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1644 PAPIER-ZEITUNG. No. 55. unser Schicksal ist; stolz auf das mächtige und edle Volk, mit dem wir uns Eins fühlen; stolz auf das ruhmvolle Sternenbanner, das Symbol hart erkämpfter Nationaleinheit, das Wahrzeichen einer grossen Ver gangenheit und einer grössern Zukunft — stolz darauf sind wir, wie die Stolzesten. Unsere Pflichten verstehen wir auch, und freudig erfüllen wir sie. Wenn immer unser neues Vaterland seine Söhne zu den Waffen rief gegen innern oder äussern Feind, so eilte der deutsch geborene Bürger unter den Ersten zur Fahne, um Blut und Leben auf dem Schlachtfeld der gemeinen Sache zu weihen, und unter den Helden und Märtyrern der Republik hat es nie gefehlt an Namen von deutschem Klang. In allen Werkstätten des Gedankens und auf allen Feldern der Arbeit haben der deutsche Geist und die deutsche Hand emsig und fruchtbringend geschafft, und wohl dürfen wir sagen, dass die Erde Amerika’s reichlich gedüngt ist mit deutschem Blut und deutschem Schweiss. Und wenn immer es galt, durch die Ausübung politischer Rechte, die uns das neue Vaterland mit freigebiger Grossherzigkeit verlieh, der Sache der Freiheit, der Gerechtigkeit und der ehrlichen Regierung zu dienen, so dürfen wir uns wohl rühmen, dass, obgleich nicht von zeitweiligen Irrthümern frei, die Masse der deutschgeborenen Bürger doch stets ihren Weg gefunden hat in die Reihen Derer, bei denen die Ehre und die Wohlfahrt des Landes am sichersten waren. Es giebt Verirrungen, zu denen selbst die verlockende Stimme des Parteigeistes die deutsch-amerikanischen Bürger nie hat verführen können. Fragt den politischen Schwindler, und er wird bekennen müssen, dass ihm das »deutsche Votum« immer Angst und Sorge macht. Fragt den treuen Patrioten, und er wird Euch sagen, dass er mit Zuversicht auf den gesunden, redlichen Sinn und die patriotische Eingebung der deutsch-amerikanischen Bürger baut. ... Aber Der ist nicht fähig, die junge Braut treu zu lieben, der nicht die alte Mutter in theuerm Andenken hält. Wer das alte Vaterland nicht ehrt, der ist des neuen nicht werth. (Anhaltender Beifall.) So senden wir denn aus der Fülle des deutschen Herzens unsern Gruss über das Meer. Stolz wie wir sind, aus freier Wahl der amerikanischen Republik anzugehören, so sind wir stolz darauf, dergrossen Nation entsprossen zu sein, die ein Jahrtausend hindurch auf unzählige Schlacht felder der Waffen, des Gedankens und der Arbeit ihre Siegesmale ge pflanzt hat, — der Nation, die ein mächtiges Kulturvolk war, lange ehe Columbus die Küsten Amerikas sah. Sagen wir heute laut, wie sehr wir das Land lieben, in dem unsere Wiege stand. Mit wehmüthiger Brust denken wir an die grünen Wasser des heimathlichen Rheins, in denen sich die altersgrauen, sagenumwobenen Burgen spiegeln; wo die edle Traube glüht; wo der Mensch froh ist, auch ohne zu wissen warum; wo das deutsche Lied doppelt poetisch klingt; wo vom Nieder wald das Bild der sieghaften Germania so trotzig über die Grenze blickt — an das schöne, liebe Land, von dem jeder Fuss uns theuer ist, von den dunklen Forsten des Schwarzwaldes und dem bairischen Hochgebirge bis zu den Dünen der Nordsee, von den tausendjährigen Eichen auf der rothen Erde Westfalens bis zu den schlesischen Bergen und den Buchenwäldern am baltischen Meer. Wir, die wir zu den ältern Geschlecht gehören, wie haben wir einst die Erniedrigung des deutschen Namens empfunden, als das alte Vaterland in ohnmächtiger Zerrissenheit dalag; als Deutschland nur ein geographischer Begriff war; als der patriotische Geist seine Kraft in zerfahrenen Versuchen zersplitterte; als das Volk der Denker nach all’ seiner glorreichen Vergangenheit nur noch als ein Volk thatenloser Träumer, und die Zukunft des Vaterlandes als eine trostlose Oede er schien. Wer das erlebt, nur Der kann es fassen, wie hoch und hehr das Herz schlug, als die grosse Kunde über den Ocean kam, der böse Zauber sei gebrochen; der Rothbart im Kyffhäuser sei erwacht, und die alten Raben umkreisten den Berg nicht mehr. Das war ein Schauspiel, wie der einst so verspottete deutsche Michel plötzlich aus dem Schlafe erwachte; wie er die gewaltigen Glieder reckte; wie er seinen Schild schüttelte, dass er klang wie alle Donner des Firmaments; wie das Stampfen seines Fusses den Boden Europas erzittern machte; wie er mit mächtigem Schwertschlag den übermüthigen Feind vor sich in den Staub warf; wie er mit Posaunenstimme ausrief: »Das ganze Deutsch land soll es sein!« und wie die Menschheit staunend aufblickte an der riesigen Heldengestalt! Viele Jahre sind seitdem vergangen, und nun sehen wir wieder die Germania im Siegeskranz, — diesmal nicht der blutige Lorber auf fernen Schlachtfeldern gewonnen, sondern jetzt hier auf unserm eignen Boden, unter unsern eignen Augen, die Germania geschmückt mit der Bürgerkrone, die sie sich erobert hat im friedlichen Völkerwettkampf der Erfindung, der Kunst, der schaffenden Arbeit, des fruchtbringenden Strebens, der Civilisation. Hier steht sie, nicht mit dem grossen Haufen vermischt, — hinter keinem zurück und weit voraus den Meisten; sie hat es gehört und gelesen. Was Deutschland im Frieden kann, das sieht sie jetzt. Gestehen wir’s nur, Manche von uns hatten soviel kaum zu hoffen gewagt. Hier erinnerte man sich noch der demüthigen Leistung Deutsch lands auf der Philadelphiaer Weltausstellung des Jahres 1876. Jene Leistung war nicht allein klein an Umfang gewesen, sondern auch kleinlich an Charakter. Sie trug noch das Merkmal der alten Zeit vor der Wiedergeburt des Reiches, als in der Zerrissenheit des Vaterlandes der Deutsche noch kleinstaatlich lebte und kleinstädtisch dachte; als der Gedanke, in dem Wettkampf der Völker sich auf den ersten Platz zu schwingen, den meisten Deutschen noch fast wie eine thörichte Ver messenheit erschien; als in dem geschäftlichen Streben der spiessbürger liche Plan des kleinen, nächstliegenden Vortheils durch Unterbieten im Preise den weitsichtigen Unternehmungsgeist und die kühnen Griffe in die Zukunft ausschloss. Freilich hatte zur Zeit der Philadelphiaer Aus stellung das neue Deutsche Reich schon fünf Jahre gestanden, und freilich war Deutschland die tonangebende Macht des europäischen Kontinents. Aber diese fünf Jahre waren doch zu kurz gewesen, als dass den nationalpolitischen Aufschwung ein national-wirthschaflicher schon hätte einholen können. Die Folgen zweier grosser Kriege mussten erst überwunden, und der Bann der Kleinlichkeit, jenes alten Fluches des deutschen Wesens, musste erst ganz gebrochen werden durch das Wachsthum weiterer Anschauungen, kühneren Strebens und höherer Ziele. Und dieses Wachsthum ist gekommen, wie es bei einem tüchtigen Volke kommen musste, unter jener mächtigsten aller Inspirationen des Volksgeistes, der Inspiration einer edlern und stolzern nationalen Selbstachtung. Und wie bei dem einzelnen Menschen, so bei einem Volk — Selbstachtung ist Charakter. Es giebt in dem Kampf der Konkurrenz zwei Arten von geschäft licher Politik, die für den Charakter des Geschäftsmannes und den des Geschäfts bezeichnend sind. Die eine ist, was ich schon erwähnt habe, das Unterbieten der Preise, mit der Devise »Billig und Schlecht.« Das ist die Politik des Spiessbürgers, eine Politik, die eines tüchtigen Mannes und eines tüchtigen Volkes unwürdig ist. Die andere ist die Politik des Ueberbietens im Werthe, — mit der Devise »Beste Waare für guten Preis«. Das ist die Politik des Ge schäftsmannes von weitem Blick und von Charakterstolz; des Mannes, der mit offenem Geist die Bedürfnisse seiner Zeit erforscht und die besten Mittel sucht, ihnen zu genügen; der die Fortschritte der Er findung und die Entwickelung der Gelegenheiten mit scharfem Auge verfolgt; der mit grossem Sinn und freigebiger Hand die Wissenschaft und die Kunst zu seinen Gehilfen macht, der sich mit ehrlichem Handeln eine ehrliche Kundschaft gewinnt, und der auf dem Boden des gewonnenen Vertrauens mit kühnem Unternehmungsgeist Weiteres wagen darf. Das ist die Politik eines Volkes, das seine Industrie und seinen Handel in grossem Maassstabe auf bauen will; eines Volkes, das Geist besitzt und diesen Geist zu gebrauchen versteht; eines Volkes, das in seine eigene Kraft Vertrauen und vor seinem eigenen Charakter Respekt hat. Das ist die Politik, die den Weltmarkt erobern und ihn auch behaupten kann. Die Politik des Unterbietens im Preise — das war Deutschland in Philadelphia ein nachschleichender Schatten des Deutschlands der alten Zeit, der Zeit der Zerrissenheit, der Ohnmacht, der Kleinlichkeit, der Selbst-Ironie, des Zweifels an der eigenen Kraft. Die Politik des Ueberbietens im Werth, — das ist Deutschland in der weissen Stadt zu Chicago, — das Deutschland der neuen Zeit, des mächtigen Reichs, des gehobenen Nationalgefühls, der Selbstachtung, der grossen Inspirationen, des gewaltigen Könnens und des hohen Wollens, gross in seinem Kriegs ruhm und nicht weniger gross in den Werken des Friedens. Diesem Deutschland bringen wir heute unsern Gruss. Mit stolzem Bewusstsein des Vollbrachten kann Deutschland hier den Völkern der Erde zurufen: »Kommt her und seht!« In diesen Räumen zeigt sich nur das treffliche Produkt, hier weht der Geist der Nation. Nach den deutschen Siegen im französischen Kriege sagte man: »Das war nicht blosse brutale Kraft, das hat der deutsche Schulmeister gethan«. Dasselbe Wort gilt hier, wenn man dem deutschen Schul meisterthum die deutsche Universität zuzählt. In keinem Lande der Welt wird so viel wie in Deutschland die Wissenschaft um ihrer selbst wegen, das ist, um der Erkenntniss wegen, gepflegt; und doch hat sie in keinem Lande der Welt dem praktischen Schaffen grössere Dienste gethan. Das Beispiel steht vor uns. Was ist hier nicht alles, — von dem Nürnberger Spielzeug bis zu dem riesigen Ungeheuer der Krupp'- sehen Kanone, bis zu den Wundern der Schmiedekunst und des Berliner und Meissener Porzellans, bis zu den modernsten Erzeugnissen auf dem Gebiete des Maschinenbaues, des Bergbaues, des Eisenbahnwesens, der Chemie, der elektrischen Triebkraft und des elektrischen Lichts — und da leuchtet wieder das deutsche Licht am hellsten und am weitesten — bis zu den Herrlichkeiten der heutigen Textil - Industrie, bis zu den glänzenden Schöpfungen der Neuzeit in Malerei und Skulptur, von den einfachsten Lettern des gewöhnlichen Buchdrucks bis zu dem blendend sten Prachtwerke in Buchstaben und Bildern, von der Handfibel der deutschen Volksschule bis zu dem Apparat höchster Wissenschaft. Alles dies und viel mehr, wie es auf deutschem Boden gewachsen ist, das Nützliche und Schöne vereint, in einer Mannigfaltigkeit, Fülle und Pracht, und von jener Anmuth durchwebt, wie sie nur einem in viel hundertjähriger Geschichte gebildeten Kulturvolke eigen sein kann — hier ist dies alles, so erstaunlich und doch so unleugbar und über zeugend, dass die Kritik ohne Kampf der Bewunderung weicht, und selbst die Missgunst und Eifersucht stumm wird. Niemand verarge uns, wenn auch wir Deutsch-Amerikaner fühlen, als hätten wir an diesem schönen Siege der Stammesgenossen unsern Antheil. Es sei uns vergönnt, uns in dem Glanz des alten Vaterlandes zu sonnen. Mit Stolz weisen wir unsere amerikanischen Brüder hierher und sagen: »Seht^ dies ist Deutschland, das Land, das uns geboren. Dies ist das deutsche Volk, das Volk, dem wir entsprossen sind. Achtung diesem Land und diesem Volk!« Allen andern Nationen gönnen wir neidlos, was immer an Triumphen sie verdient haben. Wir sind mit diesem zufrieden. Und für diesen Triumph senden wir dem alten Vaterlande unsern herzens warmen Dank. Dank dem deutschen Geist und der deutschen Kraft, die alles dies geschaffen. Dank dem Kaiser für die mächtige Anregung, die er diesem Werk in Deutschland ge- gegeben, und für die Gunst, Sorge und Hilfe, die er ihm angedeihen liess. Dank dem Kommissär des Deutschen Reiches, Herrn Wermuth, der mit seltener Umsicht und Geschicklichkeit, mit sicherm Takt und mit rastloser Hingabe und Energie dieses Werk vorbereitet, geordnet,