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Tausende umstehen und betrachten die Mordstätte Strelnikoff war nach Odessa abkommandirt, um die Untersuchungen in den wichtigsten politischen Prozessen zu beaufsichtigen. In Moskau sind in den letzten Tagen wieder achthundert jüdische Familien ausgewiesen worden. Die meisten Personen wurden Nachts aus den Betten geschleppt und auf's freie Feld gesetzt. Vaterländisches. Wilsdruff. Am Sonnabend Vormittag 10 Uhr wurde der neugewählte Herr Bürgerschullehrer Bang aus Meißen im hiesigen Schulsaale vor versammeltem Schulvorstande, dem Lehrerkollegium und den obersten Schulklassen von dem Königlichen Bezirksschulinspector Herrn Wangemann aus Meißen für sein neues Amt als Oberlehrer hiesiger Bürgerschule verpflichtet und feierlichst eingewiesen. — Bei den in voriger Woche stattgefundenen Schulexaminas konnte man wie derholt die freudige Wahrnehmung machen, daß die Fortschritte in allen Classen recht erfreuliche sind; hauptsächlich wvhlthuend fürs Auge waren die größteutheils recht sauberen Schreibhefte rc., ebenso befriedigten auch die Examinas in den andern Fächern; mit vielem Interesse auch wurden namentlich von Frauen die in einem Neben zimmer ausgelegten netten Näh-, Stick-, Strick- und Häkelarbeiten der Mädchenklassen in Augenschein genommen. Der Gesammteindruck auf den unparteiischen Besucher mußte der sein, daß unsere Schule andern gutbestellten Volksschulen würdig zur Seite zu stellen ist. Das Lehrerkollegium ist glücklicherweise jetzt durch deu Eintritt des neuen Oberlehrers auch wieder vollständig, und so können wir diesen kurzen Bericht über Misere Schule mit dem am Sonnabend bei der Einweisung des vorgedachten Herrn Oberlehrer mehrfach ausgesprochenen Wunsche schließen: daß durch vereintes und opferfreudiges Wirken feiten des Lehrerkollegiums, der Behörden und Bürgerschaft der größte Segen für unsere Schule und Siadt erwachsen möge. — Der bisherige Vertreter des VII. Wahlkreises (Meißen-Gro ßenhain), Herr Prof. Rich ter-Tharandt, wird, wie zuverlässig be richtet worden, sein Reichstagsmandat demnächst niederlegen. Herr Prof. Richter ist bekanntlich neuerdings auch mit dem Vortrag über Nationalökonomie an der Bergakademie zu Freiberg beauftragt worden, dieser Doppelstellung fürchtet er nicht genügen zu können, wenn er das Mandat beibehält. Wer an Stelle des Herrn Prof. Richter, der sich im Reichstag der deutschen Reichspartei (freikonservativ) zuzählte bez. zu deren hervorragendsten Mitgliedern gehörte, aufgestellt werden wird, ist noch zweifelhaft. — Bei dem Prinzen Albert, dem jüngsten Sohne Sr. köni glichen Hoheit des Prinzen Georg, wurden in den letztvergangenen Monaten Blutungen zwar etwas seltener beobachtet, gleichwohl aber ist eine Zunahme der Kräfte nicht eingetreten-, die Krankheitserschei nungen dauern unverändert fort, der Prinz verweigert fast jede Fleisch nahrung und liegt fortwährend zu Bett. — Leipzig. Auffallend ist dieses Frühjahr in der hiesigen Gegend, sowie auch anderwärts, das starke Angebot von großen Quan titäten Kartoffeln und zwar zu billigen Engrospreisen, wie man sich deren kaum erinnern kann. So werden z. B. der Centner gute Speise kartoffeln für I Mk. 75 Pfg., Futterkartoffeln der Centner für 1 Mk., ja bei Entnahme von größeren Partien der Centner fogar für 75 Pf. offerirt. Fast eine jede Gutswirthschaft mit stärkerem Kartofselbau hat von dieser Frucht noch so viel, daß sie nm jeden Preis zu ver kaufen sucht, während viele Landwirthe, welche sonst erst im Frühjahr ihre überzählige Kartoffelfrucht zu verkaufen Pflegen, bei den billigen Preisen es vorziehen, die noch vorräthigen Kartoffeln als Futtermittel zu verwerthen. Uebrigens mag der milde Winter und das zeitige Frühjahr ebenfalls nachtheilig für die Konsumtion, resp. den Preis der Kartoffelfrucht gewirkt haben. — Aus Thum berichtet das „Chemn. Tgbl.": Am Sonnabend vor acht Tagen wurde hierselbst ein fröhlicher Ball der diesjährigen Rekruten durch das Plötzliche Erscheinen des Wachtmeisters auf kurze Zeit unterbrochen. Derselbe ließ durch den Vorstand auf höfliche, aber bestimmte Weise mehrere Anwesende auffordern, den Saal zu verlassen, — weil sie die vorjährigen Steuern noch nicht bezahlt hätten. Viele Theilnehmer des Festes schienen die Bekanntmachung des Stadt- rathes, in Folge deren den restirenden Steuerzahlern Tanzvergnügen rc. verboten sind, ganz übersehen zu haben. Das angewendete Mittel wirkte auch, denn um dableiben zu können, bezahlten viele sofort, so daß der Wachtmeister über 30 M. an die Stadtkasse abliefern konnte. Unter Stürmen. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Zwei Höfe", „Schein und Sein" rc. (Fortsetzung.) Der Graf sah an der stolz abwehrenden Bewegung Herminens, daß sie seine Handlungsweise nicht billigte und auch von dem Antlitz Ottomars schien er seine Verurteilung abzulesen und er fuhr mit leiser, tief bewegter Stimme fort: „Verzeiht mir! ... Ich will alles wieder gut machen . . . Das Schicksal Hal mir sa schon den Weg gezeigt ... Du hast Recht, Ottomar, — Eure junge Liebe soll allen Haß, aber auch alle Schuld begraben . . ." Er reichte seinen Kindern, die an seinem Bette kniete», beide Hände hin, die sie mit Küssen bedeckten. Für das tiefe Glücksempfinden, daß jetzt durch ihre Herzen wogte, gab es keine Worte. In diesem Augenblicke wurde die Thür aufgerissen und die alte Gräfin stürmte herein. Sie mußte eben aus dem Bette gesprungen sein, denn sie war nur mit einem Hemd bekleidet und hatte sich eine Steppdecke um den magern Leib geschlungen. Trotzdem Ottomar den strengsten Befehl gegeben hatte, die Großmutter sorgfältig zu bemachen, mußte sie doch ihren Wärtern entschlüpft sein. Vielleicht hatte sie sich mit der ihr eigenen Schlauheit schlafend gestellt und so ihre Wächter getäuscht. — Deutlicher als je schaute der Wahnsinn aus ihrem un ruhig umherirrenden Augen, aus ihrem wildverzerrten Antlitz. „Das ist der Dank für die schweren Opfer, die ich Dir gebracht, Elender!" rief sie mit Heller, schneidender Stimme und eine entsetzliche Wuth entstellte noch mehr ihre Züge. „Ich habe alles für Dich ge- than und Du weisest mich von Dir! — Du läßt mich einsperren wie eine Verbrecherin! Aber ich bin nie so thöricht gewesen, mich ganz in seine Hände zu geben, das weißt Du auch recht gut! — Willst Du den Trauschein?! — Hier hab ich ihn!" — und sie hielt triumphirend ein vergilbtes Blatt Papier in die Höhe. „Da wirst Du wohl fügsam werden und nicht länger mehr mich schlecht behandeln!" Jetzt erst schien sie Ottomar zu bemerken. Seitdem ihr Enkel, so schmerzlich es ihm auch war, ihrem Willen energisch entgegentreten gemußt, und sie durch Bitten, zuletzt durch strenge Maßregeln von ihrem Sohne fern zu halten gesucht, schien selbst die blinde abgöttische Liebe für Ottomar in ihrem trotzigen Herzen erloschen. Sie war es einmal nicht gewöhnt, daß irgend jemand ihrem Willen Widerstand leistete und ihre Herrschaft zu brechen wagte. Sie starrte ihren Enkel mit den grauen unruhigen Augen grollend an. „Ihr seid Alle hier, sogar Hermine! . . und ich darf es nicht fein?! Ich allein habe zu befehlen und ohne mich seid ihr Alle . . ." sie machte eine bezeichnende Handbewegung, die sagen sollte — im Staube. Der Graf wollte etwas entgegnen, aber sein Sohn kam ihm zu vor: „Du irrst Dich," begann er ruhig, der alten zornigen Frau ent schlossen gegenübcrtretend. „Alles Unheil kommt von der schweren Schuld her, die Du ans Dich geladen. — Du bist selbst darüber nie zur Ruhe gekommen und hast dem unglücklichen Papa auch keine Ruhe gelassen." Die alte Gräfin stieß ihr wildes zorniges Lachen aus, das ihr so eigenthümlich war und blickte ganz erstaunt auf ihren Enkel. — Diese Sprache kam ihr so unerhört, so seltsam vor, daß sie darauf nicht gleich eine Antwort fand. Ohne sich einschüchtern zu lassen, fuhr Otto mar fort: „Nie giebt es ein wahres Glück, das sich nur auf dem Unglück anderer ausbant, die wir ins Verderben gestürzt! — Du hast Deinen Stiefsohn aus dem Erbe getrieben und bist darüber friedlos geworden und uns Allen hast Du die tiefste Demüthigung bereitet, daß wir im jahrelangen Unrecht gelebt und einen Besitz genossen, aus den wir kein volles Recht hatten. —" Hermine trat an die Seite des Bruders und drückte ihm warm die Hand. Was er soeben aussprach, stand im vollen Einklang mit ihrem eigenen, so stolzen Empfinden und sie freute sich, daß in Ottomars Brust dies hohe Rechtsgefühl ebenso lebendig war, wie in der ihrigen. „Und was sagst Dn dazu, Hugo?" rief die Gräfin und wandte die Blicke scheu von ihrem Enkel ans ihren Sohn, als erwarte sie von diesem wenigstens eine Anerkennung ihres Thuns. „Ottomar hat Recht", sagte dec Graf leise. „Wir Alle wären glücklicher geworden . . ." „Elender! Undankbarer!" schrie die Alte wild auf und sie halte sich in ihrem wahnsinnigen Zorn auf ihren Sohn gestürzt, wenn sie Ottomar nicht zurückgehalten. Dennoch gelang es selbst seiner jnngen Kraft nicht, der völlig Rasenden Herr zu werden; Hermine mußte die Diener herveiklingeln, und erst nach dem furchtbarsten Widerstande, bei dem sie die grauenhaftesten Verwünschungen gegen ihren Soh» ausstieß, wurde die in Tobsucht verfallene alte Gräfin überwältigt und hinweggeführt. Der entsetzliche Auftritt übte auf den Verwundete» die schlimmste Wirkung aus. Er gerieth i» die fieberhafteste Aufregung und dann erfolgte eine plötzliche Erschlaffnng aller Kräfte. Stundenlang lag er mit geschlossenen Augen und nur ein zeitweiliges Zucken derGelichts- muskeln, eia leises, kaum hörbares Athemholen verrieth, daß er noch lebe. Wohl sprach sich der herbeigerufene Arzt noch immer beruhigend aus; aber der Zustand des Grafen verschlimmerte sich mit jeder Stunde. Schon zeigten sich die ersten Symptome des Genickkrampfes. Der Graf vermochte nicht mehr das Mindeste zu genießen, klagte über furchtbare Schmerzen im Halse und seine Leiden wurden immer größer. Es war eine entsetzliche Nacht, die Ottomar und Hermine an dem Bett ihres Vaters zubrachten, denn auch der Erstere, wie der Arzt, wichen nicht mehr von der Stelle. Zuweilen schnellte der Verwundete konvulsivisch den Kopf in die Höhe, daß er nur mit aller Mühe zurückgehalten werden konnte und das krampfhafte Stöhnen seiner Brust verrieth, welch furchtbare Qualen iu ihm tobten. Manchmal schien er völlig geistesabwesend zu sei» und er sprach wie im Fieber das verworrenste Zeug; aber noch ein mal schien volles Bewußtsein in ihn zurückzukehren, denn er blickte seinen sich zärtlich über ihn hiuwegbengenden Kindern voll nnd klar in die Augen und flüsterte: „Lebt wohl, lebt wohl! . . . Seid glück lich ! ... Ich segne Euch und Enre Liebe . . ." danil schloß er schon wieder die Augen. Noch eine schwere, surchtbare Stunde und der Graf hatte über wunden — fein Geist war dieser Erde entrückt. Nnr das Unglück hat eine lange Geschichte, — das Glück ist mit wenigen Worten erschöpft. — Der alte Federigo vermochte es kaum zu fassen, daß ihm plötzlich vas Schicksal die Befriedigung gewährte, nach der er so viele Jahre vergebens gelechzt und auf die er bereits verzichten gelernt. „An den Grafen Lorenzo Dörnthal", — lautete die Aufschrift eines Briefes, den Federigo in den zitternden Händen hielt und den ihm soeben ein vertrauter Bote des jungen Grafen überbracht hatte. Ottomar berichtete ihm darin das unerwartete Hinscheiden des Vaters, bekannte ihn: offen und ehrlich, zu welcher Entdeckung es ge kommen sei und wie er sich nicht berechtigt fühle, das väterliche Erbe anzutreten, sondern verpflichtet halte, dasselbe in die Hand des ältesten Grafen Dörnthal zurückzulegen. Er bat zugleich in den wärmsten und herzlichsten Ausdrücken für feinen Vater um Verzeihung, deu nur die Schuld treffe, daß er später nicht stark genug gewesen sei, ans einen Besitz zu verzichten, der ihm nnr durch die Hinterlist seiner Mutter zugefallen. — Er habe ja schwer genug dafür gebüßt, denn er sei nie zu einem vollen, ruhigen Genuß gekommen und habe in seinen letzten Lebensstunden alles tief und schmerzlich bereut. Der junge Gras bat nm eine baldige Unterredung nnd baß der Oheim seinem Vater die letzte Ehre erweisen und der Beisetzung in die Erbgruft beiwohnen möge, als ei» Zeichen, daß der Tod ihn mit seinem Stiefbruder ver- föhnt habe. Federigo vermochte nach den: Lesen des Briefes kaum zu athmen und doch fiel es wie Bergeslast von seiner Brust. Er war nicht mehr ein Bastard, die Leute „da drüben" erkannten ihn völlig an und wollten ihm den entrissenen Besitz zurückgeben. Es war zu viel des Glückes! ... die Kniee wankten ihm und er sank auf einen Stuhl zurück. — Von dem Enkel dieser unruhigen, ränkesüchtigen Frau hatte Fe derigo einen solchen Wahrheits- und Opfermuth nicht erwartet. Otto mar gewann bannt auf immer sein Herz. Nun wußte er, daß er ruhig das Geschick seines lieben, theuren Kindes dem jungen Manue anvertrauen konnte. Mit dem Briefe in der Hand eilte Federigo zu seinem Sohne. Dieser war nicht wenig erstaunt über das plökliche Erscheinen und die ungeheure Aufregung des Vaters. Hatte er doch seit der Rückkehr Arnos nie wieder dessen Zimmer betreten. — Auch von der sonstigen Külte und Zurückhaltung war an dem alten Manne heute gar nichts zu spüren. „Arno, ich habe Dir eine wichtige Mittheilung zu machen," be gann er mit bebender Stimme und seine Augen flammten. „Da lies!" — und er wollte ihm den Brief geben. „Doch nein! — Vorher muß ich Dir alles fagen, sonst kannst Du nichts verstehen und hältst alles für einen tollen Scherz." (Schluß folgt.)