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dessen erinnert ein Moskauer Blatt an einen anderen Fall, in welchem mehrere Geschworene sich an die freigesprochenen Angeklagten mit der Bitte wandten, irgend etwas zum Ankauf von Nahrungsmitteln zu geben, da sie schon mehrere Tage nichts gegessen hätten; das Blatt bemerkt hierzu: „Hungrige Geschworene, welche nur darauf denken, wie sie für den folgenden Tag einen Bissen Brod erlangen können, sind schlechte Bürgen für eine korrekte Führung der Rechtspflege; übrigens sind dergleichen Fälle, wie die eben erwähnten, nicht selten." In ganz eigenthümlicher Nothlage beziehentlich ihrer ehe lichen Verhältnisse befinden sich zur Zeit in Rußland einige tausend Soldatenfrauen, denen die Regierung durch Gesetz beizuspringen für angezeigt gehalten hat. Nach den bestehenden Gesetzen dürfen die Frauen der nach einem Kriege verschollenen Soldaten nicht vor Ablauf von 10 Jahren, von der Beendigung des Krieges an gerechnet, eine neue Ehe eingehen. Nach dem letzten türkischen Kriege sind bisher 13,OM Soldaten spurlos verschollen. Nm den Fronen derselbe» die Möglichkeit zu gewähren, durch Eingehung einer zweiten Ehe ihre Lage zu verbessern, ist an maßgebender Stelle die Entscheidung getroffen worden, die Wartefrist von 10 Jahren herabzusetzen, und zwar von 10 auf 5 Jahre. Nach dem Krimkriege war übrigens die Zahl der Verschollenen weit größer: 60,000 Mann mehrerer Chargen, darunter 20,000 Mann Verheirathete, waren damals spurlos verschwunden. Waterländisches. — Die sächsische zweite Kammer, welche unter ihren Mitglie dern bekanntlich 4 Sozialdemokraten zählt, ist in ihrer gegenwärtigen Session schon öfter der Schauplatz heftiger Szenen gewesen, die durch die sozialistischen Abgeordneten hervorgerufen wurden. Auch in der Freitagssitzung kam es wieder zu einer turbulenten Szene, deren An laß eine Beschwerde des Scharwerksmaurers Lorenz in Großenhain wegen des vom dortigen Stadtrath erlassenen Verbotes einer sozial- demokratischen Versammlung war. Die Petitions-Deputation batte die Ablehnung der Beschwerde empfohlen, was dem Abgeordneten Liebknecht Gelegenheit zu einer seiner bekannten Tiraden gab. Im Verlaufe der Debatte kam es dann zu sehr gereizten, zum Theil per sönlichen Auseinandersetzungen zwischen den sozialistischen Abgeord neten und andern Kammermitgliedern, namentlich den Abg. Gelbke und Günther, wobei der Aba. v. Vollmar bestätigte, daß er und seine Freunde voll und ganz auf dem Boden der Revolution stünden. Ein Schlußantrag beendigte zu Aller Genuglhnung die unerquickliche Debatte. — Die Vorstände sämmtlicher Vereine des Dresdner-Turn gau es traten am vergangenen Donnerstag zur Bildung eines Acht zehner-Ausschusses zusammen, der mit der Aufgabe betraut wurde, einem später aus der Mitte der Dresdner Bürgerschaft zu bildenden Centralausschusse mit der Erledigung einer Anzahl Vorarbeiten zu dem im Jahre 1885 in den Mauern Dresdens stattfindenden sechsten deutschen Turnfeste an die Hand zu gehen. Aus den Verhand lungen war ersichtlich, daß vorbereitende Maßnahmen demnächst nur hinsichtlich der Wahl eines Festplatzes, sowie in turnerischen und finan ziellen Angelegenheiten zu treffen sein dürften, ebenso möchte nicht unerwähnt bleiben, daß Dresdens Turner von der unzweifelhaft hohen Bedeutung und Tragweite der ihnen gestellten Aufgaben durchdrungen sind und daß man in diesen Kreisen gleichzeitig bereit ist, mit Hin gebung und regem Eifer an einer zwar schwierigen, jedoch dankbaren Arbeit gebührenden Antheil zu nehmen. — Bekanntlich leugnen die Sozialdemokraten alle und jede Gemeinschaft mit den Nihilisten. Eine eigenthümliche Illustration dazu bringt die neueste Nummer eines von den Nihilisten in Peters burg herausgegebenen Blättchens, indem sich in der Ausstellung der bei dem revolutionären Komitee in Genf eingelaufenen Geldern unter den nichtrussischen Spenden sich auch eine Sendung ,,von den Genossen in Zwickau (Sachsen)" befindet. — Ueber die Benutzung der Guillotine in Sachsen dürften nach stehende Mittheilnngen von weiterem Interesse sein. Die erste Hin richtung mittelst Fallbeiles geschah am 3. Januar 1853 in Chemnitz. In den ersten drei Monaten desselben Jahres fanden noch zwei weilere Hinrichtungen in Döbeln und im Vogtlande statt. Während der Zeit von 1865 bis 1882 ruhte das gefährliche Instrument ganz und gar. Erst im Sommer 1882 wurde die Todesstrafe mittelst der Guillotine wieder an dem Ziegeldecker Anton in Bautzen, im Oktober 1882 an dem 21 Jahre alten Tischler Apitzsch in Freiberg, sodann am 29. De zember 1882 an dem dreifachen Mörder Bock in Bautzen und schließ lich an dem Handarbeiter Rabe aus Merseburg und dieser Tage in Freiberg an dem Mörder Schmidt vollzogen. — Während der ganzen ersten Hälfte des Juli wird in Lom matzsch im Schützenhause eine Gewerbeausstellung statlfinden, die der dortige Gewerbeverein ins Leben ruft. — Ein netter Winter — wenn die Kirschen im Januar blühen! Dies geschieht jetzt im Garten des Hotels zur „Stadt Dresden" in Sebnitz. — Am 9. d. M. wurden in Jahna bei Oschatz die Weber'schen Eheleute verhaftet, weil sie dringend verdächtig sind, ihr am 6. ds. niedergebranntes Wohnhaus selbst angezündet zu haben. — Als am 8. d. M. Abends der von Leipzig nach Hof gehende Courierzug in die Nähe des Bahnwärterhäuschens bei Paditz ge kommen war, lief das 3jährige Kind des dienstfreien Bahnwärters aus dem Hause heraus und mitten in das Gleis hinein, auf welchem der Zug heranbrauste. Der dienstthueade Bahnwärter das Kind so gleich bemerkend, rief ihm vergeblich zu, aus dem Gleise zu gehen, es bleibt ruhig stehen. Da eilt im letzten Augenblick der Bahnwärter hinzu, reißt das Kind vor dem Zuge weg, kommt dabei aber zu Falle und rettet sich und das Kind vor dem Ueberfahrenwerden nur dadurch, daß er sich mit demselben aus dem Gleise wälzt. Wenn auch das Bewußtsein, ein Menschenleben vor unfehlbarem Verderben gerettet zu haben, von keiner Belohnung übertroffen werden kann, so verdient die muthige That doch jede öffentliche Anerkennung. — Die Ausgrabungen im Schloßbrunnen zu Stolpen liefern in immer größeren Mengen Waffen, Waffentheile und dergleichen. Ueber 1M0 Kanonen- und Falkonelkugeln liegen bereits über Tage und noch sind unten ganz bedeutende Vvrräthe vorhanden. — Ein gräßliches Unglück passirte am Montag früh beim Bau der Sekundärbahn bei Oschatz. Als nämlich 6 beladene Lowrys befördert wurden, glaubte der Schachtmeister Huhle aus Deuben bei Dresden wohl, daß die Wagen bei einer abschüssigen Stelle zu schnell fahren könnten, und sprang daher auf den ersten Wagen, um die > Bremse fester anzuschrauben. Damit noch beschäftigt, waren die Wa gen doch an der stellen Stelle angelangt; hier stießen nun die folgen den 5 Wagen mit solcher Heftigkeit auf den ersten Wagen, daß dieser aus dem Gleise kam und umstürzte. Huhle fiel auf das Gleis, wo derselbe von den fünf Lowrys derartig überfahren wurde, daß das linke Bein zweimal und der linke Arm einmal gebrochen, und das linke Auge ausgedrückt wurde. Der Verunglückte ist bereits gestorben. — In Sayda entlud sich am Sonnabend Nachmittag 3 Uhr, nachdem Vs2 Uhr ein undurchdringliches Schneegestöber sich erhoben hatte, ein heftiges über Stunde andauerndes Gewitter, wobei ein Blitzstrahl an dem Thurme der Stadtkirche niedergefahren ist und von der einen über dem Hauptportale angebrachten großen Kreuzblume die Kugel uud ein größeres Stück des ersten Kreuzarmes abgerissen hat. — Ein schlauer Wirth in Meißen, der das lange Sitzen seiner Gäste satt gehabt, hat kürzlich denselben durch die Blume zu verstehen gegeben, daß sie sich entfernen möchten, indem er zu seiner Ehehälfte geäußert: „Höre, Frau, wir wollen zu Bette gehe», die Gäste sind auch müde!" Diese Mahnung soll auch nicht ohne Wirkung geblieben sein. — Der wegen Unterschlagung von Kassengeldern flüchtig gewor dene Gemeindekassirer Schumann aus Plagwitz ist in Havre aufge- griffe» und dieser Tage i» Leipzig eingeliefert worden. Cin Weihnachtsabend. Novelle von Emilie Heinrichs. (Schluß.) „Wann wird der Christbaum denn eigentlich angezündet, Groß vater?" rief plötzlich Jacques ungeduldig dazwischen. „Nicht eher, bis die Mama und das Schwesterchen auch hier sind," bemerkte der Großvater, ihm liebkosend die Wange streichelnd; „was würde das Christkind sagen, wenn wir ohne sie Weihnachten feier» wollten." Jacques sah recht trübselig darein, doch gab er sich zufrieden, als Marie ihm ein Bilderbuch brachte und der Großvater ihm die Bilder erklären wollte. „Wer ist bei unserem Kranken?" fragte der Letztere besorgt. „Grethe, die er indessen nicht erkennt, da das Licht gedämpft ist. Ich gehe lieber zu ihm." „Thue das, Kind!" In diesem Augenblicke ging die Hausglocke, Marie eilte hinaus, um zu öffnen, und kehrte bald mit Dr. Unzer zurück, welcher mit sichtlicher Freude das Gelingen seines Planes sah, indessen keine frohe Nachricht mitbrachte, da er weder von Charles Gerard noch von der Schwester und ihren, Kinde die geringste Spur gefundeu hatte. „Ich sah auch dort vor den, Dammthore des Elends und Jam mers so viel," seufzte er, sich erschöpft auf einen Stuhl niederlasseud, daß ich olle meine physische, wie seelische Kraft aufbieten mußte, um mich von de» grausigen Eindrücken zu befreien und den Heimweg überwinden zu können. Jetzt aber will ich noch einmal nach dem Kranken sehen. — Pardon, alter Freund, ich lese die Vergebung meiner Sünden aus Ihren Augen, — und dieser kleine Kerl verbürgt es mir ja auch, bleiben mir gute Freunde, wie bisher?" Er streckte ihm die Hand entgegen, weiche Jacob Meinert mit festem Druck ergriff. „Sie sind mein Arzt gewesen im wahren Sinn des Wortes, Dok tor! — Ich werde Ihnen diesen Tag niemals vergessen. Wären nur die Andere», ich meine den Bruder und die Schwester, erst hier, dann wollte ich Weihnachten feiern und meinen Enkeln den ersten Christbaum anzünden." Er warf einen betrübten Blick auf Marie, welche regungslos und leichenblaß am Tisch lehnte. Der Doktor streichelte ihr die Wange, vermochte aber kein Wort des Trostes hervorzubringen, sondern ver ließ mit dem Versprechen, später wieder zu kommen, das Zimmer, um sich zu dem Kranken zu begeben. „Hoffe, mein Kind," sprach Jacob Meinert mit bewegter Stimme. „Gott führt uns Menschen oft wunderbar zum Glück." Das junge Mädchen küßte schweigend den Vater und begab sich dann hinaus, um den Doktor noch einmal zu fragen und aus's Neue die trostlose Antwort zn vernehmen. Der kleine Jacques mußte vergebens auf den versprochenen Weih- nachtsbaiim warten, die Mama uud das Schwesterchen kamen eben so wenig wie der Onkel Charles. Der Abend verstrich ohne eine Nachricht von den Verlorenen; der Kleine wurde zu Bette gebracht und auf den nächstfolgenden Tag vertröstet, mit welcher Hoffnung er auch entschlief. Wilhelm war unter Mariens Pflege auch wieder sanft entschlum mert, nachdem sie ihm auf seine Frage mitgetheilt, daß Valerie er. schöpft und der Ruhe bedürftig sei. Weshalb sie, die Schwester, hier in des Doktors Hause bei ihm sein dürfe, darnach fragte er nicht, wie er auch des Vaters nicht erwähnte. Das Nobisthor war längst wieder geschlossen, die letzten Unglück lichen, wie man glaubte, in Altonas schützende Mauern eingezogen, wo die rührendste Liebe sich ihrer annahm und ihnen Obdach und Nahrung gewährte, obwohl die Bürger genug an sich selber in dieser Zett der Noth zu denken hatten. Marschall Davoust, der grimmige Würger, hatte befohlen, daß 10,000 Menschen hinausgelrieben werden sollten, und diese Zahl war noch nicht voll. So holten die Schergen inmitten der heiligen Weih nacht die Opfer aus ihren Betten, trieben sie, da die Thore bereits geschlossen waren, in die Petrikirche hinein, um sie am nächsten Mor gen in's Elend oder in den Tod hinauszustoßen. Dr. Unzer, welcher noch spät am Abend zu verschiedenen Kranken gerufen wurde, eilte, von Unruhe gefoltert, noch einmal durch die Reichenstraße und trat ins Meinert'sche Haus, wo Vater und Tochter noch harrten, da sie voraussetzten, daß Charles jedenfalls die Schwester zum Doktor bringen werde. Dieser blieb eine Weile und ging daun wieder fort bis zum No- bisthore, wo er mit dem Thorwächter sprach, der soeben noch einen Wagen durchgelassen. „Der Kutscher hatte einen Erlaubnißschein des Präsidenten," setzte der Wächter hinzu. „Dort kommt schon wieder ein Wagen von St. Pauli herab," rief der Doktor, „alle Wetter, das Pferd geht durch, das Thor geöff net, Mann, damit wir es aufhalten, sonst zerschellt der Wagen mit Allem, was sich darin befindet." Der Thorwächter gehorchte, mit rasender Eile stürmte der Wagen Hera», geradewegs durch's Thor, wo die beiden Männer mit einer raschen Bewegung das Pferd zum Stehen brachten. Die Luft hatte sich etwas aufgeklärt, der Schnecstnrm hatte nach gelassen und mit Halder Dämmerung erhellte oer durchschimmernde Halbmond die weiße glitzernde Schneefläche. Auf dem Bocke saß der Kutscher, welcher jetzt lustig herabsprang, die Kalesche öffnete und eine Frau mit einem Kinde heraushob. Er hatte kein Wort des Dankes für die muthige That der beiden Männer, sondern ließ Pferd und Wa'gen im Stich und suchte mit seiner Be- .-leitung schweigend zu entkommen.