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Donnerstag, 2. Juni 1904. Beilage zu Nr. 64. 2lns Sachsen Wilsdruff, 1. Juni 1904. In Dresden ist am Donnerstag abend die Stiftsdame Rosalie von Schönberg aus dein Hanse Oberreins- berg verschieden. Die Beisetzung derselben fand am Montag in Reinsberg statt. Das König-Albert-Denkmal auf dem Windberge, dessen Kosten von den Gemeinden des Plarrenschen Grun des bestritten werden, ist fertig und wird demnächst ge weiht werden. Auf einem Rnstikabau aus Sandsteinquadern, entworfen vom Architekten Kühne, schaut die auf dem Streit roß sitzende Gestalt des Königs weit ins Land hinaus. Die. Königsgestalt ist eine Schöpfung des Bilhauers Wede- meyer. Auf einem Holzlagerplatze in Dresden-Friedrichstadt wurde gestern nachmittag ein siebenjähriger Knabe durch einen umfallenden Bretterstoß totgedrückt. Vom Landgericht Dresden erhielt der Schuhmacher Clemens Otto Priebs aus Serkowitz und der Handarbeiter Otto Wilhelm Seifert aus Wilsdruff, beide bereits vor bestraft, wegen schweren Diebstahls je 5 Monate Gefäng nis Seifert auch noch wegen Jagdvergehens 5 Mark Geld- strafe, an deren Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit 1 Tag Gefängnis zu treten hat. Die beiden Angeklagten sind rin ein Grundstück des Gärtnereibesitzers Matthes in Coswig cingestiegen und haben daraus einige Hühner ge stohlen. Seifert hat auf Naundorfer Flur auch unbefugt auf Kaninchen gejagt. In einem Privat-Briefkasten eines Hauses in Zella hat sich ein Blaumeisenpaar häuslich eingerichtet, welches jetzt 11 Junge füttert. Es ist wohl anzunehmen, daß zwei Weibchen ihre Eier in den Briefkasten gelegt haben, das Biutgeschäft aber von ein.r Blaumeisenmutter ausgeübt worden ist. Die von Kötzschendvoda aus lebhaft betriebene V er e i n i g u n g d e r G e m e i n d e n Kötzschenbroda und Nieder lößnitz ist am Sonnabend abend an einem Beschlusse des Gemcinderates von Niederlößnitz gescheitert. In Kötzschenbroda wurde am 3. Feiertag die Erd beerbörse eröffnet. Am ersten Tage kostete der Liter noch 2.50 Mark, am zweiten Tage 2 Mark. Am Sonntag nachmittag ging auf dem Wege zwischen Saultitz und Radewitz ein Pferd mit einem von drei Personen besetzten Einspännergeschirr durch. Am Däwcntz- schen Gute in Radewitz schlug der Wagen um, wobei die Insassen — zwei Knaben und der Kutscher — herausge schleudert wurden. Der 14jährige Stiefsohn des Herrn Gutsbesitzer Däweritz erlitt eine schwere Gehirnerschütter ung, der andere Knabe und der Kutscher kamen mit leich teren Verletzungen davon. Für 100000 Mark Rauchwaren gestohlen! Ein bedeutender Einbruchsdiebstahl ist — vermutlich in der Nacht zum Sonntag — in der Rauchwarenhandlung Lomer L Cie., Brühl 42 in Leipzig, zur Ausführung gekommen. Hierbei sind ungefähr 600 bis 700 Stück russische Zobel und etwa 600 Stück Chinchilla gestohlen worden. Der Wert der Felle beträgt zirka 100000 Mk. Die Einbrecher drangen vom Hofe aus in die Nieder lagsräume ein. — Selbstmord durch Erhängen beging in seiner am Neumarkt gelegenen Wohnung ein aus Wien gebürtiger 29 Jahre alter Markthelfer. Der Beweggrund zu der Lat ist nicht aufgeklärt. — Von der Maschine erfaßt! Der Hilfsweichensteller Müller wurde beim Ueber- schreiten der Gleise von der Maschine erfaßt und eine Strecke mit geschleift, wobei er Verletzungen erlitt. Diese führten den Tod alsbald herbei. Der so jäh aus dem Leben Gerissene hinterläßt Frau und vier Kinder. Em Streit um Millionen. Ein erbitterter Kampf, bei welchem es sich darum handelt, ob eine Wiener Schauspielerin in den Besitz einer Summe von 3 Millionen gelangen soll, wird gegenwärtig bei Wiener und deutschen Gerichten geführt. Der in Dresden ansässig gewesene Graf Viktor Chamare verfügte über ausgedehnte Güter und ein Barvermögen, das zu sammen auf drei Millionen Mark geschätzt wird. Der Graf stand im 40. Lebensjahre und konnte sich schwer zu einer Heirat entschließen. Im Frühjahr 1903 kam er nach Wien und lernte Fräulein Wanda Blaustein, eine junge Schauspielerin, kennen. Das hübsche Mädchen ge fiel ihm und ganz begeistert kehrte er nach Dresden zurück. Er fuhr fast jede Woche nach Wien, um hier mit Fräu lein Blaustein zusammenzutreffen, und sie kam auch wieder holt nach Dresden, wo sie bei ihm wohnte. Im November wurde die Verlobung gefeiert und in diesem Monat sollte die Hochzeit stattfinden. Alle Bemühungen der Familie, den Entschluß rückgängig zu machen, scheiterten und selbst der Hinweis auf die Verschiedenheit der Konfession wurde damit entkräftet, daß Fräulein Wanba Blaustein zum katholischen Glauben übertrat. Schon wurden die Vor bereitungen zur Hochzeit getroffen, da trat im Februar ds. Js. eine plötzliche Wendung ein. Der Graf hatte auf seinem Automobil eine Reise gemacht und war in der Nähe von Breslau gestürzt. Er wurde mit schweren Ver letzungen per Bahn nach Dresden gebracht, wo die Aerzte erklärten, daß es ausgeschlossen sei, ihn am Leben zu er- halten. Graf Chamare erkannte seinen Zustand. Er wußte, daß es ihm nur noch vergönnt sein werde, einige Tage zu leben, und er entschloß sich, seine Braut auf dem Sterbebette zu heiraten. Er berief sie telegraphisch nach Dresden. Am nächsten Morgen kam Fräulein Blaustein an und begab sich sofort in das gräfliche Palais, wo bereits Pfarrer Dr. Sicke wartete, um die Zeremonie zu vollziehen. In Gegenwart der Verwandten des Grafen, die noch in letzter Stunde alles aufboten, die Ehe zu ver hindern, wurde die Trauung vollzogen. Unmittelbar wurde ein Notar gerufen, welcher den letzten Willen des Ster- Senden aufnehmen sollte. Demgemäß vermachte der Graf Chamare seiner Gattin das ganze Vermögen von nahezu drei Millionen, während den Verwandten nur geringe Legate zufallen sollten. Seine Angehörigen boten nun alles auf, um dieses mündliche Testament rückgängig zu machen. Seine junge Frau, die Tragweite der Situation erkennend, wich nicht von seinem Bette und ließ ihn keinen Augenblick allein. Als. er dann die Augen für immer schloß, brach sie vor Erschöpfung zusammen. Aber ihres Geldes konnte sie sich bisher nicht freuen. Die Ver- wandten haben nämlich die Gültigkeit dieses letzten Willer s angefochten und behaupten, der Graf habe sich zur Zeit seiner Lestamentserrichtung infolge der schweren Verletzung 59 Kelrennie Kerzen. Original-Roman von C. Matthias. Nachdruck verboten.) '^»Der Zerr Commerzienrath theilte mir seinen Entschluß mit," sagte Below. ' „Nun also," rief Luise freudig: „Sie werden sich an den Gedanken gewöhnen müssen, bei uns zu bleiben und uns den Schmerz nicht anthün, weiter zu ziehen, wenn Ihr Amt Sie hier nicht mehr fesselt." v,Fräulein Luise, Sie sind sehr gütig," sprach Below mit Anstrengung, da er immer näher nnd näher die gefürchtete Msarung berankümmeu sah. „Aber wie soll ich Ihres Vaters Wunst- krEn. Ich arm und muß verdienen, um zu r^ren Vater nicht mehr arbeiten kann, kemen Gehalt me^ es wäre geschenktes Geld und em solches demuthrgt den schaffensfreudigen Mann. Aber der Herr Commerzienrath stellte mir in Amerika eine Existenz in Aussicht und dort eine .„O, der böse Papa," klagte Luis«, mit Thränen kämpfend Me konnte er an die Trennung denken. Ich weiß, um wäs es sich handelt. Onkel Smeaton verlangt einen Deutschen der seinen Fabriken vorstehen kann, allem — ich weigere mich^ Sie in die weite Welt zu lassen, ich will es nicht — nein, nein, ich will es nicht." Sie brach in Thränen aus. Below erhob sich nervös. Jeden Augenblick konnte das entscheidende Wort fallen, dessen Ablehnung ihn zu einem Undankbaren, Gefühllosen stempeln mußte. 7 „Wie Unrecht hatte Dr. Gutmann, Ihnen nicht jeden Be such auf das Strengste zu verbieten, Fräulein Luise," sagte er ernsthaft- »Sie sind nervös und werden krank werden, wenn Sie sich nicht beherrschen. Ich beabsichtige ja nicht fortzu gehen, vor der Hand gewiß nicht. Es giebt hier ja auch noch so viel zu thun. Wir werden uns aewiö nock reckt oitleben. täglich. Werden Sie nur erst wieder gesund. Jetzt aber er lauben Sie mir, daß ich mich zurückziehe, es wär« unverzeih lich, wollte ich Sie mit meiner Gegenwart noch länger beun ruhigen." „Sie können mich jetzt verlassen, da Sie mich s» unglück lich sehen?" fragte Luise, während Thränen über ihre Wangen rollten." „Ich muß es, gnädiges Fräulein. Es ist zu Ihrem Besten. Vielleicht sind Sie morgen schon nervenstark genug, da» an zuhören, was ich Ihnen mittheilen muß. Darf ich morgen wiederkommen, wenn es der Arzt erlaubt?" „Sie fragen?" Ich fordere Ihren Besuch, denn auch ich habe Ihnen Wichtiges anzuvertrauen, lieber — Edmund. Darf ich Sie so nennen, mein Netter?" „Sie machen mich stolz und glücklich," entgegnete Below, dessen Herz vor Furcht und Erregtheit heftig schlug, indem er Anstalt machte, sich zurückzuziehen. Als er aber der Jungfrau die Hand zum Abschiede reichte und sie diese mit Energie festhielt, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: „Mein Gott, was soll ich machen? Wo finde ich einen Weg, dieses theure Kind darüber aufzuklären, daß ich ihm nie mals angehören kann?" Der Zufall kam ihm hierbei zu Hülfe, er sandte ihm den Doctor Gutmann, der ganz unerwartet und unangemeldet eintrat. „Sie sind mir ein netter Retter," sagte er, den ihm un willkommenen Besuch mit mißbilligenden Blicken messend. „Sie wollen wohl das Fräulein durch Aufregung umbringen, nachdem Sie dasselbe aus der Räucherkammer geholt haben? Ich glaube gar, Demoiselle weint! Anstatt zu ruhen, zanken sich die Herrschaften! Das ist stark. Da habe ich nur eine Sentenz: Nu aber raus, Herr von Below, und vor übermorgen keinen Schritt über diese geheiligte Schwelle, sonst sollen Sie, beim heiligen Aeskulap, einen gereizten Mediciner einmal kennen leruem" nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befunden. Darüber ist nun ein Prozeß entbrannt, in welchem übrigens auch die Gültigkeit der Ehe angefochten wird. Die Er hebungen führte das Bezirksgericht Landstraße in Wien. Der Prozeß selbst kommt in Dresden zur Entscheidung. Die Vraut vsn Uirsansw. Kriminalerzählung von Hans Anholt. Nachdruck verboten. (Schluß.) Die andern orangen durch die inzwischen geöffnete Tür ins Zimmer und überzeugten sich: eine Leiche! Nichts Verdächtiges, nichts, was auf einen voraufgegangenen Ring kampf schließen ließ, war zu sehen; nur ein Kartenspiel, säuberlich in ein Stück weißes Papier gehüllt, lag auf dem Tisch. Die Wirtin, die sich jetzt von dem Schreck erholt hatte, schlug mit einmal die Hände über dem Kopf zusammen und schrie: „Heilige Jungfrau! Ein Mord in unserem Gasthaus! Da wird ja kein Gast mehr kommen!" Der besonnene Wirt setzte sich sofort in die Kutsche, die bereit stand, und fuhr nach Kirsanow, den Mord zu melden. Bald war die Gerichtsbehörde zur Stell«, nahm den Fund der Leiche und alles Wenige, was ihr die Leute mitteilen konnten, zu Protokoll und ordnete die lieber- führung der Leiche nach Kirsanow an. Wer war der Mörder? Schon am nächsten Tage be richteten alle Zeitungen der Stadt von dem Morde im „Gasthaus zum Schwan", und alle fragten mit der Be hörde, „wer war der Mörder?" Ein Zufall sollte ihn der Hand der Gerechtigkeit zu- führen! In Kirsanow spielt man viel, gerne und hoch. Be- sonders in einem versteckten Hinterzimmer eines Hotels kamen an jedem Abend etwa 5 Herren zusammen, welche Karten spielten. Der Wirt des Hotels kannte sie nicht! Ja, sie selber kannten sich einander kaum beim Namen. Ein kleiner, dicker Herr, der von auswärts gekommen war und in seinem Hotel als Gutsbesitzer Selchew auS Tombsk logierte, hatte die übrigen 4 zusammengeführt, einen Offizier, einen Kaufmann, einen Fabrikbesitzer und einen jungen Mann, angeblich einen Doktor aus Tambow, der in einem vornehmen Hotel mit einer schönen, vornehmen Dame einlogiert gewesen war. An einem Abende hatte der Offizier, am nächsten der Kaufmann, an einem weiteren der Fabrikbesitzer, und schließlich der angebliche Doktor horrende Summen an den kleinen, dicken Herrn verloren, den die andern daher als einen Professionierten Falsch spieler hielten. Sie verlangten von dem Gewinner Re vanche, welche er ihnen zusagte. Mit dem Doktor, der von zwanzig Tausend mitgebrachtcn Rubeln nur noch zwei hundert gerettet hatte, war das erste Revanchespiel ver einbart. Wo? das wußten die andern nicht. Nun auf einmal war der kleine, dicke Herr nicht mehr da, auch der Doktor erschien nicht mehr zu den Spielabenden im ver steckten Zimmer des Hotels. Die übrigen drei lasen von dem Mord, besahen sich die Leiche, erkannten sie sofort, aber verrieten nichts, um sich nicht in die Affäre zu ver wickeln. Es war ihnen aber klar, daß der Doktor hier seine Hand mit im Spiele hatte. Da verfielen sie auf die Dame, mit ihm im Hotel logierte und nannten „Verzeihen Sie, Herr Doctor, ich war es, die diesen Herrn zum Hierbleiben aufforderte," unterbrach ihn Luise mit er» schöpfter Stimme. „Da thaten Sie Unrecht, Fräulein Commerzienrath, höre« Sie selbst mal, wie sie piepsen und Sie sollen sonst so ein« gewichtige Stimme haben. Nein, bei schwachnervigen Patient» innen habe ich kein Mitleid und keine Courtoisie. Adieu, Her» von Below. Machen Sie, daß Sie alle werden!" wandte er sich an diesen. Edmund drückte einen flüchtigen Kuß auf die Fingerspitze« der jungen Dame und verließ eilig das Gemach und das Hau». Ohne sich weiter um das Treiben in der Fabrik zu bekümmern, eilte er zunächst nach seiner Wohnung. Unterwegs überlegt« er, war er thun müsse, um sich eine moralische Niederlage und dem vertrauensvollen Mädchen eine verletzende Täuschung z« ersparen. „Nur die Wahrheit kann mich retten — ich will de« Commerzienrath Aller gestehen — meine Heirath — mein« Trennung, mein Unglück — das Glück des Wiederfinden«. Er soll meine ganze Vergangenheit erfahren, bevor ich noch Luise wiedergesehen. Aber bis dahin muß viel geschehen. Man hat Carola in meiner Wohnung gesucht, also ist man auf ihrer Spur. Bevor man sie aufgefunden, muß ich mit ihr fort, mit ihr und dem Knaben, nach dem sie verlangt und der zu ihrer Heilung nöthig ist." Ueber die Möglichkeiten einer Entführung des kleinen Curl nachdenkend betrat er sein Zimmer. Er fand es in völliger Unordnung. Die Betten waren ohne Bezug, die Teppich« zu- sammengerollt, die Handtücher entfernt, 1er Tisch ohne Decke. Kurz, jede Bequemlichkeit war entfernt. Aus Below'» heftige» Klingelzeichen erschien Frau Merzenland. - „Soll das hier so bleiben?" fragte Esmund in drohendem Tone. „Allerdings," sagte die Wirthin, ihre Arine keck in di« Seite stemmend. —»