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3 litz mit beiden Händen, und auf ihren Stuhl znrücksinkend, rief sie verzweifelnd: „Was hab' ich gethau! ich bin unsäglich unglücklich!" . Der Graf hatte mit Befriedigung das Vekenntniß Hedwig's, das seinem Scharfsinn Ehre machte, vernommen, um so weniger ver mochte er sich die darauf folgende Verzweiflung des jungen Mädchens zu erklären. Zum ersten Mal gerieth der sonst so gewiegte Welt mann außer Fassung, weil ihm ein solcher Auftritt unbegreiflich war. Wie heftig und auffahrend auch Graf Waldheim gegen feine Umge bung, Hedwig hatte von ihm nie ein rauhes Wort erfahren, heut aber siegte sein leidenschaftliches Wesen über seine grenzenlose Liebe; die Zornader auf seiner Stirn schwoll dunkler an, ein unheimliches Feuer glühte in seinen Augen, schon wollte er hestig losbrechcn, aber ein Blick auf seine Pflegetochter, die ein Bild tiefsten Schmerzes dort saß, hemmte seinen Zorn. Nicht ohne Kampf gewann der Graf seine Fassung wieder, und mit aller Herzlichkeit wandte er sich zu Hedwig: „Kind sage mir, was Dich quält, was hast Du gegen Ewald?" — aber sich plötzlich besinnend, daß dieser noch immer nicht gekommen, setzte er rasch hinzu: „dieser -nachlässige Bursche, ich werde ihm Pünktlichkeit beibringcn. „Ich sagte Dir schon, daß er nicht kommen würde," entgegnete Hedwig mit trübem Lächeln. Der Graf wollte Etwas erwiedern, da stieß Hedwig fast krampf haft heraus :„Gieb ihn frei, Vater, er liebt mich nicht, er kann mich nicht lieben, sich' doch wie häßlich ich bin!" Sie war aufgesprungen und mit jener Selbsterniedrigung, wir sie oft jungen Mädchen eigen ist, warf sie zum ersten Mal einen fast grollenden, verächtlichen Blick auf ihr Spiegelbild, an dessen Häßlichkeit sie sich schon längst gewöhnt hatte. Wohl war es ein von Blatternarben enstelltes Gesicht, denn Hedwig hatte als Kind an dieser gefährlichen Krankheit gelitten, und die Spuren davon hatten sich nicht verwischen lassen, es fehlte diesem Antlitz der rosige Hauch der Jugend. Graf Waldheim besaß ganz jene Elternliebe, der sebst daS häß lichste Kind hübsch und aumuthig erscheint; die Blatternarben Hed- wig'S hatte er nie für entstellend gehalten, im Gegentheil glaubte er, daß sie dem Antlitz seiner Tochter einen gewissen Ausdruck gaben, und sie erstaunt anblickeud, erwiedcrte er rasch: „Was sagtest Du da — Du häßlich? — Ewald schwärmt für Dich!" „Das hat er nie gethau," war Hedwig's Antwort, „ich ahnte — ich wußte cs schon, und wie gern hätte ich ihn vor Deinem Unmuth geschützt und alles auf mich genommen, wenn Du nicht so rasch zur Entscheidung gedrängt." Die Stirn des Grafen verfinsterte sich, doch mit jener Gelassen heit, hinter der sich oft sein heftigster Zorn barg, entgegnete er: „Du sprichst in Räthscln, ich verstehe Dich nicht. - „Ewald hat mir geschrieben, er kann nicht Deinen Wunsch er füllen, weil sein Herz bereits eine Andere gewählt, an die ihn die glühendste Liebe fessellt; quält ihn nicht, Vater; sieh', wir taugen nicht für einander, und so ist es gut!" —sagte Hedwig anscheinend ruhig, nur ein schärferer Beobachter würde bemerkt haben, wie tief ihr in nerstes Seelenleben bewegt war. Der Graf hatte nur die ersten Worte gehört, ein lang gedehn tes „Oh" stieß er heraus, dann schlossen sich die scharfen feinen Lip pen; er trat an's Fenster, blickte auf den in einen dünnen Nebel ge- ^hülllcn Park hinunter und trommelte mit den langen, aristokratisch zugcspitzten Fingern auf die Fensterscheibe. Hedwig kannte dies Vorzeichen eines nahen Sturmes; sie wußte daß cs dann am besten war, ihren Vater aus einige Augenblicke sich selbst zu überlassen. Geräuschlos glitt sie aus dem Zimmer, in der Absicht, nach einigen Minuten mit Licht dahin zurückzukehren, damit ihr kleiner Kunstgriff dem Grafen nicht auffällig werden sollte. Graf Waldhein hatte sich eben vom Fenster weggewendet und wollte in hastigen Schritten das Zimmer durcbwandern, da trat ein Diener ein und berichtete triumphirend auf eine Handbewegung seines Herrn: „ Gnädiger Herr Graf, soeben ist Peter Kunz in's Stoß ge bracht worden, die Jäger haben ihn auf der That ertappt, und der Amtmann bittet um Befehl, ob er ein Protokol aufnchmen soll, da mit er daun den Elopuenien — er wollte Deliqucnt sagen — den Gerichten übergeben kann." Das edle Antlitz des Grafen verzerrte sich, fand er doch jetzt einen Gegenstand, an dein er seine Wuth auslassen konnte, und Peter Kunz halte durch seine verwegenen Wilddiebereien den jagdlustigen Herrn ohnehin genug erbittert. Fast besinnungslos vor Zorn stieß er hastig heraus: „Wozu die Weiterungen, die Gerichte verschmieren mehr Papier als der ganze Bursche werth ist, peitscht ihn durch und laßt ihn dann wieder laufen!" Der Diener'entfernte sich hämisch grinsend, um diesen Befehl, der dem ganzen müßigen Schloßpersonal wenigstens ein rohes Schau spiel gab, vollstrecken zu lassen. Wie nach einem schweren Gewitter, kaum daß sich die Wetter wolken entladen, der Himmel um so lieser und freundlicher blaut, als bereue er sein wildes Zürnen und als könne er die angerichteten Zerstörungen hinweglächeln, so giebt es Menschen, die nach dem ersten Ausbruch ihrer Wuth durch desto größere Milde Alles wieder ausgleichen möchten. Auch der wilde Zorn des Grafen war plötzlich verflogen, schon wollte er die Klingel ziehen und seinen verhängniß- vollen Befehl rückgängig machen, aber das wäre ja eine „Charakter schwäche" gewesen, der durfte er sich nicht schuldig machen, und so folgte er leider nicht der Stimme seines bessern Selbst. Als Hedwig mit einer Lampe vorsichtig hereintrat, erstaunte sie über die Veränderung, die mit ihrem Vater forgegangen war. So überraschend schnell hatte sich sein Zorn noch nie gelegt. „Komm, Hedwig, laß uns einen Spazicrgang in den Park machen, es ist schwül imZimmer," sagte der Graf mild und freund lich. Hedwig setzte die Lampe auf den Tisch, und weil beide sich ihre innersten Empfindungen verbergen wollten, wandelten sie in alter Traulichkeit, von den gleichgültigsten Dingen plaudernd, aus dem finstern Schlosse. Es war ein wunderbarer, heiliger Frieden, der ihnen aus der Natur entgegen wehte, als sie den Park betraten. Kein Lüftchen rührte sich, die Bäume standen schweigend — wie in Sinnen ver loren. Der Mond war im Aufgehen und schien mit dem Nebel wetteifern zu wollen, die wunderlichsten Luftgebilde hervorzubringeu. Plötzlich drang ein wilder, gräßlicher Schmcrzsch rei vom Schloß hofe bis in die Mitte des Parks. „Was war das?" rief Hedwig erschrocken. Auch der Graf fuhr zusammen, beherschte sich aber, und rascher vorwärts schreitend, sagte er kalt: „ ;Der Schrei eines Thieres." (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Das „Zwickauer W." berichtet: Ein neuer Schwindel passirte dieser Tage einem Bergarbeiter aus Reinsdorf. Derselbe hatte in hiesiger Stadt bei einem Rechtsanwalt etwas zu thun, und gesellte sich auf diesem Wege ein Mann zu ihm, dem er auch bald erzählte, daß und weswegen er zum Advocatcn gehen müsse. Am Hause des Rechtsanwaltes angckommen, spricht der neue Freund zu dem Berg arbeiter: Du hast eine Uhr, wenn Du hinaufkommst (auf die Woh nung des Advocaten zeigend), die sieht der gleich und Du mußt alle Kosten bezahlen; gieb sie mir, ich will sie halten, bis du wieder herunterkommst. Arglos ging auch der Bergarbeiter in die Falle und gab seine Uhr hin, doch als er vom Advocat wieder herunter kam, hätte er singen können „Wenn der Freund mit der Uhr ver schwunden ist", denn „Roß und Reiter sah man niemals wieder." Görlitz, 7. Juni. Gestern Nachmittag gegen halb 2 Uhr ent lud sich über unserer Stadt ein Gewitter von solcher Heftigkeit, wie es hier seit Menschengedenken nicht erlebt worden ist. Der Blitz schlug, soweit bisher ermittelt worden, an 10 verschiedenen Stellen ein, glücklicherweise jedoch ohne zu zünden oder einen Schaden an Menschenleben zu verursachen. Ein Strahl traf den Thurm an der Frauenkirche und riß den die Spitze desselben krönenden vergoldeten Stern herunter; ein zweiter schlug in die Kirche zum heiligen Grabe, zertrümmerte einen Theil des Daches und fuhr an den am Eingänge befindlichen steinernen Treppenstufen, deren unterste in drei Stücken zertrümmert wurde, in die Erde. Die Schiedr'sche Fabrik wurde von zwei Schlägen getroffen, deren einer durch das Dach der Eisengießerei drang und 7 Arbeiter betäubte. Ein fünfter Blitz schlug in die Tuch fabrik von Halberstadt, riß das Kranzgcsims des DampsschornsteinS herunter (wobei einzelne Ziegelstücken bis 20 Meter weit fortgeschleu dert wurden und durch das Dach in den Arbeitssaal eindrangcu), und betäubte zwei Arbeiterinnen. Beträchtlich sind ferner die am Dache des neuen, noch nicht eröffneten Sckulhauses und die an mehreren Privathäusern angerichteten Beschädigungen, Zertrümmerung des Sparrcuwerks und Zersprengung der Wände. In der Eiscnwaarcn- handlunz von Moritz wurden zwei große Spiegelscheiben im Schau fenster durch den Blitz zerschlagen. Endlich riß ein Strahl am Ein gänge der Neißstraße, wo er in die Erde fuhr, in den Boden cin tiefes Loch von ungefähr I V2 Meter Länge und 1 Meter Breite, so daß der dort liegende Abzugskanal, sowie die Röhren der Gas- und Wasserleitung blvsgelegt wurden und der betreffende Theil der Straße für den Verkehr gesperrt werden mußte. Nach den der „Sp. Ztg." zugehenden Mittheilungen hat der Strike der Bergarbeiter im Ober jBergamts-Bezirk Dortmund aus der westlichen Hälfte von Essen bis Oberhausen gestern Morgen begonnen. Etwa 12,000 Bergleute mögen die Arbeit eingestellt haben. Noch vorgestern hoffte man, daß die Geistlichkeit ihren Einfluß mit Erfolg dahin verwenden werde, die Bewegung unter den Arbeitern zum Stillstände zu bringen, wenigstens innerhalb gesetzlicher Grenzen zu halten. Es wird nämlich behauptet, daß der Erzbischof von Cöln, der seit einiaen Tagen die Umgegend von Essen bereist, den guten Willen geäußert habe, die Arbeiter im Interesse der gesellschaftlichen Ordnung zu besänftigen. Welchen weiteren Verlauf vcr Strike neh men wird, ist nicht vorauszusehen. Vorläufig muß constatirt werden daß die Arbeitseinstellung ohne vorangegangene Kündigung erfolgte. * Ein Erdbcbeben hat die Stadt Hamadan in Persien zerstört und 500 Einwohner getödtet. Kirchennachrichten aus Wilsdruff. Sonntag d. 4. p. Irin. Vormittags predigt: Herr ?. Schmidt. Nachmittags predigt: Herr Diakonus Canitz. (Ein gesandt.) Wer, als Fremder besonders, an vergangenem Montag Abend auf der Dresdner Straße hier das Polterunwesen mit augehört, und dann den großen Scherbenhaufen angesehen hat, der muß ge wiß auch mit gerechtem Unwillen gegen die Tumultanden erfüllt worden sein und sich dabei gewundert haben, daß hier noch solch nächtlicher Unfug stattfinden darf. Gleicherweise sind auch die vielen Störungen bei öffentlichen Trauungen in der Kirche hier zu rügen; denn die Bibel sagt: Mein Haus ist ein Bethaus! —