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2. Jeilage zu Ar. 144 des Wochenblattes für Aitsdruß. »NM i»!, lii VaterlLndisches. Wilsdruff, 8. Dezember 1902. —us. Dresden, 8. Dezember. Heute Morgen begann unter großem Andrang des Publikums vor dem Schwur gericht die umfängliche Hauptverhandlnng wider den ehe maligen Straßenbahnwagenführer Franz Andreas Lerch und dessen Ehefrau Anna Marie Pauline Lerch geb. Döring, die sich wegen Mordes, Meineides, Unterschlagung, sowie wegen Begünstigung und Hehlerei vor den Geschworenen zu verantworten haben. Mit großer Spannung werden die Angeklagten von der Zuschauer- menge erwartet, die auch, nachdem der Gerichtshof und die Herren Geschworenen ihre Plätze eingenommen haben, durch Gerichtsdiener in den Saal geführt werden. Lerch, sowie seine Ehefrau machen einen niedergeschlagenen Ein druck. Zur Aufklärung des Sachverhaltes sind 9 Zeugen geladen, während dem Gericht mehrere Akten, Sparkassen bücher usw. als Bewcismaterial vorliegen. Nachdem die Geschworenen ausgeloost und auf der Geschworeuenbank Platz genommen, auch die Zeugen den Saal wieder ver lassen hatten, wird mit der Vernehmung der Beschuldigten begonnen. Lerch ist am 30. November 1867 in Zülkowitz und seine Ehefrau Anna Lerch am 26. August 1873 in Groß-Walditz geboren. Die Angeklagten haben zur Zeit der schrecklichen That auf der Friedrich August-Straße 7, H. in Löbiau gewohnt. Während sich Lerch seit seiner Fest nahme in Untersuchungshaft befindet, ist die Ehefrau vor kurzer Zeit aus der Haft entlassen worden und hat ihre fetzige Wohnung: Mottkestraße 9, l., in Löbtau bezogen. Nach der Anklage wird dem Ehemann Lerch zur Last ge legt, am 27. Oktober 1898 vor dem Kgl. Amtsgericht Dresden vorsätzlich einen Meineid geschworen, am 8. Januar 1900 zu Löbtau den bei ihm zur Untermiethe wohnenden früheren Stallmann und Fabriknachtwächter Friedrich Pratsch aus Seifershau in Schlesien vorsätzlich und mit Ueberlegung getödtet und Geldsummen, die ihm von P. anvertraul waren, unterschlagen zu haben. Die Ehefrau Lerch dagegen wird beschuldigt, Gegenstände, von welchen sie wußte, daß dieselben auf verbrecherische Art und Weise in den Besitz ihres Mannes gekommen waren, von diesem zum Geschenk angenommen, bezw. Geldsummen beiseite ge bracht, sich somit der Hehlerei und der Begünstigung schuldig gemacht zu haben. Der Sachverhalt ist folgender: Lerch war im Jahre 1893 gelegentlich eines Gulsverkaufs in Gnadenfeld in einen Zivilprozeß verwickelt, welcher für ihn, wie Lerch angiebt, zu Ungunsten entschieden worden sei. Um den Gläubigern etwaige Werthobjekte zu ent ziehen, verkaufte er sein Gut und kam nach Sachsen, wo- selbst er sein Geld (5000 Mk.) in Dresden bei verschiedenen Banken niederlegte. Am 30. Juni 1897 hob Lerch die Gelber ab und deponirte 4500 Mk. ans den Namen seiner Frau, die er am 22.Juni 1897 geheirathet halte, beider Sachs. Spar- und Kreditbank. Die gegen Lerch ange strengten Klagen und Zwangsvollstreckungen waren erfolg los geblieben, während sich Lerch weigerte, den Offenbarungs eid zu leisten. Im Jahre 1896 wurde das gegen ihn an hängige Verfahren wegen betrügerischen Bankerotts ein gestellt. Von Herrn Rechtsanwalt Kamm in Gnadenfeld war Lerch zur Zahlung von 12 Mk. 90 Pi. verklagt und da er nicht zahlen wollte, zur Ableistung oes Zeugeneides geladen worden. Am 27. Oktober beschwor Lerch die Richtig keit des von ihm aufgestellten Vermögensverzeichnisses, obschon er die erhebliche Summe von 4500 Mk , die er auf den Namen seiner Ehefran bei der Dresdner Bank hatte und die sein eigen war, sowie einen Betrag von 43 Mk. nicht angegeben hatte. Bis zu seiner Verheirathung wohnte Lerch mit dem getödteten Pratsch, welcher als Stall mann bei der Deutschen Siraßenbahngesellschaft beschäftigt war, zusammen. Pratsch zog aber auch nach der Ver heirathung Lerchs mit in dessen Wohnung. Pratsch soll äußerst sparsam gewesen sein und sehr zurückgezogen ge lebt haben. Nachdem er die Beschäftigung bei der Straßen- bahugesellschaft aufgegeben hatte, übernahm Pratsch die Fabriknachtwächterstelle bei der Firma Seidel L Naumann, welchen Posten Pratsch bis zum letzten Tag bekleidete. Sein Dienst erstreckte sich von Abends 6 Uhr bis Morgens 6 Uhr, während Pratsch den Tag über schlief. Am 8. Januar 1900 kam Pratsch erst früh 8 Uhr zu Hause und legte sich schlafen. Am Nachmittag kam Lerch in die Kammer des Pratsch, knüpfte mit diesem ein Gespräch an, wobei er dann wegen Geldangelegenheiten mit Pratsch in einen heftigen Wortwechsel gerielh. Lerch will dem Pratsch zwei bis drei heftige Schläge ins Genick versetzt haben, sodaß Pratsch zu Boden stürzte. Als Lerch den Geschlagenen am Boden noch röcheln hörte, will er ihm die Gurgel zu gedrückt und so den Tod des Pratsch herbeigeführt haben. Nachdem Lerch sah, daß sein Opfer todt war, holte er vom Boden einen großen Koffer, welchen er kurz vor der Mordthat erst gekauft hatte, schnitt den Kopf vom Rumpf ab, zwängte dm tobten Körper in den Koffer gewaltsam hinein und fuhr ihn mittels Handwagens in die Elbe, wo selbst er später aufgefunden wurde. Der Firma Seidel L Naumann fiel es auf, daß Pratsch, der sonst pünktlich zum Dienst erschien, am Abend des 8. Januar 1900 ohne jegliche Entschuldigung fernblieb, weshalb am andern Morgen der Wächter Nitzjche beauftragt wurde, in der Wohnung der Eheleute Lerch betreffs Pratsch Erkundigungen einzuziehen. In aller Ruhe erhielt Nitzsche hier von Lerch die Antwort, Pratsch habe sich angezogen und sei fortge gangen, was auch die Frau Lerch bestätigt haben soll. Als der Vater und der Bruder des ermordeten Pratsch sich beim Angeklagten Lerch nach dem Befinden seines Sohnes erkundigte, erhielten sie dieselbe Antwort. In der Rede Lerchs wurden sie noch durch die Auskunft bei der Polizei be stärkt, woselbst sie erfuhren, daß sich ihr Sohn nach Amerika abgemeldet habe. Der Vater nahm hierauf einen Koffer mit Wäsche, sowie den Lohn von 34 Mk., den Pratsch noch von der Firma Seidel L Naumann zu erhalten hatte, mit und reiste wieder nach Schlesien. Vom Tag des furcht baren Verbrechens waren fast zwei Jahre ins Laud ge gangen, und fast wollte es scheinen, als ob dieses furcht bare Verbrechen ungesühnt bleiben sollte; da, am 18. Januar 1902, schrieb Lerch, der im Besitz eines Sparkassenbuches des Pratsch war, an die Sparkasse des Hirschberger Kreises, wobei er daselbst anfrug, ob es nöthig sei, zwecks Abhebung der Summe von 1255 Mk. 70 Pfg. vorerst zu kündigen. Die Sparkassenverwaltung setzte von der Anfrage des Lerch den Vater des ermordeten Pratsch in Kenntniß, welcher sofort die Polizeibehörde in Dresden benachrichtete. Die Polizei stellte sofort Erörterungen an, welche er gaben, daß Lerch im Besitz des Hirschberger Spar kassenbuches, des Ringes und der Taschenuhr war. Nach längerem Leugnen hat sich Lerch bequemt, die ruchlose Schaudlhat zu gestehen. Pratsch hatte auch an die Frau Lerch eine Hypothekenforderung von 1050 Mk. abgetreten. Schon längere Zeit vor der Mordthat hat Lerch mit seiner Ehefrau gesprochen und ihr die Mordthat bekannt gegeben. Der Koffer ist ohne jeden sonstigen Grund angeschafft worden, was doch für die Absicht und reife Ueberlegung der Töotung spricht. Die Ehefrau will den Leichnam mit einem Strick um den Hals am Boden liegen gesehen haben, was vom Angeklagten bestritten wird, indem er behauptet, seine Frau sei am Tage der That gar nicht zu Hause gewesen, auch habe er sich den Koffer erst vorher gekauft. Die Aussagen des Lerch erscheinen als Ausflüchte, wodurch er die An gaben seiner Frau zu nichte machen will, auch versuchte er, den Tag und die Stunde als nicht mehr genau wissend hinzustellen. Am Tage der That hat Lerch von 6 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittags Dienst gethan und ist gegen 3 Uhr zu Hause gekommen. Während seines Zusammen- wohneus mit Pratsch will Lerch dem Pratsch ohne Schein und ohne jede Sicherheit nach und nach 7000 Mk. zum Aufbewahren übergeben haben, wovon Lerch 4000 Mk. zurück erhalten haben will, während Pratsch die Rückgabe des Restes Vorbehalten haben soll. In Wirklichkeit hatte Lerch am 8. Januar 1900, dem Tage der entsetzlichen That,