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268 können. Vor allen andern öffentlichen Blättern und Zeitschriften erfreut sich unsere leipziger Ltaats- zeitung des zweideutigen Rufes, die meisten Hei- rathsgesuche in dem bezahlten Theile ihrer Spal ten zu enthalten und so gewissermaßen als Kupp lerin dazustchen. Es sind auch hier und da öffent lich Stimmen laut geworden, welche die Leipziger Zeitung wegen der Aufnahme der mehrerwähnten Gesuche in ihre Spalten angriffcn und hart geta delt haben. Wir möchten diesen Rügen nicht un bedingt beitreten, denn keine Zeitschrift hat die Tendenzen des bezahlten Theiles ihrer Spalten zu vertreten, sofern dieselben nicht den Anstand und die Sittlichkeit verletzen und überhaupt eine den Gesetzen zuwiderlaufende Richtung verfolgen. Wenn der Einzelne in irgend einem öffentlichen Blatte für sein gutes Geld irgend eine Ansicht oder Meinung ausspricht, einen Wunsch niedcrlegt oder ein ihn persönlich betreffendes Gesuch zur all gemeinen Kenntniß bringt, so kann und darf doch daraus nicht gefolgert werden, daß die Redaclion des Blattes, welches das Inserat enthalt, die Ge sinnungen des Einsenders theile. Wenn nun die Leipziger Zeitung erklären wollte, künftig keine Hcira'thsgcsuche mehr aufzunchmen, weil die Würde der Ehe darunter leide, so würde sie dadurch die Rechte des Publikums verletzen, welche dasselbe einem öffentlichen Blatte gegenüber unzweifelhaft in Anspruch nehmen darf, indem es Jedem für sein Geld gestattet sein muß, einen Wunsch, der nur auf seine Person Bezug hat und folglich die Rechte eines Zweiten und Dritten nicht verletzt, zur allgemeinen und öffentlichen Kenntniß zu bringen. Das Hciraths- gesuche in den Zeitungen den Anforderungen, welche die Moral bei Schließung von Ehebündnißen ver langt, nicht entsprechen kann uns in diesem Au genblicke nicht kümmern, weil sonst, wenn man konsequent weiter schließen wollte, auch der Staat die Verpflichtung sich auferlcgen müßte, die Schlies sung der Eben in Rücksicht auf den rein geistigen und moralischen Theil der Wahl zu überwachen, was, abgesehen von der Unmöglichkeit, die persön liche Willensfreiheit der Staatsbürger geradezu auf heben würde. Die liberale Presse, welche für Er langung der möglichsten gesetzlichen Freiheit aller Staatsbürger kämpft, kann sonach sich nur die Aufgabe stellen, auf die Unsitte, sich als Heiraths- candidat öffentlich auszubicten, hinzuwcisen, um so durch die Macht der Ucberzeugung auf die Abstellung der das sittliche Gefühl beleidigenden Heiratksanträg: in den Zeitungen nach Kräften hinzuwirken. Wenn auch wir in den nachstehen den Zeilen dies zu thun beabsichtigen, werden wir doch weiter unten Gelegenheit nehmen uns gegen Aufnahme von Heirathsangelegenheiten betreffenden Inseraten in den öffentlichen Blättern auszuspre- chen, wenn dergleichen Gesuche der Sittlichkeit Hohn sprechen und das Gefühl für Anstand mit Füßen treten, wie dies kürzlich in der Leipziger Zeitung der Fall gewesen ist. Es bedarf gewiß keines großen Nachdenkens um cs einzuschen, wie verkehrt es schon an und für sich selbst ist, Ehen durch Zeitungsanzeigen schließen zu wollen. Denn wie kann ein so wich tiger folgenreicher Schritt, der das Wohl des gan zen häuslichen Lebens begründen soll, wie kann eine Ehe durch Briefe und flüchtiges Kennen- lcrnen begründet werden! Aber freilich, auf Liebe und stilles inneres Glück legen ja diese Heiraths- candidaten gewöhnlich weiter keinen großen Werth; ihnen ist es meist nur um leidiges Geld zu thun und ein voller Geldsack überwiegt alles Andere, das keinen Cours hat. Ist cs nicht ein Scan- dal, den wir täglich in den Zeitungen erleben, daß über Erlangung einer künftigen LebenSgefähr- tin förmlich gefeilscht, daß ein Band, welches einem großen Theile der Cyristenhcit als Sacramcnt gilt, wie eine Spekulation in Eisenbahn-, Steinkohlen- und andern Aclien, kurz wie eine reine Geschäfts- sachc behandelt wird? Ist cs nicht traurig wahr- zunchmen, daß sich bereits ein besonderer Gcschäfts- styl ausgebildet hat, dessen sich alle Die bedienen, welche in „Heirathsgesuchen Geschäfte machen?" Aber wer sind denn die Glücksritter, welche ihr künftiges häusliches Glück und das Wohl oder Wehe einer kommenden Generation von einer Zei tungsannonce erwarten? O, es sind licbc, char mante Leute. Sie sind von „angenehmen" oder wenigstens von „nicht unangenehmen Acußern," „jung" oder doch in de» „besten Jahren," betrei ben ein „flottcs Geschäft" oder sind „Staatsdiener mit festem Gehalt." Dabei ziert sie die Tugend der „Verträglichkeit," sie licbcn ein „ruhiges, stilles Leben," sind „gesund und rhätig," dabei oft von „sanften Charakter," mit einem Worte die liebens würdigsten Männer von der Welt, die das Lcbcns- glück einer „Jungftau" oder „Witwe," welche in in dem gewünschten Alter sicht, zu begründen vom licbcn Herrgott ganz besonders und nach einer eigcnthümlichen Construction geschaffen worden sind. Und solche Leute sinken nicht vor Scham in die Erde, ja crrüthen wohl kaum, wenn sie sich, die Feder in der Hand hinsetzcn und ihr äußeres und inneres Bild mit keckem Selbstvertrauen und rafsinirtcr Ucberschätzung ihres Werthes zu einem Zeitungs- inseratc zeichnen, damit der Köder recht mundge recht sei und sicycr und bald ein goldncs Fischlein im ausgcworfenen Netze sich fassge? Kennt ihr denn nicht das alte Sprichwort „eigen Lob stinkt?" Muß da nicht euer „eigen L^h" den Werth und die Kraft verlieren? Aber freilich, es ist nöthig, daß ihr euch herausstreichet und eure Tugenden in daS gehörige Licht stellet, denn die Anforderungen, welche ihr an die Dame, die ihr zur Ehre eurer Gemahlin erheben wollet, machet, müssen doch nothwendig in einigem Verhaltniß zu euren eignen Vorzügen stehen, sonst würdet ihr