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Beilage zu Nr. 20 des Amts- u. Wochenblattes für Wilsdruff. Freitag, den 11. März 1881. Besondere Kennzeichen. Erzählung von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze", „Der rechte Erbe". Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Es war ein wunderherrlicher Frühlingstag. Ueber der prächtigen Landschaft lag ein lachender Himmel und es schien, als ob die blane Donau nur aus neckischer Laune sich hier in so viele Arme gespalten und nun ihre Fluthen übermüthig an den so gebildeten Inseln vor- übcrrauschen ließ. Selbst in dem ernsten, zur Schwermuth neigenden Mann jauchzte es auf. „Sie ist doch schön, unsere lustige Kaiserstadt!" Ganz im An schauen des herrlichen Gesammtbildcs versunken, das sich ihm darbot, hatte er auf Einzelheiten nicht weiter geachtet; da wurde er von seinem Töchterchen hastig am Rocke gezupft und aus seinem Sinnen durch de« Ausruf der Kleinen ausgeschreckt: „Papa, der Räuber!" Gertrud hatte in letzter Zeit ihn schon mehrmals mit diesem Ausruf in Verlegenheit gesetzt. Ihre aufgeregte Phantasie sah über all den Räuber auftauchen, wo sie einen Mann erblickte, der mit dem ihr vom Papa beschriebenen Menschen übereinzustimmen schien. Ob wohl Hartenberg nun selbst erkannte, daß er durch seine Schilderungen das Gemüth der Kleinen beunruhigt habe und er sie angewiesen, so etwas nicht mehr zu sagen, folgten unwillkürlich seine Augen der Richtung ihrer Hand, die ganz entsetzt auf eine» hohen schlankge wachsenen Mann zeigte, der dicht vor ihnen ging und wahrscheinlich die Absicht hatte, eines der Dampfschiffe zu besteigen, denn er trug in seiner Hand eine kleine zierliche Reisetasche. Der Banquier konnte den Fremden nur von hinten sehen und doch war kein Zweifel — da endlich war der blendend weiße, schön geformte Nacken, das feine zierliche Ohr — jene wunderbaren Abzeichen, die ihm beständig vor den Augen gestanden, die er niemals wieder vergessen gekonnt und die er so lange gesucht! Und zum Ueberfluß waren es dieselben ungewöhnlich langen Finger, die damals seine Börse in Empfang genommen, die jetzt den Griff der kleinen Reisetasche hielten. Trotzdem er sich seiner Sache noch nicht vollständich sicher fühlte, rief Hartenberg mit leiser Stimme: „Paul Pasko!" Der Fremde wandte augenblicklich den Kopf, blickte sich mit einem Ausdruck der Befremdung und Unsicherheit um und schritt dann rascher als bisher vorwärts. Dem Bangnier schwanden die letzten Zweifel; auch er bcschleu- nigtc seine Schritte und war in wenigen Sekunden an seiner Seite. „Hoffentlich erinnern Sie sich meiner, Herr Pasko!" redete er ihn jetzt ohne Weiteres an. Der Angeredete blieb eine Sekunde stehen und drehte Hartenberg ein ruhiges, wenn auch etwas blasses Antlitz zu: „Nein durchaus nicht," war feine gelassene Antwort. Er mußte bereits seine Selbstbeherrschung wiedergcwonnen haben. „Wirklich nicht!" fragte der Banquier sarkastisch. «Nein, ich Hape nicht die Ehre!" Die Antwort des Fremden klang jetzt kühl uud auf seinem Gesicht prägte sich deutlich die Unge duld aus, die er empfand. Sicher wollte er das nächste Dampfschiff benutzen und war beforgt, daß er durch dieses lästige Begegniß zu spät kommen könne. Es war ein feines, echt aristokratisches Antlitz, das mit seiner vornehmen Blässe und seinem edlen Schnitt jene echt männliche Schönheit auswies, wie sie in dieser Vollendung den besten Geschlechtern Ungarns eigenthümlich ist. Der Mund war klein und wies jetzt bei dem kalten Lächeln, das nm seine schön geformten Lippen glitt, die herrlichsten Zähne. Nur in die großen blauen Augen hatte sich noch nicht ein Ausdruck von Ungeduld verirrt, sie blickten mit ge wohnter vornehmer Ruhe auf den noch immer neben ihm herfchreitenden Mann, der ihn mit seinen Frage» belästigt. „Aber ich hatte die Ehre uud zwar unter sehr eigenthümlichen Umständen!" und der Banquier fuhr in demselben sarkastischen Tone fort: „Sollten Sie sich wirklich nicht mehr erinnern, auf welche Weise wir unsere Bekanntschaft machten, oder vielmehr ich die Ihrige noch dazu auf eine sehr unfreiwillige Art? Ich habe ein besseres Gedächtniß dafür bewahrt, Herr Pasko, was mir freilich nicht zu verargen ist, das müssen Sie selbst eingestehn." — „Ich versichere, daß Sie im Jrrthum sind," entgegnete der Andere: „und wer sagt Ihnen denn überhaupt, daß ich Herr Pasko bin?" Die imponirende Ruhe, die ganze Erscheinung des Fremden übte doch auf den Banquier einen wahrhaft bestechenden Eindruck aus. Wie er auch darnach gelechzt, daß der freche Räuber seine Strafe erhalten möge- sitzt, wo er ihm gegenüberstand und er ihn in seinen Händen hatte, siegte über ihn eine edlere, bessere Empfindung: „Das ist es eben, was ich wissen will," erwiderte er rasch: „Befriedigen Sie meine Neugier: Sagen Sie mir, wer sie sind und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß hier unsere Bekanntschaft enden uud für Sie keine weiteren Folgen haben foll. „Was meinen Sie, mein Herr," fragte dieser noch immer kühl und befremdet. ... Hartenberg ließ sich von dieser vornehmen Ruhe nicht irre machen: „Ich weiß sehr wohl, daß Sie mich vollkommen verstanden haben. Aber noch eine Bedingung lege ich Ihnen auf. Geben Sie mir den alten Dukaten zurück, der sich damals in meiner Börse befand und der das Bilduiß Max H- trägt. Es ist ein theures Andenken in un serer Familie und wenn Sie es wünschen, will ich seinen Werth vier fach ersetzen. Ich denke, damit erkaufen Sie mein Schweigen wahr haftig nicht zu lheuer." Der Banquier streckte ihm die Hand entgegen, um ihm den Beweis zu liefern, daß er den ihm gespielten bösen Streich ganz nnd gar vergessen wolle. Das Gespräch der Beiden war bisher im leisen, wenn auch Sei tens des Bauquiers in etwas erregtem Ton geführt worden. Der Fremde hatte Hartenberg ausreden lassen, dann aber war. seine Ge duld zu Ende; die bisher so ruhig dreinschauenden blauen Augen blitzten, über sein blasses Gesicht zuckte Stolz und Entrüstung, auf seine Lippen drängte sich eine zornige Entgegnung, er wußte sich aber noch zu fassen und mit vornehmer Selbstbeherrschung sagte er kalt und höhnisch: „Belästigen Sie mich nicht ferner mit ihrem Geschwätz, sonst muß ich fürchten, daß Sie dem Jrrenhause entsprungen sind und mich nach einem Polizeibeamten umsehen, der mich von Ihrer Gegen wart befreit." Dabei stieß er verächtlich die Hand des Bauquiers weg und wollte sich rasch entfernen. Hartenberg hatte den jungen Mann schonen, ihn durch Edelmuth beschämen wollen; die Frechheit des Fremden ließ ihn seine gute Absicht vergessen; mit seiner Geduld war es zu Ende. „Dann will ich Ihnen zuvorkommen!" sagte er erbittert, ergriff seinen Arm und hielt ihn mit aller Gewalt fest, indem er rief: „Hülfe, Hülfe! ein Dieb! ein Dieb!" Die kleine Gertrud war nicht von der Seite ihres Vaters ge wichen und hatte wacker Stand gehalten, als die Beiden rascher da hin schritten, jetzt schrie sie ebenfalls ganz verzweifelt: Der Räuber! der Räuber!" Da der Landungsplatz ohnehin außerordentlich belebt war, strömten rasch eine Menge Leute herbei und an ein Enlkonnm>n des Fremden war nicht zu denken. Er machte auch nicht den mindesten Versuch dazu und blickte so ruhig auf seine höchst aufgeregte Umgebung, als werde er von den Vorfall selbst nicht betroffen. Den schönen Kopf in den Nacken geworfen, sagte er stolz und hochfahrend: „Lassen Sie sich nicht von einem Wahnsinnigen irre führen und machen Sie mir Platz!" Die Unverschämtheit des Fremden hatte Hartenberg auch seine Besonnenheit wiedergegeben; es galt hier, auf der Sielle die gute Wirkung zu zerstören, die so eben die ruhige Haltung nnd die Aeußer- ung des Andern hervorgebracht, und er sagte rasch: „Meine Herren, ich bin der Banquier Hartenberg und wurde vor etwa einem Jahre von diesem Menschen auf offener Landstraße angefallen und all' meiner Baarschaft beraubt. Ich habe den frechen Räuber endlich entdeckt, er kenne ihn genau wieder, und nun helfen Sie, daß er mir nicht ent wischt." Damit war die Sache für das herbeigeströmte Publikum ent schieden, der Eine der Streitenden hatte seinen Namen genannt, der bekannt und geachtet war und der damit für die Wahrheit seiner An gaben bürgte; warum that der Andere nicht dasselbe, wenn er diese schloere Beschuldigung nicht entkräften wollte? — Er blickte nur kühl und verwundert um sich, als könne er die ganze Sache nicht begreifen; aber er schien selbst einzusehen, daß all' seine Bemühungen, hier seine Unschuld zu beweisen, doch vergeblich seien, und er strich mit der sreien Linken über die Stirn, als wolle er sich überzeugen, daß er nicht träume. - Jetzt kamen schon Polizeibcamtc, die durch den Lärm und das entstandene Getümmel herbeigelockt worden. Hartenberg überreichte einem derselben seine Karte und sagte fest und bestimmt: „Verhaften Sie diesen Menschen, es ist ein Straßenräuber, der mich auf einer Reise durch den Bakonywald überfallen und ausgeplündert hat." Und als er sah, daß die vornehme Erscheinung des Fremden die Be amten etwas stutzig machte, fuhr er entschiedener fort: „Lassen Sie ihn den Handschuh ausziehen und Sie werden am Daumen seiner Linken ein Zeichen finden, was wie ein Stern aussieht. Ich habe diesen Stern deutlich bemerkt, als er damals nach meiner Brieftasche die Hand ausstreckte. Sehen Sie nach, und wenn Sie dieses seltsame Zeichen nicht finden, nun dann — dann habe ich mich bitter ge täuscht," — setzte er mit einem schweren Athemznge hinzu. Bei den letzten Worten verlor der Fremde seine bisher so ent schieden zur Schau getragene Sicherheit und vornehme Ruhe. Sein schönes regelmäßiges Antlitz verrieth deutlich ein heftiges Erschrecken und die eben noch vor Entrüstung etwas gerötheten Wangen bedeckte jetzt eine Todtenblässe. Er schien sichtbar unentschlossen, waD er thnn solle, seine blauen Augen irrten, wie die eines anfgeschenchten Wildes, das nach einer Gelegenheit zum Entkommen ausspäht, angstvoll umher. Ein Blick auf die ihn dicht umgebende Menge mußte-ihn überzeugen, daß jeder Fluchtversuch unmöglich fei und daß ihm nichts Anderes übrig bleibe, als sich in sein Schicksal zu finden. — Wie er auch sich gewaltsam aufzuraffen suchte, seine ruhige im- ponirte Haltung von vorhin war verloren und nur mühsam preßte er hervor: „Ich muß bitte», mir Raum zu geben, denn ich versäume sonst das Dampfboot." Jetzt konnte diese kecke Aeußeruug keine Wirkung üben. Zu deut lich halte man die Bestürzung des Fremden bemerkt und der Banquier, der nun seiner Sache völlig sicher war, drängte von Neuen,: „Ziehen Sie nur dem Pasko den Handschuh aus, und bedenken Sie, daß ich vorher feine Hände nicht sehen konnte, ihn seit jenem Ueberfaü im Bakonywalde nie geiehen habe und Ihnen dennoch sage, Sie werden am Daumen seiner Linken einen kleinen Stern finden, der schwarz umrandet ist und so aussieht, als ob er eingebrannt wäre." Die Beschreibung Hartenbergs war zu genau und die Polizeibe amten drangen jetzt in den Fremden auf sofortige Entblößung seiner Hand. Einen Augenblick stand der Mann unschlüssig und nagte an seiner Unterlippe, daß sie blutete. Die seltsamsten Empfindungen, Schreck, Staunen und stolze Entrüstung über die ihn beschimpfende Zumuthung prägte sich in seinem schönen edlen Antlitz aus. Er schien noch zu schwanken, ob er nicht dem Ansinnen der Polizei offenen Wiederstand entgegensetzen solle, da mochte ihm plötzlich der Gedanke überkommen, daß doch Alles vergeblich sei und mit einem bitten,, verzweifelten Lächeln sagte er: „Bemühen Sie sich nicht weiter. Das Sternchen ist da, von dem jener Herr spricht, uud dennoch habe ich ihn nie ge sehen, am allerwenigsten seines Geldes beraubt. Ich schwöre Ihnen dies bei Allem, was mir heilig ist!" Er hob die Hand in die Höhe, seine blauen großen Augen leuchteten seltsam und wäre nicht bereits durch die Angaben des Bauquiers ein Vorurtheil gegen ihn geweckt worden, so würde man an der Wahrheit seines Wortes kaum gezwei felt haben. So aber machte seine feierliche Betheuerung keinen Ein druck, man hielt, sie nur für den letzten verzweifelten Versuch des Fremden, sich zu retten. .