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Ierläge Amtliches. Wer Schnee aus den Gehöften auf Straßen oder öffentliche Plätze schafft, wird mit der in 8 366 Punkt 10 des Reichsstrafge- setzbuchs^angedrohten Strafe belegt. Wilsdruff, am 15. December 1879. Der StMgemeindmitl). Ficker, Brgmstr. Tagesgeschichte. Der Winter führt das große Wort und kein Kaiser, kein Prä sident und kein Disciplinargefetz kann es ihm entziehen. Er herrscht unumschränkt fast in ganz Europa und seltsamer Weise im hohen Nor den fast milder als im Süden und Westen. Frankreich hatte seit 1785 keinen so harten Winter. Am 8. Dez. Nachts waren in Paris 15, in der Ebene von St. Denis 26 Centigrad Kälte. In Paris brach das Dach der Markthalle unter der Schneelast zusammen. In der Hauptstadt und in den Provinzen gabs viele Ungläcksfülle, 2 Personen wurden vom Hirnschlag getroffen, 5 Landbriefträger erfroren im Schnee gefunden. Das Eis der Seine steht an vielen Orten, die Loire ist von Nantes bis ans Meer zugefroren. Die Bahnzüge und die Poften stocken, viele Gasleitungen sind in Paris eingefroren; der Gemeinde- rath hat Gelder bewilligt zur Einlösung aller im Leihhaus verpfändeten Federbetten. — (In Frankfurt mußte ein Franzos, der mit dem Straßburger Zug eintraf, durchs Fenster aussteigen, weil die Thüre des Wagens zugefroren war und nicht geöffnet werden konnte.) Berlin. Ein römisches Telegramm über Bismarcks Brief an den italienischen Senator Jacini, worin der deutsche Reichskanzler die theilweise Abrüstung als Programm der konservativen Regierungen bezeichnet, macht begreifliches Aufsehen. Man wird zunächst die Be stätigung der Meldung und in diesem Falle den genauen Text des Schreibens abzuwarten haben. Daß die unerträgliche Heereslast die schlechte Finanzlage auf dem Kontinent verschuldet hat, erklärte schon neulich Marquis v. Salisbury in Manchester. Man begrüßt die rö mische Meldung mit Freuden und erinnert daran, daß Graf Moltke gleichfalls unlängst die Rüstung Deutschlands und der andern Staaten als auf die Dauer unerträglich bezeichnet habe. Das geschah im Reichs tage. Ein Korrespondent der „N. Fr. Pr." behauptet, hinzufügen zu können, daß ihm vor längerer Zeit eine hervorragende politische Per sönlichkeit erzählte, es sei geradezu eiu Lieblingsgedanke Moltke's, auf den er ost zurückkomme, die Ueberflüssigkeit der großen Heere zu be tonen und darauf hinzuweisen, daß Friedrich der Große und Napoleon mit weit kleineren Armeen Krieg führten. Moltke sei nicht prinzipiell gegen Abrüstung, nur frage es sich, wer anfangen solle und wie man sich gegenseitig während derselben kontroliren solle. Mindestens scheint der Gedanke keine Chimäre mehr zu sein. Die Wehrkraft des deutschen Reiches wird demnächst im Norden eine wesentliche Verstärkung erfahren. Es wird als sicher an gesehen, daß in den nächsten Jahreu die Küstenbefestigung der Ostsee küste eine erhöhte Berücksichtigung zu Theil werden wird. Wie ver lautet, dürste hierbei zunächst auf eine ausreichende Befestigung von Wismar und der dem Hafen dieser Stadt vorgelegenen Insel Poel Bedacht genommen werden. Die Wichtigkeit dieses Ostseehafens liegt in seiner Wassertiefe Md Ausdehnung, so daß derselbe sich zur Auf nahme auch der größten Kiegsflotte eignet. In Sachen der Zollverhandlungen zwischen Deutschland und Oesterreich werden keine weiteren Verhandlungen der Bevollmächtigten stattfinden. Der provisorische Zustand soll auf diplomatischem Wege geregelt werden und im Uebrigen ist man in maßgebenden Kreisen der Meinung, daß Oesterreich auf die zollfreie Einfuhr der Rohleinen Verzicht leisten, und somit die Herstellung eines Meistvergünstigungs vertrages ermöglicht sein wird. In Stuttgart ist der Cirkus Herzog, der binnen Kurzem nach Dresden übersiedeln wollte, am 9. Dezbr. in den früheren Morgen stunden vollständig niedergebrannt. Der ganze Bestand an Kostümen, Requisiten und Sattelzeug ist verbrannt, dazu 6 Pferde und 2 Hirsche. Aber auch zwei Menschen, ein Reitknecht, der fahrlässige Veranlasser des Brandes, und sein bei ihm zum Besuch befindlicher Bruder, die im Cirkus schliefen, haben das Leben eingebüßt. Da nichts versichert war, so hat Herzog einen Verlust von beinahe 70,000 Mark zu tragen. Er soll übrigens Aussicht haben, daß die Hilfsbereitwilligkelt anderer Cirkushesitzer durch Darleihung von Kostümen u. s. w. ihm sein Auf treten in Dresden ermöglichen wird. In Gera und Greiz ist, wie von dort verlautet, in der Wollin dustrie eine immer noch fortschreitende Geschäftsentwickelung zu konsta- tiren. Der Absatz von wollenen Damenkleiderstosfen ist ein überaus flotter, so daß, um den Anforderungen nur einigermaßen Genüge lei sten zu können, fortwährend neue Mafchinen aufgestellt werden müssen. Die Fabriken sind noch auf lange Zeit hinaus beschäftigt. — Recht erfreulich! Bei dem St. Georgsfeste in Petersburg fand am 8. Dezember nach der üblichen Parade und dem Gottesdienste ein großes Diner im Winterpalaste statt, an welchem alle in Petersburg anwesenden Inhaber des St. Georgsorden Theil nahmen. Hier brachte der Kaiser den ersten Toast auf den ältesten Georgs-Ritter, feinen unwandel baren Freund, den Kaiser Wilhelm aus, der 65 Jahre das Großkreuz trage, ihm Glück und Gesundheit für noch viele Jahre wünschend. Mit begeisterten Hurrahruien ward der Toast ausgenom men, während die Musik die deutsche Nationalhymne anstimmte. Ein weiterer Toast des Kaisers galt den Inhabern des Georgsordens aller Klassen, wobei derselbe die jungen Truppen für ihre Tapferkeit im vergangenen Kriege belobte und schließlich den Wunsch aussprach, es möge Rußland auf friedlichem Wege sich entwickel» und glücklich und ruhmvoll sein. Den Toast auf deu Kaiser Alexander brachte der Kriegsminister Graf Miljutin aus. Die inneren Zustände Rußlands enthüllen sich immermehr als durchaus gefahrdrohend für die bestehenden staatlichen und socialen Einrichtungen des Czarenreiches. Daß die durch alle Gesellschafts klassen in Rußland weitverzweigte nihilistische Verschwörung durch die strengen Polizeimaßregeln keineswegs unterdrückt worden ist, beweisen die jüngsten Ereignisse in Rußland in schlagender Weise. Nicht nur stellen die Einzelheiten, welche über das Moskauer Attentat und die umsichtigen und wohlorganisirten Vorbereitungen zu demselben berich tet werden, eine zahlreiche Betheiligung an der Verschwörung außer Zweifel, sondern noch mehr thuen dies die neuesten Meldungen aus Odessa, nach denen in der Nähe des dortigen Bahnhofes, bei Aus grabung eines Wasserleitungsrohres, in der Erde drei Minen entdeckt wurden, welche mit einem Hause im Dragutinski-Perenlok-Viertel in Verbindung standen. Die Minen beschädigten in Folge ungeschickter Aushebung drei Häuser. Die Passage in dem genannten Viertel wurde polizeilich sosort eingestellt. Es hat sich hcrausgestellt, das selbst eine Anzahl Mitglieder der geheimen Polizei in Rußland im Solde der Verschwörer steht und es ist deshalb die Reorganisation der russischen geheimen Polizei angeordnet worden. Die demnächst zu erwartenden neuen Polizeimaßregeln sollen an Ausdehnung und Strenge alles über treffen, was darin dis jetzt geleistet worden ist. Petersburg. Den tiefsten Eindruck macht die Arretirung eines Menschen, in dessen Behausung außer einer Menge Dynamit auch ein bis in die kleinsten Details genauer Plan des Winterpalais gefunden wurde. Der Plau ist so vorzüglich korrekt und sauber, wie kaum ein solcher im Schloßarchiv besteht. Wie der Verhaftete zu demselben ge kommen, ist vorläufig noch ein vollständiges Räthsel. Einer Denkschrift der ungarischen Regierung zufolge ist den un glücklichen Szegedinern sowohl aus Oesterreich-Ungarn, als auch aus dem Auslande, namentlich aus Deutschland, eine sehr reiche Un terstützung zugefloffen. Abgesehen von Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Gerüchen sind an baarem Gelde bisher 2^2 Million Gulden eitt- gegangen, welche bei der ersten ungarischen Sparkasse angelegt worden sind und zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen verwendet werden sollen, nachdem der augenblickliche Nothstand durch die unmittelbaren Gaben gemildert und die Beseitigung der durch die Ucberschwemmung ge schaffenen Verwüstungen durch die Maßnahmen der Negierung in Gang gebracht worden ist. Möchte es auch im deutschen Reiche den Regie rungen im Verein mit der Privatwohlthätigkeit gelingen, die Noth, die jetzt in verschiedenen Gegenden an die Thüren der Armen Pocht, wenn nicht ganz zu beseitigen, doch erheblich zu mildern. Pest, 12. Dezember. Im Arader Komitat richtet der schwarze Körösfluß schreckliche Verheerungen an; mehrere Ortschaften liegen in Trümmern, die Bewohner flüchten in das Biharer Komitat, 10,000 Menschen sind obdachlos. — Im Unterhause bestätigte der Kommuni kationsminister die Ueberschwemmungsnachrichteu und theilte mit, daß die Regierung Maßregeln getroffen habe. Oertliches und Sächsisches. Wilsdruff. Vorigen Sonnabend Vormittags wurden unter zahlreicher Begleitung die zwei beim Brande des Kießig'schen Hauses Erstickten beerdigt. Die Gaben bei der seit einigen Tagen stattfinden den Haussammlung in unserer Stadt für die Familie Bretschneider, die Musikerlehrlinge und den Tischlergesellen fließen reichlich, auch von Auswärts gingen bereits in dankenswerther Weife Gaben für die Ge nannten ein. — Wie uns mitgetheilt wird, beabsichtigt der hier bestehende Geflügelzüchterverein im Laufe des Monats Februar nächsten Jahres allhier eine Geflügelausstellung zu veranstalten nnd wird der genannte Verein schon in nächster Zeit mit dem Näheren hierüber vor die Oeffentlichkeit treten. Hoffen wir, daß sich unsere ganze Um gegend daran recht stark betheiligt. — Nossen. Zu der diesjährigen ordentlichen Wahlsähigkeits- prüfung, die vom 3. bis 6. Dezember hier abgehalten worden, hatten sich 13 junge Lehrer gestellt. Sämmtliche Examinanden bestanden die (Prüfung; 2 erhielten die Zensur II (Sehr gut), 5 die Zensur III gut), 4 die Censur IV (ziemlich gut) und 2 die Censur V (genügend). — Durch Reskript des Justizministers ist in Sachsen die Bezeich nung „Advokat" aufgehoben und dafür der Titel „Rechtsanwalt" ein- geführt.— Immer zu spät. Humoreske von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung) „Sechs für eine", seufzte Emmy, „auf, Schwester Euphrosine vielleicht angelst Du den Senator mit Deinen delikaten Fischen und Pasteten, wenn er nicht für meine Poesien schwärmen sollte." Die träge Euphrosine seufzte ebenfalls und beneidete den Vater, der sich kläglicher Weise in sein Zimmer eingeschloffen hatte, um den Püffen seiner boshaften Ehehälfte zu entgehen, die sich eigentlich, wie er meinte, um einen Senator zu sehr ereiferte. — „Und Du willst wirklich nicht mit zu meinem Freunde Walduer?" fragte der Bürgermeister seine Gattin mit etwas gerunzelter Stirn. „Nein, lieber Mann!" versetzte diese fest; „bei Eurem Wieder sehen wäre meine Gegenwart nur störend, wie Du selber einsehen wirst; Ihr habt Euch seit dreißig Jahren nicht gesehen und müßt Euch so zu sagen erst aufs Neue kennen lernen." Der Bürgermeister mußte ihren Gründen Gerechtigkeit widerfahren lassen, doch war's ihm nicht recht und etwas brummend begab er sich auf den Weg; das war genug, um im Verein mit der Verspätung des Senators ihn gänzlich verstimmt zu machen. Mit einer wahren Wuth zog er deshalb die Klingel am Hause des Doktors der Theologie Herrn Johannes Waldner und mußte eine kleine Ewigkeit warten, bevor ein alter grämlicher Diener über die Flur schlürfte, um zu öffnen.