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immer und für alle Zeiten nur das Jdeal aufrichtiger, ver- nünftiger Menschen bleiben werben, an deren Realisirung gar nicht zu denken ist. Der Photograph muß sic deshalb nicht einbilden, das ein Ausdruck, den er als ungezwungen erkennt, auc immer ein „ähnlicher" fei, dasz biefer Ausdruck ber Person auc im gewöhnlichen Sieben angehört, ober ihren Charaktereigenschaften entspricht. Wenn man auc im ge- wöhnlichen Leben, im persönlichen Verkehr, aus den Mienen eines Wenschen, je nachdem sich dieselben mehr ober weniger oft wiederholen, (ernt, den Charakter des Menschen, fein inneres Fühlen und Denken beurtheilen, so das bei dem Ge- danken an bie betreffende Person unwilltürlic ein Ausdruck vor unserer (Seele steht, ber einzig und allein ber wahre, ähnliche ift, ba er den Stempel ber wahren Gesinnung in sic trägt; wenn auc aus eben diesem Grunde beS Sich- versenkens und anhaltenden Bevbachtens ber Maler, ber talentvolle Künstler feinen Pinsel zu zwingen int Staube ift, den wahren, ähnlichen Ausdruck, ber ihm geistig Vor Augen steht, wiederzugeben, wirb eS in unserer Kunst unmöglich, zu vermeiden, das ber ärgste Bösewicht, ba er sic gut ver- (teilen fann, auf feiner Photographie ein wirklic rührendes, harmloses, freundliches Gesicht erhält, anS dem Riemand so leicht feinen wahren Charakter erkennen wird und Tausende baS Bild für unähnlich erklären werben. Ober umgekehrt sehen wir auf einer Bhotographie einen melancholischen, leidenden Ausdruck, ber in Wirklichkeit einer für gewöhnlic sehr luftigen, aufgeräumten Person angehört. Wird mau nicht and) von diesem Bilde sagen, das es unähnlich fei? Was schützt beim nun den Photographen gegen derartige, für fein Interesse unheilvollen Uebel feiner Kunst? Wiederum müssen wir auf diese Frage antworten: eine auf wissenschaft- licher Grundlage basirende Retouche, bie in ihrem Sinne verwendete Kenntnis ber natürlichen Gesetze ber Mimik und Bhysiognomik. Denn eS liegt auf ber Hand, das bie Aehu- lichfeitswiedergabe eine um jo treffendere fein wirb, je mehr ber Photograph in dem Ausdruck, den Gesichtszügen zu lesen versteht, je mehr er bie Bedeutung eines jeben Zuges, einer jeden gälte kennt, je weniger er sich durc Vorgetäuschtes