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Well Im vii (I. I^^^^2^2^S,2^r^IXrL^IX22<r2^L^L<r2<rL^2^ Mirrenöe Meilen. Roman von Ernst Rewiek. —— g XL « : tjetzung) n dieser Nacht tat Marschner kein Ange zn. Sein Geist arbeitete wie iin Fieber. Tausendmal ver warf er im Kampf mit sich, selbst den niedrigen gemeinen Gedanken, den ihm der Wahnwitz eingegeben, doch im mer wieder zwang's ihn zu demselben zu- rück. Er meinte keinen anderen Ausweg aus der wie eine Lawine mächtupund mäch tiger heranrollenden Gefahr finden zn kön nen als den, zu denn ihm dieser Gedanke hiudcängte. Fettgedruckt brachte das Tageblatt in der Abendausgabe des nächsten Tages un ter der Ueberfchrift: „Ein geheimnisvoller Diebstahl" folgende Notiz: „Als heute mit tag die Gemahlin unseres allverehrten Di rektors vom Hüttenwerk Gutherz, Frau Liane Marschner ein Schmuckstück ihrer Schatulle entnehmen wollte, fand sie die selbe .zu ihren: maßlosen Erstaunen nicht au dem gewohnten Platze, an den sie sie tagszuvor, wie sie sich genau erinnerte, hin gestellt hatte. Ihr Erstaunen aber ver wandelte sich in Entsetzen, als auch eine Durchsuchung sämtlicher Wohnrüume der herrschaftlichen Villa den Inwelenkasten nicht zutage förderte. Eine sofort vorge nommene, peinlich genaue Durchsuchung der Gelasse des Dienstpersonals zeitigte keinen Erfolg. Ebenso führte eine Leibes visitation der Dienerschaft zu keinem Resul tat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Diebstahl geschehen ist, denn, wie wir eben vor Schluß der Redaktion durch unse ren M.-Berichterstatter erfahren, ist die Schatulle aufgebrochen und ihres Inhaltes beraubt, innerhalb einer Tannengruppe im Vorgarten der Villa entdeckt worden. We der an den Fenstern noch in: Treppenflur noch auch au den Türen finden sich irgend welche Anzeichen, daß in der Villa gewalt sam eingebrochen sei. Hoffentlich gelingt es den angestrengten Bemühungen unserer Polizei, den schändlichen Bnbeu der ihm sicheren Zuchthausstrafe zu überliefern. Tas Wäre umso mehr zn wünschen, als die Bürgerschaft durch diesen Vorfall in eine begreifliche Aufregung versetzt worden ist, und durch die Bestrafung des Burschen we nigstens ein kleines Pflaster auf die schwere pekuniäre Wunde, die dem Herrn Direktor und seiner geschätzten Frau Gemahlin zu gefügt worden ist, gelegt wird. Wie wir aus unterrichteter Quelle vernehmen, wird der Wert der geraubten Juwelen auf 50 000 Mark beziffert, doch dürfte unseres Erachtens die Snmme eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein. Nur gut, daß der Verlust bei der glänzenden finanziellen Lage in der Villa Friedensstille nicht all zu sehr empfunden wird." Direktor Marschner saß in seinen: Pri vatkontor vor dem Schreibtisch. Das eine Schubfach hatte er aufgezogen. Das grelle Licht der elektrischen Lampe tanzte in dem Schubfach herum auf flimmerudem Ge schmeide. Mit unnatürlich erweiterten Pupillen stierte er auf den Schatz, der da vor ihm lag. Wie mußte es in dem In nern dieses Mannes aussehen, der von gestern auf heute um ein Jahrzehnt geäst tert schien I Von den Nasenflügeln zogen sich zwei tiefe Linien bis etwas unter die Mundwinkel. Die Lippen waren geöffnet, denn schwer ging der Atem. Marschner zuckte zusammen. Es war ihn:, als wenn eine Stimme gerufen hätten „Verbrecher." Er drohte sich jählings nach der Tür, die direkt zum Hauptkontor führte. Nein, vor der oberen, gläsernen Hälfte hing noch immer der dicke Vorhang. Jetzt klopfte es. Ein Ruck. Die Schub lade flog in den Schreibtisch zurück. „Herein!" Der Lehrling übergab die Abendzei tung. Er wunderte sich nicht über das verstörte Aussehen seines Chefs. Tansend nicht noch einmal so 50 000 Mark ans Bein zu binden, das konnte auch für einen so schwerreichen Herrn keine Kleinigkeit sein. Marschner verschlang den Inhalt des Blattes mit scheinheiliger Hast. Wie Irr lichter flackerten die Blicke. Endlich hatte er, was er wollte. Dort oben auf der dritten Seite stand die Nach richt von dem angeblichen Diebstahl. Eine eiskalte Hand krallte sich um sein Herz, als er sie las- Zwei-, dreimal über flog er sie, dann sank sein Kopf gedanken schwer auf deu Schreibtisch herab. Pfeil schnell zogen die letzten Ereignisse an fei ner gemarterten Seele vorüber. Ihn schauderte noch jetzt, wenn er daran dachte, wie er in voriger Nacht recht lange nach seiner Rückkehr aus dem Klub in sei ner Frau Stube geschlichen war, dort aus dem Schrank den Juwelenkasteu entwen det, ihn in eine Aktenmappe entleert und dann ans dem Speisezimmer neben dem Zimmer Lianeu's in den Vorgarten gewor fen hatte. Wenn sein Weib wach geworden und sein Beginnen gewahr geworden wäre, was dann, was dann? Aber glücklicherweise hatte Liane sich nur im Schlaf umgewen det. Sie hatte nichts bemerkt. O wie ihn: heute früh auf dem Weg nach dem Werk die Mappe unter dem Arm wie höllisch Feuer gebrannt hatte. Ein ganz klein wenig ruhiger war er erst geworden, als er den kostbaren Inhalt in der Schublade ge borgen wußte. Klappernd wie ein Greis hatte er deu Vormittag über vor seinen Arbeiten ge sessen, doch er war nicht imstande gewesen auch nur eine einzige davon zu erledigen. Alle seine Gedanken hatte er ja zusammen nehmen müssen, um den Brief an die Ver sicherungsgesellschaft, bei der er gegen Diebstahl versichert war, beenden zu kön nen. Ans 60 000 Mark hatte er seinen Scha den angegeben. Die Gesellschaft würde sicherlich die Summe bedeutend herabsetzen, aber zur Zahlung von Ü0 000 Mark würde sie sich wohl verstehen müssen. Und dann konnte er wenigstens feine Ehrenschuld be gleichen, und blieb ein Ehrenmann. Ein Ehrenmann! Der Gedanke schüttelte ihn: „Die Welt hält dich dafür, du auch, du auch?" „Nein!" gellte es ihm ins Ohr. Er war in feinen eignen Augen zum Schuft üerabgesunkeu." Netten hatte er sich wollen, retten, ja wohl, fein Weib sorgte dafür, daß die Ret tung bitter genug erkauft wurde. Sie hatte sich heute mittag herabgelas sen, was bisher ine vorgekommen war, in seinen: Kontor selbst zu erscheinen und das „Bubenstück" zu melden. „Den Schmuck muß ich wieder haben, unter allen Umständen!" hatte sie erklärt. „Darunter sind Erinnerungen an meine Bühnenlaufbahn, die ich nicht missen mag." „Und wenn er sich nicht wieder auffin den läßt?" hatte er zaghaft eingeworfen. „So wirst du mir einen neuen kaufen!" „Einen neuen?" „Selbstverständlich!" „Ich kann doch unmöglich . . ." „Muß ich dich wieder darauf aufmerk sam machen, daß du mir vor unserer Ver ehelichung versprochen hast, alle meine Wünsche zu erfüllen?" Dann war sie hinausgeeilt, ihn mit seinem anklagenden Gewissen allein lassend. Hätte er ihr nachstürzen, ihr fein Verbre- chen gestehen sollen? Nein, o nein! . Sie würde ihn doch mit Spott über schütten, ihr. Wohl gar reis fürs Tollhaiw erklärt haben! Und wenn sie nun auf ihrem Kopf be stand und die alten oder als Ersatz dafür nene Pretiosen haben wollte? Sollte er ihr den Schmuck, der im Schreibtisch ver steckt war, ohne weiteres aussolgen mit der Angabe, er wäre dort und dort wiedergc- funden worden? Torheit, dann würde der Verdacht gegen ihn selbst im Publikum rege werden und die Versicherungsgesellschaft würde sich na türlich weigern, einen Schaden, der nicht bestand, zu ersetzen. Die vierzigtausend Mark mußte er aber unbedingt innerhalb einer Woche haben. Andernfalls hatte er die Wabl. die Heirat zwischen Annaliese und Oskar in die Brüche gehen zu lassen und gesellschaftlich geächtet zu werden oder sich eine Kugel in die Schläfe zu schießen und so mit eig ner Hand den: Trauerspiel ein Ende zu machen. Da gab's kein Zaudern für ihn, welchen Weg er aus der Klemme heraus wühlen sollte. Die Versicherungsgesell schaft mußte betrogen werden. Dann blieb er noch ehrlich, allerdings nur in den Augen der Welt. Wie sollte er es aber möglich machen, seiner Frau einen neuen Schmuck zu kau fen? Wie nur, wie? „Ich kann ja ..." Weiter kam er bei seinem Nachdenken nicht, denn es wurde wieder an dec Tür geklopft. Ueber die Störung ärgerlich, rief er iu gereiztem Toue: „herein!" .Sogleich trat ein Herr ein, dessen kräs- tiger Wuchs ans einen Militär deutete. Es war eine Hünengestalt, der ein grau melierter Vollbart bis auf die Brust her abwallte. Tie Augen waren von seltener Klarheit und schienen einem bis auf den Grund der Seele schauen zn können. Den: Direktor gefielen diese Augen nicht. Sie flößten ihm ein gewisses Grauen ein. Deshalb fragte er kurz: „Was steht zu Diensten?" Der Herr hastete noch einmal nach der Tür, ob sie auch fest geschlossen wäre, dann griff ec in seine Tasche nnd brachte eine Erkennungsmarke zum Vorschein. „Mein Name ist Mildner", sagte er, „ich bin Kri minalbeamter in Berlin." Marschner war es, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Der wollte doch nicht etwa — „Die hiesige Polizeiverwal tung hat sich heute mittag telegraphisch an meine vorgesetzte Behörde gewendet und gebeten, einen Beamten zu schicken, der den Täter des in Ihrer Villa, Herr Direktor, heute nacht begangenen Diebstahls ausfin dig machen soll. Als solcher erlaube ich mir, mich Ihnen vorzustellen. Ich darf wohl die Bitte aussprechen, mir bei meinen Untersuchungen durch weitgehendste Infor- mationen behilflich zu sein." Marschner hatte seine Fassung wieder- gewonnen und erwiderte: „Darauf können Sie rechnen."