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Beilage znm Fvankeabergev Tageblatt Sonnabend den 17. März 1984 93. Jahrgang Nr. 65 Von Drinnen Berlin, dritte Märzwoche 1934. Ter normal« Mönfch braucht nur so wenig, Nm sein« Hoffnung geweckt, seinen Frohsinn ge- IlSrkt, fern« Zuversicht gefestigt zu sehen. In den Blumenläden blühen hinter angelaufenen, trie fenden Scheiben auch im Winter in Fülle die Blumen, die den, weniger Begüterten nur der Lenz »der Sommer schenkt Ick- habe schon um Weih- idachten vor einer Flut herrlicher Nelken gestanden «— «der sie kommen aus Nizza und Menton« — Vnd am Treikönigstag in einem Schaufenster die Maiglöckchen gor nicht zählen können — aber die kommen aus den Treibhäusern, und so schön und jung frisch sie sich aus dem Moose reckten, sie «uWsn nichts von Lem Herrlich zarten Tust, den Ehre Verwandten ausströmen, die zwölf Wochen water, von keinem gerufen, von keinem gepflanzt, sich und den anderen zur Freude im Wald stehen. .-.Letzter Schnee schmilzt am Balkon«, - Ist die Hoffnung noch verfrüht? .kleine Anemone Ist im Garten aufgeblüht. Keiner Hat sie dort gerufen, . Keiner hütet ihren Trieb — . Vor des Häuschens Treppenstufen Stand sie plötzlich, blau und lllE Und sie sagen: nichts beweisen Kann solch Blümchen für den Lenz, Trügerisch jst sein Verheißen Eines nahen Winterend's. Und mit Gründen, klug und triftig, Schelten sie das Blümchen mir, Und sie sagen: Es ist giftig Und bescheid'ne Eartenzier. Sagen: bis zur arkt'schen Zone — Japan soll die Heimat sein — i Blüht die früh« Anemone .4 Hundertartig und gemein. Unkraut zwischen Kalk und Pfütze Steht sie, schmal und schlank und schlicht; Uikd sie ist zu gar nichts nutze, Md der Gärtner schätzt sie nicht... ' H / ich fchtzue He- PPM -Fenster, V' - Mäu mndMmg mus M ,- KaM BLUme, wie Gespenster, ? Steh'n noch um ihr karges Blüh'n. ' ' Doch — ob Stuben, drin ich wohne, Kühl« Winds noch umwSh'n, Eine kleine Anemone Weitz ich drautz' im Garten steh'n! Und dieses Wissen macht mich glücklich. Diese kleine Anemone ist 'mir «in .— ja, was? Ich möchte sagen ein Wertmesser, «in Tröster, «in Mutstärker in dieser Vorfrühlingszsit, da das Thermometer am Fenster, wenn ich früh am Morgen aufstehe, noch so um den Gefrierpunkt herum schwankt und erst zur Mittagszeit zur zwei stelligen Zahl aus seiner Skala klettert. Die Leuts sagen: eine nochmalige längere Wiederkehr tief winterlicher Witterung ist nicht unmöglich aber meine Anemone steht blau im Beet! Di« Warner sagen: Schneeschauer und kräftiger Kälterücksoll ist schon oft im März oder gar tm April noch erlebt worden .— aber mein Leber blümchen leuchtet! Die Wetterkundigen ziehen besorgt die Stirne kraus: vom russischen Osten her kommt manchmal noch eine spät« tückische Offensive des Winters — aber von meinem Fenster aus kann kch meine kleine Anemone sehen! Sie ist und bleibt meinem hoffenden und Draußen Eigensinn der Wertmesser und Prophet. Aber in der Welt draußen herrscht, das weitz ich oft eine andere Schätzung. Den realen Wert des Tinges an sich gibt's ja gar nicht. Da beten die braunen Singhalesen demütig den „weihen" Elefanten an, nennen und halten ihn heilig. Plötzlich — kürzlich — ganz ffirKch wird eins dieser heiligen Tiere auf Ceylon tückisch wild, verrückt. Zerstampft seinen Führer und Pfleger; durchbricht die Treiberkette, wälzt sich über die Felder, läuft Amok. Nimmt jemand an, die Singhalesen werden nun di« weihen Elefanten wie di« anderen als wenig vernünftige, tückische Viecher behandeln und das Vorurteil der beson deren Schätzung auf Ceylon zerstören? I wo! Nichts wird auch künftig an die Heiligkeit dieser Dickhäut«r rühren... In Oesterreich wo es keine weihen Elefanten gibt, hat es in jüngster Zeit auch nicht an Amok-lauf«ndm Dickhäutern gefehlt, die durch den politischen Porzellan laden der Wiener Manufaktur hindurch getram pelt sind. Ach und was hatte „Alt-Wien" für herrliche Porzellane! Nach Frankreich hat man hinübergeblinzelt, mit den Habsburgern — die in aller Stille Grillparzers altes Stück „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg" in der Familie neu eiNstudierten — hat man geliebäUgelt. Dem Duce, dessen Landsleute man vom Jsonzo her nicht in fröhlicher Erinnerung hat, ist man um den Bart, den er nicht hat, gegangen. Bloh des Grad- und Wertmessers sich zu erinnern hat man vergessen, des deutschen Gedankens, des Gedan kens an die Nibelungentreue der Blutsver wandten, der allein der Wirtschaftsnot und der Oben: Die Möbel wandern in ganzen Lastzügen zur nächsten Behausung. Unten: Am Vortag des groben Ereignisses: Was machen wir mit Papa? Der ärmste ist in diesen Stunden zu Hause recht unwillkommen. Zwischen dem Tohuwabohu zusammen- gestapelter Gegenstände mutz er sich ein notdürftiges Ruheplätzchen suchen. Am 1. April wechseln alljährlich viele Zehntausend« ihre mehr oder minder lieb gewordene Behausung. Das bedeutet umfangreiche Vorbereitungen, und daraus ergeben sich sür alle Beteiligten oft nicht gerade angenehme Stunden. 'politischen Unsicherheit Herr werden könnte, :man vergessen . . . Der Wert, vor allem der ideelle Wert, ist eben schwer zu erkennen und schwer festzustellen. Da haben's die chinesischer» Räuber einfacher. Wenn die — wie jüngst erst — einen Ausländer mit guten Goldzähnen im Gebiß Zu fassen und zu halten kriegen, so schlagen die gerissenen -Banditen einfach auf die Ta re des zu fordernden Lösegekdes auf jeden Gold zahn noch soundso viel drauf. Denn es scheint ein chinesisches Sprichtwort zu geben, nach dem nicht nur di« Morgenstunde sondern auch ein Nabob Gold im Munde Hat... Und nicht einmal nach dem Tode eines Menschen liegt das Werturteil fest. Tas Haben wir jetzt in einem — übrigens sehr guten — englischen Film gesehen, der uns Hein rich VIII. und feine sechs Frauen zurückruft. Dieser wenig sympathische Monarch — dessen Ehe- Irrungen ^England seine Kirche verdankt — hat bekanntlich seine zweite Gattin Anna Boleyn in einer «lenden Gerichtstomödie zum Tode wegen „Untreue" verurteilen lassen. Bei Schiller in der vielleicht großartigsten Szene, die je für die deutsche Bühne geschrieben wurde, wirft Maria Stuart als letzten Trumpf ihres Hassos der Tochter jener Anna Boleyn, der Königin Elisa beth, das Wort an den Kopf: „Man weitz, um welcher Tugend willen Anna von Boleyn das Schafott bestieg!" Ter Film feiert die Unschul dige. Ter Londoner Stadtrat aber hat zur sel ben Zeit abgelehnt, «ine neue Straße nach Anna Boleyn zu nennen. Weil — nun weil er sich anders als der Film und viele Geschichtsschreiber, auf den Standpunkt der Schillerschen Maria stellt. Im Mai 1536 bestieg di« schön« Anna das Schafott, und heute nach vier Jahrhunderten gibt es noch keinen sicheren Wertmesser ihrer Liebe, ihrer Treu«, ihrer Unschuld... Ja, aller was mit Liebs zu tun hat — mit aufblühender wie mit welkender — bleibt eben das alte Rätsel. Und wie. vielen, die heute leben, wird es der nahende Frühling, wieder in seiner ganzen ver führerischen. Schmeichelei zum Raten ausgeben. WhRNwlimäöümWÄk , Aufruf! - Auf Grund einer Besprechung mit dem Reichs- jugendführer gebe ich folgendes bekannt: Es gibt für Mädels, die das 10. Lebens jahr erreicht haben, nur «ine Mädelorganisa tion, das ist ausschließlich der Bund Deutscher Mädel in der HI bezgl. die Jungmädelschaft -im BDM in der HI. In Kückenaruppen und Kinderscharen dürfen Mädels über 10 Jahre nicht geführt werden. -- - ^-.. Hiermit geht an alle Ettern und Erzieher die Aufforderung, dem Willen des Führers und Neichsjugendsührers entsprechend, ihre Mädels, die das zehnte Lebensjahr erreicht oder überschritten haben, dem BDM bezgl. der Jungmädelschaft im BDM in der HI zuzuführen. Tie Führerin des Obergaues 16/Sachsen BDM, gez. Rosemarie Brütz, Obergauführern. Der DiGter des deutsGen Adels Zirm 60. Geburtstag vnn Borries v. Münchhausen am 20. März „Praktische Annäherung zwi- Volk und Dichtung kann immer und überall nur dies bedeuten: datz di« Leute Bücher kaufen und lesen und dann wieder lesen, bis sie den In halt als Bestandteil "ihres seelischen Lebens in sich ausgenommen haben. Dies wird «intreten, sobald unser« Kunst wieder allgemein verständ licher und allgemein genießbarer ge worden ist. Ich möchte sür mich und zehntausend andere unsere so über aus hochgezüchtete Liedkunst keines falls missen, aber ich möchte für mich und Millionen Volksgenossen : -.wünschen, datz wir daneben auch wird« eine echte, höchstwertige Volkskunst bekämen. Sobald wir , diese haben, wird es auch wieder / - Käufer für Gedichtbücher geben." Borries von Münchhausen. Borries von Münchhausen, der sich selbst als Dichter des deutschen Adels bezeichnet, nimmt in der neueren Literaturgeschichte «ine besondere, scharf umrissene Stellung «in: er ist der Erneuerer, der deutschen Ballade und somit der Wisderetz- wecker einer Kunstgattung, in der sich die Be griff« Heimat, Brauchtum, Vergangenheit und Tradition zu stärkstem und knappstem künstle rischen Ausdruck vereinigen. „EntwkMmgsge- schichMch," so sagt der Dichter selbst von sich „komme ich von.Strachwitz her, der die grötzte Liebe meiner Kinderjahre war, rind daneben von der Volksballade, die ich in den Sammlungen meiner Mutter wieder und wieder verschlang. Später wirkten Bürger, Fontane, Meyer .zeit wellig auch noch Dahn auf meine Ballade, da gegen niemals der grötzte deutsche Lyriker jener Tage, Liliencron, den ich erst Jahre später kennen lernte." ' Das marxistische Zeitalter hatte für einen Mann, wie es Borries von Münchhausen war wenig Verständnis. Während jene Schriftsteller, die den Intellekt aus ihre Fahne geschrie ben halt««, vergöttert wurden, besaß Münch hausen nur einen kleinen Kreis von Anhängern, dre seins vollendete Bakkadenkunst schätzten. Heute, da durch den-Sieg .der nationalsozialistischen Be wegung dis verschollenen Kulturwerts der Men deutschen Vergangenheit wieder lebendig gewor den smd, wird man an Börries von PWnch- hausen nicht.mehr Vorbeigehen können. Er haM den Mut Ol.einer Zeit, da das Wort Helden tum seiner ethischen Bedeutung beraubt wurde, die unsterblichen Ideale der deutschen Seele zu verkünden. Während feine ersten Balladen noch unter dem Einfluß der herkömmlichen Balladen dichtung standen, zeigte er im Lonfe seiner Ent wicklung immer stärker eine ureigene, persönliche Form. Er begann mit Beiträgen zum „Göttin ger Musenalmanach" und " mit „Gedichten". In den zahlreichen Balladenbättden, die er später herausgsgeben hat, steht seins Kunst in höchster Blüte. Eine wunderbare Welt ersteht da vor unseren Augen, eine Welt der edlen, stolzen, männlichen Ritterlichkeit, eine Welt der glühen den Vaterlandsliebe, der Treue bis in den Tod, eine Welt des Glaubens an den Wert und die Sendung des deutschen Volkes. Diese Welt war von den marxistischen Schriftstellern abgelehnt worden. Lin öder Realismus beschränkte sich darauf, das Leben in fernen dunkelsten und trau rigsten Erscheinungsformen zu schildern. "Man be schäftigte sich fast ausschließlich mit dem Da sein des „Proletariers", man schilderte mit Vor liebe die Nachtseiten des Lebens und die Elends viertel. Ein seelenloser Naturalismus stellte die anmaßende Behauptung auf, datz die wahre Dich tung in einer photographisch getreuen Wieder gabe eines gegenwärtigen „Milieus" bestünde. In dieser Zeit der Entseelung aller Dinge, in dieser Zeit einer ausgesprochen materialistischen und pessimistischen Weltbetrachtung ist Börries von Münchhausen unbeirrt seinen eigenen Weg gegangen, ohne sich um den Zeitgeschmack der großen Mengs zu kümmern. Wie hätte er auch anders handeln können? Er war nicht ein heimat loser Individualist, sondern wurzelte mit seinem ganzen Fühlen und Denken im Boden seiner Vor fahren. Die ganze dichterische Haltung dieses Mannes wird durch das Ahnenerbe bestimmt, das ihm ein altes adeliges Geschlecht Hinterlietz. Börries von Münchhausen verlebte seine erste Jugend in junkerlicher Freiheit auf den Gütern ferner Eltern in Hannover und Thüringen. Er studierte von 1895 bis 1901 in Heidelberg, Mün» """ 1 chen, Berlin und Göttingen und unternahm Reisen nach Italien, Sizilien und Dänemark. Eine Zeit lang wanderte er mit Zigeunern durch Süd- und Westdeutschland. Er schuf sich in Sahlis bei Koh ren in Sachsen ein reiches, aristokratisches Heim. Im Weltkrieg kämpfte er in einem sächsischen Rei terregiment im Osten mit und arbeitete später im Auswärtigen Amt. Nach Kriegsschluß zog er sich auf das Schloß Wsndischlsuba im Altenbur- gischen zurück. Die anfänglich kleine Gemeinde, die sich der Dichter durch seine Balladen schuf, wuchs rasch zu einer großen Anhängerschaft. Heute sind seine Dersbücher in über 400 000 Stück verbreitet. „Selbstverständlich," so schreibt der Dichter selbst, „ist die Verbreitung meiner Gedichte, äußerlich gesprochen, wesentlich bedingt durch meine Vor tragsreisen in ganz Europa, innerlich aber dadurch, datz Balladen als stofflich spannend, bunt, er regend, natürlich zu weit mehr Menschen sprechen können als etwa lyrische Gedichte. Ich habe wohl mehr gesprochen als jeder lebende oder tote Dicks ter. Die Zahl der Vortragsorte ist etwas über dreihundert, die der Vorträge nicht sicher zu schätzen, in manchen Jahren über hundert." Durch Vermittlung des Literarischen Vereins an der Deutschen Oberschule haben wir vor Jahren die Freude gehabt, den Dichter in Frankenberg bei einem seiner Vortragsabende persönlich kennen zu lernen. In allen Balladen Münchhausens zeigt sich der echt« Edelmann, offenbart sich eine in sich ruhende, geschlossene Persönlichkeit. Das bezeugen besonders die Bände „Das Herz im Harnisch", „Die Stand arte", „Schloß in Wiesen". „Deutschland, mein Deutschland lebt", hat Börries von Münchhausen einmal ausgerufcn- Diefes neue Deutschland wird nicht vergessen, datz es m ihm einen Dichter von hohen Graden besitzt, einen aufrechten, ritterlicksen Mann, der die Gemüts- und Kulturwerte der herrlichen, unvergänglichen deutschen Balladenkunst zu neuem Leben erweckt hat!