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Im Voktorkaus. Romni! von K. Schütze. iForli-yuigl HM^Nie beiden alten Damen in ihrer Erwartung enttäuscht, waren ab- ^DH gespannt und müde geworden. Die Oberstabsürztin gähnte vcr- ——stöhlen hinter der vorgehaltenen Hand. Und Jutta sah in d m gegenüder- hängenden Spiegel wie Konrad nervös au seinem Schnurrbart kaute. Sie fühlte seine Gedanken waren ganz wo andms, und um Lottes Mund grub sich eine schmerzliche Linie. Als sie ihr Lied geendet, stand sie ans und klappte den Klavierdeckel zu. „So was. Da quält man sich und gibt sein bestes. Und keiner hört zu!" schalt sie halb ernsthaft, halb im Scherz. Natürlich widersprachen alle entrüstet und es kam auch noch eine kleine forcierte Unterhaltung in Gang, die sich hauptsäch lich um Konrads Abreise drehte. „Wann wollen Sie denn fort, Herr Doktor?" fragte die Frau Hauptmann. „Ich denke am Montag!" gab Konrad zurück. „Ich möchte noch einen Schulfreund in Naumburg besuchen. Dann könnte ich Donnerstag oder Freitag in WeUertsh.ru icn sein." Tie Oberstabsärztin, die noch immer nicht alle Verlobungshofsnungcn aufgege ben hatte, bekam eine nach ihrer Meinung großartige Idee. „Wissen Sie was? Da machen wir Sonnabend noch eine Partie. Vielleicht dic Havel hinunter nach dem Wannsee." „Sonnabend habe ich sehr viel zu arbei ten," warf Lotte ein, „ich glaube kaum, daß ich mich da frei machen kann." „Ach" ivas!" Jutta faßte sie scherzend um die Taille. Auch ihre Hoffnungen waren an dem Ellmeierichen Plane neu erstarkt. „Einmal kann man schon eine Ausnahme machen. Was Konny? Es märe doch zu nett." Des jungen Doktors Gedanken waren zwar schon wieder weit weg in die Zukunft vorauigccilt. Aber als jetzt sein Blick ans Lottes blasses, schönes Antlitz fiel, das nur der Reflex des roten Lampenschirmes mit einem warmen, rosigen Hauch , tönte, war es nicht nur Höflichkeit, die' ihn bewog, Juttas Bitte zu unler,stützen. „Kommen Sie mit, Fräulein Consen- tius!" sagte ec bittend Da wandte Lotte den Kopf zur Seite. „Ich werde kommen." Eine halbe Stunde später war das Licht hinter den Fenstern der Pension Löffler verlöscht. Aber wer daraus den Schluß zog, daß ihre Bewohner nun in ruhigem Schlummer lagen, der ging mit seiner Ver mutung arg in die Irre. Sie schliefen alle fünf nicht, die Insas sen der Pension Lösfler. Tie Frau Oberstabsarzt erwog immer aufs neue, wie man im Verlause der Sonn- abendpartie Doktor Wyk und Lotte Konsen- lius auf das unauf alligste Gelegenheit zum Alleinsein geben konnte. Auch die Frau Hauptmann dachte an die Partie. Nur daß bei ihr die praktischen Erwägungen in den Vordergrund traten. Jenseits der Wand warf sich Konrad Wyk ruhelos von einer Seite auf die andre, während seine Gedanken allerlei phan- mstische Wanderungen unternahmen. Aber es war nicht das Gebiet der Havel, das die Vorstellungen der beiden alten Damen in stiller Vorfreude durchlreisien, sondern ein unbekanntes Städtchen im Thüringerland, das seine Phantasie liebko'end zu prächti gen Bildern gestattete. Er ahnte nicht, daß jenseits der Wand seine Schwester Jutta dieses Städtchen im stillen verwünschte. Zum erstenmal batte Lotte sich heute von ihr getrennt ohne wie sonst noch in einem kleinen Plausch die Er eignisse des Tages mit ihr zu besprechen. Still, mit einem kurzen: „Gute Nacht, ich bin heut' sehr müde!" war sie gegangen und hatte dis Tür, die die beiden Zimmer verband, und die sonst meistens offen blieb, fest hinter sich zugedrückt. Jutta wußte wohl weshalb. Und sie ballte die kleine Hand über der Steppdecke und hob sie nach der Wand, hinter der ihr Bruder schlief. Wahrhaftig, sie hatte ihn lieb, aber so viel Dummheit verzieh sie ihm so bald nicht. lieber Lottes Bett kroch der seine sil berne Mondstrcifen. Sie hatte vergessen, den Vorhang des Fensters zu schließen, wie sie überhaupt alles vergossen hatte, was sie sonst vor dem Schlafengehen ni tun Pflegte. Und sie lag mit großen weitgeöfsneten Augen im Bett und starrte in den Mondschein. Warum mußte sie heut' immerfort an den Tag denken als sie Konrad Wyk zum erstenmal gesehen. Was war denn ge schehen? Heute nichts und damals nichts. Und doch kroch ein seltsamer, bisher nie ge fühlter Schauer bei dem Erinnern durch ihr Herz. Ganz deutlich und doch wieder unwirklich aufgelöst in die verschwommenen Konturen eines Märchens sah sie alles noch einmal vor sich. Ein großer purpur ner Fleck flammte zuerst auf. Das war der Strauß roten Mohns, der auf ihrem Schreibtisch stand, als Jutta den Bruder bald nach seiner Ankunft zur Vorstellung in ihr Zimmer führte. „Schau, was ich für 'nen stattlichen Bruder habe!" hatte die lustige Jutta ge lacht. Und Lotte hatte im stillen dasselbe gedacht. Das heißt, es war nicht so sehr die Stattlichkeit der hochgewachsenen männ lichen Erscheinung, die ihr gefiel, als der Ausdruck der klug und freundlich blickenden braunen Augen. Lotte hatte vom ersten Moment des Sehens an das Gefühl, daß diese Augen niemals irgend einen jener Blicke über sie hinschicken würden, deren sie sich sonst unter ihren männlichen Kollegen oft erwehren mußte. Sie erzählte Jutta einmal, was sie von ihrem Bruder dachte. Die nickte über-, zeugt. „Ta hast du recht. Konny ist ein hoch anständiger nobler Kerl. Ich glaube, der machte sich niemals eine Situation zunutze, trotzdem die Mädels immer wie toll hinter ihm her waren. Aber solch' 'ne leichtsinnige Liebelei hat er, glaube ich, nie gehabt. Das macht,- weil er so große Stücke auf unsere Mutter hielt. Und Mutter war eine pracht volle Frau. Tie sagte stets; ein Mann, der die Ehrfurcht vor dem weiblichen Geschlecht vergißt, beschimpft seine eigne Mutter." Nein, die Ehrfurcht vor ihr, der allein im Leben stehenden, auf sich selbst angewie senen, vergaß Konrad nie. Und das gefiel ihr Wohl vor allem zuerst an ihm. Nicht, daß sie das Kräutchen Rührmichnichtan ge spielt hätte, das wäre in ihrer Lebenslage ja geradezu lächerlich gewesen. Aber viel leicht gerade weil sie nun durch all die Studienjahre hindurch gewöhnt war, das Weib, die Dame hintenanacietzt zu sehen, tat es ihr wohl, wieder einmal als solche, nicht nur als Kollegin behandelt zu werden. Das heißt Konrad Wyk war kein Cour macher. Er hielt sich durchaus in den Gren zen zarter Ritterlichkeit. Nur einmal — Lotte schloß die Augen, das Blut trieb stür- misch in ihre Wangen — nur einmal ver gaß er die sonst geübte Zurückhaltung. Da mals an jenem Augustsonntag als "sie mit Jutta und ihm hinaus an den Müggelsee gefahren waren. Lotte setzte sich aufrecht in ihrem Bett und faltete die Hände. Sic sah alles, als erlebte sic cs aufs neue. Den blanken, blauen See, die zitternden Sonnenstrahlen, Sen sandigen Weg zwischen dem Kiefern- gchölz. llnd in dem kleinen Wirtshaus, abseits vom Wege, wo sie Kaffee tranken, paukte ein Klavierspieler die „Gigerlkönigiu." Da sagte Konrad plötzlich: „Fräulein Consentius, wir sollten einmal tanzen. Bitte, bitte. Wir wollen doch auch einmal im Leben leichtsinnig sein." Noch ein Weilchen sträubte sie sich, aber als auch Jutta lachend zuredete, folgte sic ihm endlich doch. Nur zwei kleine Laden mädchen in ihrem frischgewaschenen Sonn tagsstaat walzten durch den öden, staubigen Saal. Aber sie hat'e gar keine Zeit aufzu- merken, ob die von ihrem Eintritt Notiz nahmen, da fühlte sie schon erschauernd sich Konrads Arm um ihre Taille legen, llnd dann — ja war sie noch auf der Erde oder schwebte sie auf Wolken? Sie fühlte einen zärtlichen, bedeutungsvollen Händedruck, sah Konrads Augen mit einem warmen, dunk len Blick auf sich gerichtet — dann klang plötzlich Juttas Stimme wie aus einer fer nen, längstvergessenen Welt an ihr Ohr: „Kinder, hört auf. Es zieht ein Ge witter herauf. Wir müssen machen, daß wir fortkommen." Da war es als hätte sie nur geträumt. Alles war wie früher. Konrad beglich die Zeche, sie rafften eilig Plaids und Schirme zusammen. Und das Gewitter kam richtig herauf. Und sie wurden tüchtig naß. Aber von dem Erinnern an diese Stunde hatte sie eigentlich all die letzten Wochen gelebt. In Lottes Brust arbeitete und würgte es. Ein heftiges Schluchzen schüttelte ihren Körper. Und dann Packte sic plötzlich ein wilder Grimm gegen sich selbst. Schämte sie sich denn ganz und gar nicht mehr? Wie ein unreifer Backfisch, wie eine müßig tändel. de Salondame lag sie hier und weinte über eine unerwiderte Liebe. Sie, Lotte Cou- jentius, sic, die Kandidatin der Medizin, die Frau, die auf eigne Kraft und eignes Können bauend, selbständig im Leben stand. Lotte warf die Tecke zurück, sprang mit bloßen Füßen auf die Diele und warf sich hastig ein Morgenkleid über. Ihre Arbeit. Ein Glück, daß sie endlich daran dachte. Mit zitternden .Fingern riß sie ein Streichholz an und entzündete die Lampe. Tann hockte sie auf dem Sofa nieder und faltete ihr Manuskript auseinander. Mit aller Energie faßte sie ihre Gedan ken zusammen, schrieb ein paar Sätze, stockte, strich durch und schrieb wieder. Vom Fenster her, das sie zu schließen vergessen, zog die kühle Nachtluft herein. Lotte schauerte fröstelnd zusammen — „las sen Sie uns doch einmal im Leben leicht sinnig sein —" sagte Konrads Stimme ir gend woher — dann ein paar lockende Wal zertöne la — la — la — — la la - la —"