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Der Kutterer-Skandal. VerN«, 29. Dezember. Wie „B. Z. ^missen will, soll der Preußischen Svehanoluna durch die Untreue de» Staatsbank- dtvektor» Dr. Rühe ein Schaden von fünfzehn Millionen Mart erwachsen sein. Diese fünfzehn Millionen Mart seien die Geld«, welche Kutisker aus b« Seehandlung auf Grund feiner zweifelhaften Wechsel bezogen habe. Mobilisierung der Wrangel-Arme«? Belgrad, 29. Dezember. Nach einer Meldung der „Pravda* wurde auf der letzten Konferenz zwischen Zankoff, Paschitsch und Nintschitsch beschlossen, die ehemalige Wrangel- Armee zu reorganisieren und kampffähig zu machen, gu diesem Zwecke wurde die Mobilisierung der in Bul- garten und Jugoslawien befindlichen Kosaken und monarchi- ichen Russen angeordnet. Geheimvertrag über Albanien. Soudo«, 29. Dezember. Aus Belgrad wird der „Chicago Tribune* über di« äußeren Gründe der letzten albanischen Re volution gedrahtet: Jugoslawien hat erst aufgehört, die al- dänische Aufruhrbewegung zu unterstützen, nachdem England interveniert hatte. Trotzdem der gegenwärtige albanische Pre mierminister Fan Noli unter dem Patronat Italiens ans Ruder gelangte, hat Mussolini gegen die Teilnahme Jugo slawiens an den Umsturzversuchen des früheren Premier ministers Amet Zogu keinen Einspruch erhoben. Dies wird auf eine vor mehreren Monaten getroffene, geheime Ab machung zwischen Italien, Jugoslawien und Griechenland zu- rückgefichrt. Darnach sollte Italien, wenn die albanischen Un ruhen fortdauern, Zentralalbanien einschließlich Valona, Durazzo und Tirana besetzen, Jugoslawien Nordalbanien mit Skutari und Griechenland den Süden mit Argyrokastro. Zur Vorbereitung dieser auf Dauer berechneten Besetzung erachtete Italien den Ausbruch einer wirklichen Revolution in Albanien fiir erforderlich. Der Grund für Englands Intervention sei barm zu finden, daß in letzter Zeit englische Petroleum- gesellschaften wichtige Konzessionen in Nordalbamen er worben haben, wo früher die Amerikaner das Ausbeutungs privileg hatten. Amerikanische« Vertrauen in die deutsche Wirtschaft. Newgork, 29. Dezember. Die siebenprozentige 10 Milli onen Anleihe für Kru p p, die zu einem Kurs von 99A Pro zent angeboten wurde, wurde überzeichnet. Berlin, 29. Dezember. Wie in der Monatsversammlung des Hausbesitzervereins Berlin-Moabit mitgeteilt wurde, ist von Regierungsseite unter Fortbestand der Mieterschutzgesetze die Aufhebung der Wohnungsämter für 1. Januar 1926 endgültig in Angriff genommen. Halle, 29. Dezember. Heute wurde in Halle über die Er- Neuerung der zum Jahresende ablaufenden Lohn- und Tarif verträge und über den Zwangsvertrag über die verlängerte Ar beitszeit im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau verhandelt. Es wurde folgender Schiedsspruch angenommen: Das alt« Arbeitsabkommen und der spätere Tarifvertrag für den mitteldeutschen Braunkohlenbergbau werden verlängert. Di« erst« KündigungsmöAichkeit ist zum 30. Juni. Die Löhne werden mit Wirkung vom 1. Januar um 4 Prozent erhöht. Detmold, 29. Dezember. Für die Landtagswahl in Lippe hat die Deutsche Volkspartei mit dem Zentrum »in Wahlabkomnfen geschlossen, demzufolge die fünfte Stelle auf ter^volksparteilichW Lifte einem Kandidaten des Zentrum ein- geraumi wird. München, 29. Dezember. Der Bayerische Heimat- und Königsbund gibt ab 1. Januar ein neues Organ mit dem Titel „Bayerischer Herold" heraus, das einstweilen einmal wöchentlich erscheinen wird. Rom, 29. Dezember. Der Papst empfing heute den deutschen Botschafter und die Mitglieder der Deutschen Bot- schäft in Privataudienz. Botschafter von Bergen übermittelte di« Neujahrswünsche des Reichspräsidenten und der Reichs- regierung. Pari«, 29. Dezember. Wie dem „Matin" aus Washing ton gemeldet wird, hat Präsident Coolidge entspre chend dem vom Kongreß zum Ausdruck gebrachten Willen die unverzügliche Inangriffnahme der Arbeiten zur Moder- niskerung der amerikanische« Marine ange- otdnet. Pari«, 30. Dez. „Chicago Tribune* meldet au» Tientsin: Fengyuhsiang hat am Weihnachtsabend 800 seiner Soldaten erschießen lassen. Die Soldaten, die monatelang keinen Sold erhalten hatten, plünderten die Stadt Kalgan, di« etwa 100 Meilen von Peking entfernt liegt. General Feng verhandelte mit den Truppen und bewog sie, in ihr« Garnison zuriickzukehren und ihre Waffen niederzulegen. Dann wurden die Tore zugeschlossen. Hierauf wurden jeder zwölfte der «ingeschlossenen Soldaten von der Leibwache des Generals herausgeholt und erschossen. London, 29. Dezember. Das britische Luftschiff R. D. 3, das wiederhergestellt worden ist, soll in drei Wochen aufsteigen. Es wird zunächst vom Flughafen Pulham in Nor- folk aus Dersuchsflüge ausführen. Dies werden die ersten Lustschifflüge seit 1921 sein, als die englische Regierung sich aus wirtschaftlichen Gründen entschloß, ihr Programm „Leichter als die Luft!" aufzugeben. Dies bedeutet den ersten Schritt zur Aufnahme eines regulären Luftfahrdien st eszwischen England und Indien. I OerNiche Angelegenhetten. s * Das Begnadigungsgesuch Zeiguer» abgelehnt. Me die sozialdemokratische Presse berichtet, ist das von Zeigner einge- reichte Begnadigungsgesuch abschlägig beschieden worden. * Der frühere Direktor der Landeswetterwarte, Profoessor Dr. Schreiber, ist im 76. Lebensjahre gestorben. Um den praktischen Wetterdienst Sachsens, vor allem aber um un sere Land- und Forstwissenschaft, hat sich der Entschlafene reiche Verdienste erworben. Die beiden bedeutsamsten, auch nach außen hin in Erscheinung tretenden Schöpfungen Schreibers sind die im Jahre 1916 trotz der damaligen schwierigen Ver hältnisse erbauten Wetterstationen auf dem 1215 Meter hohen Fichtelberg und auf der 249 über Normal-Null liegenden Wahnsdorfer Kuppe oberhalb Radebeul. Beide Stationen, die mit den neuesten Meßapparaten ausgestattet sind, geben ihre Beobachtungen an die Ladeswetterwarte Dresden, wo auf Grund komplizierter Berechnungen die täglichen Wettervoraus sagen gemacht werden. * Die Reichsindexziffer für die Lebenshaltungskosten (Er nährung, Wohnung, Heizung, Beleuchtung und Bekleidung) beläuft sich nach den Feststellungen des Statistischen Reichs amts für Dienstag, den 23. Dezember, auf 122,8. Sie ist gegenüber der Vorwoche um 0,2 v. H. gestiegen. Bockau, 30. Dezember. Am Sonntag hielt der Spar-, Kredit- und Bezugsverein Bockau und Umgegend seine 14. ordentliche Generalversammlung im Gasthof zum Reichsadler ab, wozu 39 Mitglieder aus Bockau und Albernau erschienen waren. Nach Begrüßung durch den Vorsitzenden, Gutsbesitzer Louis Schwotzer, erstattete der Rechner, Kaufmann Karl Schwotzer (i. Fa. T. H. Friedrich) Bericht über die Papiernrark- bilanz für 1922/23 und über die Goldinarkeröffnungsbilanz für 1. Januar 1924, die beidedf Antrag des Vorsitzenden im Aufsichtsrat, Sägewerksbesitzer Emil Schmalfuß, richtig ge- sprachen wurden, worauf Entlastung des Vorstandes erfolgte. Auf Grund der neuen Gesetz« machte sich eine Abänderung von 8 23, Abs. 1 des Statuts und eine Beschlußfassung über 8 47 der Verordnung zur Durchführung der Goldmarkbilanzen nötig, die sämtlich einstimmig dahingehend erfolgten, daß fortan 200 Mk. Geschäftsanteil gefordert wird, dellen 1. Rate (ein Zehntel des Betrages) bis Ende Januar 1925 gezahlt werden muß, doch soll dabei die seinerzeit von einzelnen Mitgliedern eingezahlte wertbeständige Betriebsanlage mit verrechnet wer den. Auch das Eintrittsgeld, sowie der Gesamtbetrag für An- leihen und Spareinlagen und endlich die Höchstkreditgrenze an Genossen wird neu festgesetzt. Auch oie Wahlen zeigten erfreu- liche Einstimmigkeit. Die aus dem Vorstand bzw. Aufsichts rat ausscheidcnden Herren Louis Schwotzer, Dors., Paul Mothes, Deis., und Max Engelhardt wurden wiedergewählt, nur, um Mich den Albernauer Genossen entsprechende Ver tretung im Aufsichtsrvt zu gewähren, wurde dieser durch Zu wahl Gutsbes. Richard Zettels in Bockau und der Herren Paul Wild und Herm. Thöß von Albernau auf 6 Mitglieder er weitert. Die Verzinsung von Spareinlagen wurde auf 10, 11 bzw. 12 Prozent erhöht, auch Nichtmitglieder können Spar einlagen mit dieser Verzinsung bewirken und sich dadurch einen größeren Zinsgewinn als anderswo sichern, zugleich aber auch die segensreich wirkende hiesig« Genossenschaft unterstützen, dis nach der glücklich überstandenen Inflationszeit sich wieder ein mütig zusammen gefunden hat in der Erkenntnis: Nur Einige keit macht stark! Der Bericht de» Rechners über die Wechsel Wirtschaft der Genossenschaften beschloß die in voller Einmütig keit »«laufen« Deneralversammlung. Beierfeld, 29. Dez. Der Schnitt- und Stanzenbauer Paul Ebert hat die Meisterprüfung bestanden. * Oberwiesenthal. Am Sonntag wurde die Fichtelberg. Schwebebahn dem öffentlichen Verkehr übergeben. Trotz des regnerischen Wetters wurden über 600 Personen nach dem Fichtelberg und zurück befördert. * * Oberwiesenthal. Im kommenden Frühjahr beabstch. tigt Bergwirt Hieke unterhalb des Gipfels des Fichtelberges eine „Fichtelbergbaude" erbauen zu lassen. Die Baude soll ein gut bürgerliches Haus werden, in dem ungefähr 200 Bet- ten aufgestellt werden. * * Hammerunterwiesenthal. Als in der Holzwollefabril der Firma Joh. Langer «in Chemnitzer Monteur di« neue. Turbine ausprobieren wollte, zersprang das große Schwung, rad, und die Bruchstücke zertrümmerten dem Monteur den Schädel. Im Krankenhaus ist der Mann gestorben. * * Plauen. Der 57 Jahre alte Geschirrführer Leonhardt Lindner aus Meßbach wurde von seinem Geschirr übersah- ren und so schwer verletzt, daß er den Verletzungen erle gen ist. * * Bautzen. Schwere Stürme tobten mehrere Tage übe» der Lausitz. An Häusern, in Gärten und Wäldern haben sis verschiedentlich Schaden angerichtet. Ungewohnte Gewalt er reichten sie in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag. Bei 2 Grad Kälte gingen Regenschauer nieder, die sofort gefro ren. Straßen und Wege waren mit spiegelglatten Eisflächen überzogen. Verschiedentlich sind Menschen zu Schaden ge kommen. Im Telegraphen- und Fernsprechverkehr hat das Unwetter erhebliche Störungen verursacht. ^Lrsnzerle, Theater, Vergnügungen. Schneeberg, 30. Dezember. Zum Besten des Albert- zweigvereins und des Frauendank, Ortsgruppe Schneeberg, werden Mitglieder der Kasinogesellschaft am Donnerstag, den 8. Januar im Sonnensaale das im Kasino bereits aufgeführt« Theaterstück „Der Meisterboxer" für die Oeffentlichkeit wie derholen. Die Eintrittspreise werden mäßig sein. Ist schon allein das ulkige Stück Veranlassung, die Aufführung zu be suchen, so dürfte es noch mehr der Umstand sein, daß der Reinertrag wohltätigen Zwecken zufließt. Näheres siehe An zeige in den nächsten Tagen. Bockau, 30. Dezember. Eines außerordentlich reichen Be suches erfreute sich die am Sonntag im Gasthof zur Sonne ab. gehaltene große geistliche Weihnachts-Musikauffüh- rung der Musik- und Gesangschöre, der Mcthodistenkirch« Aue und Bockau. Kopf an Kopf gedrängt, lauschten mit vorbildlicher Spannung und Andacht alle der reichen Vor. tragsfolge. Mit dem Präludium für großes Orchester von G. Unbehaun begann der Lobpreis der fröhlichen Weihnachts zeit, der sich fortsetzte in einem prächtigen Weihnachtslied für Männerchor und Sopransolo von Alfred Dregert. Drauf scholl ein gemischter Chor von Kündig „Dem Sohn Gottes", und in traumhaft schöner Weise vereinten sich Männerchor, Baritonsolo, Orgel und Klavier nach einem Chor von O. H. Lange zur Verherrlichung des Tannenbaums. Wuchtig erscholl Emil Nuh's Weihnachtsmvtette für gemischten Chor, und lieb lich hob sich davon ab die „Aria aus dem 17. Jahrhundert* für Sopransolo, Streichorchester und Orgel von Fr. Tunder „Die Herrlichkeit des Herrn" aus Händels großem Oratorium „Der Messias" beschloß den 1. Teil, und die Ansprache del Predigers wies erneut hin auf das Kind in der Krippe, dar allen gebracht die Vergebung ihrer Sünden durch sein Blut, Den würdigen Schluß bildete „Ein Weihnachtstvaum" von W. Ketschau, eine Weihnachtsfeier in Wort und Weise, in Dekla. mation, gemischtem, Frauen-, Männer- und Kinderchor, So pran- und Altsolo, Violin- und Oboesolo und Orchesterbe gleitung, besonders dazu eingerichtet von Curt Roßner. Wahr haft innerlich gestärkt und ergriffen vereinigten sich alle An wesenden im Gesänge des Liedes: O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! — Der überaus reiche Besuch Im Wafserwinkel. Ein Dorftoman von P. Redlich. (Nachdruck verboten.) (2. Mischung.) Jetzt wurde er ärgerlich. „Was du nur wieder zu predigen yust, Mutter! Mir gefällt er. Ist doch Leben drin, hat doch Kurage und Nachgedanken." „Nachgedanken? Ueber allerlei Torheiten, denke ich. Wenn nur jeder über das Nachdenken wollte, was das nächste ist und das einfachste —" Er lief dunkelrot an und schlug mit der geballten Faust auf die Dank. „Schockschwerenot!" schrie er. „Nun hab' ich aber das Gestichel satt." Sie fuhr erschrocken zusammen und strich begütigend über seine Hand. „Nein, Vater, so hab' ich's nicht gemeint. Wo ich jetzt immer so glücklich bin und mich so freue und dir alles Liebe antun möchte." „So seid ihr Frauenzimmer nun!" knurrte er, nur halb besänftigt. „Da sollte man nun immer so hindösen, immer dasselbe tagaus tagein, immer dieselbe Tretmühle, und alles, was einem'im Kopf schwirrt, das sollte man umbringen und einfangen, bis man dann schließlich so sachte eindöst bei feinem Pfenniosglück." „Psenniasglück. Ja. was fiir ein besseres Glück könnten wir denn noch wünschen? Wenn man seinen Frieden hat und das. was nmn braucht, wie wir hier im Wasserwinkel. Ach, hier endlich war ich so glücklich — bis heut'gen Tages. Alles wollte ich dir an den Augen absehen vor lauter Dank und Glück — so schön war's —* Tränen lagen in ihrer Stimme. Es war «in Weilchen still zwischen ihnen. Dann sagte er gutmütig: „Na, ft schön soll's ja auch bleiben. Was hast du venn eigentlich, Mütterchen? Wirst doch keine Angst vor dem kleinen Wippsterz da drüben haben? Daß er mich beim Schlafittchen nimmt und mit mir in den Abgrund schrammt? Hahaha!" So herzlich mußte er plötzlich lachen, daß sie davon ange- , steckt wurde. , Aber, bennoch nahmen ihre Gedanken wird« denselben sorgenvollen Weg. Ihre Ehe war keine ungetrübte gewesen, trotz der großen Herzensgüte ihres Mannes. Aber er hatte niemals so rechte Befriedigung an seinem Handwerk gefunden, das war es. So tüchtig er auch in seinem Fache als Kunsttischler war, ft halte er seine Arbeit doch stets nur als notwendiges Uebel betrach tet, als ein Hindernis zur Ausführung der Pläne, die ihn un aufhörlich beunruhigten. Oft genug wurde sein Handwerk ganz als Nebensache behandelt, wenn es ihn trieb, sich in aller lei Unternehmungen zu stürzen, die sich in der Folge bis jetzt noch stets als unfruchtbar erwiesen hatten. Bald hatte es irgendeiner Agentur gegolten, die er sich aushalsen ließ, uni viel Arbeit und wenig Lohn davonzutragcn, bald versuchte er sich nach eifrigem Studium des Naturheilverfahrens als Wasscrdoktor und Vegetarier, oder er erstand für schweres Geld Dauterrain, das er dann für einen Schleuderpreis wie der losschlagen mußte, da sich seine Spekulation als »«fehlt erwies. Diese letzte und unglücklichste seiner Unternehmungen hatte ihn zum armen Manne gemacht. Damals — vor etwa zwei Jahren war es gewesen — hatte er sich zum erstenmal sein Unglück und Ungeschick reue- voll zu Herzen gehen lassen, denn das nicht unbeträchtliche Eingebrachte seiner Ernestine war bei der unheilvollen Spe- kulation bis auf den letzten Pfenstig draufgegangen. Mit Hand und Mund hatte er seiner tiefbetriibten Frau verspro chen, einfach und schlicht Lei seinem Handwerk zu bleiben und in fleißiger Stetigkeit von vorn anzufangen. Aber es fand sich, daß der gute Wille allein es nicht mehr tat. Die Kundschaft hatte sich allmählich verloren, ob gleich seine Kunstfertigkeit geschätzt wurde. Wegen der , Saumseligkeit, mit der er Aufträge auszuführen pflegte, hatte j man iich sortgewöhnt. Cs kam nun eine Zeit, wo zuweilen wirkliche Not an die Tür klopfte, wo man von der Hand in den Mund lebte und froh war über jede Truhe, die ein Dienstmädchen bestellte oder einen Kiichenschcmel für die Nachbarsfrau. Um diese Zeit nun starb seine verwitwet« Mutter und hinterließ ihm ein kleines Anwesen, das schmucke Häuschen mit dem großen Obst- und Gemüsegarten im „Wasserwinksl" des Dorfes Lagkwiese, in dem sein Vater ein Menschenalter hindurch als Lehrer gewirkt hatte. Sie war eine kluge Frau gewesen, die alte Frau Gott- schlich, die wohl gewußt hatte, was sie tat, als sie ihrem Sohne das Anwesen zwar ohne Perklausulierung hinterließ, das kleine Darvermögen von 4000 Mark jedoch mit Uebevgehung seiner Perlon der Enkelin Anna vermachte, mit dem aus drücklichen Vermerk, daß die soeben majorenn gewordene En kelin die Verwaltung selbständig übernehmen sollte. Ein sorgenloses Glück schien nun endlich Frau Ernestinen beschieden zu sein. Sie fühlte sich wohl in dem Heimatdorft, dem sie beide entstammten, und sah mit inniger Freude, wie Meister Gottschlich sich fleißig und fröhlich bei seiner Holz bank einrichtete. Kundschaft gab es genug, und auch so man ches feinere Stück bekam er in Arbeit, an dem er mit besonde rer Freude arbeiten konnte. Er schien sich durchaus befriedigt zu fühlen, pfiff und trällerte bei seinem Schaffen. Von seinem gutmütigen Hu mor schien eine leuchtende Wärme auszugehen, wo immer ev sich zeigte. So recht gemütlich und behaglich hatten sie sich ihr Leben eingerichtet, die drei. Frau Gottschlich zwar war infolge eines schlecht geheilten Beinbruchs viel ans Haus gefesselt und beschäftigte sich in der Hauptsache mit Schneiderei. Aber die flinke, fröhliche Anne besorgte die kleine Hauswirtschaft samt Gemüsegarten rind Hühnorhof mit spielender Leichtig keit und fand noch Zeit genug zum Plaudern und Singen lind zum Verkehr mit ein paar städtischen Freundinnen Denn ihr bisheriger Heimatsort lag nur eine kleine Stund« von Lagkwiese entfernt. Frau Ernestine hätte sich kein besseres Glück bis an ihr Lebensende wünschen können. War auch das bare Geld bis weilen etwas knapp, was tat es? Sie hatten ihre hübsche mietsfreie Wohnung, hatten Gemüse und Obst vollauf. Und das Töchterchen bewahrte die Mitgift sicher im Schranke. Es war alles gu' und schön geordnet. Ach jo, zu schön fast, als daß es lange so bleiben konnte, ft dachte sie mi t Sorgen. Ihr bisheriges Leben war ja ein beständiges Auf und Ab zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen, zwischen herzlichem Einver nehmen und aufkcimender Bitterkeit gewesen. So hatte sie sich gewöhnt, niemals so recht frei aufzuatmen. In Zeiten der Verzagtheit war es ihr zuweilen, wenn sie ihr Leben über, dachte, als wenn das Schicksal an ihrem Weg« lauere gleich einer großen Tigerkatze, immer zum Sprunge bereit. Es lieh sein Opfer zu Zeiten los, ließ es Atem schöpfen ein wenig, o ja, um dann desto grausamer die Pranken einzuschlagen. Wie ein schwerer Alp lag heute die Sorge auf ihre» Brust, daß es fast körperlich schmerzte. Mit umflorten Au- gen sah sie dem davonwippenden kleinen Herrn Festegang nach. Sie fühlte es deutlich, von dieser Sette würden st, kommen, die neuen Kümmernisse. (Fortsetzung