Christi Jesu der einzige Weg, der uns gegeben ist. Alle anderen Wege führen nicht zum Ziel. Nur'wer sich rückhaltlos entschließen kann, ihn zu gehen, der wird ein neuer Mensch, von dem heißt -es: das alte ist vergangen, siehe es ist alles neu geworden. Nur da kommts zu wahren Geistesfrüchten und diese Geistes früchte sind Liebe, Friede, Freude, Geduld, Demut, Sanft mut, Keuschheit, Wahrheit. O, darum willst du, daß auch bei dir solche Geistesfrüchte sichtbar werden, wie dort bei denr Kerkermeister, willst du, daß du wirklich selig werdest, dann gehe keinen anderen Weg, als den, der auch dir ge zeigt ist: Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig. Vas wiläe Parlament. „re^oulum in mora« — „Gefahr im Verzüge' — tele- graphierte Roon vor genau 50 Jahren, am 18. September 1862, an den Botschafter Preußens in Paris, an Otto v. Bismarck. Krone und Abgeordnetenhaus lagen in scharfem, schier unlösbar erscheinenden Konflikt. Der Ausblick in die Zukunft des Staates Friedrichs des Großen gab nur trübe, nebelhafte Bilder. Da rief das Telegramm den starken Mann herbei, der die Dinge wieder in feste Bahnen leitete. Mit welchem Erfolg, das braucht hier nicht erörtert zu werden. „?erienlnm in mora" predigt heute jede Meldung von dem parlamentarischen Kriegsschauplatz in Budapest. Der Vergleich mit den preußischen Wirren vor 1864 liegt allzu nahe. Zwar steht die auf dem greisen Haupte Franz Josefs vereinigte Kro^e der ungarisch-österreichischen Doppelmonarchie den heillosen Geschehnissen im ungari schen Parlament verhältnismäßig als objektiver Faktor gegenüber. Nicht Krone und Kammer messen ihre Kräfte als geschlossene Einheiten, sondern das Haus der Abgeordneten befehdet sich in den zwei Gliederungen der Majorität und der Minorität in wilder, rücksichtsloser Fehde. Zwar hat die vielleicht gewalttätige, aber ziel bewußte Energie des Grafen Stephan Tisza vor der Sommerpause das umstrittene Wehrgesetz unter mächtigen Wetterschauern zustande gebracht, wobei die Regierung und die ihr wohlgesinnte Majorität des Hauses ihm unentwegt im Rücken standen. Doch deshalb ist der alte Streit nicht vergessen, und fast noch brutaler als damals lodern nach der vor einigen Tagen geschehenen Wiedereröffnung des Parlaments die Leidenschaften empor. Man traut seinen Augen kaum, wenn man liest, wie die Halle der Gesetzgebung zur Stätte widerlicher Faustkämvfe--wird, wie die Erwählten des DasMonnLnuM des im ganzen Amtsgerichtsbezirk weitverbreiteten AOM L welches bald abgelaufen ist. Wenn Sie jetzt nicht erneuern, so tritt in der Zusendung eine Unter brechung ein und Nachlieferung der erschienenen Nummern kostet zehn Pfennige extra. Erneuern — Sie das Abonnement auf das 7:77.7---:- „WeMI für MißH" deshalb noch heute. 7: 777""" Volkes die Manieren von Straßenjungen annehmen, wunen Lärm mit den tollsten, der Kinderstube und der Gasse entnommenen Instrumenten vollführen. Der Handels minister v. Beöthy wird, da er auf die Zurufe „Nieder trächtiger Schuft, elendes Schwein" in begreiflicher Er regung aufspringt, regelrecht verprügelt und muß mit zerschundenem Kopf aus dem Saal geführt werden. Ohr feigen und Boxerstöße bilden eine beständige Unterhaltung. Wieder und wieder wird die Sitzung unterbrochen. Ohne Erfolg. Ausgeschlossene Abgeordnete drängen durch rück wärtige Ausgänge in das Haus und rücken als Reserve in die durch Disziplinargewalt abbröckelnden Reihen der revolutionierenden Opposition. Zwei-, drei-, fünfhundert Polizeibeamte werden herbeigerufen. Alles vergebens, es wird weitergetobt, weitergeschlagen und geschimpft. Ein bedenklicher Fall von Insubordination verschärft die Situation. Ein Polizist, mit seinen Kameraden zur Her stellung der Ordnung befohlen, verweigert den Gehorsam mit den Worten „Ich greife einen unabhängigen Abgeordneten nicht an." Er wird verhaftet und unter ungeheurem Jubel der Opposition abgesührt. Diese er öffnet sofort eine Sammlung für ihn und beschließt, den Mann in glanzvoller Weise zu ehren und .seine Zukunft sicherzustellen. Mittlerweile bereitet die sozialdemokratische Partei leitung Riesendemonstrationen auf der Straße vor, alle Truppen stehen mit Über- und Untergewehr in den Kasernen auf Kriegsfuß. Zu den Schlachten im Parla mentshause tritt der Straßenkampf, die Barrikade. Wo ist der Retter in diesem Wirrwar? Die Ursachen zu den das Ansehen des Parlaments wie das Wohl des Landes gleich schwer bedrohenden Dingen? Die Opposition beküinpfte seinerzeit das Webr- gesetz nicht aus prinzipiellen, sondern aus taktischen Gründen. Vor sechs Jahren sicherte die Krone ein neues allgemeines Wahlrecht zu an Stelle des jetzigen, das einseitig zugunsten der 8V- Millionen Madjaren zu geschnitten ist. Diese 8V2 Millionen sind nicht die Mehrheit der Bevölkerung Ungarns. Ungarische Staats angehörige deutscher, rumänischer, kroatischer, serbischer und slowenischer Nationalität überragen sie an Zahl, sind aber durch das herrschende Wahlrecht zur Bedeutungs losigkeit verurteilt. Also zuerst das versprochene Wahl recht, dann die Bewilligung der Wehrvorlagen hieß es auf dieser Seite. Nun drückten Minister- und Kammerpräsident, die Herren Lukacs und Graf Tisza, das Wehrgesetz durch, zweifellos praktisch eine notwendige und im Staatsintereffe liegende Lösung gegenüber der Unfruchtbarkeit, zu der bei andauernden resultatlosen Prinzipienstreitigkeiten die Staats maschinerie gezwungen wurde. Doch Friedensgesinnung wurde dadurch nicht herbei gerufen. Forderte man zu Sommers Anfang das Wahl recht, so schreit jetzt die Opposition nach den Köpfen der gehabten Präsidenten der Regierung und des Parlaments. Lukacs und Tisza sollen fallen, um jeden Preis, erst dann will man Ruhe geben. Aus dem sachlichen Ringen ist ein Anrennen gegen Persönlichkeiten geworden. Daher wohl die unglaublich würdelose, alle sonst unter der Oberfläche der Erziehung gebändigt ruhenden Instinkte aufwühlende Entartung der Kampfesweise. Was werden soll? Das weiß man weder in Budapest noch in Wien. Ungarn, das Land mit der stolzen An maßung der Madjaren und den tiefstehenden inneren Zu ständen, unter der unsere deutschen Stammesgenosfen nicht am wenigsten leiden, wird jedenfalls eine besondere Note in der Geschichte gewinnen. Großbritannien hatte einst fein „Langes Parlament", das 1649 den König Karl I. enthaupten ließ. Ungarn wird den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen können, das „Wilde Parlament" besessen zu haben. PoUtilcke R.rmälckau. Deutsches R.eick. Die von der Zweiten Kammer zur Reform der sächsischen Volksschule eingesetzte Kommission hat mit liberal-sozialdemokratischer Mehrheit beschlossen, die völlige Schulgeldfreiheit für die Volksschule im Königreich Sachsen einzuführen. Die Konservativen stimmten dagegen. Die Regierung erklärte, nur dazu die Hand bieten zu können, daß den Gemeinden zur Pflicht gemacht werde, Un bemittelten das Schulgeld zu erlassen. * Die Zuständigkeit bei Vergehen gegen die Straf- bcstimnmnge» des Bichseuchengesetzes ist nach dem neuen Viehseuchengesetz anderweitig geregelt. Nach dem alten Gesetz wurden die Vergehen vor den Schöffengerichten ab geurteilt, jetzt sind die Strafkammern zuständig, da nach dein Wortlaute des 8 74 des Viehseuchengesetzes eine Überweisung an die Schöffengerichte unzulässig ist. Hieraus folgt, daß Vergehen gegen dieses Gesetz in Zukunft strenger bestraft werden dürften. * Zu der kürzlich veröffentlichten Unterredung eines Journalisten mit dem bayerische« Ministerpräsidenten Freiherr« v. Hertling erläßt die Münchener offiziöse „Korrespondenz Hoffmann" jetzt eine Richtigstellung, die in einzelnen Punkten ie Äußerungen Herrn v Hertlings modifiziert Herr Zärtling 'ci -keineswegs geneigt, bayerische Hohetts-echte rufzugeven- er ^i ferne« ein ent schiedener Hemer ^es Lchlagworlev pov d^ Begehrlich keit der Agrarier". Der MinisterMüsideM wendet sich gegen die Auffassung, als habe n gesagt, die Jesuiten wurden irgendwie Politik trewen. Nach wie vor sehe Herr v Hertling in dem Zusammenwir^ ^ur bürger lichen Parteien zu ,-wsitiver Arbeit em wünschenswertes Remltal der politischen Arbeit. ö sterreich-Qngarn. x Die Kämpfe in der Zweiten ungarischen Kammer fanden im Magnatenhaus noch eine gewisse Fortsetzung, indem der zur Opposition gehörende Graf Hadik einen heftigen Angriff gegen den Ministerpräsidenten Lukacs richtete. Er forderte von diesem, daß er seinen Platz ver lassen solle, um die Wiederherstellung des parlamentarischen. Friedens zu ermöglichen. Der Ministerpräsident mies das Ansinnen entschieden zurück und erklärte, ein Rücktritt auf Verlangen einer Minorität würde allen parlamentarischen Gepflogenheiten widersprechen. Er sagte ferner, die Vor gänge in der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses seien beschämend gewesen, nicht weil das Präsidium ge eignete Vorkehrungen zur Sicherstellung der Freiheit der Beratungen getroffen habe, sondern weil Abgeordnete, statt ih-e ernste Aufgabe zu erfüllen, Skandalszenen veran staltetem lftoNanä. X Der soeben zusammengetretenen Kammer ist vom Kriegsminister ein Gesetzentwurf vorgelegt worden, der einen Kostenanschlag für die Verbesserung der Knstcn- verteidignng enthält. Der Entwurf fordert einen Kredit von IV2 Millionen Gulden als erste Rate für den Bau der Befestigungen von Vlissingen, ferner für die Ver besserung der Festung Kykduin und für die Verstärkung der Batterien in den älteren Festungen, wie Hoek van Holland und Bmuiden. x Gelegentlich der feierlichen Eröffnung der Kammern durch die Königin veranstalteten die Sozialdemokraten in Haag auf freiem Felde eine Wahlrechtsdemonstration, an der etwa 20 000 Personen teilnahmen. Nach dieser Versammlung versuchte die Menschenmasse in geschlossenem Zuge nach dem Stadtviertel zu marschieren, in dem die Ministerien liegen. Hier war jedoch durch Polizei und Gendarmen streng abgesperrt. Bei dem Versuch der Menge, hie ALsrecrungSkette mit Gewalt zu durchbrechen, zogen die Mannschaften blank und säuberten den Ptatz schnell.